Leo Trotzki‎ > ‎Deutschland‎ > ‎

Leo Trotzki 19330312 KPD oder neue Partei?

Leo Trotzki: KPD oder neue Partei?

(Brief an das Internationale Sekretariat, 12. März 1933)

[Nach Schriften über Deutschland, Band 2, S. 480-482]

Liebe Genossen,

der deutsche Stalinismus geht jetzt weniger unter den Schlägen der Faschisten als infolge innerer Zersetzung zugrunde. Solange es die geringste Hoffnung darauf gab, war die Wiederaufrichtung der Partei unsere Aufgabe, wie ein Arzt einen Kranken nicht allein lässt, solange er noch einen Lebenshauch hat. Aber es wäre verbrecherisch, sich an einen Kadaver zu binden. Die KPD ist heute ein Leichnam.

Die Verachtung der Avantgarde der deutschen Arbeiter für die Bürokratie, die sie betrogen hat, wird so groß sein, dass ihnen die Parole der Wiedergeburt dieser Partei als falsch erscheinen und ihren Spott herausfordern wird. Sie haben Recht. Die Stunde ist gekommen, wo man offen die Frage stellen muss, wie man die Schaffung einer neuen Partei vorbereiten kann. In welcher Form wird das vonstatten gehen? Offensichtlich muss man sich auf die Bedingungen stützen, die durch die bisherige Entwicklung geschaffen wurden. Aber die neue Perspektive und die neue Parole werden der Linken Opposition neue Möglichkeiten eröffnen. Vor allem muss man aber aussprechen, was ist. Man muss die Trennung von der stalinistischen Bürokratie in Deutschland konstatieren. Mit dieser scharfen Wendung unserer Politik, die durch die Veränderung der Situation hervorgerufen wird (der »4. August« ist vollendete Tatsache), werden sich nicht auf einen Schlag alle unsere Genossen identifizieren. Darum ist es nötig, dass wir die Probleme in unseren eigenen Reihen analysieren, vor allem unter den deutschen Genossen. Das wird außerordentlich erleichtert, wenn das Sekretariat sogleich eine feste und entschlossene Position einnimmt.

Die stalinistische Bürokratie bereitet einen neuen »Amsterdamer Kongress« vor, diesmal gegen den Faschismus. Wenn der Kongress einberufen wird, müssen wir ihn viel besser ausnutzen als den Antikriegskongress. Ausnahmslos alle Sektionen müssen Mittel und Wege finden, um auf dem Kongress vertreten zu sein. Die Übertragung von Mandaten an Genossen des Landes, in dem sich der Kongress versammelt, ist eines dieser Mittel. Resolutionen müssen prinzipiell von allen Sektionen kommen (nicht in eigenem Namen, sondern im Namen verschiedener Arbeiterorganisationen).

Da es darum geht, uns auf dem Kongress als Gegner der zentristischen Bürokraten und der liberalen Antifaschisten zu präsentieren, müssen wir versuchen, mit Organisationen wie der Partei (und den Gewerkschaften) Sneevliets in Holland, der SAP in Deutschland und anderen ähnlichen Organisationen Vereinbarungen zu treffen. Zu diesem Zweck muss man, abgesehen von unserer eigenen Deklaration, die die Avantgarde der deutschen Arbeiter zur Bildung einer neuen Partei aufrufen muss, im voraus ein kürzeres und einfacheres Dokument ausarbeiten, dem sich — nach vorherigen Unterhandlungen — auch unsere Verbündeten anschließen können (und dessen zentrales Thema die Entlarvung des Fehlers, einen solchen Kongress einzuberufen, ist). Das ist ein taktisch sehr bedeutender Schritt, vorausgesetzt, dass er die politische Selbstbestimmung unserer möglichen Verbündeten vorantreibt und uns in Deutschland die Bildung einer neuen Partei erleichtert.

Zusammen mit diesem Brief oder unmittelbar danach schicke ich Euch einen Artikel, in dem ich den Leser auf die Notwendigkeit hinweise, in Deutschland eine neue Partei zu schaffen. Ich schicke diesen Artikel ausschließlich an Euch, um in dieser höchst bedeutsamen Frage maximale Einmütigkeit mit Euch sicherzustellen. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo es nötig ist, mutig und entschlossen zu sein. Mein Artikel kann die vorbereitende Diskussion in der ganzen Opposition erleichtern. Aber vor den Zentralkomitees der Sektionen muss man die Frage sehr viel Konkreter stellen. Dieser Brief, den ich an Euch richte, verfolgt dieses Ziel. Noch einmal, ich schicke ihn nur an Euch. Falls wir prinzipiell übereinstimmen, bitte ich Euch, diesen Brief (in Auszügen) samt Eurer Resolution oder Eurem eigenen Brief zum selben Thema so rasch wie möglich an die Leitungen aller Sektionen zu schicken.

Meinungsverschiedenheiten über diese oder jene Einzelheit können keine Bedeutung haben und werden sich im Laufe der weiteren politischen Arbeit erledigen, wenn wir nur über die Prinzipien einig sind, d.h. über die Notwendigkeit, eine schroffe Wendung in unserer Haltung zur KPD zu vollziehen.

Die Wendung besteht offenbar nicht darin, dass wir die neue Partei »proklamieren«. Davon kann keine Rede sein. Aber wir erklären: Die offizielle deutsche Partei ist politisch liquidiert, sie kann nicht wiedererstehen. Wir wollen das Erbe ihrer Verbrechen nicht auf uns nehmen. Die Avantgarde der deutschen Arbeiter muss eine neue Partei bauen. Wir Bolschewiki-Leninisten bieten ihr unsere Hilfe an.

Hier stellt sich natürlich die Frage: Wie verhalten wir uns zu den anderen Sektionen der KI und zur III. Internationale insgesamt? Brechen wir unmittelbar mit ihnen? Meiner Meinung nach wäre es falsch, auf diese Frage die starre Antwort zu geben: Ja, wir brechen mit ihnen. Die politische Entwicklung vollzieht sich nicht so mechanisch. Der Zusammenbruch der KPD mindert offenbar die Chancen einer Wiederbelebung der KI. Aber anderseits kann gerade diese Katastrophe in verschiedenen Sektionen eine gesunde Reaktion hervorrufen. Wir müssen bereit sein, zu helfen. Auch die Frage der UdSSR bleibt ungelöst; hier wäre die Proklamierung der Losung »Zweite Partei« falsch. Wir rufen heute zur Schaffung einer neuen Partei in Deutschland auf, um die Kommunistische Internationale den Händen der stalinistischen Bürokratie zu entreißen. Es handelt sich nicht um die Schaffung der Vierten, sondern um die Rettung der Dritten Internationale.

Die innenpolitische Lage in Deutschland und die Lage der KPD zwingen zu dem Schluss: Man muss weit voraus sehen, ohne sich bei Details aufzuhalten. Praktisch bedeutet das: Man muss vor allem im Ausland ein theoretisches und politisches deutschsprachiges Organ der Linken Opposition schaffen. Das muss sofort getan werden, um dem Denken der vorgeschrittenen Arbeiter im Augenblick allgemeiner Unsicherheit einen Halt zu bieten. Man muss sich so schnell wie möglich mit den deutschen Genossen über diese Publikation verständigen.

Die Reise Kellers war sehr nützlich, da sie uns einen klaren Überblick über das, was geschieht, gegeben hat, und uns erlaubt hat, die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Aber sein weiteres Verbleiben in Deutschland ist wenig angezeigt. Er wird bei der Redaktion der deutschen Zeitschrift nützlicher sein.

Ich erwarte mit Ungeduld Eure Antwort auf alle diese Fragen.

G. Gurow

Kommentare