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Leo Trotzki 19311115 Russisch-deutsche Beziehungen

Leo Trotzki: Russisch-deutsche Beziehungen

[Nach Schriften über Deutschland, Band 1, S. 143f.]

Die Frage »Ist ein Räte-Deutschland möglich?« zeigt nur, wie wichtig es seinerzeit für die Sowjetregierung gewesen wäre, rechtzeitig zu Beginn der Krise ein Modell der planmäßigen Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und Deutschland auszuarbeiten. Ein solches Modell wäre jetzt von unschätzbarem agitatorischen Wert. Das wenigste, das man jetzt tun kann, ist, das Verpasste nachzuholen.

Ich habe (aus Zeitmangel) das antisowjetische Manifest der Leipziger Volkszeitung nur flüchtig durchgelesen, aber seine alberne Oberflächlichkeit springt ins Auge. Die russischen Sozialdemokraten behaupteten 1917, die Diktatur des Proletariats sei passend für ein hoch industrialisiertes Land, aber keinesfalls für das unterentwickelte Russland, dem sie nur Unglück bringen könne. Im übrigen könne sich die Diktatur nicht länger als drei Tage (später: ein bis drei Wochen) halten. Das war die sozialdemokratische Einschätzung der Oktoberrevolution. Jetzt, nach vierzehn Jahren, sagen die deutschen Sozialdemokraten: Sowjetmacht, — Diktatur des Proletariats? Für ein rückständiges Land — sehr gut; da ist viel Raum, eine überwältigende Mehrheit von Bauern usw. Für das hoch industrialisierte Deutschland freilich würde die Diktatur des Proletariats einen völligen Zusammenbruch bedeuten.

Über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen einem Räte-Deutschland und Sowjetrussland. — Hier manipulieren die deutschen Sozialdemokraten die heutigen Export- und Importziffern, um zu zeigen, wie unbedeuten1d der Handelsverkehr zwischen Deutschland und der UdSSR ist. Aber das beweist nur, dass ein Rätedeutschland, das nach den Regeln des kapitalistischen Deutschlands arbeiten würde, ersticken müsste. Der Industriewaren-Import nach Russland ist durch die Kreditbedingungen limitiert. Im Laufe mehrerer Jahre konnte die kollektivierte Landwirtschaft, die gegenwärtig im wesentlichen nur ein Produkt bürokratischen Zwanges ist, außerordentlich produktiv gemacht werden, und der Handelsverkehr beider Länder könnte durch die deutsche industrielle und organisatorische Kapazität gänzlich revolutioniert werden.

Aber wie ist es mit der Übergangsperiode? Was geschieht in der Zwischenzeit? Offensichtlich müsste Deutschland durch einige wenige harte Jahre hindurchgehen. Aber die Arbeiter würden wenigstens verstehen, wozu sie diese Opfer auf sich nähmen. Selbst in diesen härtesten Übergangsjahren würde Deutschland — angenommen, das übrige Europa bliebe kapitalistisch — nicht vom Weltmarkt isoliert sein. Hat das Proletariat erst einmal die Landbesitzer, die Bankiers und Industriellen enteignet, so wird es unmittelbar imstande sein, für den Weltmarkt zu billigeren Preisen als jetzt zu produzieren. Unter diesen Umständen ist aber eine Wirtschaftsblockade völlig ausgeschlossen.

Der direkte Kontakt mit Sowjetrussland würde sofort wiederhergestellt, da ein kapitalistisches Polen zwischen Rätedeutschland und Sowjetrussland bald zusammenbrechen würde. Und es ist ganz und gar unwahrscheinlich, dass der europäische Kapitalismus nach einer Revolution in Deutschland sich noch lange halten kann.

Es ist wirklich nötig, über diese Frage eine längere Studie zu schreiben. Vielleicht können die deutschen Genossen den Gesamtkomplex aufteilen, auf den verschiedenen Teilgebieten die Arbeit aufnehmen und zunächst Material dazu sammeln. Später könnte ich mich dieser gemeinsamen Arbeit ebenfalls anschließen.

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