Leo Trotzki 19371223 Brief an australische Genossen

Leo Trotzki: Brief an australische Genossen

[Nach Schriften 2.2, Hamurg 1990, S. 900-902]

Liebe Genossen,

Sie werden sicher entschuldigen, dass sich meine Antwort auf Ihren interessanten und wichtigen Brief verzögert hat. Wir alle waren hier in diesen Tagen mit der Dewey-Kommission und anderen äußerst dringenden Angelegenheiten sehr beschäftigt. Auch jetzt kann ich Ihren Brief nur kurz beantworten.

Ich meine, zwei Dinge müssen strikt unterschieden werden: a) der chinesisch-japanische Krieg; b) Ihr Verhältnis zu Ihrer Regierung.

Ein Sieg Japans wird der Reaktion nützen. Ein Sieg Chinas wäre ein Fortschritt. Deshalb unterstützt die Arbeiterklasse der ganzen Welt mit allen Mitteln China gegen Japan. Aber das heißt keineswegs, dass Sie Ihre Regierung mit der Aufgabe betrauen können, China in Ihrem Namen zu unterstützen. Dass die australische Regierung ihre Streitkräfte gegen die eigenen werktätigen Massen einsetzt, ist um vieles wahrscheinlicher, als dass sie sie gegen Japan mobilisiert. Selbst im Falle eines militärischen Konflikts zwischen Australien und Japan würde die australische Regierung versuchen, die Angelegenheit auf Kosten Chinas zu bereinigen. Für eine Arbeiterpartei wäre es ein Verbrechen, eine bürgerliche Regierung politisch auch nur ansatzweise zu unterstützen, um dadurch „China zu helfen“. Andererseits wäre es jedoch kein geringeres Verbrechen, würde sich eine Organisation der Arbeiterklasse angesichts des chinesisch-japanischen Krieges für neutral erklären.

Die gleiche Argumentation können wir, entsprechend abgewandelt, zur Lösung des Problems der australischen Unabhängigkeit verwenden. Selbstverständlich wünscht kein australischer Arbeiter oder Bauer, von Japan besiegt und unterworfen zu werden. Es wäre Selbstmord für eine revolutionäre Partei, einfach zu sagen, diese Frage sei ihr „gleichgültig“. Aber wir können einer bürgerlichen und im Grunde imperialistischen Regierung nicht die Aufgabe anvertrauen, Australiens Unabhängigkeit zu verteidigen. Die Einwanderungspolitik der australischen Regierung verleiht den japanischen Imperialisten in den Augen des japanischen Volkes einen Anschein von Rechtfertigung. Schon die allgemeine Politik der bürgerlichen Regierung bedeutet eine ökonomische, politische und militärische Schwächung des australischen Volkes. Schließlich würde die bürgerliche Regierung im Fall einer großen sozialen Krise dazu neigen, mit den ausländischen Imperialisten Kompromisse zu schließen und die Lebensinteressen des Landes preiszugeben, um die soziale Revolution zu verhindern. All diese Gründe sind mehr als ausreichend, um unsre unversöhnliche Politik gegenüber der herrschenden bürgerlichen Klasse in allen kapitalistischen Ländern zu rechtfertigen. Aber wir haben nicht den geringsten Grund zu erklären, die Frage der nationalen Unabhängigkeit sei uns gleichgültig.

Ich möchte eine wichtige praktische Überlegung anschließen, die ich in letzter Zeit bereits in anderen Briefen geäußert habe.

Wie gesagt: wir können nicht die Bourgeoisie mit den notwendigen Hilfsmaßnahmen zugunsten Chinas betrauen. Doch je nachdem, ob Australien an der Seite Japans oder an der Seite Chinas in den Krieg einträte, fiele auch unsere Politik jeweils anders aus. Natürlich blieben wir in beiden Fällen in der schärfste Gegner der Regierung. Aber während wir jede materielle Hilfe an Japan mit allen Mitteln boykottieren würden, würden wir im umgekehrten Fall der Regierung vorwerfen, sie helfe China nur unzureichend, lasse ihren Verbündeten im Stich usw.

Ich muss es bei dieser kurze Bemerkungen belassen. Ich hoffe, zusammen mit den Artikeln und Briefen, die ich in letzter Zeit zu diesem Thema geschrieben habe, können sie meine Position hinlänglich klarmachen.

Mit besten brüderlichen Grüßen

Leo Trotzki

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