Leo Trotzki 19380811 Die UdSSR und Japan

Leo Trotzki: Die UdSSR und Japan

[Nach Schriften 2.2, Hamburg 1990, S. 923-925, dort mit erklärenden Fußnoten]

Das Gefühl der Befriedigung über den Waffenstillstand zwischen den Sowjets und Japan darf nicht zu falschem Optimismus über die nächste Zukunft verführen. Japan kann nicht in das Innere Chinas eindringen und zur gleichen Zeit die UdSSR in Wladiwostok dulden. Keine diplomatische Kunst ist in der Lage, diesen Antagonismus zu beseitigen. Tokio würde seine Abrechnung mit der UdSSR gerne bis zur Festigung seiner Position in China aufschieben. Aber andererseits wird es durch die inneren Ereignisse in der UdSSR in Versuchung geführt, das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist, d. h. unverzüglich die Kräfte zu messen. Daraus rührt die zwiespältige Politik Japans: Provokationen, Grenzverletzungen, räuberische Überfälle und gleichzeitig diplomatische Verhandlungen, um sich für den Fall, dass die UdSSR stärker ist, als Japan es wünscht, die Möglichkeit für zeitweilige halbe Rückzieher offenzuhalten.

In Moskau begreift man schon längst die Unvermeidlichkeit eines Kriegs im Fernen Osten. Insgesamt war Moskau stets daran interessiert, den Krieg hinauszuschieben; zum einen, weil die rasche Industrialisierung die militärische Stärke der Sowjets erhöhte, und zum anderen auch deshalb, weil die inneren Widersprüche in Japan, das seine halb feudale Struktur bewahrt hat, eine gewaltige soziale und politische Katastrophe vorbereiten.

Die militärischen Schwierigkeiten, auf die Japan in China traf und die die japanischen Militaristen aufgrund ihrer extremen Beschränktheit nicht voraussahen, haben jedoch eine neue Situation geschaffen. Das Lebensinteresse der UdSSR verlangt es, China mit allen Mitteln zu helfen und das hieraus entspringende Risiko bewusst in Kauf zu nehmen. Im Kreml versteht man das, denn im Verlauf der 20 Jahre des Sowjetregimes hat sich eine bestimmte Sicht des fernöstlichen Problems herausgebildet. Aber die Kremloligarchie fürchtet den Krieg. Das bedeutet nicht, dass sie Japan fürchtet. In Moskau zweifelt niemand daran, dass der Mikado einen großen Krieg nicht übersteht. Aber in Moskau sieht man nicht weniger klar, dass ein Krieg unvermeidlich zum Sturz der stalinistischen Diktatur führen wird.

Stalin ist bereit, jedes beliebige Zugeständnis in der Außenpolitik zu machen, um seine Macht im Innern des Landes um so unerbittlicher zu bewahren. Doch haben die Zugeständnisse und Misserfolge der sowjetischen Diplomatie in den beiden vergangenen Jahren Unzufriedenheit im Innern entfacht und Stalin zu demonstrativen Gesten der Stärke gezwungen, die seine Bereitschaft zu neuen Zugeständnissen maskieren sollen. Das ist die Erklärung sowohl für die jüngsten blutigen Konflikte an der Grenze der Mandschurei und Koreas als auch dafür, dass diese Konflikte vorläufig mit einem Waffenstillstand beendet wurden und sich nicht in einen neuen Krieg verwandelt haben.

In dieser Lage kommt Tokio eine Schlüsselstellung zu. Die japanische Regierung wird von Generälen geführt. Die japanischen Generäle werden von den Leutnants kommandiert. Hierin liegt die unmittelbare Gefahr der Situation. Die Leutnants verstehen weder die Lage Japans noch die Lage der UdSSR. Trotz der chinesischen Lektion — zum Teil sogar als ihre Folge — suchen sie leichte Erfolge auf Kosten der UdSSR. Sie machen einen groben Fehler. Wenn sie einen Krieg provozieren, so wird dieser nicht zum unmittelbaren Sturz Stalins führen, sondern seine Position im Gegenteil noch ein oder zwei Jahre festigen; diese Frist wird völlig ausreichen, um die völlige innere Unfähigkeit des gesellschaftlichen und politischen Regimes Japans in der Praxis aufzudecken. Ein großer Krieg wird Japan in eine revolutionäre Katastrophe stürzen, ähnlich jener, in die das zaristische Russland im letzten großen Krieg geraten ist. Der Sturz der stalinistischen Diktatur steht erst in zweiter Linie an. Deshalb täten die Führer Japans gut daran, Stalin nicht zu etwas zu zwingen, was er nicht will, nämlich die UdSSR mit der Waffe in der Hand zu verteidigen.

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