Leo Trotzki 19370920 Japan vor der Katastrophe

Leo Trotzki: Japan vor der Katastrophe

[Nach Schriften 2.2, Hamburg 1990, S. 859 f.]

Frage: Wie wird sich ein militärischer Sieg Japans in China auf das politische Gleichgewicht im Fernen Osten auswirken?

Antwort: Ein tatsächlicher, entscheidender Sieg Japans über China würde die Vertreibung Großbritanniens aus China bedeuten, die USA würden vor hermetisch verschlossenen Türen stehen, der fernöstliche Teil der Sowjetunion wäre direkt bedroht, und im nächsten Stadium auch Französisch-Indochina und die holländischen Inseln. Ich glaube jedoch nicht, dass sich ein solcher Plan in die Tat umsetzen lässt. Wie ich in den vergangenen zehn Jahren mehr als einmal geschrieben habe, wird der erste große Krieg für Japan in einer sozialen Katastrophe größten Ausmaßes enden.

Frage: Wie wird sich das militärische Abenteuer auf die innere politische und ökonomische Struktur Japans auswirken?

Antwort: Das Reich des Mikado birgt in sich die gleichen sozialen Widersprüche, die seinerzeit das zaristische Reich sprengten: halb feudale Verhältnisse auf dem Lande; eine Monarchie, die sich aus »göttlichem Recht« herleitet; die schreckliche Armut des Volkes; ein enger Binnenmarkt für die Industrie; ein ungeheures Anwachsen des Militärhaushalts; eine militärische Kaste, die in sich alle inneren Widersprüche des Landes widerspiegelt; usw. usw.

Frage: Wie könnte sich die Lage weiter entwickeln, falls die gesamte japanische Armee auf das Festland entsandt wird – immer vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die japanischen Massen das China-Abenteuer offenkundig ablehnen?

Antwort: Bei der Masse der japanischen Soldaten schlägt sich die tiefe Unzufriedenheit der japanischen Bauern und Arbeiter nieder. Wie üblich wird zu Beginn des Krieges die ganze Armee von chauvinistischer Begeisterung erfasst werden, aber die Gegenreaktion wird nicht lange auf sich warten lassen.

Großbritannien gelang es im 20. Jahrhundert nicht mehr, Indien zu erobern; im Gegenteil, es ist im Begriff, Indien zu verlieren. Japan ist nicht Großbritannien. China ist stärker als Indien. Der japanische Imperialismus wird sich bei seinem China-Abenteuer das Genick brechen.

Frage: Welche innenpolitischen Faktoren sind für die gegenwärtige, abwartende Politik Russlands gegenüber dem chinesisch-japanischen Konflikt bestimmend? Ist Russland gegebenenfalls auf einen Krieg mit Japan vorbereitet? Hat sich seine Armee von den Auswirkungen der jüngsten »Säuberung« erholt? Halten Sie die Behauptung für wahr, die man unlängst in mehreren Veröffentlichungen in den Vereinigten Staaten lesen konnte, wonach sich Stalin jetzt wieder »fest im Sattel« fühle und daher zu einem entschiedeneren Vorgehen in Asien bereit sei?

Antwort: Stalin führt einen Bürgerkrieg gegen das Volk. In allen Bereichen des öffentlichen Lebens – in der Wirtschaft, in der Armee, in der Literatur usw. – bringen die aufrichtigeren, begabteren, kritischer denkenden Exponenten die Unzufriedenheit der Massen mit der demoralisierten bürokratischen Kaste zum Ausdruck. Sie sind es, die Stalin mittels der GPU systematisch ausrottet. Die Bürokratie ist zum Haupthindernis für die ökonomische und kulturelle Entwicklung des Landes geworden. Daher werden der Hydra der Unzufriedenheit immer neue Köpfe wachsen. Stalins Regime ist zum Untergang verurteilt. Viele Berichte, die uns in letzter Zeit, ob zensiert oder »unzensiert«, aus Moskau erreichen, wollen beweisen, dass die blutige Säuberung Stalins Stellung »gestärkt« habe. Die Verfasser dieser Berichte haben entweder nichts verstanden, oder sie haben nur zu gut verstanden.

Stalins Außenpolitik wird nicht von den Interessen der UdSSR, sondern von seiner Sorge um die Selbsterhaltung der herrschenden Kaste diktiert. Stalin hat den Rückzug angetreten und wird weiter zurückweichen. Der Krieg wird der herrschenden bürokratischen Kaste Zügel anlegen. Dennoch zweifle ich nicht daran, dass die UdSSR aus einem Krieg im Fernen Osten als Sieger hervorgehen wird.

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