Leo Trotzki 19380205 Revolution und Krieg in China

Leo Trotzki: Revolution und Krieg in China

Vorwort zu Harold R. Isaacs' The Tragedy of the Chinese Revolution

[Nach Schriften 2.2, Hamburg 1990, S. 907-919, dort mit Fußnoten. 2016 ist im Mehring-Verlag eine deutsche Übersetzung von Isaacs' Buch erschienen.]

Sagen wir es gleich: Der Umstand, dass der Autor dieses Buchs zur Schule des historischen Materialismus gehört, wäre, allein genommen, in keiner Weise ausreichend, um unsere Sympathien seiner Arbeit gegenüber zu erobern. Unter den gegenwärtigen Bedingungen könnte uns ein marxistisches Etikett eher Misstrauen als Wohlwollen einflößen. Der Marxismus hat in den letzten eineinhalb Jahrzehnten, in engem Zusammenhang mit der Entartung des Sowjetstaates, eine Periode des unerhörten Verfalls und der Erniedrigung durchgemacht. Aus einem Werkzeug der Analyse und Kritik wurde er zu einem Instrument billiger Apologetik. Er beschäftigt sich nicht mit der Untersuchung von Fakten, sondern mit der Zusammenstellung von Sophismen im Interesse hochrangiger Auftraggeber.

In der chinesischen Revolution der Jahre 1925-1927 hat die Komintern eine sehr große Rolle gespielt, die in diesem Buch mit ausreichender Vollständigkeit dargestellt wird. Vergeblich würden wir jedoch in der Bibliothek der Komintern nach einem Buch suchen, das den Versuch unternimmt, eine auch nur annähernd abgeschlossene Vorstellung über die chinesische Revolution zu vermitteln. Statt dessen finden wir Dutzende von »konjunkturellen« Werken, die getreu die einzelnen Zickzackbewegungen der Politik der Komintern, richtiger: der sowjetischen Diplomatie in China zum Ausdruck bringen und jeder Zickzackbewegung die Fakten und die allgemeine Konzeption unterordnen. Im Gegensatz zu dieser Literatur, die nichts als intellektuellen Abscheu hervorrufen kann, stellt Isaacs' Buch von Anfang bis Ende eine wissenschaftliche Arbeit dar. Sie basiert auf dem gewissenhaften Studium einer gewaltigen Menge von Quellen und Hilfsmitteln. Isaacs hat dieser Arbeit mehr als zwei Jahre gewidmet. Hinzu kommt, dass er vorher etwa sechs Jahre in China als Journalist und Beobachter des chinesischen Lebens verbracht hat.

Der Autor dieses Buches nähert sich der Revolution als Revolutionär und sieht keinen Grund, dies zu verbergen. In den Augen des Philisters ist ein revolutionärer Standpunkt fast gleichbedeutend mit dem Mangel an wissenschaftlicher Objektivität. Wir denken gerade umgekehrt: Die objektive Dynamik der Revolution kann nur ein Revolutionär aufdecken, natürlich unter der Voraussetzung, dass er mit der wissenschaftlichen Methode ausgerüstet ist. Überhaupt ist das erkennende Denken nicht kontemplativ, sondern aktiv. Das Element des Willens ist notwendig für das Eindringen in die Geheimnisse von Natur und Gesellschaft. Wie der Chirurg, von dessen Lanzette menschliches Leben abhängt, die Gewebestrukturen des Organismus mit größter Sorgfalt untersucht, so muss auch der Revolutionär, wenn er seine Aufgabe ernst nimmt, mit äußerster Gewissenhaftigkeit die Struktur der Gesellschaft, ihre Funktionen und Reflexe untersuchen.

Um den gegenwärtigen Krieg zwischen Japan und China zu begreifen, muss man die zweite chinesische Revolution zum Ausgangspunkt nehmen. In beiden Fällen begegnen wir nicht nur den gleichen sozialen Kräften, sondern häufig auch den gleichen Figuren. Es genügt der Hinweis darauf, dass die Figur Tschiang Kaischeks in diesem Buch einen zentralen Ort einnimmt. Zur Stunde, da diese Zeilen geschrieben werden, ist es schwierig, schon vorherzusagen, wann und wie der japanisch-chinesische Krieg beendet sein wird. Aber der Ausgang des gegenwärtigen Konflikts im Fernen Osten wird in jedem Falle nur einen provisorischen Charakter haben. Der Weltkrieg, der mit unüberwindlicher Kraft naht, wird das chinesische Problem, wie auch alle übrigen Probleme der Kolonialherrschaft, einer Revision unterziehen. Denn das wird die wirkliche Aufgabe des Zweiten Weltkriegs sein: den Planeten entsprechend dem neuen Verhältnis der imperialistischen Mächte neu aufzuteilen. Die Hauptarena des Kampfes wird natürlich nicht das Mittelmeer sein, dieser Waschtrog für Liliputaner, und auch nicht der Atlantische Ozean, sondern das Becken des Pazifischen Ozeans. Wichtigstes Objekt des Kampfes wird China sein – fast ein Viertel der Menschheit. Tokio bereitet sich auf diesen Kampf der Titanen vor und versucht jetzt, sich einen möglichst großen Aufmarschplatz auf dem asiatischen Kontinent zu sichern.

Großbritannien und die Vereinigten Staaten verlieren ebenfalls keine Zeit. Man kann jedoch mit Sicherheit voraussagen – und das erkennen im Prinzip auch jene an, die heute die Schicksale lenken –, dass auch der Weltkrieg nicht die letzte Instanz sein wird: er wird eine neue Reihe von Revolutionen nach sich ziehen, die nicht nur die Ergebnisse des Kriegs revidieren, sondern auch die Eigentumsverhältnisse, welche die Kriege gebären.

Man muss zugeben, dass diese Perspektive sehr weit von einer Idylle entfernt ist. Aber Clio, die Muse der Geschichte, gehörte nie zur Gesellschaft pazifistischer Damen. Die ältere Generation, die durch den Krieg von 1914-1918 gegangen ist, hat keine einzige ihrer Aufgaben bewältigt. Sie hinterlässt der neuen Generation die Last von Kriegen und Revolutionen als Erbe. Diese außerordentlich bedeutsamen und tragischen Ereignisse der menschlichen Geschichte sind häufig Hand in Hand gegangen. Jetzt bereiten sie endgültig den Hintergrund für die kommenden Jahrzehnte. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Generation, die sich nicht nach Belieben den ererbten Bedingungen entziehen kann, zumindest lernt, die Gesetze der eigenen Epoche besser zu begreifen. Wenn sie sich mit der chinesischen Revolution von 1925-1927 vertraut machen will, wird sie heute keinen besseren Leitfaden finden als dieses Buch.

Trotz der unbestrittenen Größe des angelsächsischen Genius ist nicht zu übersehen, dass gerade in den angelsächsischen Ländern die Gesetze der Revolutionen am schlechtesten verstanden werden. Dies erklärt sich einerseits dadurch, dass das Phänomen der Revolution selbst in diesen Ländern einer längst vergangenen Geschichte angehört und bei den offiziellen »Soziologen«, wie ein kindlicher Unfug, nur mitleidiges Lächeln hervorruft. Andererseits ist der für das angelsächsische Denken so charakteristische Pragmatismus am wenigsten für ein Verständnis revolutionärer Krisen geeignet.

Die englische Revolution des 17. Jahrhunderts hatte, wie auch die französische des 18. Jahrhunderts, die Aufgabe, die Struktur der Gesellschaft zu rationalisieren, d. h., sie von den feudalen Stalaktiten und Stalagmiten zu säubern und den Gesetzen der freien Konkurrenz zu unterwerfen, die in jener Epoche als Gesetze des »gesunden Menschenverstandes« galten. Die puritanische Revolution kleidete sich zudem noch in biblische Gewänder und zeigte hiermit ein kindliches Unvermögen, ihren eigenen Sinn zu begreifen. Die französische Revolution, die einen bedeutenden Einfluss auf das progressive Denken der Vereinigten Staaten ausübte, ließ sich von den Formeln eines reinen Rationalismus leiten. Der gesunde Menschenverstand, der sich noch vor sich selbst fürchtet und zur Maske biblischer Propheten Zuflucht nimmt, oder der säkularisierte gesunde Menschenverstand, der die Gesellschaft als Produkt eines rationalen »Vertrags« betrachtet, sind bis in die heutige Zeit die Hauptformen des angelsächsischen Denkens im Bereich der Philosophie und Soziologie geblieben.

Aber die reale historische Gesellschaft wurde weder nach Rousseau und seinem rationalem »Vertrag« noch nach Bentham und dem Prinzip des »allgemeinen Nutzens« aufgebaut, vielmehr entwickelte sie sich »irrational«, in Widersprüchen und Antagonismen. Damit die Revolution unvermeidlich wird, müssen die Klassenwidersprüche aufs äußerste angespannt sein. Gerade diese historische Unausweichlichkeit des Konflikts, die nicht vom guten oder bösen Willen abhängt, sondern von den objektiven Wechselbeziehungen der Klassen, macht die Revolution, neben dem Krieg, zum dramatischen Ausdruck der »irrationalen« Grundlage des historischen Prozesses.

»Irrational« bedeutet jedoch nicht willkürlich. Im Gegenteil: In der molekularen Vorbereitung der Revolution, ihrem Ausbruch, ihrem Aufschwung und ihrem Niedergang liegt eine tiefe innere Gesetzmäßigkeit, die man erkennen und in ihren Grundzügen voraussehen kann. Revolutionen haben, wie schon verschiedentlich gesagt, ihre eigene Logik. Aber das ist keine aristotelische Logik und noch viel weniger die pragmatische Halblogik des »gesunden Menschenverstandes«. Es ist eine höhere Funktion des Denkens: die Logik der Entwicklung und ihrer Widersprüche, d. h. die Dialektik.

Die Beharrlichkeit des angelsächsischen Pragmatismus und seine Feindschaft gegenüber dem dialektischen Denken haben also ihre materiellen Ursachen. Wie ein Poet die Dialektik der Gefühle nicht aus Büchern, ohne eigenes Erleben, erfahren kann, so ist auch eine Wohlstandsgesellschaft, die keine Erschütterungen mehr kennt und sich an einen ununterbrochenen »Fortschritt« gewöhnt hat, nicht imstande, die Dialektik der eigenen Entwicklung zu begreifen. Es ist jedoch nur allzu offensichtlich, dass dieses Privileg der angelsächsischen Welt der Vergangenheit angehört. Die Geschichte ist dabei, Großbritannien wie auch den Vereinigten Staaten ernste Lektionen in Dialektik zu erteilen.

Der Verfasser dieses Buches bemüht sich darum, den Charakter der chinesischen Revolution nicht aus apriorischen Bestimmungen und nicht aus historischen Analogien abzuleiten, sondern aus der lebendigen Struktur der chinesischen Gesellschaft und der Dynamik ihrer inneren Kräfte. Hierin liegt der hauptsächliche methodologische Wert des Buches. Sein Leser gewinnt nicht nur eine zusammenhängendere Vorstellung vom Gang der Ereignisse, sondern, was noch wichtiger ist, er lernt auch ihre grundlegenden sozialen Triebkräfte kennen. Nur auf dieser Grundlage kann man die politischen Programme und Losungen der kämpfenden Parteien richtig einschätzen, die zwar besonders demonstrative, aber weder eigenständige noch letztlich entscheidende Elemente des Prozesses sind.

Ihren unmittelbaren Zielen nach ist die unvollendete chinesische Revolution eine »bürgerliche«. Doch bringt uns dieser Terminus, wenn er als einfacher Nachhall der bürgerlichen Revolutionen der Vergangenheit benutzt wird, in der Substanz sehr wenig vorwärts. Damit sich die historische Analogie nicht in eine Denkfalle verwandelt, muss man sie im Lichte einer konkreten sozialen Analyse überprüfen. Welche Klassen kämpfen in China? Welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen diesen Klassen? In welcher Richtung verändern sich diese Beziehungen? Welche objektiven, d. h. vom Gang der Entwicklung diktierten Aufgaben stellen sich der chinesischen Revolution? Auf den Schultern welcher Klassen ruht die Lösung dieser Aufgaben? Mit welchen Methoden können diese Aufgaben gelöst werden? Gerade auf diese Fragen gibt das Buch von Isaacs eine Antwort.

Die kolonialen und halbkolonialen, also rückständigen Länder, welche die bei weitem größere Hälfte der Menschheit ausmachen, unterscheiden sich außerordentlich stark voneinander nach dem Grad der Rückständigkeit und bilden eine historische Stufenleiter, die von der Nomadenexistenz oder sogar vom Kannibalismus bis zur modernsten industriellen Kultur reicht. Die Kombination dieser Extreme charakterisiert in der einen oder anderen Form jedes dieser rückständigen Länder. Doch ist die Hierarchie der Rückständigkeit, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, durch das spezifische Gewicht der Elemente von Barbarei und Kultur im Leben jedes dieser kolonialen Länder bestimmt. Äquatorialafrika bleibt weit hinter Algerien zurück, Paraguay hinter Mexiko, Abessinien hinter Indien oder China. Vor dem Hintergrund ihrer allgemeinen wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Metropolen des Imperialismus hat die politische Abhängigkeit in manchen Fällen den Charakter einer offenen kolonialen Sklaverei, in anderen Fällen wird sie durch die Fiktion einer staatlichen Selbständigkeit verdeckt (China, Lateinamerika).

In den agrarischen Verhältnissen findet die Rückständigkeit ihren organischsten und grausamsten Ausdruck. Keines dieser Länder hat seine demokratische Revolution in irgendwie gründlicher Weise durchgeführt. Halbherzige Agrarreformen werden durch halb leibeigenschaftliche Verhältnisse zurückgenommen, die sich auf dem Boden von Armut und Unterdrückung unvermeidlich immer wieder herausbilden. Die agrarische Barbarei geht stets Hand in Hand mit unzureichenden Verkehrsverbindungen, mit einer Aufsplitterung der Provinzen, einem »mittelalterlichen« Partikularismus und einem Mangel an Nationalbewusstsein. Die Reinigung der gesellschaftlichen Beziehungen von den Überresten des alten und den Ablagerungen eines neuen Feudalismus ist die wichtigste Aufgabe in allen diesen Ländern.

Jedoch ist die Verwirklichung einer Agrarrevolution undenkbar, solange die Abhängigkeit vom ausländischen Imperialismus erhalten bleibt, der mit der einen Hand kapitalistische Beziehungen einführt, aber mit der anderen alle Formen von Sklaverei und Leibeigenschaft unterstützt und sogar wiederherstellt. Der Kampf um die Demokratisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse und die Schaffung eines Nationalstaats gehen somit nahtlos in einen offenen Aufstand gegen die ausländische Herrschaft über.

Historische Rückständigkeit bedeutet nicht, dass die Entwicklung fortgeschrittener Länder, wie England oder Frankreich, mit einer Verspätung von hundert, zweihundert oder dreihundert Jahren einfach wiederholt werden kann; vielmehr bringt sie eine völlig neue, »kombinierte« soziale Formation hervor, in der die neuesten Errungenschaften kapitalistischer Technik und Struktur in die Verhältnisse einer feudalen oder vorfeudalen Barbarei eindringen, diese umformen und sich unterwerfen und hierbei eigentümliche Klassenbeziehungen schaffen.

Keine einzige Aufgabe der »bürgerlichen« Revolution kann in diesen verspäteten Ländern unter der Führung der »nationalen« Bourgeoisie gelöst werden, denn diese erhebt sich sogleich, am ausländischen Gängelband geführt, zu einer dem Volk fremd und feindlich gegenüberstehenden Klasse. Jede Etappe in ihrer Entwicklung wird sie nur noch enger mit dem ausländischen Finanzkapital zusammenbringen, dessen Agentur sie ihrem Wesen nach ist. Das koloniale Kleinbürgertum in Handwerk und Handel wird das erste Opfer des ungleichen Kampfes gegen das ausländische Kapital, sinkt zu wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit hinab, wird deklassiert und pauperisiert und kann nicht an eine selbständige politische Rolle denken. Die Bauernschaft, die zahlreichste und zersplittertste, die rückständigste und unterdrückteste Klasse, ist zu örtlichen Aufständen und zu Partisanenkriegen fähig, benötigt aber als Führung eine progressivere und stärker zentralisierte Klasse, damit dieser Kampf auf eine gesamtnationale Ebene gehoben werden kann. Die Aufgabe einer solchen Führung liegt natürlich beim kolonialen Proletariat, das sich vom ersten Schritt an nicht nur der ausländischen, sondern auch der eigenen, nationalen Bourgeoisie entgegenstellt.

Die kapitalistische Entwicklung hat China aus einem Konglomerat von Provinzen und Stämmen, die durch geographische Nachbarschaft und den bürokratischen Apparat miteinander verbunden waren, zu so etwas wie einem ökonomischen Ganzen gemacht. Die revolutionäre Massenbewegung hat dieser herangewachsenen Einheit erstmals die Sprache des Nationalbewusstseins verliehen. In den Streiks, den agrarischen Aufständen und den Feldzügen der Jahre 1925-1927 wurde das neue China geboren. Während die mit der eigenen und der ausländischen Bourgeoisie verbundenen Generale das Land nur in Stücke reißen konnten, wurden die chinesischen Arbeiter zu Trägern eines unüberwindlichen Strebens nach nationaler Einheit. Diese Bewegung bildet zweifellos eine Analogie zum Kampf des dritten Standes in Frankreich gegen den Partikularismus oder zum späteren Kampf der Deutschen und Italiener für die nationale Einheit. Aber im Unterschied zu den erstgeborenen Ländern des Kapitalismus, in denen das Problem der nationalen Einheit beim Kleinbürgertum – teilweise unter Führung der Großbourgeoisie oder sogar der Gutsbesitzer (Preußen!) – lag, trat in China in dieser Bewegung das Proletariat als wichtigste treibende und potentiell führende Kraft auf. Gerade dadurch aber konfrontierte es die Bourgeoisie mit dem Risiko, dass die Führung des geeinten Vaterlandes nicht in ihren Händen liegen würde. Patriotismus war im Verlauf der ganzen Geschichte untrennbar mit Macht und Eigentum verbunden. Die herrschenden Klassen machten, wenn Gefahr drohte, nie vor der Aufteilung des eigenen Landes halt, wenn sie hierdurch die Macht über eines seiner Teile erhalten konnten. Somit ist es nicht erstaunlich, dass die chinesische Bourgeoisie, in der Person Tschiang Kaischeks, 1927 ihre Waffen gegen das Proletariat als den Träger der nationalen Einheit richtete. Die Darstellung und Erklärung dieser Wende, die im Buch von Isaacs einen zentralen Platz einnimmt, ist der Schlüssel zum Verständnis der grundlegenden Probleme der chinesischen Revolution wie auch des gegenwärtigen chinesisch-japanischen Kriegs.

Die sogenannte »nationale« Bourgeoisie duldet alle Arten von nationaler Erniedrigung, solange sie hoffen kann, ihre privilegierte Existenz zu erhalten. Aber von dem Augenblick an, wo das ausländische Kapital sich zur Aufgabe macht, alle Reichtümer des Landes uneingeschränkt zu beherrschen, sieht sich die koloniale Bourgeoisie gezwungen, sich ihrer »nationalen« Pflichten zu erinnern. Unter dem Druck der Massen kann es sogar vorkommen, dass sie in einen Krieg hineingezogen wird. Aber dies wird ein Krieg gegen einen der Imperialismen, den am wenigsten verträglichen, sein, der mit der Hoffnung verbunden wird, in die Dienste eines anderen, großmütigeren überzugehen. Tschiang Kaischek kämpft gegen die japanischen Unterdrücker nur in den Grenzen, die ihm durch seine britischen oder amerikanischen Beschützer aufgezeigt werden. Nur die Klasse, die nichts zu verlieren hat als ihre Ketten, kann den Befreiungskrieg gegen den Imperialismus bis zum Ende führen.

Die oben entwickelten Vorstellungen vom besonderen Charakter der »bürgerlichen« Revolutionen in historisch verspäteten Ländern sind keinesfalls das Produkt einer nur theoretischen Analyse. Schon vor der zweiten chinesischen Revolution (1925-1927) gingen sie durch eine großartige historische Prüfung. Die Erfahrungen dreier russischer Revolutionen (1905, Februar 1917, Oktober 1917) haben für das 20. Jahrhundert nicht weniger Bedeutung als die Erfahrungen Frankreichs für das 19. Jahrhundert. Um das jüngste Schicksal Chinas zu begreifen, muss der Leser den Kampf der Konzeptionen in der russischen revolutionären Bewegung vor Augen haben, denn diese Konzeptionen haben nach wie vor einen direkten und mächtigen Einfluss auf die Politik des chinesischen Proletariats und einen indirekten auf die Politik der chinesischen Bourgeoisie.

Gerade als Folge seiner historischen Rückständigkeit war das zaristische Russland das einzige europäische Land, in dem der Marxismus als Doktrin und die Sozialdemokratie als Partei noch vor der bürgerlichen Revolution eine machtvolle Entwicklung nahmen. Es war nur natürlich, dass das Problem des Verhältnisses zwischen dem Kampf um die Demokratie und dem Kampf um den Sozialismus – oder zwischen bürgerlicher und sozialistischer Revolution – gerade in Russland theoretisch ausgearbeitet wurde. Als erster hat Plechanow, der Stammvater der russischen Sozialdemokratie, dieses Problem Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts aufgeworfen. Im Kampf gegen das sogenannte Volkstümlertum (Narodnitschestwo), diese besondere Ausprägung des sozialistischen Utopismus, hat Plechanow festgestellt, dass Russland keinerlei Grund hat, auf privilegierte Wege der Entwicklung zu rechnen, dass es, wie die »profanen« Nationen, das Stadium des Kapitalismus zu durchlaufen habe und dass es gerade auf diesem Wege das Regime der bürgerlichen Demokratie erkämpfen werde, das für den weiteren Kampf des Proletariats um den Sozialismus notwendig sei. Plechanow unterschied nicht nur die bürgerliche Revolution, als nächste Aufgabe, von der sozialistischen Revolution, die er in eine unbestimmte Zukunft verlegte, sondern er entwarf auch für jede dieser Revolutionen eine völlig verschiedene Kombination der Kräfte. Das Proletariat vollbringt die bürgerliche Revolution im Bündnis mit der liberalen Bourgeoisie und hilft damit, den Weg für den kapitalistischen Fortschritt freizumachen; nach einigen Jahrzehnten, auf einem hohen Niveau der kapitalistischen Entwicklung, vollbringt das Proletariat die sozialistische Revolution im direkten Kampf gegen die Bourgeoisie.

Lenin revidierte diese Doktrin – allerdings nicht sofort. Mit bedeutend größerer Kraft und Folgerichtigkeit als Plechanow hob er zu Beginn dieses Jahrhunderts die Agrarfrage als das zentrale Problem der bürgerlichen Revolution in Russland hervor. Hierbei kam er zu dem Schluss, dass die liberale Bourgeoisie einer Expropriation des Gutsbesitzerlandes feindlich gegenübersteht und deshalb, auf der Grundlage einer Konstitution nach preußischem Muster, einen Kompromiss mit der Monarchie anstrebt. Plechanows Idee eines Bündnisses zwischen Proletariat und liberaler Bourgeoisie stellte Lenin die Idee eines Bündnisses zwischen Proletariat und Bauernschaft entgegen. Als Aufgabe der revolutionären Zusammenarbeit dieser beiden Klassen erklärte er die Errichtung einer »bürgerlich-demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft« als einziges Mittel zur Reinigung des zaristischen Imperiums von feudal-polizeilichem Gerümpel, zur Schaffung eines freien Farmertums und zur Freilegung des Weges für eine Entwicklung des Kapitalismus nach amerikanischem Muster. Die Formel Lenins bedeutete einen gewaltigen Schritt vorwärts, weil sie, im Unterschied zur Formel Plechanows, die zentrale Aufgabe der Revolution richtig erkannte, nämlich die demokratische Umwälzung der Agrarverhältnisse, und ebenso richtig auf die einzig reale Kombination der Klassenkräfte für die Lösung dieser Aufgabe hinwies. Aber bis 1917 blieb Lenins Denken selbst durch die traditionelle Konzeption einer »bürgerlichen« Revolution gebunden. Ähnlich wie Plechanow ging Lenin davon aus, dass erst nach der »Durchführung der bürgerlich-demokratischen Revolution bis zum Ende« die Aufgaben einer sozialistischen Revolution auf der Tagesordnung stehen werden, wobei gerade Lenin, im Gegensatz zu der später von den Epigonen fabrizierten Legende, davon ausging, dass nach Vollendung der demokratischen Umwälzung die Bauernschaft, als Bauernschaft, nicht Verbündeter des Proletariats bleiben kann. Seine sozialistischen Hoffnungen stützte Lenin auf die Landarbeiter und die halb proletarisierten Bauern, die ihre Arbeitskraft verkaufen.

Der schwache Punkt in Lenins Konzeption war der innerlich widersprüchliche Begriff der »bürgerlich-demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft«. Ein politischer Block zwischen beiden Klassen, deren Interessen nur partiell zusammenfallen, schließt eine Diktatur aus. Lenin selbst hob die grundsätzliche Begrenztheit der »Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft« hervor, als er sie offen eine bürgerliche nannte. Er wollte damit sagen, dass das Proletariat, um das Bündnis mit der Bauernschaft zu erhalten, bei der bevorstehenden Revolution darauf verzichten müsse, sich unmittelbar sozialistische Aufgaben zu stellen. Aber das hätte ja gerade bedeutet, dass das Proletariat auf die Diktatur verzichtet. In wessen Hände sollte sich in diesem Fall die revolutionäre Macht konzentrieren? In den Händen der Bauernschaft? Aber diese ist für eine solche Rolle am wenigsten geeignet.

Diese Fragen ließ Lenin bis zu seinen berühmten Thesen vom 4. April 1917 ohne Antwort. Erst hier brach er zum ersten Mal mit dem traditionellen Begriff der »bürgerlichen Revolution« und mit der Formel der »bürgerlich-demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft«. Er proklamierte den Kampf um die Diktatur des Proletariats als einziges Mittel, um die Agrarrevolution zu Ende zu führen und den unterdrückten Nationalitäten die Freiheit zu sichern. Aber das Regime einer proletarischen Diktatur kann sich, seiner eigenen Natur nach, nicht auf den Rahmen des bürgerlichen Eigentums beschränken. Die Herrschaft des Proletariats setzt automatisch die sozialistische Revolution auf die Tagesordnung, die in diesem Falle nicht durch eine bestimmte historische Periode von der demokratischen getrennt, sondern untrennbar mit ihr verbunden ist, oder genauer formuliert: organisch aus ihr erwächst. In welchem Tempo sich die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft vollzieht, welche Ufer sie bereits in der allerersten Periode erreicht, wird nicht nur von inneren, sondern auch von äußeren Bedingungen abhängen. Die russische Revolution ist nur ein Kettenglied der internationalen. Das war in ihren Grundzügen das Wesen der Konzeption von der permanenten (ununterbrochenen) Revolution. Und eben diese Konzeption hat den Oktobersieg des Proletariats gewährleistet.

Aber dies ist die böse Ironie der Geschichte: Die Erfahrungen der russischen Revolution haben dem chinesischen Proletariat nicht nur nicht geholfen, sondern im Gegenteil, sie wurden – in reaktionär verzerrter Form – zu einem der Haupthindernisse auf ihrem Weg. Die Komintern der Epigonen begann damit, dass sie für die Länder des Ostens jene Formel von der »demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft« kanonisierte, die Lenin, unter dem Einfluss der historischen Erfahrungen, als untauglich erkannt hatte. Wie stets in der Geschichte, diente die Formel, die sich selbst überlebt hatte, dazu, einen politischen Inhalt zu verdecken, der jenem direkt entgegengesetzt war, dem diese Formel früher gedient hatte. Das plebejisch-revolutionären Massenbündnis zwischen Arbeitern und Bauern, gefestigt durch frei gewählte Sowjets als unmittelbare Organe der Aktion, ersetzte die Komintern durch einen bürokratischen Block von Parteizentralen. Das Recht, in diesem Block die Bauernschaft zu vertreten, erhielt überraschend die Guomindang, d. h. eine durch und durch bürgerliche Partei, die zutiefst an der Erhaltung des kapitalistischen Eigentums nicht nur an den Produktionsmitteln, sondern auch an Grund und Boden interessiert war. Das Bündnis von Proletariat und Bauernschaft wurde zu einem »Block der vier Klassen« erweitert: Arbeiter, Bauern, städtisches Kleinbürgertum und sogenannte »nationale« Bourgeoisie. In diesem Block konnte die Führung nur bei seinem konservativsten Teil liegen: bei der Bourgeoisie. Mit anderen Worten benutzte die Komintern die von Lenin verworfene Formel nur dazu, der Politik Plechanows, und zwar in ihrer schädlichsten, weil maskierten Form, den Weg zu bahnen.

Zur Rechtfertigung der politischen Unterwerfung des Proletariats unter die Bourgeoisie verwiesen die Theoretiker der Komintern (Stalin-Bucharin) auf das Faktum der imperialistischen Unterdrückung, die angeblich »alle progressiven Kräfte des Landes« zum Bündnis treibt. Genau dies war seinerzeit die Argumentation der russischen Menschewiki, mit dem Unterschied, dass die Stelle des Imperialismus bei ihnen der Zarismus einnahm. In der Praxis bedeutete die Unterwerfung der chinesischen KP unter die Guomindang ihren Bruch mit der Massenbewegung und einen direkten Verrat ihrer historischen Interessen. So wurde, unter unmittelbarer Führung Moskaus, die Katastrophe der zweiten chinesischen Revolution vorbereitet.

Vielen politischen Philistern, die geneigt sind, in der Politik die wissenschaftliche Analyse durch Mutmaßungen des »gesunden Menschenverstandes« zu ersetzen, schien der Streit der russischen Marxisten über die Natur der Revolution und die Dynamik ihrer Klassenkräfte reine Scholastik zu sein. Die historischen Erfahrungen haben jedoch die höchst aktuelle Bedeutung der »doktrinären Formeln« des russischen Marxismus unter Beweis gestellt. Wer dies auch heute noch nicht begriffen hat, den kann das Buch von Isaacs vieles lehren. Die Politik der Komintern in China hat überzeugend gezeigt, in was sich die russische Revolution verwandelt hätte, wenn die Menschewiki und Sozialrevolutionäre nicht rechtzeitig von den Bolschewiki gestürzt worden wären. Die Konzeption der permanenten Revolution hat in China eine neue Bestätigung erhalten – aber diesmal nicht durch einen Sieg, sondern durch eine Katastrophe.

Es wäre natürlich unzulässig, Russland und China gleichzusetzen. Trotz wichtiger gemeinsamer Züge sind die Unterschiede zu offensichtlich. Doch es ist nicht schwer, sich davon zu überzeugen, dass diese Unterschiede die grundlegenden Schlussfolgerungen des Bolschewismus nicht abschwächen, sondern, im Gegenteil, verstärken. In gewissem Sinne war auch das zaristische Russland ein koloniales Land, was in der dominierenden Rolle des ausländischen Kapitals zum Ausdruck kam. Aber die russische Bourgeoisie verfügte über eine ungleich größere Unabhängigkeit vom ausländischen Imperialismus als die chinesische: Russland war selbst ein imperialistisches Land. Bei all seiner Dürftigkeit hatte der russische Liberalismus erheblich größere Traditionen und Stützpunkte als der chinesische. Links vom Liberalismus standen starke kleinbürgerliche Parteien, die gegenüber dem Zarismus revolutionär oder halb revolutionär waren. Die Partei der Sozialrevolutionäre verstand es, in der Bauernschaft, vor allem in ihren oberen Schichten, einen erheblichen Rückhalt zu finden. Die sozialdemokratische Partei (Menschewiki) zog breite Kreise des städtischen Kleinbürgertums und der Arbeiteraristokratie mit sich. Eben diese drei Parteien – Liberale, Sozialrevolutionäre und Menschewiki – bereiteten seit langem eine Koalition vor und bildeten sie endgültig 1917; in jener Periode wurde sie noch nicht »Volksfront« genannt, aber sie trug all ihre Züge. Im Gegensatz hierzu nahmen die Bolschewiki, seit dem Vorabend der Revolution von 1905, eine unversöhnliche Position gegenüber der liberalen Bourgeoisie ein. Nur diese Politik, die ihren höchsten Ausdruck im »Defätismus« der Jahre 1914-1917 erreichte, ermöglichte es der bolschewistischen Partei, die Macht zu erobern.

Der Unterschied zwischen China und Russland – eine ungleich größere Abhängigkeit der chinesischen Bourgeoisie vom ausländischen Kapital; das Fehlen selbständiger revolutionärer Traditionen beim Kleinbürgertum; der Massenzulauf der Arbeiter und Bauern zum Banner der Komintern – dies alles erforderte eine womöglich noch unversöhnlichere Politik als in Russland. Statt dessen hat sich die chinesische Sektion der Komintern, unter dem Kommando Moskaus, vom Marxismus losgesagt und die reaktionär-scholastischen »Prinzipien Sun Yatsens« anerkannt. Sie ist in die Guomindang eingetreten und hat sich ihrer Disziplin unterworfen, mit anderen Worten: Sie ist den Weg der Unterordnung unter die Bourgeoisie viel weiter gegangen, als ihn die russischen Menschewiki oder Sozialrevolutionäre je gegangen sind. Die gleiche unheilvolle Politik wiederholt sich jetzt während des Kriegs mit Japan.

Wie kann die aus der bolschewistischen Revolution hervorgegangene Bürokratie in China wie in der ganzen Welt Methoden anwenden, die dem Bolschewismus zutiefst widersprechen? Diese Frage mit Hinweisen auf die Unfähigkeit oder Unwissenheit der einen oder anderen Person zu beantworten, wäre zu oberflächlich. Das Wesen der Sache besteht darin, dass sich die Bürokratie mit den neuen Existenzbedingungen auch neue Denkmethoden angeeignet hat. Die bolschewistische Partei führte die Massen. Die Bürokratie ist dazu übergegangen, sie zu kommandieren. Die Bolschewiki erkämpften sich die Möglichkeit zur Führung dadurch, dass sie den Interessen der Massen richtigen Ausdruck verliehen. Die Bürokratie muss zum Kommandieren Zuflucht nehmen, um ihre Interessen gegenüber den Massen zu sichern. Die Methode des Kommandierens hat sich natürlich auch auf die Komintern erstreckt. Die Moskauer Führer haben sich allen Ernstes eingebildet, sie könnten die chinesische Bourgeoisie dazu zwingen, links von ihren Interessen zu handeln, und die chinesischen Arbeiter und Bauern, rechts von ihren Interessen – auf einer im Kreml vorgezeichneten Diagonale. Aber das Wesen der Revolution besteht darin, dass Ausgebeutete wie Ausbeuter ihren Interessen extremsten Ausdruck verleihen. Wenn feindlich gegenüberstehende Klassen sich auf einer Diagonale bewegen könnten, dann wäre ein Bürgerkrieg nicht notwendig. Ausgerüstet mit der Autorität der Oktoberrevolution und der Komintern, von den unerschöpflichen Finanzressourcen ganz zu schweigen, hat die Bürokratie die junge chinesische Kommunistische Partei im wichtigsten Moment der Revolution von einem Motor in einen Bremsklotz verwandelt. Im Unterschied zu Deutschland und Österreich, wo die Bürokratie die Möglichkeit hatte, einen Teil der Verantwortung für die Niederlage auf die Sozialdemokratie abzuwälzen, gab es in China keine Sozialdemokratie. Das Monopol auf die Vereitelung der chinesischen Revolution hat die Komintern.

Die Herrschaft der Guomindang über einen bedeutenden Teil des chinesischen Territoriums wäre ohne die machtvolle national-revolutionäre Bewegung der Massen 1924-1927 nicht möglich gewesen. Die Zerschlagung dieser Bewegung hat einerseits die Macht in den Händen Tschiang Kaischeks konzentriert und diesen andererseits zu halben Maßnahmen im Kampf gegen den Imperialismus verurteilt. Das Verständnis des Verlaufs der chinesischen Revolution hat somit eine unmittelbare Bedeutung für ein Verständnis des japanisch-chinesischen Kriegs. Die historische Arbeit erhält damit eine höchst aktuelle politische Bedeutung.

Krieg und Revolution werden in der nächsten Geschichte Chinas miteinander verwoben sein. Die Absicht Japans, das gigantische Land für immer oder mindestens für lange Zeit durch die Herrschaft über seine strategischen Positionen zu unterjochen, ist nicht nur durch Habgier, sondern auch durch Stupidität charakterisiert. Japan ist viel zu spät gekommen. Durch innere Widersprüche zerrissen, kann das Reich des Mikado nicht die Geschichte des britischen Aufstiegs wiederholen. Auf der anderen Seite ist China dem Indien des 17. und 18. Jahrhunderts weit voraus. Die alten kolonialen Länder führen jetzt mit immer größerem Erfolg den Kampf um ihre nationale Unabhängigkeit. Selbst wenn der gegenwärtige Krieg im Fernen Osten mit einem Sieg Japans enden und wenn es dem Sieger gelingen sollte, in den nächsten Jahren eine innere Katastrophe zu vermeiden – weder das eine noch das andere ist im entferntesten gesichert –, würde sich unter den gegebenen historischen Bedingungen die Herrschaft Japans über China nur eine sehr kurze Periode halten, womöglich nur einige Jahre, die notwendig sind, um dem Wirtschaftsleben Chinas einen neuen Impuls zu geben und seine Arbeitermassen erneut zu mobilisieren.

Bereits jetzt folgen die großen japanischen Trusts und Konzerne den Spuren der Armee, um die noch nicht gesicherte Beute zu teilen. Die Regierung von Tokio bemüht sich planmäßig darum, den Appetit der Finanzcliquen zu regulieren, die Nordchina in Stücke reißen. Sollte es Japan gelingen, die eroberten Positionen für etwa zehn Jahre zu halten, so bedeutete dies vor allem eine fieberhafte Industrialisierung Nordchinas im militärischen Interesse des japanischen Imperialismus. Rasch würden neue Eisenbahnlinien, Schachtanlagen, elektrische Kraftwerke, Bergwerke, Hüttenwerke und Baumwollplantagen entstehen. Die Polarisierung der chinesischen Nation würde fieberhaft vorangetrieben. Neue Hunderttausende und Millionen von chinesischen Proletariern würden in kürzester Zeit mobilisiert. Auf der anderen Seite würde die chinesische Bourgeoisie in noch größere Abhängigkeit vom japanischen Kapital fallen und wäre noch weniger als in der Vergangenheit dazu fähig, einen nationalen Krieg wie auch eine nationale Revolution anzuführen. In direkter Konfrontation mit dem ausländischen Unterdrücker stünde ein zahlenmäßig angewachsenes, sozial gefestigtes, revolutionär erstarktes chinesisches Proletariat, das zum Führer des chinesischen Dorfes berufen ist. Der Hass auf den ausländischen Unterdrücker ist ein starkes revolutionäres Bindemittel. Die neue nationale Revolution wird wohl noch zu Lebzeiten der jetzigen Generation auf die Tagesordnung gesetzt werden. Um die ihr auferlegte Aufgabe zu lösen, muss sich die Avantgarde des chinesischen Proletariats die Lehren der zweiten chinesischen Revolution aufs gründlichste aneignen. Das Buch von Isaacs kann ihr in diesem Sinne als unersetzliches Hilfsmittel dienen. Es bleibt zu wünschen, dass es ins Chinesische wie auch in andere Fremdsprachen übersetzt wird.

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