Leo Trotzki 19380811 Zum chinesisch-japanischen Konflikt

Leo Trotzki: Zum chinesisch-japanischen Konflikt

[Nach Schriften 2.2, Hamburg 1990, S. 926 f., dort mit erklärenden Fußnoten]

Am 6. August bat mich Herr S. Nanjo als Vertreter der beiden größten Zeitungen Japans, der Tokio-Nichinichi und der Osaka-Mainichi, schriftlich um ein Interview. Seine Fragen betrafen die Beziehungen zwischen der UdSSR, Japan und China, die Auswirkungen der jüngsten Säuberungen auf die Rote Armee und die innenpolitischen Veränderungen, die in der UdSSR künftig zu erwarten seien. Meine Antwort an Herrn Nanjo lautete wie folgt:

7. August 1938

Mr. S. Nanjo

Vertreter der Tokio-Nichinichi und der Osaka-Mainichi

Hotel Montejo

Paseo de la Reforma 240

Mexico, D. F.

Sehr geehrter Herr!

Mit dem größten Vergnügen würde ich der breiten Leserschaft der Zeitungen, die Sie vertreten, meine Ansichten über die Lage im Fernen Osten sowie über die Beziehungen zwischen der UdSSR und Japan darlegen. Dem stehen jedoch, wie ich fürchte, nahezu unüberwindliche Hindernisse entgegen. Wie ich der Liste Ihrer Fragen entnehme, gehen Ihre Zeitungen davon aus, meine Antworten könnten im Interesse der japanischen Außenpolitik und der Regierungsform Japans benützt werden. Nur aufgrund falscher Informationen in der sowjetischen Presse konnten die Herausgeber Ihrer Zeitungen zu diesem Schluss kommen. Meine tatsächlichen Ansichten haben nichts mit dem gemein, was die Moskauer Presse darüber schreibt.

Im Kampf zwischen Japan und China stehe ich voll und ganz auf der Seite Chinas. Trotz meiner unversöhnlichen Haltung gegenüber dem stalinistischen Regime bin ich der Ansicht, dass im Konflikt zwischen der UdSSR und Japan die UdSSR für Fortschritt steht, Japan für – schlimmste Reaktion. Ich zweifle nicht, dass Japan beim nächsten größeren bewaffneten Zusammenstoß einen ähnlichen gesellschaftlichen und politischen Zusammenbruch erleiden wird wie das zaristische Regime im Weltkrieg.

Das sind meine wahren Ansichten, und ich bin gern bereit, diese zur Information des japanischen Volkes, das gewaltsam im Zustand völliger Unwissenheit gehalten wird, darzulegen und weiter auseinanderzusetzen. Aber ich bezweifle sehr, ob Ihre Zeitungen bereit wären, eine wahrheitsgemäße Erläuterung der Lage im Fernen Osten zu drucken.

Sollte ich mich hierin irren, so wäre ich natürlich gern bereit, meinen Irrtum einzugestehen. Aber in diesem Fall würde ich Sie bitten, mir ausdrücklich und uneingeschränkt zuzusichern, dass meine Antworten auf Ihre Fragen vollständig und ohne die geringste Änderung gedruckt werden würden.

Hochachtungsvoll

Leo Trotzki

Nach Empfang dieses Briefes sah sich Herr Nanjo außerstande, meine Antworten auf seine Fragen zu veröffentlichen, und nahm von dem Interview Abstand.

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