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Leo Trotzki 19300525 Aufgaben der spanischen Kommunisten

Leo Trotzki: Aufgaben der spanischen Kommunisten

25. Mai 1930

[Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 47-54]

Werte Genossen!

Ich begrüße lebhaft das Erscheinen der ersten Ausgabe Eurer Zeitung. Die spanische Kommunistische Opposition betritt die Arena in einem besonders günstigen und entscheidenden Augenblick.

Die Krise, die Spanien durchmacht, entwickelt sich einstweilen mit bemerkenswerter Planmäßigkeit, die der proletarischen Avantgarde eine gewisse Zeit zur Vorbereitung gewährt. Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Periode sehr lange anhalten wird.

Die Diktatur Primo de Riveras ist ohne eine Revolution, aus innerer Erschöpfung zusammengebrochen. Mit anderen Worten: anfangs wurde die Frage durch die Krankheit der alten und nicht durch die revolutionären Kräfte der neuen Gesellschaft entschieden. Das ist nicht einfach ein Zufall. Einmal war das diktatorische Regime in den Augen der bürgerlichen Klassen nicht mehr länger durch die dringende Notwendigkeit gerechtfertigt, die revolutionären Massen zu unterdrücken; gleichzeitig geriet dieses Regime mit den ökonomischen, finanziellen, politischen und kulturellen Bedürfnissen der Bourgeoisie in Konflikt. Aber bis zum letzten Augenblick vermied die Bourgeoisie mit allen ihren Kräften eine entscheidende Auseinandersetzung. Sie gestattete der Diktatur, zu verfaulen und wie eine wurmstichige Frucht abzufallen.

Danach waren die verschiedenen durch ihre mannigfaltigen politischen Gruppen vertretenen Klassen gezwungen, festumrissene Positionen vor den Massen zu beziehen. Und dabei stellen wir einen Widerspruch fest. Die gleichen bürgerlichen Parteien, die wegen ihrer konservativen Haltung sich geweigert hatten, einen noch so unbedeutenden ernsthaften Kampf gegen die Militärdiktatur auszufechten, haben jetzt alle Schuld für diese Diktatur der Monarchie aufgebürdet und sich zu Republikanern erklärt. Als ob die Diktatur die ganze Zeit über an einer Schnur vom Balkon des königlichen Palastes gehangen hätte, und als ob sie nicht überhaupt nur durch die manchmal passive, manchmal aktive Unterstützung der entscheidenden Schichten der Bourgeoisie aufrechterhalten worden wäre – einer Bourgeoisie, die mit aller Macht die Aktivitäten der Kleinbourgeoisie gelähmt und die Arbeiter in Stadt und Land mit Füßen getreten hat.

Und was ist das Ergebnis? Während nicht nur die Arbeiter und Bauern, die städtische Kleinbourgeoisie und die jungen Intellektuellen, sondern auch fast die gesamte Großbourgeoisie entweder Republikaner sind oder sich als solche bezeichnen, besteht und existiert die Monarchie weiterhin. Wenn Primo nur eine Marionette der Monarchie war, an welcher Schnur hing dann die Monarchie in einem derartig „republikanischen" Lande? Auf den ersten Blick scheint das ein unlösbares Rätsel zu sein. Aber die Antwort ist nicht so schwierig. Die gleiche Bourgeoisie, die Primo de Rivera „tolerierte", unterstützte ihn in Wirklichkeit, so wie sie heute die Monarchie durch das einzige ihr zur Verfügung stehende Mittel unterstützt, indem sie sich nämlich als republikanisch bezeichnet und sich damit der Psychologie der Kleinbourgeoisie anpasst, um sie umso besser zu betrügen und zu paralysieren.

Für einen Zuschauer hat diese Szene trotz der gehobenen Sprache ihre komische Seite. Die Monarchie sitzt auf dem Rücken der republikanischen Bourgeoisie, die es nicht eilig hat, sie abzuwerfen. Die Bourgeoisie schleicht sich verstohlen mit ihrer kostbaren Last durch die unruhigen Massen und antwortet auf Proteste, Klagen und Flüche mit der Stimme eines Komödianten in einer Groteske: „Seht Euch nur diese Kreatur auf meinem Rücken an! Sie ist mein geschworener Feind. Ich will Euch ihre Verbrechen aufzählen: gebt acht!" usw., usw. Und wenn die von diesem Schauspiel amüsierte Menge anfangt, zu lachen, benutzt die Bourgeoisie die günstige Gelegenheit, um ihre Last ein Stück weiter zu tragen. Wenn so der Kampf gegen die Monarchie aussieht, wie sieht dann ein Kampf zu ihrer Unterstützung aus?

Die lebhaften Demonstrationen der Studenten sind nur ein Versuch der jüngeren Generation der Bourgeoisie, und vor allem der Kleinbourgeoisie, einen Ausweg aus der mangelnden Stabilität zu finden, die das Land nach der vermeintlichen Befreiung von der Diktatur Primo de Riveras befiel, deren Grundzüge noch völlig erhalten sind. Wenn die Bourgeoisie bewusst und beharrlich sich weigert, die Lösung der Aufgaben zu übernehmen, die sich aus der Krise der bürgerlichen Gesellschaft ergeben, und wenn sich das Proletariat noch nicht darauf vorbereitet erweist, diese Aufgabe zu übernehmen, dann tritt nicht selten die Studentenschaft auf den Schauplatz. Während der Entwicklung der ersten russischen Revolution (1905) beobachteten wir diese Erscheinung mehr als einmal, und wir haben stets ihre symptomatische Bedeutung herausgestellt. Die revolutionäre oder halb revolutionäre Aktivität der Studentenschaft bedeutet, dass die bürgerliche Gesellschaft eine sehr tiefe Krise durchmacht. Die kleinbürgerliche Jugend spürt, dass eine Explosivkraft in den Massen heranwächst, und versucht auf ihre Art, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden und die politische Entwicklung voranzutreiben.

Die Bourgeoisie beobachtet die Studentenbewegung halb zustimmend und halb mit Sorge; teilt die Jugend ein paar Schläge an die Bürokratie der Monarchie aus, so ist das nicht schlimm, so lange die „Kleinen" nicht zu weit gehen und nicht die arbeitenden Massen aufrütteln. Als die spanischen Arbeiter das Auftreten der Studenten unterstützten, bewiesen sie einen durchaus richtigen revolutionären Instinkt. Sie müssen natürlich unter eigenem Banner und unter Leitung einer eigenen proletarischen Organisation aktiv werden. Das muss der spanische Kommunismus gewährleisten, und dazu ist eine richtige Politik unentbehrlich. Deshalb fällt das Erscheinen Eurer Zeitung, wie ich anfangs schrieb, mit einem außerordentlich wichtigen und kritischen Augenblick in der Entwicklung der gesamten Krise zusammen; um es noch deutlicher zu sagen, mit einem Augenblick, wo sich die revolutionäre Krise in eine Revolution verwandelt.

Die Streikbewegung der Arbeiter, ihr Kampf gegen die Rationalisierung und Arbeitslosigkeit in der Industrie, nimmt eine völlig andere, unvergleichlich tiefere Bedeutung an, wenn man sie im Rahmen der außerordentlichen Unzufriedenheit der kleinbürgerlichen Massen und der scharfen Krise des Systems als Ganzes sieht. Der Kampf der Arbeiter muss eng mit allen Fragen, die aus der nationalen Krise entstehen, verbunden werden. Die Tatsache, dass die Arbeiter zusammen mit den Studenten demonstrierten, stellt einen ersten Schritt auf dem Weg der proletarischen Avantgarde zum Kampf um eine revolutionäre Hegemonie dar, auch wenn er ungenügend ist und unsicher gemacht wurde.

Dieser Weg setzt seitens der Kommunisten einen entschlossenen, kühnen und energischen Kampf für demokratische Losungen voraus. Dies nicht zu begreifen, hieße den größten Felder begehen – das Verfallen in ein Sektierertum. Im gegenwärtigen Stadium der Revolution unterscheidet sich das Proletariat auf der Ebene der politischen Losungen von allen „linken" kleinbürgerlichen Gruppierungen nicht durch die Ablehnung der Demokratie (wie es die Anarchisten und Syndikalisten tun), sondern durch den resoluten und offenen Kampf für sie, bei gleichzeitiger erbarmungsloser Anprangerung der kleinbürgerlichen Unentschlossenheit.

Durch das Propagieren demokratischer Losungen deutet das Proletariat keineswegs an, dass Spanien auf eine bürgerliche Revolution zu marschiert. Nur trockene Pedanten mit stets bereiten, gebrauchsfertigen Formeln können die Frage so stellen. Spanien hat das Stadium der bürgerlichen Revolution längst hinter sich.

Wenn sich die Krise in eine Revolution verwandelt, dann wird sie unvermeidlich über die bürgerlichen Grenzen hinausgehen und im Falle ihres Sieges die Macht dem Proletariat übergeben müssen. In dieser Epoche jedoch kann das Proletariat die Revolution nur dann anführen – das heißt, die breitesten Massen der Arbeiter und Unterdrückten um sich gruppieren und zu ihrem Führer werden – wenn es jetzt vorbehaltlos alle demokratischen Forderungen, in Verbindung mit seinen eigenen Klassenforderungen, in den Vordergrund stellt.

Zuerst einmal werden diese Parolen von entscheidender Bedeutung für die Bauernschaft sein. Die Bauernschaft kann dem Proletariat ihr Vertrauen nicht a priori schenken: aufgrund einer Beteuerung in Worten kann es die Parole der Diktatur des Proletariats nicht gelten lassen. Da die Bauernschaft eine große unterdrückte Klasse ist, erblickt sie auf einer bestimmten Stufe in den demokratischen Losungen unvermeidlich eine Möglichkeit für die Unterdrückten, ihre Bedrücker abzuwerfen. Die Bauernschaft wird unvermeidlich die Parole der politischen Demokratie mit der Losung einer radikalen Neuverteilung des Landes verbinden. Das Proletariat wird offen beide Forderungen unterstützen. Zur gegebenen Zeit werden die Kommunisten der proletarischen Avantgarde den Weg aufzeigen, auf dem diese Forderungen erreicht werden können, und damit den Keim für das zukünftige Sowjetsystem säen.

Selbst bei nationalen Fragen verteidigt das Proletariat die demokratischen Losungen völlig, und erklärt, dass es bereit sei, mit revolutionären Mitteln das Recht der verschiedenen nationalen Gruppen auf Selbstbestimmung, selbst bis zum Punkt der Lostrennung, zu unterstützen.

Stellt aber die proletarische Avantgarde selbst die Losung der Abtrennung Kataloniens auf? Wenn das der Wunsch der Mehrheit ist, jawohl; aber wie kann dieser Wille ausgedrückt werden? Offensichtlich durch eine freie Volksabstimmung, oder auch eine Versammlung katalanischer Vertreter, durch Parteien, die voll von den katalanischen Massen unterstützt werden, oder sogar durch einen katalanischen nationalen Aufstand. Wieder sehen wir – nebenbei gesagt – was für eine reaktionäre Pedanterie es für das Proletariat wäre, auf demokratische Losungen zu verzichten. Inzwischen wird, solange die nationale Minderheit ihren Willen nicht zu erkennen gegeben hat, das Proletariat nicht die Losung der Abtrennung vorbringen, aber es gelobt öffentlich im Voraus seine völlige und aufrichtige Unterstützung dieser Losung, falls sie den Willen Kataloniens ausdrücken sollte.

Es erübrigt sich, festzustellen, dass die katalanischen Arbeiter nicht das letzte Wort zu diesem Problem gesprochen haben. Wenn sie zu der Schlussfolgerung kämen, es wäre unklug, ihre Kräfte in der gegenwärtigen Krise zu spalten, die solch großartige Gelegenheiten dem spanischen Proletariat bietet, dann würden die katalanischen Arbeiter ihre Propaganda auf die Erhaltung Kataloniens als eines Teils von Spanien, in der einen oder anderen Form, ausrichten. Ich persönlich glaube, dass eine politische Beurteilung eine solche Lösung nahelegt. Eine derartige Lösung würde unter den gegenwärtigen Umständen selbst für die glühendsten Separatisten annehmbar sein. Denn es ist völlig klar, dass es im Falle des Sieges der Revolution viel leichter als heutzutage für Katalonien wie auch für andere Regionen wäre, das Recht auf Selbstbestimmung zu erlangen.

Durch die Unterstützung aller wirklich demokratischen und revolutionären Bewegungen der Volksmassen wird die kommunistische Avantgarde einen kompromisslosen Kampf gegen die sogenannte republikanische Bourgeoisie führen. Sie wird dabei ihre Betrügereien, ihren Verrat und ihren reaktionären Charakter aufdecken und sich ihren Versuchen widersetzen, die arbeitenden Massen unter ihren Einfluss zu bringen.

Die Kommunisten verzichten unter keinen Bedingungen auf ihre politische Handlungsfreiheit. Man darf nicht vergessen, dass während einer Revolution Versuchungen dieser Art besonders groß sind: die tragische Geschichte der chinesischen Revolution legt einen unwiderlegbaren Beweis dafür ab. Während aber die Kommunisten die volle Unabhängigkeit ihrer Organisation und ihrer Propaganda bewahren, praktizieren sie trotzdem in der umfassendsten Weise die Einheitsfrontpolitik, für die die Revolution ein weites Feld bietet.

Die Linke Opposition beginnt die Anwendung der Einheitsfrontpolitik bei der offiziellen Kommunistischen Partei. Die Bürokraten dürfen nicht den Eindruck erwecken können, die Linke Opposition stehe den Arbeitern feindlich gegenüber, die dem Banner der offiziellen Kommunistischen Partei folgen. Die Opposition ist im Gegenteil bereit, an allen revolutionären Aktivitäten des Proletariats teilzunehmen und an der Seite jener Arbeiter zu kämpfen. Wenn sich die Bürokraten weigern, mit der Opposition gemeinsam zu handeln, dann müssen sie die volle Verantwortung für diese Weigerung in den Augen der Arbeiterklasse übernehmen.

Das Weitergehen der spanischen Krise bedeutet das revolutionäre Erwachen von Millionen arbeitender Menschen. Nichts weist daraufhin, dass sie plötzlich für das Banner des Kommunismus gewonnen werden. Sie werden stattdessen zuerst wahrscheinlich die Partei der radikalen Kleinbourgeoisie verstärken, dass heißt in erster Linie die Sozialistische Partei, vor allem ihren linken Flügel, wie es zum Beispiel mit der USPD in Deutschland während der Revolution 1918-1919 geschehen ist. So drückt sich die breite und wirkliche Radikalisierung der Massen aus, und nicht in einem Ansteigen des „Sozialfaschismus". Der Faschismus könnte nur dann erneut triumphieren – und diesmal mehr in „sozialer" als in „militärischer" Form, d.h. wie beim „Sozialfaschismus" Mussolinis – wenn die Revolution eine Niederlage erleidet, und die betrogenen Massen, die an die Revolution geglaubt hatten, enttäuscht wurden. Aber angesichts der in der letzten Zeit eingetretenen Ereignisse kann eine Niederlage nur als Konsequenz besonders schwerer Fehler seitens der kommunistischen Führung erlitten werden.

Verbalradikalismus und Sektierertum, zusammen mit einer opportunistischen Einschätzung der Klassenkräfte, einem politischen Zickzackkurs und einer bürokratischen Führung – mit einem Wort, alles, was das Wesen des Stalinismus ausmacht – sind gerade das Richtige zur Stärkung der Position der Sozialdemokratie, dem gefährlichsten Feind des Proletariats, wie die Erfahrung der deutschen und italienischen Revolutionäre mit besonderer Klarheit gezeigt hat.

Die Sozialdemokratie muss in den Augen der Massen politisch diskreditiert werden. Das kann man jedoch nicht mit Beschimpfungen erreichen. Die Massen vertrauen nur ihrer eigenen kollektiven Erfahrung. Ihnen muss während der vorbereitenden Periode der Revolution die Gelegenheit gegeben werden, in der Aktion die Politik der Kommunisten mit der der Sozialdemokraten zu vergleichen.

Der Kampf zur Gewinnung der Massen wird zweifellos dafür die Vorbedingung schaffen, wenn die Kommunisten offen gegenüber den Massen auf einer Einheitsfront mit den Sozialdemokraten bestehen. Liebknecht arbeitete auf vielen Gebieten mit den Unabhängigen zusammen, vor allem mit ihrem linken Flügel. Es gab da einen richtigen Block zwischen den Bolschewiki und den Linken Sozialrevolutionären. Und unmittelbar bis zum Aufstand schlossen wir eine Reihe spezieller Abkommen mit den Menschewiki-Internationalisten und machten Dutzende von Vorschlägen für eine Einheitsfront. Wir haben durch diese Politik nichts eingebüßt. Aber natürlich handelte es sich nicht dabei um eine Einheitsfront wie das Anglo-Russische Komitee, das in der Zeit eines revolutionären Generalstreiks den Stalinisten dazu diente, einen Block mit den Streikbrechern herzustellen. Und natürlich handelte es sich nicht um eine Einheitsfront im Geiste der Kuomintang, als unter der falschen Losung einer Union von Arbeitern und Bauern eine bürgerliche Diktatur über die Arbeiter und Bauern sichergestellt wurde.

So sehen die Aufgaben und Perspektiven aus, wie sie mir aus der Entfernung erscheinen. Mir ist völlig klar, wie wenig konkret diese Anmerkungen sind. Es ist durchaus möglich und sogar wahrscheinlich, dass ich eine Anzahl außerordentlich wichtiger Umstände außer acht gelassen habe. Ihr werdet es selber sehen. Mit der marxistischen Theorie und der leninistischen revolutionären Methode ausgerüstet werdet Ihr Euren Weg selbst finden. Ihr werdet erfahren, wie man die Gedanken und Gefühle der Arbeiterklasse aufgreift und ihnen klaren politischen Ausdruck verleiht. Der Zweck meines Briefes besteht nur darin, in einer allgemeinen Weise Prinzipien revolutionärer Strategie zu rekapitulieren, die von der Erfahrung dreier russischer Revolutionen bestätigt wurden.

Mit herzlichen Grüßen und meinen besten Wünschen für einen Erfolg.

L. Trotzki

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