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Leo Trotzki 19330424 Brief an alle Mitglieder der spanischen Linken Opposition

Leo Trotzki: Brief an alle Mitglieder der spanischen Linken Opposition

24. April 1933

[Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 179-182]

Werte Genossen,

Vor einigen Tagen erhielt ich eine Kopie der schriftlichen Antwort des Barcelona-Zentralkomitees an die „Organisationskommission zur Einberufung einer nationalen antifaschistischen Konferenz". Dieser Brief vom 5. April 1933 ist ein Dokument, das von jedem Mitglied der spanischen Opposition, das der Sache des Kommunismus ergeben ist, studiert werden sollte. Was hat es mit einer internationalen antifaschistischen Konferenz oder mit einer nationalen antifaschistischen Konferenz auf sich? Die Linke Opposition (Bolschewiki-Leninisten) nahm zu dieser Frage in Dokumenten und Artikeln zum Amsterdamer Kongress gegen den Krieg und in einer Reihe von weiteren Erklärungen im einzelnen Stellung. Die stalinistische Bürokratie isolierte die kommunistische proletarische Avantgarde durch eine falsche Politik, die eine Einheitsfront der Arbeiter, insbesondere eine gegen Faschismus und Krieg unmöglich machte. Um ihren Bankrott zu tarnen, organisiert die Komintern von Zeit zu Zeit eine einer Einheitsfront nachgemachte Maskerade. Sie bringt zerstreute Gruppen kommunistischer Arbeiter mit machtlosen Individuen, Pazifisten, linken Demokraten und anderen zusammen, und gibt solche reinen Schaukongresse, -konferenzen und -komitees als „eine Einheitsfront der Massen" aus. Wir selbst haben einst am Amsterdamer Kongress teilgenommen, aber nur, um diesen Schwindel aufzudecken und damit die Aufmerksamkeit der kommunistischen Arbeiter auf das korrekte Vorgehen zu lenken. Selbstverständlich ist unsere Haltung gegenüber dem kommenden antifaschistischen Kongress die gleiche.

Das Barcelona-Zentralkomitee hat zu dieser Angelegenheit eine der bolschewistisch-leninistischen genau entgegengesetzte Position eingenommen. Der Brief vom 5. April teilt der Organisationskommission feierlich mit, die Linke Opposition sei der „Einheitsfront" beigetreten, als ob es sich dabei wirklich um eine Einheitsfront und nicht um eine Karikatur einer Einheitsfrontpolitik handele. Als Hilfe für die phantasievolle Ausschmückung der Wirklichkeit seitens der Stalinisten wiederholt der Brief des Barcelona-ZK die allgemeinen Phrasen, wie eine Einheitsfront gegen den Faschismus trotz des Vorhandenseins von Differenzen realisierbar sei. Dieser elementare Gedanke, der in Beziehung auf proletarische Massenorganisationen stimmt, verliert jedoch seinen Sinn, wenn er auf bürgerliche Individuen, Pazifisten, demokratische Schriftsteller und andere bezogen wird. Darüber hinaus erklärt der Brief des Barcelona-ZK: „Ein Pazifist kann genau so, ja noch mehr als ein revolutionärer Kommunist gegen den Krieg sein. Es ist völlig logisch, dass sich diese Leute in einer Einheitsfront gegen jene, die ihre Feinde sind, befinden."

Es ist kaum zu glauben, dass diese Worte von Leuten niedergeschrieben werden konnten, die sich als Marxisten betrachten, die einen gewissen Begriff von Lenins Politik und den Entscheidungen der ersten vier Kongresse der Komintern haben, ganz zu schweigen von den zehn Jahren Arbeit der Internationalen Linken Opposition und insbesondere ihrer Erklärung zum Amsterdamer Kongress.

Wie kann ein Pazifist ein größerer Feind des Krieges als ein revolutionärer Kommunist sein? Die marxistische Theorie und die politische Erfahrung lehren uns, dass der Pazifismus ein Instrument des Imperialismus ist. Pazifisten machen den Krieg in Friedenszeiten herunter, wenn aber der Krieg kommt, dann weichen sie still unter dem Druck ihrer eigenen Isolierung und Ohnmacht vor dem Militarismus zurück und werden in der Mehrzahl der Fälle zu seinen Anhängern. Das gleiche gilt für den Kampf gegen den Faschismus. Eine Einheitsfrontpolitik bezweckt, die sozialdemokratischen und syndikalistischen Arbeiter näher an die kommunistischen Arbeiter (und den Kommunismus) durch den Prozess gemeinsamen Kampfes gegen den Klassenfeind heranzubringen. Isolierte Individuen aus dem bürgerlichen Lager sind dafür von zehntrangiger Bedeutung. Die Besten unter ihnen werden die Arbeiter zweifellos unterstützen, soweit die Politik der proletarischen Einheitsfront korrekt durchgeführt wird und die Massen fest zusammengeschlossen werden. Das Aufgeben einer Massenpolitik zugunsten einer Jagd auf Individuen mit berühmten Namen ist die schlimmste Sorte von Abenteurertum und politischem Betrug.

Anstatt allein schon den Gedanken eines Bündnisses zwischen stalinistischer Bürokratie und bürgerlichen Individuen bloßzustellen, drückt das Barcelona-ZK der Organisationskommission vertrauensvoll seine Zuversicht aus, sie würde die Aufgaben des Kongresses genau so wie das ZK sehen, und aus diesem Grunde biete das ZK „mit Freuden" seine „loyale Zusammenarbeit" an. Geschieht das nur aus Diplomatie? Wenn ja, dann kann diese Art nur unsere Freunde und Mitarbeiter betrügen. Und warum sollten Marxisten zur Diplomatie bei einer derartigen Frage greifen, die das Maximum an Deutlichkeit verlangt? Es drängt sich einem dagegen die Schlussfolgerung auf: das Barcelona-ZK nimmt bei dieser wichtigen Frage proletarischer Politik eine zum Marxismus im völligen Gegensatz stehende Position ein.

Der Kampf führender spanischer Genossen gegen die Grundanschauungen und -prinzipien der Internationalen Linken Opposition (Bolschewiki-Leninisten) begann nicht erst gestern. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass es in den letzten drei Jahren kaum eine bedeutendere spanische oder internationale Frage gab, bei der die führenden spanischen Genossen eine korrekte Position einnahmen. Fehler sind natürlich immer möglich, und in einer jungen Organisation unvermeidlich. Wesentlich ist jedoch, dass eine Organisation, vor allem ihre Führer, aus ihren Fehlern lernt. Dann kann es vorwärts gehen. Das Unglück besteht darin, dass die Genossen, die jetzt das ZK der Spanischen Opposition bilden, der Organisation die Diskussion der Fragen unmöglich machen; stattdessen ersetzen sie bei jeder Gelegenheit die prinzipielle Diskussion von Differenzen durch persönliche Angriffe und kleinliche, unwesentliche Beschuldigungen. Der Kampf zwischen der Gruppe des Genossen Nin und der des Genossen Lacroix hat selbstverständlich seine eigene Bedeutung. Aber der Kampf, den die Gruppe von Nin, Fersen und anderen gegen die Internationale Linke Opposition insgesamt führt, der die wichtigsten marxistischen Grundsätze dauernd verletzt, ist hundertmal wichtiger.

Bei jedem Fraktionskampf kommt es zu persönlichen Konflikten und gegenseitigen Beschuldigungen: das ist unvermeidlich. Ein Revolutionär jedoch, der seine politische Position auf der Grundlage rein persönlicher Episoden, Beschuldigungen, Sympathien und Abneigungen bestimmt, ist keinen Pfifferling wert. Eine solche Methode ist typisch für kleinbürgerliche Radikale, die nicht imstande sind, sich auf die Ebene marxistischer Prinzipien zu erheben. Kleinbürgerliche Streitereien haben gegenwärtig die Führung der Spanischen Opposition vergiftet und sie daran gehindert, sich zurecht zu finden; sie haben die Entwicklung der gesamten Organisation, trotz der außerordentlich günstigen objektiven Bedingungen, gelähmt. Wenn die Mitglieder an der Basis der Spanischen Opposition, wirkliche Bolschewiki-Leninisten, aus dieser Sackgasse herauskommen wollen, werden sie den Schutt persönlicher Streitereien beiseite räumen und politische Differenzen auf ihren wirklichen Inhalt prüfen müssen. Es wird notwendig sein, die gesamte Geschichte dieser Differenzen zu studieren. Zu allererst aber muss man das prinzipienlose ZK-Dokument vom 5. April 1933 in den Mittelpunkt der Diskussion stellen. Es ist wesentlich, dass jedes Mitglied der Spanischen Opposition folgendes begreift: der wirkliche Grund für die nicht endenden Konflikte zwischen Barcelona auf der einen und Paris, Brüssel, Berlin, Wien, New York usw., usw. auf der anderen Seite liegt darin, dass das Barcelona-ZK eine antimarxistische Position einnimmt und sich standhaft weigert, sie aufzugeben.

Mit diesem Brief wende ich mich an alle Mitglieder der spanischen Sektion, da meine Versuche der letzten drei Jahre, mit den führenden spanischen Genossen zu einem gegenseitigen Einverständnis zu gelangen, bisher erfolglos waren.

Mit kommunistischen Grüßen,

G. Gurow

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