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Leo Trotzki 19360716 Brief an das ZK der RSAP (Auszug)

Leo Trotzki: Brief an das ZK der RSAP (Auszug)

16. Juli 1936

[Veröffentlicht im Internal Bulletin der Socialist Workers Party Nr. 5 vom August 1938. Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 202-205]

7) Ich komme jetzt zu Spanien. In einem der letzten Briefe übernahm der Genosse Sneevliet im Namen des Zentralkomitees der Partei die Verteidigung der Maurín-Nin-Partei gegen meine angeblich übertriebenen oder zu scharfen Angriffe. Das erscheint mir nicht nur ungerechtfertigt, sondern auch unbegreiflich. Der Kampf mit Maurín rührt nicht von gestern. Seine gesamte Politik während der Revolution war nationalistisch-provinziell und kleinbürgerlich; ihrem ganzen Wesen nach reaktionär. Ich habe diese Tatsache mehr als einmal vom Beginn der Revolution an öffentlich aufgezeigt. Auch Nin, mit den bei ihm üblichen Schwankungen, gab das zu. Das Programm der „demokratisch-sozialistischen" Revolution ist ein legitimes Kind der Maurínschen Denkungsart; es stimmt im wesentlichen mit dem Programm eines Blum und nicht eines Lenin überein.

Nin wiederum erwies sich während der ganzen Revolution als ein völlig passiver Dilettant, der nicht im Geringsten daran dachte, tatsächlich an den Massenkämpfen teilzunehmen, die Massen zu gewinnen, sie zur Revolution zu führen usw. Er begnügte sich mit überkritischen kleinen Artikeln über Stalinisten, Sozialisten usw. Das ist wirklich eine sehr billige Methode! Während der Reihe von Generalstreiks in Barcelona schrieb er mir Briefe über alle denkbaren Fragen, aber erwähnte nicht mit einem Wort die Generalstreiks und seine eigene Rolle bei ihnen. Im Verlauf jener Jahre wechselten wir hunderte von Briefen. Ich versuchte immer, von ihm keine nichtigen literarischen Bemerkungen über alles und nichts zu erhalten, sondern praktische Anregungen für den revolutionären Kampf. Auf meine konkreten Fragen erwiderte er stets: „darüber werde ich in meinem nächsten Brief schreiben". Dieser „nächste Brief kam jedoch niemals an – jahrelang.

Das größte Unglück für die spanische Sektion bestand darin, dass an ihrer Spitze ein bekannter Name mit einer gewissen Vergangenheit und dem Heiligenschein eines Märtyrers des Stalinismus stand, sie die ganze Zeit über verkehrt leitete und sie lähmte.

Die großartige Sozialistische Jugend kam spontan auf den Gedanken der Vierten Internationale. Auf unser ganzes Drängen, die gesamte Aufmerksamkeit der Sozialistischen Jugend zuzuwenden, erhielten wir nur leere Ausflüchte. Nin interessierte sich allein für die „Unabhängigkeit" der spanischen Sektion, d.h. für seine eigene Passivität, seine eigene armselige politische Bequemlichkeit; er wollte nicht, dass sein nörgelnder Dilettantismus von großen Ereignissen gestört würde. Die Sozialistische Jugend ging dann fast geschlossen ins stalinistische Lager über. Die Burschen, die sich als Bolschewiki-Leninisten bezeichneten und das zuließen, oder besser noch, es veranlassten, sollten auf immer als Verbrecher gegen die Revolution gebrandmarkt werden.

Zu der Zeit, als Nins Bankrott selbst seinen eigenen Anhängern klar wurde, vereinigte er sich mit dem nationalistisch-katalanischen Philister Maurín und brach alle Verbindungen zu uns mit der Erklärung ab, „das Internationale Sekretariat verstünde nichts von spanischen Angelegenheiten." In Wirklichkeit versteht Nin nichts von revolutionärer Politik oder von Marxismus.

Die neue Partei befand sich bald im Schlepptau Azañas. Zu dieser Tatsache aber zu sagen: „es handelt sich nur um ein unbedeutendes, zeitweiliges, technisches Wahlabkommen", erscheint mir absolut unzulässig. Die Partei unterzeichnete das schlechteste aller Volksfrontprogramme, das von Azaña, und damit gleichzeitig auch ihr Todesurteil für die kommenden Jahre. Denn bei jedem Versuch einer Kritik an der Volksfront (und Maurín-Nin unternehmen gerade solch verzweifelte Versuche) werden sie stets die stereotype Antwort von den radikalen Bürgern, den Sozialdemokraten und den Kommunisten bekommen: Aber habt ihr nicht selbst an der Schaffung der Volksfront teilgenommen und ihr Programm unterzeichnet? Versuchen dann diese Herren, die faule Ausrede zu benutzen: „es war nur ein technisches Manöver unserer Partei" – dann machen sie sich damit höchstens lächerlich.

Diese Leute haben sich völlig zur Unwirksamkeit verurteilt, selbst wenn sie jetzt unvermutet einen revolutionären Willen entfalten sollten, was jedoch nicht der Fall ist. Die kleinen Verbrechen und Verrätereien, die in normalen Zeiten fast unbemerkt bleiben, finden in Revolutionszeiten einen mächtigen Widerhall. Man darf nie vergessen, dass die Revolution besondere akustische Bedingungen schafft. Es ist mir nach alldem unverständlich, wie man bei den spanischen Verrätern für mildernde Umstände plädieren kann, während gleichzeitig unsere belgischen Freunde, die mit ungeheurem Mut gegen die Riesenmaschine der POB und gegen die Stalinisten kämpfen, und die durchaus beträchtliche Erfolge aufzuweisen haben, öffentlich in der Nieuwe Fakkel heruntergemacht werden.

8) In der letzten Nummer von La Batalla befindet sich ein Appell der Maurín-Nin-Partei an unsere südamerikanischen Sektionen, der einen Versuch darstellt, sie auf einer rein nationalen Basis um die sogenannte Partei der Marxistischen Einheit zu gruppieren. Wie jede Sektion des Londoner Büros versucht die spanische „marxistische" Partei der Konfusion, in die Mitgliedschaft der Vierten Internationale einzudringen, sie abzuspalten, usw. So sieht der kleine Köter aus, der sich an unsere Fersen heftet. Müssen wir nicht offen unseren südamerikanischen Organisationen sagen, die in ihren Reihen noch SAP-Parlamentarier usw. aufweisen, was der Unterschied zwischen uns und dem Londoner Büro ist, und warum Nin mit uns in Europa bricht und in Südamerika als der eifernde Einigungsapostel aller revolutionären Kräfte auftritt? Diese verächtliche Heuchelei, die stets den Zentrismus kennzeichnet, muss unbarmherzig aufgedeckt werden. Schon das würde genügen, um die absolute Notwendigkeit unserer Thesen zum Londoner Büro zu beweisen.

9) Die allerwichtigste Frage ist gegenwärtig die der Volksfront. Die linken Zentristen versuchen, diese Frage als ein taktisches oder gar ein technisches Manöver hinzustellen, damit sie mit ihrem Kram im Schatten der Volksfront hausieren gehen können. In Wirklichkeit ist die Volksfront die Hauptfrage proletarischer Klassenstrategie in dieser Epoche. Sie bietet auch das beste Kriterium für die Differenz zwischen Bolschewismus und Menschewismus. Denn es wird oft vergessen, dass das große historische Beispiel der Volksfront die Februarrevolution von 1917 ist. Vom Februar bis zum Oktober waren die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre, die eine sehr gute Parallele zu den „Kommunisten" und den Sozialdemokraten bilden, in engstem Bündnis und in einer dauernden Koalition mit der bürgerlichen Partei der Kadetten, mit denen sie zusammen eine Reihe von Koalitionsregierungen bildeten. Unter dem Zeichen dieser Volksfront befand sich die ganze Masse der Bevölkerung, einschließlich der Arbeiter-, Bauern-und Soldatenräte. Freilich nahmen die Bolschewiki an den Räten teil. Aber sie machten nicht die geringsten Konzessionen an die Volksfront. Ihre Forderung lautete, diese Volksfront zu zerbrechen, das Bündnis mit den Kadetten zu zerstören und eine echte Arbeiter- und Bauernregierung zu schaffen.

Die gesamten Volksfronten in Europa sind nur eine blasse Kopie und oft eine Karikatur der russischen Volksfront von 1917, die immerhin eine viel größere Berechtigung für ihre Existenz beanspruchen konnte, denn noch stand die Frage des Kampfes gegen den Zarismus und die Überreste des Feudalismus auf der Tagesordnung.

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