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Leo Trotzki 19360816 Brief an Jean Rous

Leo Trotzki: Brief an Jean Rous

16. August 1936

[Der Brief kam niemals an, denn er wurde von Mussolinis Agenten in Barcelona abgefangen und 1970 in den Archiven der italienischen Polizei von dem italienischen Historiker Paolo Spriano gefunden. Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 232-234]

Werter Genosse:

Ich erhielt Ihr unerwartetes Telegramm. Leider konnte es hier als Beweis einer direkten Einmischung meinerseits in spanische Angelegenheiten interpretiert werden – zu einem Zeitpunkt, wo die Frage noch nicht entschieden ist, soweit mir bekannt ist, ob ich ein Visum für die Rückkehr nach Barcelona erhalten kann. Selbstverständlich würde ich das sehr gerne tun. Besteht eine Möglichkeit?

Sie kennen sicher die Situation, in der ich mich hier befinde: zum einen der faschistische Überfall und andererseits dann die niederträchtige TASS-Meldung. Ich weiß nicht, welche Haltung die Regierung einnehmen wird, die nicht die mindeste Vorstellung von der verbrecherischen Niederträchtigkeit der Stalin-Jagoda-Clique hat.

Natalia und ich wären völlig bereit, sofort nach Barcelona zu gehen. Wenn die Sache Erfolg haben soll, müsste sie so diskret wie möglich behandelt werden.

Sie verstehen sicher, dass ich Ihnen von hier aus keine Ratschläge geben kann: im gegenwärtigen Zeitpunkt finden bewaffnete Kämpfe statt, die Lage ändert sich von Tag zu Tag und mich erreichen keinerlei Informationen. Man spricht darüber, dass Maurín verschwunden ist. Was soll das heißen? Er ist doch nicht getötet worden, hoffe ich? Was nun Nin, Andrade und die anderen angeht, so wäre es ein Verbrechen, wenn wir uns jetzt in diesem großen Kampf von Erinnerungen an die vergangene Periode leiten ließen. Wenn es auch im Programm und bei den Methoden Meinungsverschiedenheiten gibt, so dürfen doch diese Meinungsverschiedenheiten – selbst nach den gemachten Erfahrungen – keinesfalls eine aufrichtige und dauernde Wiederannäherung ausschließen. Das Weitere wird die Erfahrung bringen. Ich selbst wäre durchaus bereit, an der Batalla mitzuarbeiten, wenn auch nur als Beobachter aus der Ferne.

Am meisten beschäftigt mich die Frage der Beziehungen zwischen der POUM und den Anarchosyndikalisten. Es wäre – scheint mir – außerordentlich gefährlich, sich ausschließlich oder auch nur in erster Linie von doktrinären Überlegungen leiten zu lassen. Man muss um jeden Preis bessere Beziehungen zu den Anarchosyndikalisten – trotz aller ihrer Vorurteile – herstellen. Der gemeinsame Feind muss geschlagen werden. Das Vertrauen der besten Anarchosyndikalisten muss im Verlauf des Kampfes errungen werden. Diese Erwägungen mögen Ihnen sehr banal erscheinen, und ich bitte im vornherein um Entschuldigung: ich bin mit der Lage nicht genügend vertraut, um konkrete Ratschläge geben zu können. Ich möchte nur anmerken, dass wir vor der Oktoberrevolution alle Anstrengungen unternahmen, um selbst mit den verschworensten Anarchisten zusammenzuarbeiten.

Die Kerenski-Regierung versuchte oft, die Bolschewiki gegen die Anarchisten auszuspielen. Lenin leistete erbittert Widerstand: ein militanter Anarchist, meinte er, ist in dieser Lage mehr wert als hundert zögernde Menschewiki. Während des Bürgerkrieges, den Euch die Faschisten aufgezwungen haben, liegt die größte Gefahr beim Mangel an Entschlossenheit, beim Geist der Zweideutigkeit, mit einem Wort: beim Menschewismus.

Und ein weiteres Mal: all das ist zu vage. Ich bin gerne bereit, alles zu unternehmen, um meine Anregungen so präzis wie möglich zu geben, dazu muss man jedoch die uns trennende Entfernung überwinden … Von meiner Seite her kann ich für den aufrichtigsten Wunsch bürgen, mit den kämpferischen Genossen, trotz aller möglichen Differenzen, ein gegenseitiges Verständnis zu erzielen. Es wäre eine beschämende Kleinlichkeit, wollte man sich der Vergangenheit zuwenden, wenn Gegenwart und Zukunft den Weg zum gemeinsamen Kampf öffnen.

Mit Hilfe eines Wörterbuches werde ich versuchen, die Batalla zu entziffern. Aber ich werde erst in 4-5 Tagen wieder zuhause sein.

Meine herzlichsten Grüße an alle unsere Freunde und auch – und besonders – an die, welche meinen, Grund zur Unzufriedenheit mit mir zu haben.

(Die folgende Notiz war dem Brief beigefügt) Mein lieber Rous:

Sie können – wenn Sie es für nützlich halten – den beiliegenden Brief Nin und den anderen zeigen. Was ich in dem Brief schreibe, ist absolut kein diplomatisches Manöver. Wieder einmal muss Nachgiebigkeit mit Festigkeit zusammengehen. Ich fühle mich an Händen und Füßen gebunden. Die besten Grüße von Natalia und mir.

Ihr ergebener L.T.

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