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Leo Trotzki 19330810 Das unzulässige Verhalten des Genossen Nin

Leo Trotzki: Das unzulässige Verhalten des Genossen Nin

10. August 1933

[veröffentlicht in La Revolution Espagnole (1936 – 1939), „Supplement à Etudes Marxistes Nr. 7 – 8, Paris. Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 182-185]

Werte Genossen,

Die letzten Briefe und Dokumente, die von dem von Genossen Nin geleiteten Zentralkomitee der spanischen Sektion kamen, rufen ein Gefühl hervor, das nur als Empörung bezeichnet werden kann. Sie sind mit den schärfsten Angriffen und beleidigenden Ausdrücken übersät, ohne dass der geringste Grund dafür gegeben wäre. In vielen Fällen handelt es sich einfach um Beschimpfungen. Der Ton allein bezeugt, wie weit entfernt Nin und seine engeren Freunde vom Geist revolutionärer Kameradschaft und einem Gefühl elementarer persönlicher Verantwortung sind. Nur Menschen, denen jede innere Disziplin fehlt, konnten in dieser Weise schreiben, besonders hinsichtlich der Organisation – die sie ihrer tiefsten Überzeugung nach als fremd und feindlich ansehen.

Die von der Nin-Gruppe vorgebrachten „Beschuldigungen" sind bereits des Öfteren widerlegt worden. Ein Vertreter dieser Gruppe war auf der Vorkonferenz, wo er Gelegenheit hatte, alle seine Forderungen und Anklagen vorzubringen. Was war das Ergebnis? Die Politik von Nin und seinen Freunden wurde ohne Ausnahme von allen Sektionen der Internationalen Linken Opposition verurteilt. Man sollte meinen, dass schon allein diese Tatsache Nin und seine Freunde doch etwas vorsichtiger gemacht hätte. Stattdessen verdoppelten und verdreifachten sie die Beschimpfungen, die sie von ihrem Zentrum her gegen die ganze Internationale Linke Opposition richteten.

Im Augenblick will ich nur einen Punkt aufgreifen: die Nin-Gruppe wagt es, die Internationale Opposition zu beschuldigen, sie habe – angeblich zu Unrecht – Rosmer, Landau und andere aus der Organisation ausgeschlossen. Die Dokumente und die Tatsachen bezeugen jedoch genau das Gegenteil: Rosmer wollte den Ausschluss einiger ihm unerwünschter Genossen aus der Liga zustande bringen, und er blieb in der Liga als eine kleine Minderheit; danach verließ er die Liga. Hinsichtlich dieses Vorfalls stand ich persönlich in ständiger Korrespondenz mit Nin. Ich erwog mit ihm alle Maßnahmen, die ich traf, um Rosmer von einem offensichtlich falschen Schritt abzuhalten, der nicht aus revolutionären Erwägungen, sondern aus einer persönlichen Laune herrührte. Trotz seiner Freundschaft mit Rosmer schrieb mir Nin, „der gesunde Menschenverstand ist nicht auf Seiten Rosmers." Auf meine wiederholten Fragen, die ich an ihn richtete, um zu wissen, ob es Nin unmöglich wäre, noch einige weitere Schritte zu unternehmen, um Rosmer von seinem falschen Kurs zurückzuhalten, machte Nin überhaupt keine Vorschläge und erkannte damit an, dass alle möglichen Maßnahmen erschöpft waren.

Das gleiche gilt für Landau. Bekanntlich hat niemand vorgeschlagen, ihn auszuschließen. Er wurde nur aufgefordert, an der demokratisch einberufenen Konferenz der deutschen Sektion teilzunehmen. (…) Ich legte eine Resolution vor, die dem Inhalt und Ton nach außerordentlich versöhnlich war, der Nin schriftlich „völlig und vorbehaltlos" zustimmte. Wir wissen, dass Landau darauf die Mehrheit des Zentralkomitees der deutschen Sektion „ausschloss" und sich weigerte, an der Konferenz teilzunehmen, wo er sich in einer hoffnungslosen Minderheit befunden hätte.

Als Mitglied des damaligen Internationalen Büros nahm Nin an unserer gesamten Politik teil und trägt völlige Verantwortung für sie. Ohne Tatsachen oder Dokumente vorzulegen, schiebt er jetzt die Verantwortung für Landau und Rosmer auf die Internationale Linke Opposition und vergisst dabei oder verschweigt seine eigene Verantwortung. Wie sollte man ein solches Vorgehen kennzeichnen?

Nehmen wir einen Augenblick an, Nin sei später zu der Auffassung gelangt, unser Vorgehen hinsichtlich Rosmers, Landaus und der anderen wäre nicht korrekt gewesen. Er hätte dann sagen müssen: „WIR haben diesen und jenen Fehler begangen; wir müssen ihn auf diese und jene Weise korrigieren." Das wäre ein absolut berechtigtes Vorgehen gewesen. Nur muss man sagen, wie die „Fehler" zu korrigieren sind. Die Gruppen von Rosmer und Landau bringen Veröffentlichungen heraus und entwickeln Standpunkte, die sich bei bestimmten wesentlichen Fragen immer mehr von unseren Positionen unterscheiden. Sollte die Angelegenheit von Rosmer und Landau nicht als ein unehrliches Manöver, sondern mit einem praktischen Ziel vorgebracht worden sein – nämlich die Rosmer-Landau-Gruppe in die Internationale Linke Opposition zurückzubringen – dann wäre es die Pflicht des Genossen Nin gewesen, ihre Gesichtspunkte abzuwägen und die entsprechende Schlussfolgerung zu ziehen: sind diese Positionen mit denen der Bolschewiki-Leninisten vereinbar? Sind wir genötigt, bestimmte Konzessionen zu machen, und um welche handelt es sich genau? Oder müssen im Gegenteil Rosmer und Landau sich von einigen bestimmten Positionen und Methoden lossagen, und von welchen genau? Wäre die Frage auf eine derartig ernsthafte, prinzipielle und zugleich praktische Weise gestellt worden, dann hätte sich die Gelegenheit zur Diskussion und vielleicht zu diesem oder jenem praktischen Weg ergeben. Nins gegenwärtige Methode des Vorgehens zeigt, dass er an keinem irgendwie gearteten praktischen Ergebnis interessiert ist: er ist allein um einen künstlichen Vorwand für zweifelhafte Anspielungen auf die Internationale Linke Opposition bemüht.

Noch betrübender ist, dass Genosse Nin in dieser illoyalen Weise handeln muss, um seine eigenen politischen Schwankungen und eine ganze Reihe von Fehlern zu verdecken, welche die spanische Linke Opposition daran gehindert haben, den ihr durch die Bedingungen der spanischen Revolution zugänglichen Platz einzunehmen. Als Ergebnis der völlig falschen Politik des Genossen Nin wird jetzt die spanische Sektion nicht stärker, sondern schwächer. Leider führt die Diskussion politischer Fragen mit dem Genossen Nin zu nichts: er weicht aus, macht Winkelzüge, gebraucht Ausflüchte, oder – noch schlimmer – erwidert politische Argumente der Genossen mit persönlichen Anspielungen.

Ich bitte euch, diesen Brief allen Sektionen und zuerst der spanischen Sektion bekanntzugeben. Ich würde es begrüßen, dass dieser Brief allen unseren Freunden in Südamerika zu Gesicht kommt: sie werden sich umso näher an unsere internationale Organisation anschließen und mit umso mehr Erfolg in ihren Ländern arbeiten, je schneller sie von der Unrichtigkeit und der Gefährlichkeit der Politik des Genossen Nin überzeugt sind.

Mit kommunistischen Grüßen

L. Trotzki

P.S. Dieser Brief war bereits geschrieben, als meine Freunde mir die Dokumente des Genossen Nin und anderer in Beantwortung des Briefes der Genossen Shachtman und Frank zeigten. Da dieser Brief in Prinkipo geschrieben wurde, entdeckt der Genosse Nin eine Intrige, eine „Komödie" usw. … Er deutet an, dass ich mich hinter den Unterzeichnern dieses Briefes verberge. Aus welchem Grunde? Es kann nicht aus Angst vor Nin und seinen Gefährten sein, denn ich habe mich öfters, ich hoffe unzweideutig, über die „Politik" Nins geäußert. Meine Korrespondenz mit ihm ist jetzt den Genossen zugänglich. Ich habe nicht das geringste Interesse daran, meine Meinung zu verbergen, dass die Aktivität Nins schädlich ist. Warum sollte ich mich hinter den Rücken von Shachtman und Frank verstecken? Selbst wenn die Initiative zu diesem Brief von mir ausgegangen wäre, würde das an seinem Inhalt nicht das Geringste geändert haben. Was zählt, sind die Tatsachen und die Argumente des Briefs, und die sind für Nin vernichtend.

Tatsächlich jedoch liegt die Verantwortung, den Brief veranlasst und geschrieben zu haben, völlig und ausschließlich bei den Genossen, die ihn unterzeichneten. Mir wurde der Text des Briefes erst bekannt, als ich ihn las. Und welches Recht haben Nin und seine Gefährten, Shachtman und Frank als unfähig hinzustellen, sich ein Urteil über diese Intrigen zu bilden und es aus eigener Initiative darzustellen? Wenn Nin irgendeinen Zweifel an dem Wahrheitsgehalt dieses Briefes hat, dann möge er darüber die amerikanische und die französische Sektion und ihre zentralen und lokalen Gremien befragen. Ich bin überzeugt, er wird eine deutliche, wenn auch etwas unangenehme Antwort erhalten.

Mit seinen Methoden, sich schäbiger Ausflüchte zu bedienen, verteidigt Nin seine persönlichen Anspielungen, indem er meine – wohl kaum persönliche – Auffassung zitiert, dass Politik ihren Ausdruck in Menschen findet. Er vergisst nur, dass Menschen beides, gute und schlechte Politik, betreiben können, und dass jede Politik die dazu geeigneten Leute auswählt und sie entsprechend erzieht.

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