Leo Trotzki‎ > ‎Spanien‎ > ‎

Leo Trotzki 19370512 Der Aufstand in Barcelona

Leo Trotzki: Der Aufstand in Barcelona

(Einige vorläufige Bemerkungen)

12. Mai 1937

[Veröffentlicht im Information Bulletin, Internationales Büro für die Vierte Internationale, Juli 1937. Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 255-258]

Die Nachrichten, die wir hier über die allerletzten Ereignisse haben, sind nicht nur unvollständig, sondern auch vorsätzlich entstellt. Unter diesen Bedingungen können die von uns formulierten Schlussfolgerungen nur einen hypothetischen und vorläufigen Charakter haben.

Anscheinend war der Aufstand „spontan", d.h. er brach für die Führer, die POUM-Führung eingeschlossen, unerwartet aus. Diese Tatsache allein zeigt, was für ein Abgrund zwischen den anarchistischen und den POUM-Führern einerseits, den arbeitenden Massen andererseits sich aufgetan hatte. Die von Nin vertretene Vorstellung, „das Proletariat könne die Macht mit friedlichen Mitteln ergreifen", hat sich als absolut falsch herausgestellt. Wir wissen nichts, oder fast nichts, von der tatsächlichen-Position der POUM zur Zeit des Aufstandes. Aber wir glauben nicht an Wunder. Die von den Führern der POUM im entscheidenden Moment bezogene Stellung muss eine einfache Fortsetzung ihrer Position während der ganzen vorangegangenen Periode gewesen sein. Genauer noch, gerade in einem entscheidenden Augenblick muss sich die Inkonsequenz des linken Zentrismus in der auffallendsten und tragischsten Weise offenbaren. Das war zum Beispiel das Schicksal Martows während der Ereignisse von 1905 und 1917.

Selbst in unseren eigenen Reihen wird oft die falsche Vorstellung, die Martow als Vertreter des linken Zentrismus teilt, geäußert. In seiner Kritik des Kerenski-Zeretelli-Dan-Regimes näherte er sich stark den Bolschewiki. In dem Radikalismus seiner Kritik und der Weite seiner Perspektiven übertraf Martow bei weitem die Herausgeber von La Batalla. Aber im tiefsten Inneren hoffte er, seine Gegner zu überzeugen und das Proletariat nicht seinem Klassenfeind gegenüberzustellen. Deshalb sprang Martow in dem Moment, wo die Arbeiter zur Aktion übergingen, von der Härte des Kampfes erschrocken zur Seite und spielte die Rolle nicht eines Führers einer revolutionären Aktion, sondern eines Anwalts der besiegten Massen. Zum Glück befand sich links von Martow eine revolutionäre Partei, die wusste, was sie wollte.

Die Situation in Spanien sieht ganz anders aus. Die Führung der POUM schien den Massen bis zum gestrigen Tag die Vertretung der entschlossensten Tendenz zu sein. Die Vorhut der Arbeiterklasse nahm – zumindest in Katalonien – die Literatur der POUM sehr ernst. Aber gerade in dem Moment, als die Massen bereit waren, diese Kritik in Aktion umzusetzen, fanden sie sich praktisch ohne Führung. Sah es während des letzten Aufstandes anders aus? Ich fürchte, nein.

Oder geschah vielleicht trotzdem ein Wunder, und zwang der Druck der Massen Nin eine bolschewistische Position auf? Das wäre tatsächlich großartig, und wir würden uns hier über die Möglichkeit gemeinsamer Arbeit mit Nin auf der Grundlage neuer historischer Erfahrungen freuen. Aber bis auf weiteres besteht nicht der geringste Grund, unsere Einschätzung der offiziellen Politik der POUM zu ändern.

Was bedeutet der Waffenstillstand in Barcelona, von dem die Meldungen berichten: die Niederlage der Aufständischen, der in erster Linie auf die Inkonsequenz der Führung zurückgeht, oder die direkte Kapitulation der Führer, die der Druck der Massen in Furcht versetzt hat? Noch wissen wir es nicht. Für den Moment scheint der Kampf außerhalb Barcelonas weiterzugehen. Ist eine Wiederaufnahme der Offensive in Barcelona möglich? Wird nicht die Repression seitens des stalinistisch-reformistischen Abschaums der Aktion der Massen einen neuen Anstoß geben? Aus Mangel an genaueren Informationen machen wir hier keine Vorhersage. Einer Kritik an der Führung kommt jedenfalls entscheidende Bedeutung zu, welchen Verlauf die Ereignisse auch unmittelbar nehmen werden. Trotz aller Fehler und Schwächen des Aufstandes bleiben wir nach außen hin unlösbar mit den besiegten Arbeitern verbunden. Aber das heißt nicht die Führung schonen, ihre Inkonsequenz verbergen und über ihre Fehler schweigen – unter dem Vorwand einer rein gefühlsmäßigen Solidarität.

Er ist durchaus möglich, dass diese eindrucksvolle Erfahrung in der POUM eine Spaltung hervorrufen wird. Diejenigen Elemente, welche die Trotzkisten ausschlossen und mit der Brandler- und der SAP-Führung fraternisierten – diesem abgelegten Plunder des Stalinismus – werden endgültig die Revolution verraten und die Moskauer Bürokratie um Gnade und danach um ihre Gunst bitten. Die revolutionären Elemente zum andern müssen verstehen, dass es zwischen der Vierten Internationale und dem Verrat keinen Mittelweg gibt. Um diese politische Differenzierung zu erleichtern und zu beschleunigen, muss unsere Kritik freimütig, offen und sogar unerbittlich sein. In erster Linie müssen alle unsere Genossen die Inkonsequenz einer Politik passiver Nachsicht begreifen, wie sie von unseren Freunden Victor Serge, Sneevliet, Vereecken und anderen gutgeheißen wird. Wir müssen lernen, wie man aus großen Ereignissen alle notwendigen Schlussfolgerungen zur Vorbereitung der Zukunft zieht.

Die Analogie zu den Ereignissen vom Juli 1917 ist zu augenfällig, um dabei zu verweilen. Worauf es vor allem ankommt, ist die Betonung der Unterschiede. Die POUM verbleibt nach wie vor eine katalanische Organisation. Ihre Führer verhinderten ihren rechtzeitigen Eintritt in die Sozialistische Partei, wobei sie ihren grundsätzlichen Opportunismus mit einer starren Unversöhnlichkeit bemäntelten. Man kann jedoch hoffen, dass die Ereignisse in Katalonien Sprünge und Spaltungen in den Reihen der Sozialistischen Partei und der UGT nach sich ziehen. In diesem Falle wäre es verhängnisvoll, sich auf die Kader der POUM zu beschränken, die im Übrigen in den kommenden Wochen stark zurückgehen werden. Man muss sich in Katalonien an die anarchistischen Massen wenden, im übrigen Spanien an die sozialistischen und kommunistischen Massen. Es kann sich nicht darum handeln, die alten äußeren Formen beizubehalten, sondern um den Versuch, neue Stützpunkte für die Zukunft zu schaffen.

Selbst wenn die Niederlage schwer ist (und wir können ihre Schwere nicht von hier aus ermessen), so ist sie keineswegs endgültig. Neue Elemente in Spanien selbst oder in Frankreich können einen neuen revolutionären Aufschwung herbeiführen.

Es ist gewiss sehr schwer, vor allem aus der Ferne, vorherzusagen, wann und wie der spanische Oktober kommen wird. Niemand kann jedenfalls im Voraus festlegen, die revolutionäre Kraft des bewundernswerten iberischen Proletariats sei erschöpft. Um jedoch den Oktober vorzubereiten, muss die revolutionäre Avantgarde von jeder Verschwommenheit, Verwirrung und Zweideutigkeit – national und international – in den oberen Schichten des Proletariats gewarnt werden. Wer nicht den Mut besitzt, die Vierte Internationale der Zweiten und Dritten entgegenzustellen, wird nie den Mut haben, die Arbeiter zur entscheidenden Schlacht zu führen. Wer mit den Leuten von Brandler, der SAP, von Maxton und Fenner Brockway verbunden bleibt, kann nur das Proletariat am Vorabend oder während des Kampfes verraten. Den iberischen Arbeitern sollte jetzt begreiflich gemacht werden, dass die Vierte Internationale für das wissenschaftliche Programm der sozialen Revolution steht, für das Vertrauen in die Massen, das Misstrauen gegen die Zentristen jeder Sorte, und für den Willen, den Kampf ganz bis zum Ende zu führen.

Lund.

Kommentare