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Leo Trotzki 19320307 Die internationalen Beziehungen der spanischen Sektion

Leo Trotzki: Die internationalen Beziehungen der spanischen Sektion

7. März 1932

[Brief an das Zentralkomitee der spanischen Linken Opposition. Veröffentlicht in einem unnummerierten und undatierten Bulletin der Communist League of America, 1932. Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 158-164]

Werte Genossen,

Kürzlich habe ich aus Spanien mehrere Briefe und Dokumente erhalten, welche das Vorhandensein gewisser Missverständnisse zwischen den spanischen Genossen und der Mehrheit der Internationalen Linken Opposition aufzeigen. Am besten versucht man in einem solchen Fall, diese Missverständnisse rechtzeitig aufzuklären, und dabei die vorübergehenden und geringfügigen Missverständnisse von den wichtigen und prinzipiellen zu trennen.

1. ) Die Genossen Lacroix und Nin hatten mit dem französischen Genossen Molinier einen Streit über eine rein praktische Frage. Ich war und bin weiterhin der Meinung, dass die Genossen Lacroix und Nin, die über die Situation völlig uninformiert sind, in diesen praktischen Fragen eine unrichtige Beschuldigung gegen den Genossen Molinier erhoben haben. Ich beeilte mich meinerseits, dieses Missverständnis aufzuklären. Danach hielt ich diese Nebenfrage für erledigt, denn sie betraf keine politischen oder prinzipiellen Fragen.

2.) Aus diesem Grunde irrt Genosse Lacroix, wenn er glaubt, wir hätten mit ihm hinsichtlich des Genossen Molinier eine Meinungsverschiedenheit. Nein, die Differenz (wenn es kein Missverständnis ist) betrifft das Verhältnis der spanischen Opposition zu allen erörterten Fragen der Internationalen Linken Opposition; es betrifft also die prinzipiellen und grundsätzlichen Fragen der Linken Opposition. Das ist die einzige Frage, die mich interessiert.

3.) Die Erfahrung hat gezeigt, dass es innerhalb der Reihen der Linken Opposition in den verschiedenen Ländern Elemente gibt, die mit uns völlig uneinig sind. Schon das Beispiel von Gorkin zeigt, dass es nicht genügt, einfach die Grundprinzipien der Linken Opposition anzuerkennen. Organisationen und Revolutionäre werden durch ihre Arbeit kontrolliert, d.h. durch die Anwendung ihrer Prinzipien. Deshalb können sehr geringfügige Ereignisse ein deutliches Licht auf diese oder jene Person oder Gruppe in dem Sinne werfen, dass ein kleines Symptom oft eine große Unsicherheit enthüllt.

In dieser Hinsicht möchte ich ein Beispiel geben. In Deutschland ist eine linke sozialistische Partei, die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) entstanden. Ihre Führer erkennen die proletarische Diktatur und das Sowjetsystem an. Urbahns, der einst bei uns war, hielt diese Anerkennung für einen Beweis des Kommunismus dieser neuen Partei. Otto Bauer und Leon Blum, die notorischen Söldner des französischen Imperialismus, werden in den Blättern dieser Partei als „Genossen" bezeichnet. Ein Opponent mag einwenden, das Wort „Genosse" sei im Vergleich zur proletarischen Diktatur und zum Sowjetsystem nicht so schwerwiegend. Ich bin nun einmal der Meinung, die Anerkennung der Diktatur des Proletariats und des Sowjetsystems sind für diese Führer der SAP bloße Phrasen, und der kleine Ausdruck „Genosse Leon Blum" verrät völlig ihre wirklichen Gefühle. Man muss in der Politik verstehen, sich an solch kleinen Anzeichen zu orientieren, und das umso mehr, wenn sie nicht zu größeren Ereignissen führen, die den eigentlichen Beweis liefern könnten.

4.) Rosmer, Naville, Gérard und andere in Frankreich, Landau in Deutschland und Overstraeten in Belgien stimmten mit allen „Prinzipien" der Linken Opposition überein. Aber in der Praxis herrschte absolut keine Übereinstimmung. Rosmer, Naville und andere haben sich systematisch den Vorstellungen der Linken Opposition und jedem Versuch, näher an die Partei, die Gewerkschaft, die internationale Organisation heranzukommen, widersetzt, und damit den Erfolg der Linken Opposition aufgehalten. Der Kampf gegen sie dauerte mehr als einundeinhalb Jahre. Sie haben Elemente, die mit uns nicht einig waren, in verschiedenen Ländern unterstützt und gleichzeitig ihre eigene Fraktion aufgebaut und unsere Arbeit paralysiert. Der Bruch mit dieser Gruppe, die mit uns nicht einig ist, erwies sich als unvermeidlich, und ich zögerte nicht einen Augenblick, den Bruch vorzunehmen, trotz der Tatsache, dass ich mit Rosmer durch eine persönliche Freundschaft von über fünfzehn Jahren eng verbunden war.

5.) Sind die spanischen Oppositionellen mit dem Verlauf dieses Kampfes mit Overstraeten, Urbahns, Landau, Rosmer, Naville und anderen vertraut? Ich denke dabei nicht nur an die Führer der spanischen Opposition, sondern an die Organisation insgesamt. Bleibt den spanischen Oppositionellen dieser Kampf unbekannt, dann muss das als ein großer Fehler angesehen werden. Wir können keine wirklichen Revolutionäre heranziehen, ohne den jungen Kommunisten eine Gelegenheit zu geben, die tagtägliche Erarbeitung der bolschewistischen Politik nicht nur in der spanischen Sektion, sondern auch in anderen Sektionen der Internationalen Opposition zu verfolgen. Nur so können wir Erfahrungen sammeln und das revolutionäre Bewusstsein aufbauen und stärken. Gerade darin liegt der wichtigste Teil des demokratischen Parteiregimes, das wir herstellen wollen.

6.) Bei der gründlicheren Behandlung meiner Frage, ob die spanischen Oppositionellen über den Verlauf der internationalen ideologischen Auseinandersetzung informiert sind, muss ich wieder auf kleine Begebnisse zurückgreifen, die meiner Meinung nach von großer symptomatischer Bedeutung sind. Während Landau sich bereits selbst außerhalb unserer Reihen begeben hatte, während Rosmer bereits unsere Organisation verlassen hatte, wurden beide trotzdem in eurer Zeitschrift (Communismo) als Mitarbeiter erwähnt. Das überraschte mich sehr. Was würdet ihr sagen, wenn die französischen oder deutschen Zeitungen der Opposition Gorkin als einen ihrer Mitarbeiter auffuhren würden? Das wäre unseren spanischen Freunden gegenüber ein unfreundlicher Akt. Ich stellte diese Frage dem Genossen Lacroix und bekam die Antwort, das Ganze wäre nur ein technisches Missverständnis. Ihr könnt sicher sein, ich beabsichtigte keinen Augenblick, die Bedeutung dieses Irrtums zu übertreiben. Aber ich musste zu dem Schluss kommen, dass unsere spanischen Freunde noch nicht aufmerksam genug gegenüber dem Leben der Internationalen Opposition sind. Zweifellos stimmt ihr mir zu, genau so, wie der Sozialismus nicht in einem Lande erbaut werden kann, so kann eine marxistische Politik nicht in einem Land allein betrieben werden.

7.) Zu dem eben Gesagten haben sich neue Beweise ergeben, die befürchten lassen, dass diese Angelegenheit ernster ist, als es ursprünglich erschien. Das zeigte sich besonders deutlich bei der Frage der Bildung des Internationalen Sekretariats. Diese Frage erhob sich nicht erst gestern. Das ist eine lange Geschichte. Es gibt zu dieser Frage zahllose Dokumente, vor allem die von mir selbst verfassten. Ich bin wieder gezwungen zu fragen, ob diese Dokumente den spanischen Genossen bekannt sind? Sind sie ins Spanische übersetzt? Tatsächlich habe ich einige Genossen in den Reihen der Linken Opposition getroffen, die über die internen ideologischen Auseinandersetzungen in einem herabsetzenden Sinne sprechen und sie als „Sophistereien, Intrigen" bezeichnen. Solche Genossen haben in der Schule von Marx und Lenin nichts gelernt. Um uns für große Kämpfe vorzubereiten, müssen wir lernen, standhaft und kompromisslos in allen aktuellen prinzipiellen Fragen zu sein, selbst wenn sie von untergeordneter Bedeutung sind. Sehr häufig sind gerade jene Genossen, die prinzipielle Auseinandersetzungen als „Intrigen" bezeichnen, genau diejenigen, die ein Talent für wirkliche Intrigen haben, wenn ihnen jemand auf die Hühneraugen tritt. Wer prinzipielle Fragen geringschätzig abtut, und bei persönlichen Fragen übertrieben empfindlich reagiert, gehört oft zu denen, die durch Zufall in den Reihen der Linken Opposition gelandet sind.

8.) Einer dieser zufälligen Personen ist zweifellos Genosse Mill. Da es in anderen Ländern keine russisch-sprechenden Genossen gab, war die Russische Opposition gezwungen, Zuflucht zu dem ihr wenig bekannten Genossen Mill als ihrem inoffiziellen Vertreter im Internationalen Sekretariat zu nehmen. Genosse Mill nahm diese Vertretung an. Ich war mit dem Genossen Mill in dauernder Korrespondenz. Meine Briefe an ihn würden gebunden einen dicken Band ergeben. Alle Antworten des Genossen Mill haben mir nicht nur gezeigt, dass ihm selbst elementares revolutionäres Wissen und Verständnis für Sinn und Bedeutung der Organisation abgeht, sondern dass er auch das ABC der kommunistischen Politik nicht lernen will und kann. Mill wiederholt sehr geläufig die allgemeinen Phrasen über den Sozialismus in einem Lande, wenn aber eine bestimmte politische Linie verteidigt werden muss, dann ändert er seinen Kurs unter dem Einfluss irgendwelcher unerfindlicher Launen.

Im Verlauf mehrerer Monate nahm Genosse Mill an der Auseinandersetzung mit Landau und Naville und ihrem Führer Rosmer teil. Man musste annehmen, dass Mill den Sinn dieser Auseinandersetzung verstand, der zum Bruch mit einer ganzen Reihe von Gruppen und Personen führte. Das aber hinderte Mill nicht im geringsten daran, brieflich Rosmer einen Block gegen die Führung der französischen Liga und gegen die Russische Opposition vorzuschlagen. Dieses Vorgehen, nähme man es ernst, wäre Verrat. Ein Mann, der solcher politischer Purzelbäume fähig ist, verdient nicht, als Revolutionär betrachtet zu werden. Seid ihr darin mit uns einer Meinung, Genossen, oder nicht?

9.) Um Zeit zu sparen, führte ich auf Russisch durch den Genossen Mill eine Korrespondenz mit dem Internationalen Sekretariat. Genosse Mill verheimlichte systematisch diejenigen meiner Briefe vor dem Sekretariat, die Vorschläge, Bemerkungen und Kritik enthielten, welche ihm nicht zusagten, und bezog sich im Gegenteil auf isolierte Teile meiner Briefe, die er gegen das Sekretariat benutzen konnte, wobei er es systematisch irreführte.

10.) Die Russische Opposition brach mit Mill. Die Franzosen verurteilten ihn scharf. Die deutsche Opposition hielt sein Vorgehen für unzulässig. Die belgische Opposition verurteilte Mill, und die italienische Opposition in Person des Genossen Souvo, ein Mitglied des Internationalen Sekretariats, verurteilten den Block des Genossen Mill mit Rosmer. Sind diese Tatsachen den Mitgliedern der spanischen Opposition bekannt oder nicht? Ich hoffe, dass es so ist. Wie ist dann die Tatsache zu erklären, dass die spanische Linke Opposition die Kandidatur Mills als ihres Vertreters für das Internationale Sekretariat aufgestellt hat?

Ein derartiger Schritt nimmt den Charakter einer feindlichen politischen Demonstration gegen die russische, französische, belgische und andere nationale Sektionen an, deren Entscheidungen höchstwahrscheinlich nicht aufgeschoben werden. Es ist klar, solltet ihr irgendwelche ernsthaften Differenzen mit uns haben, dann habt ihr nicht nur das Recht, sondern seid verpflichtet, sie durch Worte wie durch Taten zu äußern. In diesem Falle müsstet ihr euch deutlich und offen ausdrücken.

11.) Eure Unterstützung des Genossen Mill erscheint auch aus folgenden Gründen unerklärlich: Genosse Mill schrieb zwei Briefe aus Spanien, in denen er die Linke und Rechte Opposition in einen Topf warf und damit die gesamte Linke Opposition irreführte. Man kann sich eine skandalösere Verwirrung kaum vorstellen, vor allem von Seiten des permanenten Sekretärs. Als ich gegen seine Briefe protestierte, antwortete Genosse Mill, er wäre vom Genossen Nin irregeführt worden. Ist es nicht augenfällig, dass Mill damit nur seine völlige Unfähigkeit unterstrich, elementare politische Fragen selbst beurteilen zu können?

Ich habe vorgeschlagen, kollektiv ein internationales Manifest über die spanische Revolution abzufassen. Trotz meiner wiederholten Vorstellungen rührte Genosse Mill keinen Finger in dieser wichtigen Angelegenheit, weil seine gesamte Aufmerksamkeit von dem Fraktionskampf und den Kulissenkombinationen gegen die wichtigsten Sektionen der Opposition in Anspruch genommen wurde. Das sind die Tatsachen.

Wie sollen wir es nun erklären, Genossen, dass ihr so demonstrativ euren Mangel an Vertrauen in die französische, russische, deutsche, belgische und andere Sektionen der Linken Opposition Ausdruck verliehen habt? Ihr habt möglicherweise tiefgehende prinzipielle Gründe dafür. Unsere prinzipiellen Überlegungen habe ich oben dargelegt, und nicht zum ersten Mal. Jetzt warte ich mit dem größten Interesse sehr aufmerksam auf eure prinzipiellen Überlegungen.

12.) Ich will nur noch eine weitere Episode erwähnen. Ihr habt gegen die Wahl des Vertreters der Russischen Opposition, des Genossen Markin, in das Internationale Sekretariat gestimmt, weil er zur Molinier-Frank-Fraktion gehöre – dieser Genosse Markin gehört zur gleichen Fraktion wie ich; aber wir arbeiten mit ihnen völlig solidarisch zusammen.1 Worauf basiert euer Versuch, der Russischen Opposition ihre Vertretung im Internationalen Sekretariat zu nehmen? Ihr müsst dafür sehr ernst zu nehmende Gründe haben. Erklärt sie bitte. Wir werden ihnen unsere volle Aufmerksamkeit zuwenden.

In seinem letzten Brief bat mich Genosse Lacroix, nicht auf die Frage des französischen Genossen Molinier zurückzukommen, mit dem er den in Punkt 1 erwähnten Streit hatte. Ich bin völlig einverstanden, und ich meine, dass wir die geringfügigen und persönlichen Episoden völlig beiseite lassen können, die keine prinzipielle oder politische Bedeutung haben.

In seinem Brief sagt Genosse Lacroix, die Internationale Konferenz müsse die strittigen Fragen klären. Das ist ebenfalls ganz richtig. Aber die Internationale Konferenz muss vorher durch eine Diskussion der wichtigsten politischen und organisatorischen Differenzen in allen Sektionen darauf vorbereitet werden. Deshalb wende ich mich an euch, werte Genossen, mit diesem Brief, von dem ich Kopien an die Führungen aller nationaler Sektionen verschicke. Ich zweifle nicht daran, dass wir mit unseren vereinten Kräften die Missverständnisse bereinigen und mit euch eine gemeinsame Sprache finden können.

Mit kommunistischen Grüßen

L. Trotzki

1 Markin war ein Pseudonym von Leon Sedow (1906-1938) Trotzkis Sohn.

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