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Leo Trotzki 19360730 Die spanische Lehre

Leo Trotzki: Die spanische Lehre

[Nach Unser Wort, Halbmonatszeitung der IKD, 4. Jahrgang Nr. 14, Anfang September 1936, S. 1]

Europa ist zu einer gewaltigen und sehr rauen Schule für das Proletariat geworden. In einem Lande nach dem anderen spielen sich Ereignisse ab, die von den Arbeitern große blutige Opfer fordern, die bisher aber nur zu Siegen der Feinde des Proletariats führten. (Italien, Deutschland, Österreich…) Die Politik der alten Arbeiterparteien zeigt, wie man das Proletariat nicht führen, wie man den Sieg nicht vorbereiten darf.

Der Bürgerkrieg In Spanien ist in dem Augenblick, wo diese Zeilen geschrieben werden, noch nicht beendet. Die Arbeiter der ganzen Welt warten gespannt auf die Nachricht vom Siege des spanischen Proletariats. Wird dieser Sieg, wie wir fest hoffen, errungen sein, dann wird man sagen müssen: die Arbeiter haben diesmal gesiegt, obgleich ihre Führung alles tat, um die Niederlage vorzubereiten. Umso größer Ehre und Ruhm der spanischen Arbeiter!

Die Sozialisten und Kommunisten gehören In Spanien der Volksfront an, die schon einmal die Revolution verriet, doch dank den Arbeitern und Bauern erneut siegte und im Februar die «republikanische» Regierung bildete. Sechs Monate danach marschiert die «republikanische» Armee gegen das Volk. Die Volksfrontregierung hat also mit den Volksgroschen die Offizierskaste gefüttert, sie mit Autorität, Macht, Waffen ausgestattet, ihrem Kommando junge Arbeiter und Bauern unterstellt – und all das, damit sie umso leichter die Vernichtung der Arbeiter und Bauern vorbereiten.

Und nicht nur das: auch jetzt wahrend des Bürgerkrieges tut die Volksfrontregierung alles, was sie kann, um den Sieg zu erschweren. Der Bürgerkrieg wird bekanntlich nicht nur mit militärischen, sondern auch mit politischen Maßnahmen geführt. Im rein militärischen Sinne ist die spanische Revolution bislang dem Feind noch unterlegen. Ihre Kraft liegt darin, dass sie große Massen auf die Beine zu bringen vermag. Sie kann sogar den reaktionären Offizieren ihr Heer abnehmen: dazu muss sie nur ernst und kühn das Programm der sozialen Umwälzung aufstellen. Es gilt zu verkünden, dass Boden. Fabriken und Betriebe nunmehr von den Kapitalisten ans Volk übergehen. Es gilt tatkräftig an die Verwirklichung dieses Programms in den Provinzen zu schreiten, wo die Macht in den Händen der Arbeiter ist. Die faschistische Armee würde der Wirkung dieses Programms keine 24 Stunden widerstehen: die Soldaten würden ihre Offiziere an Händen und Füssen fesseln und dem nächstbesten Stab der Arbeitermiliz ausliefern. Doch die bürgerlichen Minister können ein solches Programm nicht zulassen. Sie bremsen die soziale Revolution und lassen die Arbeiter und Bauern lieber zehnmal mehr Blut vergießen. Damit hoffen diese Herren, nach dem Sieg die Arbeiter wieder zu entwaffnen und von ihnen Achtung vor den heiligen Gesetzen des Privateigentums zu verlangen. Das ist das wahre Wesen der Volksfront. Alles übrige sind Phrasen und Lügen!

Jetzt schütteln viele Volksfrontanhänger vorwurfsvoll den Kopf über die Madrider Regierungen: «Wie konnten sie das nicht voraussehen? Warum nur haben sie nicht rechtzeitig eine Säuberung der Armee durchgeführt? Weshalb trafen sie keine Vorbereitungsmaßnahmen?» Besonders zahlreich sind diese Kritiker in Frankreich, wo jedoch die Politik der Volksfrontführer sich absolut in nichts von der ihrer spanischen Kollegen unterscheidet. Trotz der rauen Lehre Spaniens kann man im Voraus sagen, die Regierung Blum wird keinerlei ernsthafte Säuberung der Armee durchführen. Warum? Weil sich die Arbeiterorganisationen in einer Koalition mit den Radikalsozialisten befinden und folglich Gefangene der Bourgeoisie sind.

Naiv ist es. zu beklagen, dass die spanischen Republikaner oder Sozialisten oder Kommunisten gar nichts vorhergesehen und alles versäumt haben. Es handelt sich durchaus nicht um die Voraussicht dieses oder jenes Ministers oder Führers, .sondern um die allgemeine Richtung der Politik. Die Arbeiterpartei, die ein politisches Bündnis mit der radikalen Bourgeoisie eingeht, verzichtet damit auf den Kampf gegen den kapitalistischen Militarismus. Die bürgerliche Herrschaft, d, h. die Erhaltung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, ist undenkbar ohne Unterstützung der Ausbeuter durch die bewaffnete Macht. Das Offizierskorps ist eine Kapitalsgarde. Ohne diese Garde hielt sich die Bourgeoisie nicht einen Tag. Die Menschenauslese, ihre Ausbildung und Erziehung machen die Offiziere in ihrer Gesamtheit zum unversöhnlichen Feind des Sozialismus. (Von einzelnen Ausnahmen abgesehen ) So verhalt , es sich In allen bürgerlichen Ländern. Die Gefahr, sie droht nicht von den bramarbasierenden und demagogischen Militärs, die offen als Faschisten auftreten: weitaus ernster ist, dass das gesamte Offizierskorps beim Nahen der proletarischen Revolution sich als Henker des Proletariats erweist. 100 oder 500 reaktionäre Agitatoren aus dem Heer hinauswerfen bedeutet im Grunde, alles beim alten zu lassen. Das Offizierskorps, in dem die jahrhundertealten Traditionen der Fron des Volkes konzentriert sind, heißt es gänzlich und restlos entlassen, absetzen, zerschlagen. Das kasernierte, von der Offizierskaste befehligte Heer muss ersetzt werden durch die Volksmiliz d.h. die demokratische Organisation der bewaffneten Arbeiter und Bauern. Eine andere Lösung gibt es nicht. Aber ein solches Heer ist mit der Herrschaft der großen und kleinen Ausbeuter unvereinbar. Können die bürgerlichen Republikaner sich auf eine derartige Maßnahme einlassen? Auf keinen Fall. Die Volksfrontregierung, d.h. die Regierung der Koalition der Arbeiter mit der Bourgeoisie ist ihrem Wesen nach eine Regierung der Kapitulation vor der Bürokratie und den Offizieren. Das ist die größte Lehre der spanischen Ereignisse, die heute mit tausenden von Menschenleben bezahlt wird.

Das politische Bündnis der Arbeiterführer mit der Bourgeoisie wird begründet mit der Verteidigung der «Republik». Die spanische Erfahrung zeigt, wie diese Verteidigung in Wirklichkeit aussieht. Die Worte «Republikaner» und «Demokrat» sind bewusster Schwindel, der zur Verschleierung der Klassengegensätze dient. Der Bourgeois ist Republikaner solange, wie die Republik das Privateigentum schützt. Die Arbeiter aber benützen die Republik, um das Privateigentum zu stürzen. Mit anderen Worten: die Republik verliert für den Bourgeois allen Wert in dem Augenblick, wo sie in den Augen des Arbeiters anfängt, einen Wert zu bekommen. Die Radikalen können nicht mit den Arbeiterparteien einen Block bilden, ohne sich im Offizierskorps eine Stütze zu sichern. Nicht von ungefähr wurde Daladier in Frankreich Vorsteher des Kriegsministeriums. Die französische Bourgeoisie hat ihm diesen Posten schon mehr als einmal anvertraut und er hat sie nie betrogen. Zu glauben, Daladier sei imstande, die Armee von Faschisten und Reaktionären zu säubern, mit anderen Worten, das Offizierskorps zu verjagen, können nur Leute wie Maurice Paz oder Marceau Pivert. Doch sie nimmt niemand ernst.

Aber hier unterbricht man uns mit dem Zwischenruf: «Wie kann man das Offizierskorps entlassen? Das hieße ja die Armee zerstören und das Land waffenlos dem Faschismus preisgeben. Hitler und Mussolini wünschen sich nichts Besseres.» All diese Argumente sind längst und gut bekannt. So redeten die Führer der spanischen Volksfront. Die spanischen Arbeiter haben diese Argumente halb geglaubt, solange sie sich nicht durch die Erfahrung überzeugten, dass der nächste faschistische Feind in der spanischen Armee sitzt. Nicht umsonst lehrte unser alter Freund Karl Liebknecht: «Der Hauptfeind steht im eigenen Lande».

Die «Humanité» fleht weinerlich, man möge die Armee von den Faschisten säubern. Allein, was Ist dies Flehen wert? Die Kredite zur Aufrechterhaltung des Offizierskorps genehmigen, mit Daladier und durch ihn mit dem Finanzkapital einen Bund schließen. Daladier die Armee ausliefern. – und zugleich fordern, dass diese durch und durch kapitalistische Armee dem «Volke» diene und nicht dem Kapital, bedeutet entweder in kompletten Idiotismus zu verfallen oder bewusst die werktätigen Massen zu täuschen.

«Aber wir können doch nicht ohne Armee bleiben», wiederholen die sozialistischen und kommunistischen Führer, «wir sollen ja unsere Demokratie und mit ihr die Sowjetunion gegen Hitler verteidigen!» Nach der spanischen Lehre sind die Folgen dieser Politik sowohl für die Demokratie wie für die Sowjetunion unschwer vorauszusehen. Das Offizierskorps wird den günstigsten Augenblick wählen, um Hand in Hand mit den aufgelösten faschistischen Verbänden zum Angriff gegen die werktätigen Massen überzugehen und. wenn es den Sieg über sie davon trägt, die jämmerlichen Überreste der bürgerlichen Demokratie vollends zu zerschlagen, sowie Hitler zum gemeinsamen Kampf gegen die USSR die Hand zu reichen.

Nicht ohne Empörung und direkten Abscheu kann man die Artikel des «Populaire» und der «Humanité» zu den spanischen Ereignissen lesen. Diese Leute lernen nichts. Sie wollen nicht lernen. Sie verschließen bewusst die Augen vor den Tatsachen. Für sie besteht die Hauptlehre darin, dass es um jeden Preis gelte, die «Einheit» der Volksfront, d.h. die Einheit mit der Bourgeoisie, die Freundschaft mit Daladier zu erhalten.

Freilich, Daladier ist ein großer «Demokrat». Aber kann man auch nur eine Minute zweifeln, dass er neben der offiziellen Arbeit im Ministerium Blum eine große inoffizielle Arbeit verrichtet, im Generalstab, im Offizierskorps? Dort sitzen die seriösen Leute, die den Tatsachen ins Auge zu schauen wissen und sich nicht auf Blums Art in hohler Rhetorik berauschen. Dort bereitet man sich auf alles Unerwartete vor. Daladier bespricht ohne Zweifel mit den Militärchefs die notwendigen Maßnahmen, im Falle dass die Arbeiter revolutionäre Aktivität bezeigen sollten. Die Generäle kommen Daladier natürlich gerne entgegen. Doch unter sich sagen die Generäle: «Daladier dulden wir, solange wir mit den Arbeitern nicht abgerechnet haben; dann aber werden wir einen stärkeren Herren einsetzen». Inzwischen reden die sozialistischen und kommunistischen Herren tagein tagaus von «unserem Freund Daladier». Der Arbeiter soll ihnen sagen: «Sag mir mit wem Du umgehst und ich sage Dir, wer Du bist!» Leute, die dem alten Kapitalsagenten Daladier die Armee anvertrauen, sind des Vertrauens der Arbeiter nicht wert.

Natürlich, das Proletariat Spaniens wie Frankreichs will nicht vor Mussolini oder Hitler unbewaffnet dastehen. Doch um sich gegen sie zu verteidigen, muss es den Feind im eigenen Land zerschmettern. Man kann die Bourgeoisie nicht stürzen, ohne das Offizierskorps zu zerschlagen. Man kann das Offizierskorps nicht schlagen, ohne die Bourgeoisie zu stürzen. In jeder siegreichen Konterrevolution haben die Offiziere eine ausschlaggebende Rolle gespielt. Jede siegreiche Revolution, wenn sie tiefen, sozialen Charakter besaß, vernichtete das Offizierskorps. So tat es die große französische Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts. So tat es die Oktoberrevolution von 1917. Um sich zu dieser Maßnahme zu entschließen. heißt es aufhören., vor der radikalen Bourgeoisie auf den Knien zu rutschen. Es gilt, das wahre Bündnis der Arbeiter und Bauern zu schaffen, gegen die Bourgeoisie, und zwar auch der radikalen. Es gilt, sich der Kraft, der Initiative, dem Mut des Proletariats anzuvertrauen. Das Proletariat wird die Soldaten auf seine Seite zu ziehen wissen. Das wird das echte und nicht gefälschte Bündnis der Arbeiter, Bauern und Soldaten sein. Ein solches Bündnis wird jetzt im Feuer des Bürgerkrieges in Spanien geschaffen und erhärtet. Der Sieg des Volkes wird das Ende der Volksfront und den Beginn Sowjet-Spaniens bedeuten. Eine siegreiche soziale Revolution in Spanien wird unabwendbar auf das übrige Europa übergreifen. Für die faschistischen Henker in Italien und In Deutschland ist sie weitaus furchtbarer als alle diplomatischen Verträge und alle Militärbündnisse.

30. Juli 1936.

L. Trotzki.

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