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Leo Trotzki 19310927 Eine enge oder eine breite Fraktion?

Leo Trotzki: Eine enge oder eine breite Fraktion?

27. September 1931

[auf Englisch veröffentlicht in The Militant vom 14. November 1931. Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 150-152]

Lieber Freund,

Zuerst einmal möchte ich die umstrittene Frage in der Linken Opposition für mich beantworten: eine enge oder eine breite Fraktion? Ich habe bereits ihre Meinung und die vom Genossen Lacroix dazu bekommen. Genosse M(olinier) hat noch nicht den von ihm versprochenen Bericht vorgelegt. Ich muss gestehen, dass die Grundlage dieses Streits mir nicht klar ist. Gestern wurde im Hinblick auf Katalonien, wie ich aus ihrem Brief ersehe, die Frage folgendermaßen gestellt: sollten wir die Arbeiter auffordern, der offiziellen Kommunistischen Partei oder der Katalanischen Föderation beizutreten? Aus ihrem letzten Brief scheint hervorzugehen, dass die Katalanische Föderation die Linke Opposition aus ihren Reihen ausschließt, d.h. in der gleichen Weise wie die Partei vorgeht. Diese Tatsache ist an sich durchaus logisch. Der rechte Flügel und die Zentristen bezeigen gegenüber den Bolschewiki-Leninisten in allen Ländern – zuerst in der UdSSR – die gleiche Feindseligkeit. Es wäre merkwürdig, wenn Spanien davon eine Ausnahme bilden würde. Im Gegenteil, angesichts der revolutionären Situation in Spanien, führen alle politischen Prozesse (einschließlich aller Fehler) sehr schnell zu ihrem logischen Schluss.

Aber ist es möglich, noch ernsthaft von der Linken Opposition zu sprechen, wenn sie die Arbeiter auffordert, in die Katalanische Föderation einzutreten? Ich begreife es nicht! Wir können natürlich versuchen, unsere Zellen in der Katalanischen Föderation aufzubauen – mit dem Ziel, die größtmögliche Zahl von Anhängern im Falle des unvermeidlichen Zusammenbruchs der Maurín-Organisation zu rekrutieren. Wir können individuelle Genossen mit diesem Ziel in die Föderation hinein schicken. Aber können wir offen parteipolitisch nicht gebundene Arbeiter auffordern, in die Föderation einzutreten? Nie und nimmer. Es wäre der ungeheuerlichste Fehler und würde nicht nur die Linke Opposition schwächen, sondern sie sogar entehren.

Formal ist die Frage der offiziellen Partei anders gestellt, denn wir haben uns nicht von der Idee losgesagt, die Komintern, und infolgedessen jede ihrer Sektionen zu erobern. Mir schien es stets, dass viele Genossen die Möglichkeit für die Entwicklung der offiziellen Kommunistischen Partei in Spanien unterschätzt haben. Ich habe ihnen darüber mehr als einmal geschrieben. Das Ignorieren der offiziellen Partei als einer fiktiven Größe, ihr den Rücken zuzuwenden, scheint mir ein großer Fehler zu sein. Wir müssen im Gegenteil hinsichtlich der offiziellen Partei daran festhalten, die Reihen zu einigen. Trotzdem ist diese Aufgabe nicht einfach. Solange wir eine schwache Fraktion bleiben, ist diese Aufgabe gemeinhin undurchführbar. Wir können innerhalb der offiziellen Partei nur dann eine Tendenz zur Einheit hervorrufen, wenn wir eine ernsthafte Kraft darstellen.

Die Gegner der „breiten Fraktion" erwidern darauf: aber wenn wir um uns eine breite Arbeitersektion gruppieren, dann verwandeln wir uns automatisch in eine zweite Partei. Ich muss sagen, dass mich dieses Argument verwundert. Wenn wir derartig formal argumentieren, dann müssten die Bolschewiki-Leninisten, um die Gefahr einer zweiten Partei zu vermeiden, ganz und gar von der Erdoberfläche verschwinden. Genau das wollen die Stalinisten. Politischer Malthusianismus ist die unnatürlichste aller Spielarten des Malthusianismus. Jede politische Tendenz, die auf ihre Kräfte vertraut, kann nur hoffen, die größtmöglichen Massen um sich zu scharen. Man kann zur Partei auf verschiedenen Wegen kommen. Sollte die Linke Opposition stärker als die gegenwärtige offizielle Partei werden, dann würde dies uns ermöglichen, mit einer hundertfach größeren Effektivität für die Einheit der kommunistischen Reihen zu kämpfen als gegenwärtig, wo die Opposition noch schwach ist. Ist das nicht klar?

Die Befürworter der „engen Fraktion" werden jedoch darauf antworten, die Linke Opposition könne in ihre Reihen nur bewusste Anhänger aufnehmen. Gewiss! Aber gilt nicht das Gleiche für die Partei? Es kommt alles auf Folgendes heraus: die Linke Opposition darf neue Arbeiter nicht an sich selbst fesseln; nein, sie ist verpflichtet, sie auf die Mitgliedschaft in der Partei zu verweisen, wo man ihnen beibringt, dass die Trotzkisten „Konterrevolutionäre" sind. Danach, und erst dann, wird die Opposition das Recht haben, diesen Arbeitern die Illusionen zu nehmen, sie neu zu erziehen, sie von den ansteckenden stalinistischen Verleumdungen zu heilen. Ich kann wirklich einen derart komplizierten Mechanismus nicht begreifen.

Wachstum und Reichweite der Opposition

Mir scheint es, dass die Opposition nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, all diejenigen um sich zu scharen, die zu ihr kommen, auf ihre Aufrufe reagieren und die sie erreichen kann. Natürlich werden das zuerst durchaus nicht überzeugte und bewusste Bolschewiki-Leninisten sein. Das aber macht es nur notwendig, sich ernsthaft mit der Erziehung unserer Anhänger zu beschäftigen. Innerhalb des Rahmens dieser Erziehung wird auch die Frage auftauchen, warum wir für eine und die Stalinisten für zwei Parteien sind. Wenn der Zustrom zu uns sich als zu stürmisch erweist (was kaum zu befürchten ist!), dann können wir einen Kreis von Sympathisanten schaffen. Eine lokale Organisation der Opposition mit zwanzig Mitgliedern kann um sich zwei- oder dreihundert Sympathisierende sammeln. In diesem Kreis von Sympathisierenden wird es notwendig sein, den Unterschied zwischen Leninismus und Zentrismus zu behandeln. Nachdem der Kreis unter unserer Leitung ein gewisses Niveau erreicht hat, kann er die Vertreter der offiziellen Partei einladen, um ihre Ansichten vor ihm darzulegen. Auf dieser Grundlage wird zwischen unseren Anhängern und den Stalinisten eine Diskussion entstehen. Nur das wird eine ernsthafte Aussöhnung zwischen der Linken Opposition und der Partei herbeiführen und einen weitaus sichereren Weg zu einer geeinten Partei als die Malthusischen Bevölkerungsmaßnahmen darstellen.

Die Linke Opposition würde zu einer Sekte werden, käme sie zu dem Schluss, dass ihre Aufgabe nur aus der Kritik der Aktivitäten der offiziellen Partei und der Massenorganisationen des Proletariats bestünde. Die spanische Revolution ist eine Tatsache. Enorm viel Zeit ist bereits ohne alle diese Dinge verloren worden, einschließlich der von der spanischen Linken Opposition verlorenen Zeit. Nächstes Jahr werden wir nicht – und wenn wir uns noch so sehr anstrengen – die jetzt versäumte revolutionäre Situation zurückholen können. Gerade in Spanien kann die Opposition innerhalb kurzer Zeit zu einer beträchtlichen Kraft anwachsen. Dafür ist jedoch die erste Bedingung, dass man nicht befürchtet, eine Kraft zu werden, sondern danach strebt. Das ist alles, was ich in der Zwischenzeit auf der Grundlage unvollständiger Information über die strittige Frage sagen kann. Ich würde mich freuen, zusätzliche Information zu erhalten.

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