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Leo Trotzki 19370414 Revolutionäre Strategie im Bürgerkrieg

Leo Trotzki: Revolutionäre Strategie im Bürgerkrieg

14. April 1937

[Auszug aus The Case of Leon Trotsky Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 243-248]

Beals: Ich würde gerne eine Frage in dieser Hinsicht stellen, da wir gerade darüber sprechen. Ich würde gerne eine Frage stellen, denn wir sprechen vom Weltkrieg: die äußerst drohende Kriegsgefahr in Spanien. Sind Sie für die Trotzkisten in Spanien verantwortlich?

Trotzki: Wer sind die „Trotzkisten in Spanien"?

Beals: Sind Sie verantwortlich für die verschiedenen Fraktionen in Spanien, die den Namen „Trotzkisten" benutzen?

Trotzki: Es gibt dort keine Trotzkisten. Die Lage ist die, dass jeder, der gegen die Politik der Komintern ist, von der Komintern als „Trotzkist" bezeichnet wird. Da Trotzkismus in der Propaganda der Komintern Faschismus bedeutet. Das ist ein simples Argument. Die Trotzkisten in Spanien sind nicht zahlreich – die echten Trotzkisten. Es tut mir leid, aber ich muss gestehen, dass sie nicht zahlreich sind. Es gibt dort eine mächtige Partei, die POUM, die Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit. Diese Partei allein ist der Auffassung, dass ich kein Faschist bin. Die Jugend jener Partei steht unseren Vorstellungen sympathisch gegenüber. Aber die Politik jener Partei ist sehr opportunistisch, und ich kritisiere sie öffentlich.

Beals: Wer steht an ihrer Spitze?

Trotzki: Nin. Er ist mein Freund. Ich kenne ihn sehr gut. Aber ich kritisiere ihn sehr scharf.

Beals: Ein Grund, warum ich dies vorbringe, liegt darin: die Fraktion der Trotzkisten ist beschuldigt worden, sie sabotiere die loyalistische Bewegung in Spanien.

Trotzki: Sie sabotiere angeblich die loyalistische Bewegung. Ich meine, ich hätte es in vielen Interviews und Artikeln klargelegt: der einzige Weg, um in Spanien den Sieg zu erringen, liegt darin, den Bauern zu sagen: „Die spanische Erde ist eure Erde." Und den Arbeitern: „Die spanischen Fabriken sind eure Fabriken." Das ist die einzige Möglichkeit, den Sieg zu erringen. Um die französische Bourgeoisie nicht zu erschrecken, ist Stalin zum Hüter des Privateigentums in Spanien geworden. Der spanische Bauer ist an spitzfindigen Definitionen nicht sehr interessiert. Er meint: „Bei Franco und bei Caballero – das ist das gleiche," denn der Bauer ist sehr realistisch. Während unseres Bürgerkrieges – ich glaube nicht, dass wir in erster Linie wegen unserer Kriegskunst siegten. Das wäre falsch. Wir siegten wegen unseres revolutionären Programms. Wir sagten dem Bauern: „Es ist deine Erde." Und der Bauer, der zuweilen fortging und zu den Weißen ging, verglich die Bolschewiki mit den Weißen Garden und sagte, „Die Bolschewiki sind besser." Als dann die Bauernschaft, Hunderte und Millionen der russischen Bauernschaft, überzeugt waren, die Bolschewiki seien besser – da siegten wir.

Beals: Könnten Sie noch etwas die Erklärung erweitern, dass Stalin das Privateigentum in Spanien schützt?

Trotzki: Er hat gesagt, und die Komintern hat es hinsichtlich Spaniens erklärt, dass die sozialen Reformen nach dem Sieg kommen werden. „Jetzt befinden wir uns im Krieg. Unsere Aufgabe besteht im Krieg. Soziale Reformen werden nach dem Sieg kommen." Der Bauer wird teilnahmslos. „Es ist nicht mein Krieg; ich bin nicht am Sieg der Generäle interessiert. Die Generäle bekämpfen einander." Das ist seine Meinung.

Verstehen Sie, in seiner primitiven Art hat er recht. Ich bin mit diesen primitiven spanischen Bauern gegen die gescheiten Diplomaten.

Beals: Dann also denken Sie, es wäre nicht von großer Bedeutung, welche Seite in Spanien gewinnt? Es macht keinen großen Unterschied, welche Seite den Krieg gewinnt?

Trotzki: Nein, die Arbeiter müssen den Krieg gewinnen. Es ist notwendig, dass die Arbeiter gewinnen. Aber ich versichere Ihnen, dass Sie mit der Politik der Komintern und Stalins den sichersten Weg gehen, die Revolution zu verlieren. Sie haben die Revolution in China verloren, sie verloren die Revolution in Deutschland, und jetzt bereiten sie die Niederlage in Frankreich und Spanien vor. Es gab nur einen einzigen Sieg der proletarischen Revolution. Das war die Oktoberrevolution, und er wurde in direkter Opposition zur Methode Stalins errungen.

Beals: Welche Schritte würden Sie momentan im Falle Spaniens ergreifen, wenn Sie an der Stelle Stalins wären?

Trotzki: Ich könnte nicht an seiner Stelle sein.

Beals: Sagen wir mal, Sie wären an der Stelle Stalins – wenn das Schicksal der Sowjetunion in Ihren Händen läge, wie würden Sie in Spanien vorgehen?

Trotzki: Es ist keine Frage der Sowjetunion. Es ist eine Frage der revolutionären Parteien der Komintern, es ist eine Frage der Parteien. Natürlich würde ich in Opposition zu allen bürgerlichen Parteien bleiben.

Stolberg: Herr Trotzki, ich würde gern eine Frage stellen, die sich auf die Frage von Carleton Beals bezieht. Wenn Sie von 1923 an an der Macht gewesen wären, dann würde Ihrer Auffassung nach die chinesische Revolution entweder gesiegt haben, oder sie hätte weitere Fortschritte gemacht. Es hätte keinen deutschen Faschismus gegeben. Ich meine, wenn Ihre Position damals 1923 siegreich gewesen wäre. Es hätte sich die Situation in Spanien ergeben, aber sie hätte sich nicht in genau dieser Weise zutragen können. Aber Sie haben verloren. Die Politik der Komintern in China und Deutschland führten zu einer Niederlage. Jetzt haben wir die spanische Situation. Ich bringe nur das vor, von dem ich annehme, dass es Ihre Position ist. Jetzt will ich eine Frage stellen. Wir haben die spanische Situation als Krönung der in den letzten vierzehn Jahren begangenen Fehler. Wir haben einen Bürgerkrieg in Spanien. Gewiss würde eine rein orthodoxe oder puristische Position des Problem nicht lösen. Auf welcher Seite würden Sie gegenwärtig in Spanien stehen?

Trotzki: Ich habe die Antwort in meinen Interviews und Artikeln gegeben. Jeder Trotzkist in Spanien muss ein guter Soldat auf Seiten der Linken sein. Das ist natürlich eine so elementare Frage – Sie wissen, dass man sie nicht zu diskutieren braucht. Ein Führer oder auch jedes andere Mitglied in der Regierung von Caballero ist ein Verräter. Ein Führer der Arbeiterklasse kann nicht in die bürgerliche Regierung eintreten. Wir traten in Russland nicht in die Regierung Kerenskis ein. Während wir Kerenski gegen Kornilow verteidigten, traten wir nicht in seine Regierung ein. Ebenso, wie ich erklärt habe, dass ich bereit bin, ein Bündnis mit Stalin gegen die Faschisten oder ein Bündnis mit Jouhaux gegen die französischen Faschisten zu schließen. Das ist eben eine elementare Frage.

Finerty: Herr Trotzki, wenn Sie heute in Russland an der Macht wären, und die Loyalisten in Spanien Sie auffordern würden, ihnen zu helfen, würden Sie Ihre Hilfe nur unter der Bedingung geben, dass das Land den Bauern und die Fabriken den Arbeitern gegeben würden?

Trotzki: Nein. Nicht unter dieser Bedingung – das ist nicht die Frage. Die erste Frage wäre die der Haltung der spanischen revolutionären Partei. Ich würde zu ihr sagen: „Kein Bündnis mit der Bourgeoisie", als erste Bedingung. Die zweite: „Ihr müsst die besten Soldaten gegen die Faschisten sein." Drittens: „Ihr müsst den Soldaten, den anderen Soldaten und den Bauern sagen: ,Wir müssen aus unserem Land ein Land des Volkes machen. Wenn wir die Massen gewonnen haben, werden wir die Bourgeoisie verjagen, die Macht ergreifen und die soziale Revolution machen'".

Finerty: Um also irgendeine effektive Hilfe geben zu können, müssten Sie mit der marxistischen Partei Spaniens verbündet sein?

Trotzki: Selbstverständlich. Ich würde Caballero mit allen erdenklichen materiellen Mitteln gegen den Faschismus unterstützen, gleichzeitig würde ich aber der kommunistischen Partei anraten, nicht in die Regierung einzutreten, sondern Caballero gegenüber eine kritische Position zu bewahren und das zweite Kapitel der Arbeiterrevolution vorzubereiten.

Beals: Ist das nicht einer der Gründe, warum die Azaña-Regierung, als sie erst an der Macht war, daraufhin die Reaktion hineinnahm, gerade wegen einer solchen Politik?

Trotzki: Wegen einer konservativen bürgerlichen Politik: weil er versuchte, eine halbe Revolution, ein Drittel einer Revolution zu machen. Ich bin der Meinung, man muss die Revolution machen – und sie nicht auf diese Weise beginnen! Wenn man sie beginnt, muss man sie zu Ende führen. Das Ende heißt: soziale Revolution.

Beals: Dies würde bei der Politik, die Sie führen, wahrscheinlich den Sieg Francos bedeuten, nicht wahr?

Trotzki: Der Sieg Francos ist durch die gegenwärtige Politik der Komintern sichergestellt. Die spanische Revolution, das spanische Proletariat und die Bauernschaft hätten durch ihre Anstrengungen, ihre Energie und Aufopferung fünf oder sechs Siege sichergestellt – jedes Jahr einen Sieg. Aber die herrschende Schicht der Arbeiterklasse tat alles, um die revolutionäre Macht der Massen zu hemmen, zu sabotieren und zu verraten.

Eine Revolution gründet sich auf die elementaren Kräfte des Proletariats und auf die politische Leitung ihrer Führer. Das ist ein sehr wichtiges Problem, und die Führung in Spanien war die ganze Zeit über kläglich. Das spanische Proletariat zeigt, dass es aus dem besten Material ist, die beste revolutionäre Kraft, die wir im letzten Jahrzehnt gesehen haben. Trotz und alledem siegt es nicht. Ich klage die Kommunistische Internationale und die Zweite Internationale an, den Sieg durch ihre niederträchtige Politik zu verhindern, einer Politik, die sich auf der Feigheit vor der Bourgeoisie, der Bourgeoisie und Franco gründet. Sie bleiben in einer Regierung mit der Bourgeoisie, die das Symbol des Privateigentums darstellt. Und Caballero selbst verbeugt sich vor dem Symbol des Privateigentums. Die Massen jedoch sehen nicht den Unterschied zwischen den beiden Regimen.

Goldman: Schließen Sie die Möglichkeit eines Sieges, eines militärischen Sieges Caballeros über Franco aus?

Trotzki: Das ist schwer zu sagen – ein militärischer Sieg. Es ist möglich, dass das siegreiche Regime selbst bei einem militärischen Sieg in einer sehr kurzen Zeit in ein faschistisches Regime umgewandelt werden kann, wenn die Massen unzufrieden und gleichgültig bleiben, und die durch den Sieg geschaffene Militärorganisation keine sozialistische Organisation ist.

Goldman: Aber die Massen in Spanien haben vielleicht die Illusion, sie kämpften gegenwärtig gegen Franco und die Faschisten – sie kämpften gegenwärtig für ihre eigenen proletarischen Interessen.

Trotzki: Leider hat die Mehrheit der Massen alle Illusionen verloren. Und das erklärt den schleichenden Charakter des Bürgerkriegs, weil die Volksfrontregierung eine Armee für Franco vorbereitete. Die neue Regierung ging aus der Volksfront hervor, aus dem Sieg, und protegierte die Armee und Franco, sodass unter der Regierung der Volksfront die Armee für den Aufstand vorbereitet wurde. Dann begann der Bürgerkrieg, und die Bourgeoisie sagte der Bevölkerung: „Ihr müsst den Sieg abwarten. Dann werden wir sehr großmütig sein, aber erst nach dem Sieg."

Goldman: Sie haben aber noch nicht die vor einer halben Stunde gestellte Frage beantwortet.

Beals: Ich bin noch nicht ganz fertig. Ich sehe noch nicht, Herr Trotzki, wie Sie oder Herr Stalin imstande wären, die Situation in Spanien zu retten. Es scheint mir, dass beide Arten Politik, die Sie angegeben haben, sofort zu dem Ergebnis führen würden, dass Franco den Krieg gewinnt. Ich kann persönlich nichts sehen, was irgendwie zugunsten Francos spricht. Ich kann Sie nicht ganz begreifen. Es scheint mir, dass Franco inzwischen den Krieg gewonnen haben wird.

Trotzki: Ich kann nur wiederholen, dass ich den Schlüssel dazu, einen kleinen Schlüssel, allen meinen Freunden und jedem, der die gleiche Überzeugung hat, gab: mein erster Ratschlag geht dahin, jetzt der beste Soldat im Lager Caballeros zu sein. Das ist das erste. Sie wissen, dass es dort eine Gruppe der Vierten Internationale gibt, eine Kompanie unserer Genossen an der Front. Das ist so selbstverständlich, dass ich mich dabei nicht aufhalten will. Man muss kämpfen. Wie Sie aber wissen, genügt es nicht, mit dem Gewehr zu kämpfen.

Man muss Vorstellungen haben und eben diese Vorstellungen anderen übermitteln, um die Zukunft vorzubereiten. Ich kann mit dem einfachen Bauern zusammen kämpfen, aber er versteht sehr wenig von der Lage. Ich muss ihm eine Erklärung geben. Ich muss sagen: „Du hast recht, dass du gegen Franco kämpfst. Wir müssen die Faschisten ausrotten, jedoch nicht, um das gleiche Spanien wie vor dem Bürgerkrieg zu haben, denn aus diesem Spanien ging Franco hervor. Wir müssen die Grundlage von Franco, die gesellschaftliche Grundlage Francos vernichten – das Gesellschaftssystem des Kapitalismus. Bist du mit meinen Vorstellungen einverstanden?" fragst du den Bauern. Er wird sagen: „Ja, das ist auch meine Überzeugung." Dann muss man das gleiche den Arbeitern erklären.

Beals: Warum würden Sie die Soldaten ausschicken, gegen Franco zu kämpfen, und sich trotzdem weigern, in die Regierung Caballeros einzutreten, um ihr in der gleichen Angelegenheit zu helfen?

Trotzki: Ich habe es erklärt. Wir haben uns kategorisch geweigert, in die Kerenski-Regierung hineinzugehen, aber die Bolschewiki waren die besten Kämpfer gegen Kornilow. Nicht nur das, die besten Soldaten und Matrosen waren Bolschewiki. Während des Aufstands von Kornilow musste Kerenski zu den Matrosen der Baltischen Flotte gehen und sie bitten, den Winterpalast zu verteidigen. Ich war damals im Gefängnis. Sie hielten ihn unter Aufsicht und schickten eine Delegation zu mir, um zu fragen, was zu tun sei: sollte man Kerenski verhaften oder ihn verteidigen? Das ist eine historische Tatsache. Ich sagte: „Jawohl, Ihr müsst ihn jetzt sehr gut beaufsichtigen; morgen werden wir ihn verhaften." (Lachen).

Goldman: Sind Sie fertig?

Beals: Jawohl.

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