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Leo Trotzki 19310901 Weiteres über Sowjets und das ,,Balkanisierungs"-Argument

Leo Trotzki: Weiteres über Sowjets und das ,,Balkanisierungs"-Argument

1. September 1931

[auf Englisch veröffentlicht in The Militant vom 19. Dezember 1931. Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 146-150]

Ich habe ihren Brief vom 25. August erhalten. Sie stellen sich die Frage: sollen wir die Arbeiter auffordern, der Partei oder der Föderation beizutreten? Die lokalen Bedingungen sprechen zugunsten der Föderation. Die allgemeinen spanischen Bedingungen sprechen zugunsten der Partei.

Vom taktischen Gesichtspunkt her, d.h. vom Gesichtspunkt der Kräfteverhältnisse zum augenblicklichen Zeitpunkt ist es schwer, dieses Problem zu lösen. Es scheint mir jedoch, dass unsere prinzipielle Position tatsächlich von entscheidender Bedeutung ist: wir behaupten, wir seien eine Fraktion der Partei, eine Fraktion der Komintern. Der Hauptkampf gegen uns wird in dem Sinne geführt, wir seien „Feinde" der UdSSR und der Komintern. Selbst Maurín lebt von den Brosamen, die von dieser Tafel fallen.

Wenn wir die Arbeiter auffordern, der Föderation beizutreten, kompromittieren wir uns in Spanien und international. Und wird in Katalonien unser Gewicht denn überhaupt größer? Betrachten wir die gegenwärtigen Resultate unserer Zusammenarbeit mit der Föderation, dann stellen wir fest, dass sie uns mehr Schaden als Nutzen bringt. Die gesamte Presse der Komintern, und vor allem die Prawda, hat uns für Mauríns opportunistische Verworrenheit verantwortlich gemacht. Genosse Mills Artikel in La Vérité haben ebenfalls erheblich dazu beigetragen. Trotz dieser Zusammenarbeit sind wir gezwungen worden, mit der Föderation zu brechen, und wir haben sie fast mit leeren Händen verlassen. Mit anderen Worten: die Erfahrung der Zusammenarbeit mit der Föderation hat uns in Spanien insgesamt wie auch international geschwächt, ohne uns irgendwie in Katalonien zu helfen.

Es ist an der Zeit, eine Bilanz zu ziehen. Meiner Meinung nach sollten wir eine schroffe politische Wendung machen, um zu vermeiden, noch länger mit Maurín in einen Topf geworfen zu werden – eine Verwirrung, die zu seinem Vorteil und zu unserem Nachteil ausgeschlagen ist.

Das richtigste Vorgehen bestünde in der Aufforderung an die Arbeiter, der Linken Kommunistischen Fraktion beizutreten, sie aufzubauen und die Aufnahme in die Partei zu fordern. Aber eine solche Politik erfordert ein offizielles und sei es ein noch so kleines Zentrum der Linken Opposition in Katalonien. Wenn ihr euch daran erinnert, habe ich darauf seit dem ersten Tage eurer Ankunft in Barcelona bestanden, aber leider ohne Erfolg. Selbst jetzt sehe ich keinen anderen Weg …

Maurín hat die Losung ausgegeben: „Alle Macht dem Proletariat." Ihr habt meiner Meinung nach ganz recht, wenn ihr ausführt, er benutze diese Art Losungen, um eine Brücke zu den Syndikalisten zu schlagen und stärker zu erscheinen, als er wirklich ist. Leider ist die Jagd nach Ansehen in der Politik weit verbreitet und für eine revolutionäre Politik absolut verhängnisvoll.

Ich frage mich manchmal, warum es in Spanien keine Sowjets gibt? Woran liegt das?

Über die Losung der Sowjets

In einem früheren Brief äußerte ich einige Vorstellungen in dieser Beziehung. Ich habe sie sehr viel ausführlicher in einem Artikel über Arbeiterkontrolle in Deutschland entwickelt, den ich euch zuschickte. Es scheint so, dass die Losung von „Juntas" in den Köpfen der spanischen Arbeiter mit der Losung der Sowjets verbunden wird; und aus diesem Grunde erscheint sie ihnen zu scharf, zu entschieden, zu „russisch". Offensichtlich sehen sie sie in einem anderen Licht als die russischen Arbeiter in einem vergleichbaren Zeitpunkt. Befinden wir uns hier nicht einem historischen Paradox gegenüber, dass nämlich die Existenz von Sowjets in der UdSSR die Wirkung hat, die Schaffung von Sowjets in anderen revolutionären Ländern zu unterbinden?

Diese Frage erfordert die äußerste Aufmerksamkeit, wenn man sich mit Arbeitern in verschiedenen Teilen des Landes unterhält. Sollte die Losung von Sowjets (Juntas) jetzt keinen Widerhall finden, dann müssten wir uns auf jeden Fall auf die Losung von Fabrikkomitees konzentrieren. Dieses Thema habe ich in dem oben erwähnten Artikel über Arbeiterkontrolle behandelt. Auf der Grundlage von Fabrikkomitees können wir die Organisierung von Sowjets entwickeln, ohne sie beim Namen zu nennen.

Arbeiterkontrolle

In der Frage der Arbeiterkontrolle seid ihr meiner Meinung nach völlig im Recht; der Verzicht auf Arbeiterkontrolle bloß deswegen, weil die Reformisten – in Worten – dafür sind, wäre eine Riesendummheit. Im Gegenteil, gerade aus diesem Grunde sollten wir diese Parole umso eifriger aufgreifen und die reformistischen Arbeiter zwingen, sie durch eine Einheitsfront mit uns in die Praxis umzusetzen, und sie auf der Grundlage dieser Erfahrung in einen Gegensatz zu Caballero und anderen Betrügern hineintreiben.

Es gelang uns nur deswegen, in Russland Sowjets zu schaffen, weil die Forderung nach ihnen nicht von uns allein, sondern auch von den Menschewiki und den Sozialrevolutionären erhoben wurde, obwohl sie natürlich andere Ziele verfolgten. Wir können in Spanien keine Sowjets zustande bringen, eben weil weder die Sozialdemokraten noch die Syndikalisten Sowjets haben wollen. Das bedeutet, dass die Einheitsfront und die organisatorische Einheit mit der Mehrheit der Arbeiterklasse nicht mit dieser Losung hergestellt werden kann.

Aber nun ist Caballero unter dem Druck der Massen gezwungen, die Losung der Arbeiterkontrolle aufzunehmen; damit öffnet er die Tore weit für eine Einheitsfrontpolitik und die Schaffung einer Organisation, die die Mehrheit der Arbeiterklasse umfasst. Da müssen wir mit beiden Händen zugreifen. Natürlich wird Caballero versuchen, die Arbeiterkontrolle in die Kontrolle der Kapitalisten über die Arbeiter umzuwandeln. Aber diese Frage berührt bereits eine andere, nämlich die des Kräfteverhältnisses innerhalb der Arbeiterklasse. Wenn es uns gelingt, Fabrikkomitees im ganzen Lande aufzubauen, dann werden die Herren Caballero und Genossen in dieser revolutionären Epoche, in der wir leben, die entscheidende Schlacht verloren haben.

Die separatistische Bewegung und die iberische Sowjetföderation

Ihr beschreibt, wie man dem Madrider Liberalismus unabsichtlich mit der Erklärung hilft, die Balkanisierung der Iberischen Halbinsel sei mit den Zielen des Proletariats unvereinbar, wenn man zu dieser Erklärung keine weiteren Ausführungen macht. Ihr habt völlig recht. Wenn ich das in meinem vorangegangenen Brief („Die nationale Frage in Katalonien") nicht genügend betont habe, so bin ich bereit, das sofort ganz gründlich nachzuholen.

Der Vergleich zwischen den beiden Halbinseln muss tatsächlich weiter durchgeführt werden. Es gab eine Zeit, als die Balkan-Halbinsel unter der Herrschaft des türkischen Adels, der Militärs und der Statthalter geeint war. Die unterdrückte Bevölkerung sehnte sich danach, ihre Unterdrückung abzuschütteln. Hätten wir unsere Opposition zur Aufteilung der Halbinsel diesen Bestrebungen der Bevölkerung entgegengestellt, dann würden wir als Lakaien der türkischen Paschas und Beis gehandelt haben. Wir wissen jedoch zum anderen, dass die vom türkischen Joch befreiten Balkanvölker sich jahrzehntelang in den Haaren gelegen haben. Auch hierbei kann die proletarische Avantgarde den Gesichtspunkt der permanenten Revolution anwenden: eine Befreiung vom imperialistischen Joch, die das wichtigste Element der demokratischen Revolution darstellt, führt unmittelbar zur Föderation der Sowjetrepubliken als der Staatsform der proletarischen Revolution. Leisten wir der demokratischen Revolution keinen Widerstand, sondern unterstützen wir sie im Gegenteil völlig, selbst in der Form der Abtrennung (d.h. unterstützen wir den Kampf, aber nicht die Illusionen), dann bringen wir zur gleichen Zeit unsere eigene selbständige Position in die demokratische Revolution hinein, wobei wir die Vorstellung von der Sowjetföderation der Iberischen Halbinsel als ein Bestandteil der Vereinigten Staaten Europas empfehlen, anraten und ermutigen. Nur in dieser Form ist meine Konzeption vollständig. Selbstverständlich sollten die Madrider Genossen und die spanischen Genossen im Allgemeinen das Argument der Balkanisierung besonders sorgfältig benutzen.

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