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Leo Trotzki 19220728 An den Genossen Treint

Leo Trotzki: An den Genossen Treint

[eigene Übersetzung nach The first five years of the Communist International, Band 2, London 1974, S. 152-155]

Lieber Genosse Treint,

Ich bin Ihnen sehr verpflichtet für Ihren äußerst interessanten Brief, der insgesamt die Information bestätigt, die wir hier sowohl aus unserer französischen Presse als auch aus Briefen und Interviews erhalten haben. Wir haben bisher in Frankreich noch nicht alle Schwierigkeiten bei der Aufgabe des Schmiedens der revolutionären proletarischen Partei überwunden. Der Sieg in Tours kam zu leicht. Die Geschichte fordert jetzt vom Kommunismus, dass er diesen allgemeinen Sieg rechtfertigt und im Leben durch eine Reihe von Teilsiegen verwirklicht. Das führt zu einem Kampf innerhalb unserer eigenen Partei. Der Kampf erfordert eine gewisse Verausgabung von Kräften, eine gewisse Verlagerung von Aufmerksamkeit von den äußeren Feinden auf die inneren Hindernisse und führt zu einer Verschlechterung in den persönlichen Beziehungen und so weiter. All dies ist im Allgemeinen ziemlich unerfreulich; und wenn all dies außerhalb von Raum und Zeit betrachtet wird, dann kann es einen Vorwand für bitteres Gejammer über innere Parteikämpfe und dergleichen geben. Es ist aber traurig zu sagen, dass es keinen anderen und ökonomischeren Weg gibt, wie sich eine revolutionäre Partei entwickelt, besonders in Frankreich. Gefühle drücken sich manchmal dahin aus, dass die Partei gereinigt und auf der Grundlage der Massenaktion regeneriert werden sollte und dann der Reinigungsprozess weniger schmerzhaft wäre. In so allgemeiner Form ist diese Idee richtig. Aber sie ist viel zu allgemein und kann daher eine Quelle falscher Schlussfolgerungen werden. Der französische Kommunismus kann als wirklich revolutionäre Partei nur auf der Grundlage von Massenaktionen stärker werden. Aber auf der anderen Seit liefert der gegenwärtige Zustand der Partei (miteinander im Konflikt stehende Strömungen, Mangel an Führung, unbestimmter Charakter der Presse) das schlimmstmögliche Hindernis, dass sie Massenaktivitäten macht. In dieser Verbindung beziehe ich mich nicht einmal darauf, wie schädlich die Haltung der Partei zur Frage der Einheitsfront ist. Mit anderen Worten gibt es keine mechanische, sondern eine dialektische Verbindung zwischen Massenaktivitäten und dem gegenwärtigen Bedingungen der Partei. Die eine wird durch die andere behindert oder erleichtert. Gerade um Aktionen einzuleiten braucht die Partei ein gewisses Minimum an Einheit des Bewusstseins und Einheit des Willens. Um diese innere Einheit zu sichern, ist eine Verausgabung von Energie und zwar eine sehr beträchtliche Verausgabung notwendig. Diese Verausgabung von Energie, die von einem oberflächlichen Standpunkt als eine Verschwendung erscheinen mag, wird sich beim ersten ernsthaften Test der Partei in der Massenaktion völlig bezahlt machen. Umgekehrt wird eine Teilnahme dieser Art durch die Partei, die einiger als jetzt ist, weiter ihre Einheit und Dynamik fördern. Deshalb verfolgen wir den inneren Kampf in der französischen Partei ohne unangemessene Besorgnis. Im Gegenteil beweist der Kampf die gesunde Reaktion der Partei auf die Bazillen des Zentrismus, Pazifismus, journalistischen Individualismus, Anarchosyndikalismus und so weiter. Le vin est tiré, il faut boire. (Der Wein ist geöffnet, man muss ihn trinken.) Der Kampf muss bis zum Ende geführt werden. Er wird um so schmerzloser stattfinden, je mehr Unnachgiebigkeit die revolutionären Elemente der Partei, das heißt die unbestrittene Mehrheit, gegenüber individualistischem Journalismus und parlamentarischem Rednertum zeigen, dessen Betreiber sich im revolutionären Geist entweder nicht umschulen wollen oder können, ebenso wenig wie sie sich der Disziplin einer Kampfpartei unterwerfen.

Die Ergebnisse des Kongresses [der CGTU] von Saint Etienne stellen zweifellos einen Schritt vorwärts dar. Es würde aber zu nichts führen, wenn nicht sofort der zweite und dritte Schritt folgen würden. Straflosigkeit für anarchosyndikalistische Neigungen unter dem Banner des Kommunismus war und bleibt die größte Gefahr. So lange Pseudokommunismus dem Einfluss des Kommunismus in den Gewerkschaften entgegenwirkt und nicht automatisch aus der Partei ausgeschlossen wird, wird sie unfähig bleiben, richtige Beziehungen zu den Gewerkschaften zu entwickeln. In diesem Zusammenhang würde ich gern ein paar Worte über den völlig falschen Eindruck sagen, unter dem manche französischen Genossen leiden, anscheinend wegen einer unrichtigen Darstellung durch den Genossen Frossard über meine Haltung gegenüber Monmousseaus Gruppe und ihren Resolutionen. Ein Eindruck kann aufgekommen sein, dass ich vorschlage der Vie-Ouvrière-Gruppe den Krieg zu erklären. Das ist völlig falsch. Was ich zusammen mit allen anderen Mitgliedern des EKKI forderte, war, dass die Kommunisten sich selbst gemäß den Anweisungen der Kommunistischen Partei verhalten. Wenn die Partei entscheidet, für die vorbehaltlose Zugehörigkeit zur Profintern (Rote Gewerkschaftsinternationale, RGI) zu stimmen, dann muss jeder Kommunist, der gegen so eine Resolution (und meinetwegen für Monmousseau) stimmt, aus der Partei ausgeschlossen werden. Die ganze Frage ist: ist es in der gegenwärtigen Parteisituation möglich eine bindende Entscheidung für eine Abstimmung zugunsten der Zugehörigkeit (zur RGI) ohne Vorbehalte anzunehmen. Der Genosse Frossard hat kategorisch erklärt, dass das Kräfteverhältnis so ist, dass es die Annahme dieser Entscheidung durch die Partei ausschließt. In jenem Fall bleibt nur ein Block mit der Monmousseau-Gruppe. Aber hier können die Kommunisten wieder nur durch die Entscheidung der Partei für die Resolution von Monmousseau stimmen. Auch in diesem Fall müssen sie sich der Disziplin ihrer eigenen Partei und nicht der der Monmousseau-Fraktion unterwerfen. Sonst droht ihnen der Ausschluss. Gleichzeitig betonte ich stark, dass es für uns entscheidend war, Hand in Hand mit Monmousseaus Gruppe zu gehen, die sehr kostbare Elemente der französischen Arbeiterbewegung darstellt. Darin gibt es natürlich keinen Widerspruch. Wir können und sollten Monatte und Monmousseau und ihre Gesinnungsgenossen respektieren und auf alle Kosten versuchen, zu einer Vereinbarung mit ihnen zu kommen, während wir gleichzeitig aus der Partei solche Kommunisten ausschließen, die die Disziplin von Monmousseaus Fraktion über die Parteidisziplin stellen.

Sie fragen nach meiner Meinung, wie ich mir hier die Koalition zwischen den Linken und allen revolutionären Elementen des Zentrums vorstelle; und wie wir uns den bestehenden linken Flügel vorstellen. Man muss von den Tatsachen ausgehen. Die Linke, das Zentrum und die Rechten bestehen als Tendenzen hin zu persönlichen Gruppierungen, und in gewissem Ausmaß und unter gewissen Bedingungen droht jede zu einer abgeschlossenen Fraktion zu werden. Unter den Bedingungen des inneren Parteikampfes wäre es höchst philisterhaft, von Gesinnungsgenossen zu verlangen, dass sie sich nicht treffen, miteinander beraten und ihre Verhaltenslinie diskutieren. Natürlich gilt dies auch für die Linke, weil die Linken, die versuchen, die Resolution der Internationale zu verteidigen, keinerlei Grund haben sich die allen andere Gruppen zur Verfügung stehenden Kampfmittel zu rauben. Aber es scheint mir, dass die folgenden Bedingungen beachtet werden sollten: 1. Unter keinen Umständen sollte sich die Linke als organisierte Fraktion gründen, das heißt sie sollte die Idee einer Spaltung kategorisch zurückweisen. 2. Die Linke strebt eifrig danach, alle revolutionären Elemente des Zentrums näher an sich zu ziehen, ohne wegen einzelnen Misserfolgen zu verzweifeln, und verteidigt die ganze Zeit „die Einheitsfront” zwischen dem Zentrum und der Linken gegen alle antikommunistischen Elemente und Gruppen innerhalb der Partei. 3. Die Linke stellt eine richtige Perspektive bezüglich der verschiedenen Abweichungen innerhalb er Partei auf und setzt sich das Ziel, das Zentrum zu überzeugen, diese Einschätzung und Perspektive zu akzeptieren.

Was die Einschätzung und Perspektiven des inneren Parteikampfes betrifft, scheinen sie mir die folgenden zu sein: (a) Es gibt reformistische und pazifistische Elemente, Anhänger des „Linksblocks”, Nationalisten, parlamentarische und journalistische Individualisten; wir müssen mit diesen intellektuellen Gruppen schonungslos abrechnen und diese eiternden Wunden aus Winkeladvokaten und parlamentarischen Individualisten innerhalb der Kommunistischen Partei ein für alle Mal mit weißglühendem Eisen ausbrennen und dadurch das Vertrauen von revolutionären Arbeiter in den Partei gewinnen. (b) Es gibt syndikalistische Elemente, das heißt Arbeiter, die zur Kommunistischen Partei gehören, aber gleichzeitig der Tendenz von Monatte und Monmousseau folgen, die auf Misstrauen in den revolutionären Geist und das proletarische Wesen der Partei beruht; hier ist ein geduldiger und hartnäckiger ideologischer Kampf gegen antikommunistischen Strömungen mit dem Ziel notwendig, alle gesunden Elemente für die Kommunistische Partei zu gewinnen, das heißt die überwältigende Mehrheit dieser Gruppe. (c) Es gibt föderalistische Elemente, die extremen Linken und andere; die Basis dieser Gruppen ist fraglos revolutionär, viele ihrer Verwirrungen und Fehler entspringen Jugend und Unerfahrenheit; hier ist eine ruhige, solidarische und teilweise sogar pädagogische Herangehensweise erforderlich. (d) Es gibt (wie Sie es nennen) den sogenannten Paysanismus (Bauern-ismus): wenn die Partei dieser Tendenz die Entwicklung zu ihrer logischen Folgerung erlaubte, würde sie zweifellos zur Bildung einer Fraktion im Geiste unserer Sozialrevolutionäre führen; hier ist Kritik völlig unverzichtbar, aber natürlich sollte jede Anstrengung unternommen werden, dass nicht so wertvolle und vielversprechende Kommunisten wie Renaud Jean in das Lager der Rechten gestoßen werden, von denen Renaud Jean durch seien revolutionären Geist weit entfernt ist.

Erlauben Sie mir, lieber Genosse, meinen Brief mit der obigen Notiz zu beenden.

Ich schicke eine Kopie an den Genossen Frossard.

Ihr ergebener

L. Trotzki

Moskau, 28. Juli 1922

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