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Leo Trotzki 19220913 An den Parteitag der französischen Kommunistischen Partei

Leo Trotzki: An den Parteitag der französischen Kommunistischen Partei

[Eigene Übersetzung nach The first five years of the Communist International, Band 2, London 1974, S. 162-180]

Liebe Genossen,

der kommende Parteitag der französischen Kommunistischen Partei ist von außerordentlicher Bedeutung. Nach einem Jahr tiefgreifender innerer Krise, die den Willen der Partei lähmte, muss der Parteitag helfen, auf der breiten Straße der revolutionären Aktion zu landen. Damit der Parteitag diese Aufgabe erfolgreich erfüllt ist es notwendig, dass die ganze Partei den Weg kritisch überprüft, der durchlaufen wurde, eine klare Vorstellung der Gründe für die schweren inneren Krankheiten erlangt, die zu politischer Passivität führte und auf der Konferenz mit fester Hand alle notwendigen Maßnahmen anwendet, um die Gesundheit der Partei wiederherzustellen und sie zu verjüngen. Dieser Brief soll der öffentlichen Meinung der französischen Partei helfen, diese Aufgabe zu lösen

1. Allgemeine Ursachen der Parteikrise

Der offizielle französische Sozialismus und der offizielle französische Syndikalismus bewiesen im Verlauf des imperialistischen Krieges, dass sie völlig von demokratischer und patriotischer Ideologie vergiftet waren. Die Spalten der Humanité und aller anderen Partei- und Gewerkschaftspublikationen pflegten tagaus tagein zu predigen, dass dies ein Krieg zur Beendigung aller Kriege sei, dass dies ein gerechter Krieg sei, dass die Entente, an deren Spitze Frankreich stand, die höchsten Interessen der Zivilisation vertrete, dass der Sieg der Entente einen demokratischen Frieden, Entwaffnung, soziale Gerechtigkeit und so weiter bringen werde. Später fanden diesen Phantasien, die vom Chauvinismus vergiftet waren, ihre faule und abstoßende Wirklichkeit im Versailler Frieden und der offizielle französische Sozialismus kam in einer Sackgasse an. Sein innerer Betrug wurde krass und unwiderleglich bloßgelegt. Die Massen wurden ideologisch alarmiert, die führenden Parteikreise verloren ihr Gleichgewicht und Selbstvertrauen. Dies waren die Umstände, unter denen die Partei ihre Umwandlung auf dem Parteikongress von Tours durchmachte und der Kommunistischen Internationale beitrat. Natürlich wurden die Ergebnisse dieses Parteitags durch die unermüdliche und heroische Arbeit des Komitees für die Dritte Internationale vorbereitet. Trotzdem erstaunte das Tempo, mit dem diese Ergebnisse erreicht wurden, damals das ganze internationale Proletariat. Die überwältigende Mehrheit der Partei zusammen mit ihren wichtigsten Publikationen einschließlich der Humanité wurden in die französische Sektion der Kommunistischen Internationale verwandelt. Die am meisten diskreditierten Elemente, alle, deren Interessen und Gedanken an die bürgerliche Gesellschaft gebunden waren, spalteten sich von der Partei ab. Die schnelle Umwandlung der Sozialistischen Partei in die Kommunistische Partei, die sich aus dem krassen Widerspruch zwischen der Ideologie des demokratischen Patriotismus und der Wirklichkeit von Versailles ergab, brachte unvermeidlich auch negative Folgen mit sich. Die Partei erholte sich von ihrer Vergangenheit, aber dies bedeutete überhaupt nicht, dass sie in einer so kurzen Zeitspanne die theoretischen Prinzipien des Kommunismus und der proletarischen Methoden der revolutionären Politik kritisch untersucht und sich angeeignet hätte.

Zusätzlich hat die revolutionäre Bewegung in Europa während der letzten zwei Jahre einen mehr schrittweisen und langgezogenen Charakter angenommen. Die bürgerliche Gesellschaft erlangte den Schein eines neuen Gleichgewichts. Auf diesem Boden gab es innerhalb der Kommunistischen Partei eine Wiederbelebung der alten Vorurteile des Reformismus, Pazifismus und Demokratismus, die die Partei in Tours formell zurückgewiesen hatte. Daher der unvermeidliche innere Kampf, der zu eine tiefen Parteikrise geführt hat.

Nach Tours trat eine beträchtliche Zahl revolutionärer Syndikalisten der Partei bei. An und für sich ist das eine sehr wertvolle Entwicklung. Aber gerade weil es einen völligen Mangel an Klarheit in unserer Partei in der Frage der Beziehungen zwischen der Partei und den Gewerkschaften gibt, verstärkte die syndikalistische Sicht, die fordert, dass sich die Partei nicht in die Gewerkschaftsbewegung „einmischt”, tendenziell die völlig falsche Idee, dass Partei und Gewerkschaften zwei völlig unabhängige Mächte darstellen, deren einziges Band bestenfalls das wechselseitiger und wohlwollender Neutralität ist. Mit anderen Worten waren es nicht die revolutionären Syndikalisten, die im Feuer der Partei umgeschmiedet wurden, sondern sie drückten im Gegenteil der Partei ihren Stempel des Anarchosyndikalismus auf und vergrößerten dadurch das ideologische Chaos weiter.

Man kann so sagen, dass der Parteitag von Tours nur grob den allgemeinen Rahmen skizziert, in dem der schwierige Prozess der Regeneration der Partei aus einer demokratischen sozialistischen Partei in eine Kommunistische Partei bis zum heutigen Tag stattfindet.

2. Innere Parteigruppierungen

Der offensichtlichste und akuteste Ausdruck der Krise liegt im Kampf der Tendenzen innerhalb der Partei. Diese Tendenzen zählen vier, wenn man sie auf ihre Grundgruppen zurückführt:

(a) Der rechte Flügel: die Wiederbelebung und Festigung des rechten Flügels innerhalb der Kommunistischen Partei hat entlang der Linie des geringsten Widerstandes stattgefunden, das heißt entlang der Linie des Pazifismus, der immer auf einen oberflächlichen Erfolg in einem Land mit solchen Traditionen wie in Frankreich zählen kann, besonders nach einem imperialistischen Krieg. Humanitärer und tränenreicher Pazifismus, der nichts Revolutionäres enthält, liefert den passendsten Deckmantel für alle anderen Ansichten und Sympathien im Geiste des Reformismus und Zentrismus. Der rechte Flügel der Partei begann Selbstvertrauen und Kühnheit in dem selben Maße zu erlangen in dem der langgezogene Charakter der proletarischen Revolution sichtbarer wurde; in dem die europäische Bourgeoisie nach dem Krieg immer mehr Macht über den Staatsapparat bekam; in dem die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Sowjetrepublik sich zu vervielfachen begannen. Die rechten Elemente wussten und fühlten, dass sie sich nur Einfluss sichern konnten, wenn das Bewusstsein der Partei formlos und verworren blieb. Aus diesem Grund führten sie einen immer bittereren Kampf gegen die Forderungen nach Klarheit und Genauigkeit in den Ideen und der Organisation der Partei, ohne immer kühn genug zu sein, den Kommunismus offen anzugreifen. Unter der Parole der „Meinungsfreiheit” haben sie die Freiheit der kleinbürgerlichen Intellektuellen, Anwälte und Journalistengrüppchen verteidigt, Verwirrung und Chaos in die Partei zu tragen und dadurch ihre Handlungsfähigkeit zu lähmen. Alle Verletzer der Parteidisziplin stießen auf Sympathie im rechten Flügel, der nie versagt, jedes Mal einmaligen Mut zu entwickeln, wenn ein Abgeordneter oder Journalist das Programm, die Taktik und Statuten der proletarischen Partei mit Füßen tritt. Mit der Parole der nationalen Autonomie haben sie einen Kampf gegen die Kommunistische Internationale geführt. Statt für diesen oder jenen Gesichtspunkt innerhalb der Internationale zu kämpfen, der sie formell beigetreten waren, haben die Rechten sogar das Recht der Internationale in Frage gestellt, sich in das innere Leben der verschiedenen Parteien „einzumischen”. Sie sind weitergegangen. Indem sie die Internationale mit Moskau identifiziert haben, begannen sie gegenüber den französischen Arbeitern in verdeckter und dadurch um so verderblicherer Weise anzudeuten, dass diese und jene Entscheidungen der Kommunistischen Internationale nicht von den Interessen der Weltrevolution, sondern durch die opportunistischen Staatsinteressen Sowjetrusslands diktiert seien. Wenn dies tatsächlich der Fall wäre oder wenn der rechte Flügel das ernsthaft glaubte, wäre er verpflichtet, einen unversöhnlichen Kampf gegen die russischen Kommunisten zu führen, sie als Verräter an der weltkommunistischen Sache zu brandmarken und die russischen Arbeiter aufzufordern, so eine Partei zu stürzen. Aber die Rechten träumten nicht einmal davon, diesen Weg einzuschlagen, der der einzige konsequente und prinzipienfeste ist. Sie haben sich auf Andeutungen und Verdächtigungen beschränkt und versucht, sich auf die nationalistischen Gefühle gewisser Teile der Partei und der Arbeiterklasse zu stützen. Dieser Flirt mit Pseudodemokratismus („Meinungsfreiheit”) und mit Nationalismus (Paris gegen Moskau) wurde durch Gejammer über die Spaltung mit den Dissidenten ergänzt und mit Tests für eine Vorbereitung der Politik eines „Linksblocks”. So ist der rechte Flügel seinem ganzen Geist nach dem Kommunismus und der proletarischen Revolution feindlich. Das elementare Erfordernis der Selbsterhaltung der Partei ist die Reinigung ihrer Reihen von Strömungen dieser Art und den Personen, die Vermittler dieser Strömungen sind. Es ist selbstverständlich, dass die Parteimitglieder, die ihre Zugehörigkeit zum rechten Flügel nach dem Parteikongress von Tours offen bekanntgemacht haben, keine verantwortlichen Posten in der Kommunistischen Partei einnehmen können. Dies ist die erste und völlig klare Bedingung für die Überwindung der inneren Krise.

(b) „Der linksextreme Flügel”: An der entgegengesetzten Flanke der Partei beobachten wir die sogenannte extreme Linke, die unter fiktivem Wortradikalismus nicht selten Seite an Seite mit revolutionärer Ungeduld – rein opportunistische Vorurteile in taktischen und organisatorischen Fragen der Arbeiterklasse hervorschauen lässt. Lokalborniertheit, Autonomie und Föderalismus, die mit den revolutionären Bedürfnissen der Arbeiterklasse völlig unvereinbar sind, finden bei den sogenannten extremen Linken ihre Parteigänger. Von hier sind auch gelegentlich Appelle für pseudorevolutionäre Aktionen gekommen, die offensichtlich nicht mit der bestehenden Lage übereinstimmten und mit der realistischen Politik des Kommunismus nicht übereinstimmten. Unter der Mehrheit der extremen Linken gibt es ausgezeichnetes revolutionäres Material, wie sich in der Erfahrung des letzten Jahres und besonders durch die Erfahrung der Seine-Föderation gezeigt hat. Unter einer richtigen und festen Parteiführung befreit sich diese Mehrheit von den pseudorevolutionären Vorurteilen zugunsten wirklich kommunistischer Politik. Aber zweifellos gibt es innerhalb dieses Flügels isolierte Vertreter des anarchoreformistischen Typs, die immer scharf auf einen Block mit den Rechten gegen kommunistische Politik sind. Eine wachsame und strikte Kontrolle über die künftige Tätigkeit dieser Elemente ist eine unverzichtbare Ergänzung der pädagogischen Arbeit in den Parteikreisen, deren Unerfahrenheit von den Anarchosyndikalisten des „extrem” linken Flügels ausgebeutet wird.

(c) Die linke Tendenz: Ideologisch und weitgehend bezüglich der persönlichen Zusammensetzung stellt die linke Tendenz die Fortsetzung und Entwicklung des Komitees für die Dritte Internationale dar. Die linke Tendenz hat zweifellos jeden Versuch unternommen, die Parteipolitik nicht nur in Worten, sondern auch in Taten in Übereinstimmung mit den Prinzipien der kommunistischen Internationale zu bringen. Es gab ein gewisses Wiederaufleben der Tätigkeit der linken Gruppe wegen der Festigung des rechten Flügels und dessen aggressiver Politik gegen kommunistische Prinzipien, Politik und Disziplin. Das EKKI, das seinerzeit das Komitee für die Dritte Internationale zum Wohle der Parteieinheit aufgelöst hatte, ergriff alle notwendigen Maßnahmen, um ein Wiederentstehen einer fraktionellen Lage zu vermeiden, eine Gefahr, die vollkommen klar wurde von dem Augenblick an, wo der rechte Flügel wegen dem Fehlen des notwendigen Widerstandes kühn genug wurde, um auf den Ideen des Kommunismus und auf den Statuten der Partei und der Internationale herum zu trampeln. Das EKKI sah und sieht in der Tätigkeit der linken Strömung (La Gauche) kein Anzeichen, dass die Linken versuchten, eine abgeschlossene Fraktion zu bilden. Im Gegenteil hält die linke Tendenz in völliger Harmonie mit den Entscheidungen und Anweisungen des EKKI die Notwendigkeit völliger Parteieinheit und der Verschmelzung aller aufrichtigen kommunistischen Elemente bei der Säuberung der Partei von den störenden und zersetzenden Überbleibseln der Vergangenheit aufrecht.

(d) Die breiteste und am wenigsten bestimmte Gruppe stellt das Zentrum das, das am klarsten die Entwicklung der französischen Partei widerspiegelt, wie sie zu Beginn des Briefes charakterisiert wurde. Der schnelle Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus unter dem Druck der revolutionären Stimmungen an der Basis hat dazu geführt, zahlreiche Elemente in den Rahmen der Partei zu bringen, die sich sehr ehrlich gegenüber dem kommunistischen Banner verhalten, die aber keineswegs ihre demokratisch-parlamentarische und syndikalistische Vergangenheit beseitigt haben. Viele Vertreter des Zentrums glauben ziemlich aufrichtig, dass eine Zurückweisung der diskreditiertesten Formeln des Parlamentarismus und Nationalismus für sich genommen ausreiche, um die Partei in eine Kommunistische Partei zu verwandeln. In ihren Augen wurde die Frage durch das formelle Akzeptieren der 21 Bedingungen in Tours geklärt. Sie sind sich nicht ausreichend klar über die tiefgreifende innere Regeneration, die der Partei noch bevorsteht, bevor sie die Führerin der proletarischen Revolution in der Hauptfestung der kapitalistischen Reaktion werden kann, und sie glauben, dass der Parteitag von Tours schon die Hauptschwierigkeiten gelöst hat. Daher runzelten die Vertreter des Zentrums die Stirn, wenn taktische und organisatorische Fragen in der Partei aufgeworfen wurden und neigten dazu, Prinzipienkonflikte als persönliche Streitigkeiten und Zirkelwesen abzutun. Der ideologisch unbedeutende und diskreditierte rechte Flügel konnte sein Haupt nur erheben, weil das Zentrum, das die Partei führte, ihm nicht sofort entgegenwirkte. Das Zentrum war zwischen den mehr oder weniger herauskristallisierten rechten und linken Gruppen eingeklemmt und hatte dadurch keinerlei unabhängiges politisches Gesicht. Versuche von verschiedenen Vertretern des Zentrums wie dem Genossen Daniel Renoult, eine unabhängige Plattform zu schaffen, führten in der Praxis dazu, dass er in ein paar Fragen mit den Rechten übereinstimmte und in anderen mit den extremen Linken und dadurch nur die ideologische Verwirrung vergrößerte. Es ist kein Zweifel, dass manche Vertreter des Zentrums ganz nach rechts neigen und ein Hindernis für das Parteiwachstum bleiben. Aber die Aufgabe der Mehrheit der führenden Elemente des Zentrums – und wir hoffen, dass sie diese Aufgabe erfüllen werden – besteht darin, voll und ganz auf der Grundlage der Entscheidungen der Kommunistischen Internationale zu stehen und die Partei Schulter an Schulter mit der linken Tendenz von all jenen Elementen zu säubern, die in der politischen Praxis gezeigt haben, dass sie nicht in die kommunistischen Reihen gehören, um auf diese Weise die Parteidisziplin zu stärken und die Partei in ein zuverlässiges Werkzeug für revolutionäre Aktion zu verwandeln.

Seite an Seite mit den Vertretern der Linken, die ihre Loyalität zur Sache der proletarischen Revolution in den schwierigsten Tagen gezeigt haben müssen in das Zentralkomitee der Partei die Vertreter des Zentrums eintreten, die eine wirkliche Bereitschaft gezeigt haben, eine neue Ära im Leben der französischen Partei einzuleiten.

3. Die Frage der Einheitsfront

Die Frage der Einheitsfront tauchte vor der Internationale in dem selben Maße auf, in dem die kommunistischen Parteien der wichtigsten Länder begannen, von der vorbereitenden ideologischen und organisatorischen Arbeit auf den Weg der Massenaktion überzugehen. Aus den obenerwähnten Gründen wurde die französische Partei von der Frage der Einheitsfront unvorbereitet erwischt. Dies kam darin zum Ausdruck, dass die Partei in dieser Frage falsche Beschlüsse fällte. Aber die Politik der Einheitsfront, die von einer einheitlichen und zentralisierten revolutionären Partei durchgeführt wird, kann und muss ungeheure Bedeutung annehmen, gerade in der französischen Arbeiterbewegung. Vor dem Krieg waren die Gesellschaftsbeziehungen in Frankreich die trägsten in ganz Europa. Die verhältnismäßige Stabilität des Wirtschaftslebens bei Vorhandensein einer zahlenmäßig großen Bauernschaft war die Quelle des Konservatismus im politischen Leben, die ihre Wirkungen auch auf die Arbeiterklasse hatte. Nirgendwo sonst gab es eine so hartnäckige Herrschaft revolutionärer und pseudorevolutionärer Sekten wie in der französischen Arbeiterbewegung. Je düsterer die Aussichten auf die soziale Revolution waren, desto mehr strebte jede Gruppe, Fraktion und Sekte danach, sich in eine selbstzufriedene, abgeschlossene Welt zu verwandeln. Manchmal kämpften diese Fraktionen miteinander um Einfluss, wie die Guesdisten und Jaurèsisten; manchmal grenzten sie ihren Einfluss ab nach dem Prinzip der Nichteinmischung, wie die Jaurèsisten und die Syndikalisten. Jede kleine Gruppe, besonders ihre Bürokratie, betrachtete ihre bloße Existenz als Selbstzweck. Dazu kamen die ständig vorhandenen karrieristischen Erwägungen: die Presse wurde für die Journalisten zum Selbstzweck; Parlamentsposten für die Abgeordneten. Diese Traditionen und Gewohnheiten, Produkte einer langen demokratischen Vergangenheit unter den Bedingungen eines konservativen Milieus bleiben bis heute sehr stark in der französischen Arbeiterbewegung.

Die Kommunistische Partei trat nicht ins Leben, um bloß als eine Fraktion des Proletariats neben den Dissidenten, den Anarchosyndikalisten und dem Rest zu bestehen, sondern vielmehr um die konservativen Gruppen und Fraktionen bis in die Grundfesten zu erschüttern; um ihre völlige Unvereinbarkeit mit den Bedürfnissen und Aufgaben der revolutionären Epoche bloßzulegen und dadurch das Proletariat anzustoßen, seiner selbst als Klasse bewusst zu werden, dessen ganze Teile sich dynamisch durch die Einheitsfront gegen die Bourgeoisie und ihren Staat vereinigen. Eine parlamentarisch-sozialistische Organisation oder Propagandasekte kann jahrzehntelang in ein und demselben Rahmen bleiben, der ihr ein paar Parlamentsposten oder ein gewisses Publikum für Broschüren sichert. Aber die Partei der sozialen Revolution ist verpflichtet, in der Aktion zu lernen, sich mit der Mehrheit der Arbeiterklasse zu verschmelzen und zu diesem Zweck jede Gelegenheit für Massenaktion zu nutzen, die sich eröffnet. Die überlebten Gruppen und Fraktionen sind daran interessiert, alle Schranken, die die Arbeiterklasse in Segmente teilen, intakt und unveränderlich zu halten. Für uns auf der anderen Seite ist es entscheidend, diese Schranken des Konservatismus niederreißen und die Arbeiterklasse zu lehren, unserem Beispiel zu folgen. Hierin liegt die ganze Bedeutung der Einheitsfrontpolitik, eine Bedeutung, die sich direkt aus dem sozialrevolutionären Wesen unserer Partei ableitet.

Von diesem Standpunkt ist alles Gerede, dass wir eine Einheitsfront mit den Massen, aber nicht mit den Führern akzeptieren sollten, reine Scholastik. Das ist, wie wenn man sagt, dass wir zustimmen, Streiks gegen die Kapitalisten zu führen, uns aber weigern, mit ihnen zu verhandeln. Es ist unmöglich Streikkämpfe zu führen, ohne in gewissen Augenblicken in Verhandlungen mit den Kapitalisten und ihren Bevollmächtigten zu treten. Es ist genauso unmöglich, die organisierten Massen zu einem vereinigten Kampf aufzufordern, ohne in Verhandlungen mit denen zu treten, die ein gewisser Teil der Massen zu ihren Bevollmächtigten gemacht hat. Was bei dieser politischen Unversöhnlichkeit klar sichtbar wird, ist politische Passivität, das Ignorieren der wichtigsten Aufgaben zu deren Wohle die Kommunistische Partei tatsächlich geschaffen wurde.

Wir halten es für notwendig, hier ein paar der Einwände gegen die Einheitsfront zu untersuchen, die kürzlich gemacht wurden, besonders durch den Genossen Daniel Renoult, und die angeblich auf der Erfahrung der Kommunistischen Internationale und ihrer verschiedenen Sektionen beruhen.

Uns wird gesagt, dass der Versuch, einen weltweiten Arbeiterkongress einzuberufen, keinen Erfolg hatte, sondern im Gegenteil nur zur Verschärfung des Kampfes geführt hat, den die Zweite und Zweieinhalbte Internationale gegen den Kommunismus führen. Ein Versuch wird gemacht, die selbe Schlussfolgerung aus der Erfahrung mit der Einheitsfrontpolitik in Deutschland zu ziehen. Was wir dort wirklich sehen, wird uns gesagt, ist nicht die Einheitsfront des Proletariats, sondern ein Zusammenschluss der Sozialdemokraten und der Unabhängigen gegen den Kommunismus.

Niemand bestreitet diese Tatsachen. Aber sie können nur als Argument gegen die Einheitsfrontpolitik verwendet werden von denen, die Hoffnungen hatten, durch die Politik der Einheitsfront eine Milderung der politischen Gegensätze zu erreichen, oder eine Bekehrung von Ebert, Scheidemann, Vandervelde, Renaudel, Blum und Longuet zu Revolutionären. Aber solche Hoffnungen können nur Opportunisten haben; und, wie wir sehen, stellt der Standpunkt des Genossen Renoult und seiner Gesinnungsfreunde nicht die Position von Revolutionären dar, sondern von in Verzweiflung geratenen Opportunisten. Unsere Aufgabe ist überhaupt nicht die Umerziehung von Scheidemann, Blum, Jouhaux & Co, sondern den Konservatismus ihrer Organisationen zu sprengen und der Aktion der Massen einen Weg zu bahnen. Letztlich kann die Kommunistische Partei daraus nur gewinnen. Unter den Massen ist der Drang nach Einheit groß. An einem bestimmten Augenblick zwang unsere Agitation sogar die Zweite und Zweieinhalbte Internationale, in Verhandlungen mit uns über einen gemeinsamen Arbeiterkongress einzutreten. Es ist absolut unbestreitbar, dass die Sozialdemokraten und Unabhängigen alles in ihrer Macht liegende taten, um die Einheitsfrontaktion zu zerschlagen und sich im Verlauf des Kampfes in dieser Frage gegen die Kommunisten einander weiter angenähert haben. In Deutschland hat dies zu Vorbereitungen für eine völlige Verschmelzung dieser beiden Parteien geführt. Nur die mit einem völligen Mangel an Verständnis dafür, wie komplex die Wege der politischen Entwicklung der Arbeiterklasse sind, können darin einen Zusammenbruch der Einheitsfrontpolitik sehen. Die Vereinigung der Unabhängigen mit den Sozialdemokraten wird es vorübergehend erscheinen lassen, als ob sie im Verhältnis zu uns stärker geworden seien. Aber in Wirklichkeit wird sich die Verschmelzung als ganz zu unserem Vorteil erweisen. Die Unabhängigen werden versuchen, die Sozialdemokraten von der Ausführung ihrer bürgerlichen Regierungsrolle zurückzuhalten; mit viel größerem Erfolg werden die Sozialdemokraten die heutigen Unabhängigen vom Spielen ihrer „Oppositions”rolle abhalten. Mit dem Verschwinden dieses formlosen Kleckses, den die Unabhängigen darstellten, wird die Kommunistische Partei vor der Arbeiterklasse als die einzige Kraft dastehen, die gegen die Bourgeoisie kämpft und die Arbeiterklasse zur Einheitsfront im Kampf auffordert. Dies muss einfach das Kräfteverhältnis zu unseren Gunsten ändern. Es ist sehr wahrscheinlich, dass bald nachdem unsere wachsende Stärke spürbar wird, die Vereinigte Sozialdemokratische Partei gezwungen sein wird, die Parole der Einheitsfront in dieser oder jener Form zu übernehmen. In dieser Lage werden die Kommunisten, die die entschlossensten Kämpfer für die Teil- und Gesamtinteressen der Arbeiterklasse sind, bei den Werktätigen nur an Ansehen gewinnen. Es folgt daher, dass als Folge dieser vorübergehenden Zusammenarbeit die Sozialdemokraten von den Kommunisten wieder und noch schärfer zurückweichen werden und einen noch giftigeren Angriff auf sie beginnen werden. Der Kampf der Kommunistischen Partei um den Einfluss auf die Arbeiterklasse geht nicht geradlinig vonstatten, sondern nach einer komplizierte Kurven machenden Linie, deren allgemeine Richtung aufwärts ist, vorausgesetzt die Kommunistische Partei selbst hat genug Geschlossenheit und Disziplin.

Der fraglose politische Erfolg der Einheitsfrontpolitik ist schon klar, wie er sich in dem Bericht der Genossin Klara Zetkin zeigt, der diesem Brief als Anhang angefügt ist.

Gewisse französische Genossen, die sogar bereit sind „im Prinzip” die Taktik der Einheitsfront zu akzeptieren, halten sie gegenwärtig für in Frankreich nicht anwendbar. Wir bekräftigen dagegen, dass in keinem anderen Land die Einheitsfrontaktion so unaufschiebbar und drängend wie in Frankreich ist. Dies wird erstens durch den Zustand der französischen Gewerkschaftsbewegung bestimmt.

Die Spaltung der französischen Gewerkschaftsorganisationen, die von Jouhaux & Co aus politischen Motiven durchgeführt wurde, ist ein Verbrechen, das nicht weniger schwer ist als das Verhalten dieser Clique während des Krieges. Jede Strömung und Lehre hat die Gelegenheit, ihre eigene Gruppierung in der Arbeiterklasse zu schaffen. Aber die Gewerkschaften sind die Grundorganisationen der Arbeiterklasse und die Einheit der Gewerkschaftsorganisation wird durch die Notwendigkeit der Verteidigung der elementarsten Interessen und Rechte der schaffenden Massen bestimmt. Eine Spaltung der Gewerkschaftsorganisationen aus politischen Motiven ist zugleich ein Verrat an der Arbeiterbewegung und eine Eingeständnis des eigenen Bankrotts. Nur durch die Isolierung – durch eine Spaltung – eines kleinen Teils der Arbeiterklasse von den revolutionären Gruppen konnten Jouhaux & Co hoffen, ihren Einfluss und ihre Organisation etwas länger zu behalten. Aber aus genau demselben Grund haben die reformistischen Gewerkschaften aufgehört, Gewerkschaften zu sein, das heißt Massenorganisationen der Werktätigen und wurden stattdessen eine maskierte politische Partei von Jouhaux & Co.

Es gibt keinen Zweifel, dass es Anhänger der Spaltung auch unter den revolutionären Anarchosyndikalisten gab. Diese Elemente sind den breiten Aufgaben der proletarischen Revolution fremd und begrenzen ihr Programm hauptsächlich auf die Schaffung einer kirchenartigen anarchistischen Sekte mit ihrer eigenen Hierarchie und ihren eigenen Zusammenkünften. Sie machen ihren eigenen „Pakt”, eine geheime Vereinbarung, mit der sie einander wechselseitige Hilfe bei der Erlangung führender Posten versprechen; und in diesem Sinne dient die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung diesen Cliquen auf die bestmögliche Weise.

In dieser Frage war und bleibt unsere Haltung vollkommen unversöhnlich. Hier wie in anderen Dingen fallen die Interessen unserer Partei mit den wirklichen Interessen der Arbeiterklasse zusammen, die einige Gewerkschaften und keine Splitter braucht. Natürlich ist die revolutionäre Konföderation der Arbeit uns näher als die reformistische Konföderation der Arbeit. Aber es ist unsere Pflicht, für die Wiederherstellung der Einheit der Gewerkschaftsorganisationen zu kämpfen, nicht in der entfernten Zukunft, sondern gerade jetzt, um die kapitalistische Offensive zurückzuschlagen. Die Gewerkschaftsspaltung ist das Werk der kriminellen Gewerkschaftsbürokratie. Die Basis in beiden Gruppen wollte und will die Spaltung nicht. Wir müssen auf der Seite der Massen gegen die spalterische und verräterische Gewerkschaftsbürokratie sein.

Die revolutionäre CGT nennt sich selbst einheitlich (unitaire). Für die Anarchosyndikalisten ist dies nur eine heuchlerische Erklärung. Aber für uns, Kommunisten, ist es ein Banner. Wir sind verpflichtet, jedes Mal wenn sich eine Gelegenheit bietet, zu erklären, dass das Bestehen der revolutionären CGT kein Selbstzweck ist, sondern nur ein Mittel zur schnellstmöglichen Vereinigung der Gewerkschaftsbewegung. Hat sich die Partei im Zusammenhang mit dem Streik von Le Havre öffentlich an beide Verbände gewandt mit dem Vorschlag, dass sie ihre Forderungen abstimmen, um beim Streik zu helfen? Sie machte es nicht; und dies war ein großer Fehler. Dass die CGTU selbst das abgelehnt hat, dient keinesfalls als Alibi. Denn wir sind nicht verpflichtet, nur zu machen, was die CGTU wünscht. Wir haben nun mal unsere eigenen kommunistischen Ansichten über die Aufgaben der Gewerkschaftsorganisationen und wenn eine Gewerkschaft einen Fehler macht, müssen wir auf unsere eigene Verantwortung diesen Fehler öffentlich, vor den Augen der werktätigen Massen richtig stellen, um der Arbeiterklasse zu helfen, ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden. Wir sind verpflichtet, beide Verbände öffentlich zu fragen, vor den Augen des gesamten Proletariats, ob sie willens sind, zusammenzukommen, um ein gemeinsames Programm auszuarbeiten, um dem Streik in Le Havre zu helfen. Solche konkreten Vorschläge, solche Aktionsprogramme, die von uns im Voraus ausgearbeitet werden, müssen bei jeder passenden Gelegenheit unermüdlich vorgebracht werden, je nach dem Charakter der Themen und dem Umfang der Bewegung auf nationaler oder lokaler Ebene. Die CGTU kann nicht und wird nicht solchen Initiativen Hindernisse in den Weg werfen. Die CGT wird davor zurückscheuen, um ihre Anhänger davor zu bewahren, mit der Revolution in Kontakt zu kommen. Um so schlimmer für die CGT. Die Einheitsfrontpolitik wird ein Rammbock werden, der die letzten Befestigungen von Jouhaux & Co einreißen wird.

Aber dies ist nicht genug. Als Partei können wir während solcher großen Ereignisse wie dem Streik von Le Havre nicht am Rand stehen. Wir können den Herren Dissidenten auch nicht erlauben, sie auszusitzen und schweigend am Rand zu stehen. Wir hätten ihnen, den Dissidenten, gleichfalls einen öffentlichen Vorschlag für eine Konferenz machen müssen. Es gibt kein rationales Argument gegen einen solchen Vorschlag und kann keines geben. Und wenn unter dem Einfluss der Lage und unter unserem Druck die Dissidenten einen halben Schritt im Interesse des Streiks vorwärts gemacht haben, hätten sie dadurch den Arbeitern einen wirklichen Dienst erwiesen und die Mehrheit der Arbeiterklasse, einschließlich derer, die den Dissidenten folgen, hätte verstanden, dass es unser Druck war, der sie diesen Schritt machen ließ. Hätten sich die Dissidenten geweigert, hätten sie sich diskreditiert. Auf der anderen Seite hätten wir nicht nur unsere Pflicht gegenüber einem Teil des Proletariats erfüllt, das damals einen aktiven Kampf führte, das heißt den Streikenden von Le Havre, wir hätten auch unsere Autorität vergrößert. Nur eine unermüdliche, hartnäckige und flexible Propaganda zugunsten der Einheit auf dem Boden der lebendigen Fakten der Massenaktion kann die Barrieren des Sektierertums und abgeschlossener Zirkel innerhalb der Arbeiterklasse niederbrechen und ihr Gefühl von Klassensolidarität heben und dadurch notwendig unseren Einfluss vergrößern.

Auf der Grundlage all dieser Tätigkeit würde die Parole der Arbeiterregierung, wenn sie zu einer passenden Zeit aufgeworfen wird, eine mächtige Anziehungskraft entfalten. Wenn wir zu einer passenden Zeit, vorbereitet durch die Ereignisse und unsere Propaganda, uns an die Arbeitermassen werden, die immer noch die Revolution und die Diktatur des Proletariats ablehnen oder die einfach noch nicht reif genug für diese Fragen sind und folgendermaßen zu ihnen sprechen: „Ihr könnt jetzt sehen, wie die Bourgeoisie ihre eigene Klasseneinheit unter dem Zeichen des „Linksblocks” wiederherstellt und ihre eigene „linke” Regierung vorbereitet, die tatsächlich die Bourgeoisie insgesamt einigt. Warum sollten nicht wir Arbeiter, die verschiedenen Parteien und Strömungen angehören, gemeinsam mit den parteilosen Arbeitern unseren eigenen proletarischen Block zur Verteidigung unserer eigenen Interessen schaffen? Und warum sollten wir nicht unsere eigene Arbeiterregierung bilden?” Hier ist eine natürliche, einfache und klare Erklärung der ganzen Sache.

Aber können wir Kommunisten vorstellbarerweise an der selben Regierung mit Renaudel, Blum und dem Rest teilnehmen? – werden manche Genossen fragen. Unter gewissen Bedingungen kann sich dies als vorübergehend unvermeidlich erweisen, so wie wir russischen Kommunisten sogar nach dem Oktobersieg willens waren, die Menschewiki und Sozialrevolutionäre in die Regierung zu lassen und tatsächlich die Linken Sozialrevolutionäre in die Regierung nahmen. Aber gleichzeitig stellt sich diese Frage leider in Frankreich nicht auf so praktische Weise. Es geht nicht um die unmittelbare und bevorstehende Bildung einer Arbeiterregierung unter Beteiligung von Frossard und Blum, sondern vielmehr darum, agitatorisch den Arbeiterblock dem bürgerlichen Block gegenüberzustellen. Damit die Dinge den Punkt der Schaffung einer Arbeiterregierung erreichen, ist es zuerst notwendig, die Mehrheit der Arbeiterklasse um diese Parole zu sammeln. Sobald wir dies erreichen, das heißt in dem Augenblick, in dem die Arbeiter der Dissidenten und die Mitglieder der CGT eine einige Arbeiterregierung fordern, wären Renaudel, Blum und Jouhaux nicht mehr viel wert, denn diese Herren können sich nur durch ein Bündnis mit der Bourgeoisie unter der Voraussetzung der Spaltung der Arbeiterklasse halten.

Es ist vollkommen offensichtlich, dass sobald sich die Mehrheit der französischen Arbeiterklasse unter dem Banner der Arbeiterregierung einigt, wir uns nicht um die Zusammensetzung dieser Regierung zu sorgen brauchen. Ein wirklicher Erfolg der Parole der Arbeiterregierung würde schon der Natur der Dinge nach das Vorspiel zur proletarischen Revolution bedeuten. Das verstehen die Genossen nicht, die formell an Parolen herangehen und sie mit dem Maßstab des Wortradikalismus messen, ohne den Prozess zu berücksichtigen, der in der Arbeiterklasse selbst stattfindet.

Das Programm der sozialen Revolution vorzubringen und es den Dissidenten und Syndikalisten-Reformisten „unversöhnlich” gegenüberzustellen und sich zugleich zu weigern, mit ihnen in Verhandlungen zu treten, bevor sie unser Programm anerkennen – dies ist eine sehr einfache Politik, die weder Entschlossenheit noch Energie braucht, weder Flexibilität noch Initiative. Es ist keine kommunistische Politik. Wir Kommunisten suchen Methoden und Wege, um die noch unbewussten Massen politisch, praktisch und in der Aktion zu dem Punkt zu bringen, wo sie beginnen, die revolutionären Fragen selbst aufzuwerfen. Die Einigung der Arbeitervorhut unter dem Banner der sozialen Revolution wurde in Gestalt der Kommunistischen Partei schon verwirklicht. Die Partei muss jetzt danach streben, die ganze Arbeiterklasse auf dem Boden des politischen Widerstandes gegen die Bourgeoisie und ihren Regierungsblock zu vereinigen. Wir werden so die soziale Revolution tatsächlich näher bringen und das Proletariat auf den Sieg vorbereiten.

4. Die politische Hauptaufgabe des französischen Kommunismus

Der Kampf gegen den Versailler Vertrag und das Hineinziehen immer breiterer Massen in diesen Kampf, während man ihm zugleich einen immer entschlosseneren Charakter gibt – dies ist die zentrale politische Aufgabe der französischen Kommunistischen Partei.

Die französische Bourgeoisie kann das Regime, das durch den Versailler Frieden, das für Europa so ungeheuerlich und fatal ist, nur durch der militärische Beschränkung der Energie des französischen Volkes und durch die unablässige Plünderung und Ruinierung Deutschlands aufrechterhalten. Die ständige Drohung der Besetzung deutschen Gebiets stellt eines der größten Hindernisse auf dem Weg zum Wachstum der proletarischen Revolution in Deutschland dar. Auf der anderen Seite dienen die dem deutschen Volk gestohlenen materiellen Ressourcen der Stärkung der Stellung der französischen Bourgeoisie, die heute die konterrevolutionäre Hauptkraft nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt ist.

Gleichzeitig ist es unbestreitbar, dass die französische Bourgeoisie die deutschen Reparationen nutzt, um eine privilegierte Stellung für den größtmöglichen Teil der französischen Arbeiterklasse zu schaffen, um es dem französischen Kapitalismus leichter zu machen, das französische Proletariat insgesamt niederzuschlagen. Wir haben die selbe Politik jahrzehntelang in Britannien erlebt, aber in etwas größerem Maßstab. Die britische Bourgeoisie plünderte ihre Kolonien und beutete die rückständigeren Länder aus und verwendete einen kleinen Bruchteil ihrer globalen Beute, um eine privilegierte Schicht von Arbeiteraristokraten zu schaffen, die der Bourgeoisie bei der um so grausameren und straflosen Ausbeutung der Arbeitermassen half. So erhielt die völlig korrupte Bürokratie der britischen Gewerkschaften ihre Schulung. Natürlich kommen die imperialistischen Bemühungen der französischen Bourgeoisie auf diesem Felde wie auf anderen verspätet. Der europäische Kapitalismus ist nicht länger in einem Kreislauf fortschreitendem Wachstums; er ist in einem Kreislauf des Niedergangs. Und der Kampf des französischen Kapitalismus, das Versailler Regime aufrechtzuerhalten, geschieht um den Preis der weiteren Desorganisierung und zunehmenden Verarmung des Wirtschaftslebens von Europa insgesamt. Es ist aber völlig offensichtlich, dass der Zeitraum, in dem der französische Kapitalismus die Möglichkeit behalten wird, diese schädliche Arbeit zu verrichten in großem Maße davon abhängt, wie energisch die Kommunistische Partei in der Lage sein wird, im ganzen Land einen aktiven Kampf gegen den Versailler Frieden und seinen Urheber, die französische Bourgeoisie, zu nähren.

Es gibt keinen Zweifel und kann keinen Zweifel geben, dass die Dissidenten und die Syndikalisten-Reformisten aktive und bewusste Parteigänger unter der winzigen Schicht der Arbeiterklasse haben, die am Räuberregime der Reparationen direkt oder indirekt beteiligt ist. Die Ökonomie und Psychologie dieser Elemente hat einen wesentlich parasitären Charakter. Die Herren Blum, Jouhaux & Co sind der passende politische und gewerkschaftliche Ausdruck dieses parasitären Geistes, der gewisse Elemente unter der Arbeiteraristokratie und -bürokratie an das Versailler Regime in Europa bindet. Diese Cliquen sind unfähig, einen ernsthaften Kampf gegen die bestehende diebische Vorherrschaft Frankreichs zu führen, weil dieser Kampf ihnen unvermeidlich selbst auch einen Schlag versetzen würde.

Der Kampf für die soziale Revolution in Frankreich heute stellt das Proletariat vor allem vor den Kampf gegen die militärische Vorherrschaft des französischen Kapitalismus, als Kampf gegen die fortgesetzte Ausplünderung Deutschlands, als Kampf gegen den Versailler Frieden. Der wirklich internationalistische und wirklich revolutionäre Charakter der französischen Kommunistischen Partei muss genau in dieser Frage gezeigt werden und sich entfalten.

Während des Krieges fand der internationalistische Charakter der proletarischen Partei seinen Ausdruck in der Zurückweisung des Prinzips der Vaterlandsverteidigung, weil zu jener Zeit diese Zurückweisung einen dynamischen Charakter hatte und die Mobilisierung der Arbeitermassen gegen das bürgerliche Vaterland bedeutet. Gegenwärtig, wo die französische Bourgeoisie eine beispiellose Beute verschlingt und verdaut ist die Zurückweisung des Prinzips der Vaterlandsverteidigung durch die Kommunistische Partei an und für sich notwendig, aber völlig unzureichend. Die Bourgeoisie kann sich bereitwillig mit antipatriotischen Stellungnahmen abfinden, bis zum Ausbruch eines neuen Krieges. Heute kann nur ein Kampf gegen die Raubfrüchte der Vaterlandsverteidigung, ein Kampf gegen die Entschädigungen und Reparationen des Versailler Friedens einen tatsächlich und wirklich revolutionären Inhalt bekommen. Nur in diesem Kampf wird die Partei in der Lage sein, gleichzeitig ihre Mitgliedschaft zu testen und zu stählen, alle Elemente rücksichtslos beiseite zu fegen, die mit der Seuche des nationalen Schmarotzertums angesteckt sind, wenn es solche Elemente in manchen Ecken und Winkel der Partei noch gibt.

Auch in dieser Frage muss Euer Parteitag eine neue Ära des revolutionären Massenkampfes gegen Versailler und gegen die Unterstützer von Versailles eröffnen.

5. Organisatorische Fragen

Aus den vorigen Überlegungen ergeben sich die organisatorischen Fragen automatisch. Worum es geht, ist der Kommunistischen Partei ihren Charakter als wirkliche proletarische Organisation zu sichern, die aufs Engste mit allen Formen der Arbeiterbewegung verbunden ist und ihre Verbindungen in alle Arbeitervereine und -gruppen ausdehnt und in gleichem Maße die Tätigkeit der Kommunisten im Parlament, in der Presse, in den Gemeinde- und Kantonalräten, Gewerkschaften und Genossenschaften kontrolliert und anleitet.

Von diesem Standpunkt stellen die Änderungsentwürfe für die Parteistatuten und das Presseregime zweifellos einen Schritt vorwärts dar. Es muss nicht gesagt werden, dass diese Statuten und formalen Änderungen nur Bedeutung bekommen, wenn die ganze Tätigkeit der führenden Gremien der Partei ihnen inhaltlich entspricht. In diesem Zusammenhang ist die Frage der Zusammensetzung des Zentralkomitees der Partei von außerordentlicher Bedeutung. Bei der Bestimmung der Zusammensetzung sind zwei Kriterien unserer Meinung nach entscheidend: Erstens muss das Zentralkomitee die Einheit der Linken und des Zentrums gegen die Rechten, das heißt gegen den Opportunismus und für den Zentralismus verkörpern, zum Zwecke der Förderung der revolutionären politischen Massentätigkeit. Zweitens muss die Mehrheit des Zentralkomitees aus Arbeitern bestehen und obendrein aus Arbeitern, die eng mit den Gewerkschaftsorganisationen verbunden sind. Die Bedeutung des ersten Kriteriums wurde schon erklärt; bezüglich des zweiten muss man ein paar Worte sagen.

Die Verbindungen der Partei mit den Massen zu sichern bedeutet in erster Linie die Sicherung dieser Verbindungen mit den Gewerkschaften. Es ist notwendig, ein für allemal mit der Ansicht Schluss zu machen, die vom Standpunkt der Revolution phantastisch und selbstmörderisch ist, dass die Gewerkschaften und ihre Tätigkeit die Partei nicht betreffen. Natürlich ist eine Gewerkschaft als solche autonom, das heißt, sie bestimmt ihr eigene Politik auf der Grundlage der Arbeiterdemokratie. Aber die Partei ist auch autonom in dem Sinne, dass kein Anarchosyndikalist ihr vorzuschreiben wagen darf, welche Fragen sie berühren darf und welche nicht. Die Kommunistische Partei hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, führende Stellungen in den Gewerkschaften auf der Grundlage freiwilligen Vertrauens der Gewerkschaftsmitglieder in die Parolen und Taktiken der Partei zu suchen. Ein für allemal muss dem Regime ein Ende gemacht werden, wo die Gewerkschaften von anarchosyndikalistischen Cliquen kontrolliert werden, die miteinander durch Geheimabkommen im Geist des freimaurerischen Karrierismus verbunden sind. Die Partei geht mit offenem Visier in die Gewerkschaften hinein. Alle Kommunisten arbeiten in den Gewerkschaften als Kommunisten und sind durch die Parteidisziplin der kommunistischen Zellen verpflichtet. Bei Fragen, die Gewerkschaftsaktionen betreffen, unterwerfen sich Kommunisten natürlich der Gewerkschaftsdisziplin. Von diesem Standpunkt bekommt das Hineinziehen einer großen Zahl von Gewerkschaftsaktivisten in den Bestand des Zentralkomitees eine ungeheure Bedeutung. Sie werden die Verbindungen zwischen dem Zentralkomitee und den Massenorganisationen sichern; auf der anderen Seite wird das Zentralkomitee für sie die höchste Schule kommunistischer Politik werden; und für unsere französische Partei ist die Schulung revolutionärer proletarischer Führer dringend nötig.

Dies sind die Hauptaufgaben des bevorstehenden Parteitags der französischen Kommunistischen Partei. Die Kommunistische Internationale wird seinen Ablauf und seine Ergebnisse mit der größten Aufmerksamkeit verfolgen. Die anspruchsvolle Haltung der Internationale gegenüber der französischen Kommunistischen Partei ist natürlich tatsächlich eine anspruchsvolle Haltung gegen sich selbst, insofern die französische Partei eine ihrer wichtigen Sektionen darstellt. Die tiefgreifenden Widersprüche, die der Lage der Republik des französischen Kapitalismus innewohnen, eröffnen vor dem französischen Proletariat in der nahen Zukunft, wie wir hoffen, die Möglichkeit für große historische Aktionen. Bei der Vorbereitung auf sie ist es notwendig, dass wir die wachsamste und anspruchsvollste Haltung gegenüber uns selbst haben. Dieser Brief ist von der Idee der großen geschichtlichen Mission des französischen Proletariats angeregt. Die anspruchsvolle Haltung, die die Internationale gegenüber ihren Parteien zeigt, beruht auf tiefgreifendem Vertrauen in die revolutionäre Entwicklung des Weltproletariats und vor allem des Proletariats von Frankreich.

Die französische Kommunistische Partei wird ihre innere Krise überwinden und sich auf das Niveau ihrer grenzenlosen revolutionären Aufgaben erheben.

Beilage: Die Einheitsfont in Deutschland (Brief von Clara Zetkin an das EKKI)

Die bevorstehende Verschmelzung von SPD und USPD ist kein Produkt der Einheitsfrontpolitik, sondern ihre Karikatur. Die Verschmelzung wurde den Führern der beiden Parteien durch die Notwendigkeit aufgezwungen, ihren Bankrott durch neue Täuschungen zu verbergen. Die Führer beider Parteien berücksichtigen die Notwendigkeit zur Vereinigung der proletarischen Kräfte, eine Notwendigkeit, die von den Massen gefühlt wird, und nutzen sie zu einem üblen Zweck: Für die Vereinigung mit der Bourgeoisie gegen die Kommunisten. Diese Vereinigung ist der natürliche und unvermeidliche Abschluss der Ersetzung des Programms des Klassenkampfes durch eine Politik der „nationalen Einheit”, eine Politik der Klassenkollaboration durch beide Parteien. Der ganze verbleibende Unterschied zwischen ihnen läuft darauf hinaus, dass die Scheidemannianer das Dreschen revolutionärer Phrasen aufgegeben haben, während die Dittmannianer es noch betreiben. Zwischen diesen beiden reformistischen Parteien gibt es keine prinzipiellen oder taktischen Unterschiede und daher hindert nichts ihre Verschmelzung. Tatsächlich müssen sie verschmelzen, um etwas Stärke zu erlangen oder zumindest den Schein von Stärke. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) verlor letztes Jahr 46.000 Mitglieder, ein riesiger Verlust selbst für diese starke Organisation. Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) hat ihren Bericht noch nicht veröffentlicht, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass diese Partei nicht weiß, wie sie ihr Defizit ausgleichen soll und dass ihr Zentralorgan Freiheit am Ende ist. Aber die Hauptsache ist, dass beide Parteien alle ihre Bemühungen anstrengen müssen, um ihre frühere Popularität wenigstens teilweise wiederzugewinnen, so kompromittiert sind sie durch ihre reformistische Politik, die sie in die Arme von Stinnes getrieben hat. Und so haben sie die in den Massen populäre Parole böswillig missbraucht. Aber die Massen werden bald entdecken, wie tiefgreifend und grundlegend der Unterschied zwischen einer organischen Einheit dieser Parteien und der Vereinigung der proletarischen Massen für ihre eigenen Kämpfe ist.

Seite an Seite mit dieser organischen Einheit der beiden reformistischen Parteien setzt die Kommunistische Partei gegen die Führer dieser Parteien und gegen die Gewerkschaftsbürokratie ihre beharrliche Arbeit für die Einheitsfront fort. Erfolge waren schon sichtbar in der im Zusammenhang mit dem Rathenau-Mord begonnenen Kampagne. In der Rheinprovinz und in Westfalen mit ihren großen Industriezentren wurde in vielen Städten und Bezirken Aktionskomitees organisiert, die aus Vertretern der beiden reformistischen Parteien, der Kommunistischen Partei und der Gewerkschaften bestanden. (In manchen Fällen wurden Komitees in den Gewerkschaftlichen Kartellen der jeweiligen Orte oder Bezirke organisiert und Vertretern der drei Arbeiterparteien in sie gewählt.) Unter dem Druck der organisierten Massen sahen sich die Führer der reformistischen Parteien und besonders des ADGB (Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes) gezwungen, Beziehungen zur Kommunistischen Partei aufzunehmen. Trotz der kurzen Dauer dieser gemeinsamen Aktivität wurden zwei große Demonstrationen kurz nacheinander in Deutschland durchgeführt; und dank dieser Verhandlungen und Demonstrationen kam die Kommunistische Partei in engen Kontakt zu Arbeitermassen in ziemlich großen Gebieten. Aktionskomitees, die zur Entwaffnung konterrevolutionärer Elemente geschaffen wurden, waren weiter tätig, nachdem die Protestbewegung wegen dem Verrat der Reformisten so schnell abgeflaut war.

Die Idee der Einheitsfront marschiert wieder mit Riesenschritten vorwärts. Die gegenwärtig Krise hilft ihr. Der Wirtschaftskampf treibt die Arbeiter und Angestellten, sich zu vereinigen und zu fordern, dass ihre Vertreter in den Gewerkschaften und politischen Parteien gemeinsam und harmonisch arbeiten. Als Veranschaulichung führen wir ein gemeinsames Treffen von Fabrikdelegierten in Berlin an. Mehr als 6.000 dieser Delegierten nahmen teil, trotz der Warnung von Gewerkschaftsbürokratie, USPD und SPD, dass es ihren Mitgliedern nicht erlaubt sei, an diesem Treffen teilzunehmen.

Diese Versammlung, die ein wirkliches Ereignis war, wählte ein Fünfzehnerkomitee um eine gesamtdeutsche Konferenz der Fabrik- und Betriebsdelegierten durchzuführen. Sie hat die Anweisung, so eine Versammlung einzuberufen, wenn der Vorstand des ADGB es nicht macht. Das Ziel ist die Schaffung einer „Kontrollkommission”, um Produktion, Verteilung, Preise und so weiter zu überwachen. In vielen Industriezentren wurden solche Kontrollkomitees schon gebildet. Es gibt eine ziemlich große Zahl von Städten wo die Arbeiter Versammlungen von Fabrik- oder Betriebsdelegierten einberufen haben, auf denen Komitees organisiert wurden, die Kontrolle über die Produktion fordern. Überall waren die Kommunisten an der Spitze dieser Bewegung, deren Ziel es ist, Einheit im Kampf herbeizuführen.

Gewisse Elemente in unserer Partei lehnen zugegebenermaßen die Einheitsfront ab. Aber dies Ansichten richten sich vor allem gegen Fehler, die gemacht wurden und gegen unrichtige Anwendungen der Einheitsfront. In Zukunft wird es immer weniger Fehler geben. Die Partei muss das Manövrieren unter den neuen Bedingungen lernen und wie man eine gemeinsame Front errichtet und gleichzeitig das eigene Gesicht bewahrt.

Das Exekutivkomitee der Kommunistische Internationale

Moskau, 13. September 1922

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