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Leo Trotzki 19221200 Die politische Resolution in der französischen Frage

Leo Trotzki: Die politische Resolution in der französischen Frage

[Nach Protokoll des IV. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, Band II, Hamburg 1923, S. 985-993]

Die Parteikrise und die Rolle der Fraktionen

Der 4. Kongress der Kommunistischen Internationale stellt fest, dass die Entwicklung der Kommunistischen Partei Frankreichs vom parlamentarischen Sozialismus zum revolutionären Kommunismus mit außerordentlicher Langsamkeit vor sich geht, was sich keineswegs nur durch die objektiven Verhältnisse, die Tradition und die nationale Psychologie des Arbeiters usw. erklärt, sondern vor allem durch den direkten und zu Zeiten außerordentlich hartnäckigen Widerstand von nicht kommunistischen Elementen, die in der Oberschicht der Partei und insbesondere in der Fraktion des Zentrums, das seit Tours die Leitung der Partei hauptsächlich in der Hand gehabt hat, noch sehr stark sind.

Der Hauptgrund der gegenwärtigen akuten Parteikrise liegt in der unentschlossenen, schwankenden, abwartenden Politik der führenden Elemente des Zentrums, die angesichts der unaufschiebbaren Bedürfnisse der Parteiorganisationen Zeit zu gewinnen suchen, und auf diese Weise einen Deckmantel schaffen für die Politik der direkten Sabotage in den Fragen der Gewerkschaftsbewegung, der Einheitsfront, der Parteiorganisation u.a. Die Zeit, die die leitenden Elemente des Zentrums auf diese Weise gewannen, war für die revolutionäre Entwicklung des französischen Proletariats eine verlorene Zeit.

Der Kongress macht es der Exekutive zur Pflicht, mit aller Aufmerksamkeit das innere Leben der Kommunistischen Partei Frankreichs zu verfolgen, um, gestützt auf ihre unzweifelhaft revolutionäre proletarische Mehrheit, sie von dem Einfluss der Elemente zu befreien, die die Krise hervorgerufen haben und sie fortwährend verschärfen.

Der Kongress lässt auch nicht einmal den Gedanken an eine Spaltung zu, da die Sachlage der Partei eine solche in keiner Weise erfordert. Die erdrückende Mehrheit ihrer Mitglieder ist der Sache des Kommunismus aufrichtig und tief ergeben. Nur ein Mangel an Klarheit in Bezug auf Parteidoktrinen und an Selbstbewusstsein in der Partei hat es ihren konservativen, zentristischen und halb zentristischen Elementen ermöglicht, große Verwirrung zu stiften und Fraktionen hervorzurufen. Eine entschlossene und beständige Bemühung, vor der Gesamtpartei das Wesentliche der Streitfragen klarzulegen, wird die erdrückende Mehrheit der Parteimitglieder und vor allem ihre proletarische Basis auf den Boden der Beschlüsse des gegenwärtigen Kongresses stellen. Was die Elemente betrifft, die der Partei zwar angehören, aber gleichzeitig nach ihrer ganzen Denk– und Lebensweise an die Sitten und Gebräuche der bürgerlichen Gesellschaft gebunden sind und weder die wahrhaft proletarische Politik begreifen, noch sich der revolutionären Disziplin unterordnen können, so bildet die Reinigung der Partei von solchen Elementen eine notwendige Vorbedingung für die Gesundung, Festigung und Aktionsfähigkeit.

Die kommunistische Vorhut der Arbeiterklasse bedarf selbstverständlich derjenigen Intellektuellen, die in die Organisation ihre theoretischen Kenntnisse, ihre agitatorischen oder schriftstellerischen Fähigkeiten hineinbringen; aber die Vorbedingung ist, dass diese Elemente mit den Sitten und Gebräuchen der bürgerlichen Umgebung vollkommen und endgültig gebrochen, alle Brücken zu dem Lager, aus dem sie hervorgegangen sind, abgebrochen haben und keinerlei Ausnahmen und Privilegien für sich fordern, sondern sich der Parteidisziplin ebenso unterordnen, wie die einfachen Kämpfer.

Die in Frankreich so zahlreichen Intellektuellen, die der Partei als Amateure oder solche, die Karriere machen wollen, angehören, bringen der Partei nicht nur den größten Schaden, sie verzerren auch ihr revolutionäres Gesicht, kompromittieren sie vor den proletarischen Massen und hindern sie, das Vertrauen der Arbeiterklasse zu erobern. Die Partei muss um jeden Preis von solchen Elementen gesäubert werden und ihnen in Zukunft ihre Tore verschließen. Der beste Weg dazu ist eine Neuregistrierung der Parteimitglieder durch eine besondere Kommission von Arbeitern, die von dem Gesichtspunkt kommunistischer Moral aus unantastbar sind.

Der Kongress stellt fest, dass der Versuch der Exekutive, die Auswirkung der Krise auf dem Boden der Organisation dadurch zu mildern, dass die leitenden Organe nach dem Grundsatz der Parität den beiden Hauptrichtungen, dem Zentrum und der Linken, entnommen werden, vereitelt worden ist durch das Zentrum unter dem unzweifelhaften Einfluss äußerst konservativer Elemente, die jedes Mal, wenn das Zentrum sich der Linken gegenüberstellt, eine unvermeidliche Vorherrschaft im Zentrum erlangen.

Der Kongress hält es für notwendig, allen Mitgliedern der Kommunistischen Partei Frankreichs klarzumachen, dass die Anstrengungen der Exekutive, die darauf gerichtet waren, eine vorläufige Verständigung zwischen den Hauptfraktionen zu erzielen, den Zweck hatten, die Arbeit des Pariser Kongresses zu erleichtern, in keiner Weise jedoch einen Eingriff in die unbestreitbaren Rechte des Kongresses als das oberste Organ der Kommunistischen Partei Frankreichs darstellen.

Der Kongress hält es für notwendig, festzustellen, dass die Linke, mag sie auch diese oder jene Einzelfehler begangen haben, in der Hauptsache bestrebt war, sowohl vor dem Pariser Kongress, als auch während desselben die Politik der Kommunistischen Internationale durchzuführen, und in den wichtigsten Fragen der revolutionären Bewegung: In den Fragen der Einheitsfront, in der Gewerkschaftsfrage eine richtige Stellung eingenommen hat, im Gegensatz zur Stellungnahme des Zentrums und der Gruppe des Genossen Renoult.

Der Kongress fordert alle wahrhaft revolutionären, wahrhaft proletarischen Elemente der Fraktion des Zentrums, die in ihm die unzweifelhafte Mehrheit bilden, dringend auf, der Opposition der konservativen Elemente ein Ende zu machen und sich mit der Linken zu gemeinsamer Arbeit zu verbinden. Dasselbe gilt auch für die notorisch an dritter Stelle stehende Fraktion, die gegen die Politik der Einheitsfront einen besonders scharfen und offenbar irrigen Kampf führt.

Der äußerste linke Flügel

Die Seine–Föderation hat durch die Liquidierung des föderalistischen Charakters ihrer Organisation die offenbar falsche Stellung des sogenannten äußersten linken Flügels zurückgewiesen. Dieser letztere, in der Person der Genossen Heine und Lavergne, hat es jedoch für angängig erachtet, dem Bürger Delplanque ein gebundenes Mandat zu geben, das den Bürger Delplanque verpflichtete, sich in allen Fragen der Stimme zu enthalten und keinerlei Verpflichtungen zu übernehmen. Eine derartige Handlungsweise der erwähnten Vertreter des extrem linken Flügels beweist, dass sie den Sinn und das Wesen der Kommunistischen Internationale nicht im Mindesten begriffen haben. Die unserer Organisation zugrunde liegenden Prinzipien des demokratischen Zentralismus schließen die Möglichkeit eines gebundenen Mandates vollständig aus, ob es sich nun um Teilkongresse, um nationale oder internationale Kongresse handelt. Die Kongresse haben nur in dem Maße einen Sinn, wie die kollektiven Entscheidungen der Organisationen – der lokalen, nationalen oder internationalen – im freien Meinungsaustausch und bei freier Entschließung aller Delegierten ausgearbeitet werden. Es ist klar, dass die Debatten, der Austausch der Erfahrungen und Argumente auf den Kongressen jeden Sinn verlieren würden, wenn die Delegierten von vornherein durch ihre Mandate gebunden wären.

Die Verletzung der grundlegenden Organisationsprinzipien der Internationale wird in diesem Falle noch verschlimmert durch die Weigerung dieser Gruppe, irgendwelche Verpflichtungen gegenüber der Internationale zu übernehmen, als ob die bloße Tatsache der Zugehörigkeit zur Internationale nicht schon allen ihren Mitgliedern die Pflicht bedingungsloser Disziplin und der Durchführung aller gefassten Beschlüsse auferlegte. Der Kongress fordert das Zentralkomitee unserer französischen Partei auf, diesen ganzen Zwischenfall an Ort und Stelle zu untersuchen und alle sich aus ihm ergebenden politischen und organisatorischen Konsequenzen zu ziehen.

Die Gewerkschaftsfrage

Die vom Kongress in der Gewerkschaftsfrage gefassten Beschlüsse enthalten gewisse organisatorische und formale Zugeständnisse, die der Partei die Annäherung an die Gewerkschaftsorganisationen oder an die gewerkschaftlich organisierten Massen, soweit diese noch nicht auf dem kommunistischen Standpunkt stehen, erleichtern sollen. Aber es hieße vollständig den Sinn dieser Beschlüsse verdrehen, wollte man sie im Sinne der Billigung einer Politik des gewerkschaftlichen Verzichts deuten. Diese Politik war in der Partei herrschend und wird noch heute von zahlreichen Mitgliedern propagiert. Die in dieser Frage von Erneste Lafont vertretenen Tendenzen stehen in vollem und unversöhnlichem Widerspruch zu den revolutionären Aufgaben der Arbeiterklasse und zur ganzen Auffassung des Kommunismus. Die Partei kann und will die Autonomie der Gewerkschaften nicht antasten, muss jedoch diejenigen ihrer Mitglieder, die die Autonomie zur Durchführung ihrer eigenen desorganisierenden, anarchistischen Arbeit in den Gewerkschaften fordern, unbarmherzig entlarven und bestrafen. In dieser höchst wichtigen Frage wird die Internationale weniger als auf irgendeinem anderen Gebiet ein weiteres Abweichen vom kommunistischen Wege dulden, der sowohl vom Standpunkt der Theorie, als auch vom Standpunkt der internationalen Praxis der einzig richtige ist.

Die Lehren des Proteststreiks gegen den Mord von Le Havre

Der Ausstand von Le Havre stellt trotz seines lokalen Charakters unzweifelhaft einen Beweis für das Anwachsen der Kampfbereitschaft des französischen Proletariats dar. Die kapitalistische Regierung antwortete auf den Ausstand mit der Ermordung von vier Arbeitern, als wollte sie sich beeilen, das französische Proletariat daran zu erinnern, dass es nur um den Preis des härtesten Kampfes, des höchsten Heroismus, der größten Selbstaufopferung und vieler Opfer die Macht erobern und die kapitalistische Sklaverei stürzen kann.

Wenn die Antwort des französischen Proletariats auf den Mord in Le Havre ganz unzureichend war, so trifft die Verantwortung dafür nicht nur den zur Regel gewordenen Verrat der Dissidenten und reformistischen Gewerkschaften, sondern auch die offenbar fehlerhafte Handlungsweise der CGTU und der Kommunistischen Partei. Der Kongress hält es für erforderlich, bei dieser Frage zu verweilen, weil sie ein sprechendes Beispiel für eine grundfalsche Behandlung der Fragen der revolutionären Aktion darstellt.

Indem die Partei einer prinzipiell falschen Trennung des Klassenkampfes des Proletariats in zwei angeblich voneinander unabhängige Gebiete – das wirtschaftliche und das politische – folgte, hat sie auch diesmal nicht die geringste selbständige Initiative an den Tag gelegt, sondern sich in ihrer Arbeit auf die Unterstützung der CGTU beschränkt, als ob die Ermordung von vier Proletariern durch die kapitalistische Regierung ein wirtschaftlicher Akt und nicht ein politisches Ereignis von größter Bedeutung wäre. Was nun die CGTU anbetrifft, so hat sie unter dem Druck der Pariser Bauarbeitergewerkschaft am Tage nach dem Mord in Le Havre, also am Sonntag, einen allgemeinen Proteststreik auf den Dienstag festgesetzt. Die Arbeitern Frankreichs vermochten nicht einmal überall Kenntnis auch nur von der Ermordung zu erhalten, geschweige denn von dem Aufruf zum Generalstreik.

Unter solchen Umständen war der Generalstreik von vornherein zum Misserfolg verurteilt. Unzweifelhaft hat die CGTU ihre Politik auch diesmal den anarchistischen Elementen angepasst, denen das Verständnis für die revolutionäre Aktion und ihre Vorbereitung organisch fremd ist, und die den revolutionären Kampf durch die revolutionären Aufrufe ihrer Zirkel ersetzen, ohne sich um die tatsächliche Durchführung des Geforderten zu kümmern. Die Partei ihrerseits hat vor dem offensichtlich falschen Schritt der CGTU schweigend kapituliert, statt den Versuch zu machen, bei dieser in freundschaftlicher, aber energischer Form den Aufschub der Streikkundgebung zwecks Entfaltung einer weitgehenden Massenagitation durchzusetzen.

Die erste Pflicht sowohl der Partei, als auch der CGTU angesichts des schändlichen Verbrechens der französischen Bourgeoisie wäre gewesen, unverzüglich eine Menge der besten Agitatoren der Partei und der Gewerkschaften sowohl in Paris als auch in der Provinz zu mobilisieren, um auch den rückständigsten Elementen der Arbeiterklasse den Sinn der Ereignisse in Le Havre klar zu machen und die Volksmassen zum Protest und zur Gegenaktion vorzubereiten. Die Partei war in einem solchen Falle verpflichtet, in Millionen Exemplaren einen Aufruf an die französische Arbeiterklasse und Bauernschaft über die Schandtat von Le Havre zu erlassen. Das Zentralorgan der Partei musste den Sozialverrätern – den Sozialisten und Syndikalisten – täglich die Frage vorlegen, „welches ist die Form des Kampfes, die Ihr als Antwort auf den Mord in Le Havre vorschlagt?” Ihrerseits musste die Partei zusammen mit der CGTU die Idee des Generalstreiks propagieren, ohne dessen Termin und Dauer im Voraus festzulegen, sondern ihn abhängig machen von der Entwicklung der Agitation und Bewegung im Lande. Es hätte der Versuch gemacht werden müssen, in den einzelnen Betrieben, Stadtvierteln, Städten und Bezirken zeitweilige Protestkomitees zu schaffen. Die Kommunisten und revolutionären Syndikalisten hätten als deren Anreger zur Teilnahme an diesen Komitees die Mitglieder oder Vertreter der örtlichen reformistischen Organisationen heranziehen müssen.

Erst eine solche planmäßige, konzentrierte, umfassende, angespannte und unermüdliche Kampagne während einer Woche und darüber hinaus hätte in einer großen und eindrucksvollen Bewegung in Gestalt eines Massenproteststreiks, zahlreicher Straßenmanifestationen usw. ihre Krönung finden können. Das dauernde Ergebnis einer solchen Kampagne hätte sich geäußert in einer Festigung des Kontaktes mit den Massen, einer Stärkung der Autorität und des Einflusses sowohl der Kommunistischen Partei als auch der CGTU bei den Massen, in ihrer gegenseitigen Annäherung auf dem Gebiete revolutionärer Arbeit und in der Annäherung des Teiles der Arbeiterklasse an sie, der heute noch den Reformisten folgt.

Der sogenannte Generalstreik vom 1. Mai 1921, den die revolutionären Elemente nicht vorzubereiten verstanden, die Reformisten aber verbrecherisch sabotiert haben, bildete einen Wendepunkt im inneren Leben Frankreichs, indem er das Proletariat schwächte und die Bourgeoisie stärkte. Der „Protestgeneralstreik” im August 1922 war im Grunde genommen eine Wiederholung sowohl des Verrates der Rechten, als auch der Fehler der Linken. Die Internationale fordert die französischen Genossen, in welchem Zweige der proletarischen Bewegung sie auch tätig sein mögen, in entschiedenster Weise auf, sich Fragen der Massenaktion gegenüber mit äußerster Aufmerksamkeit zu verhalten, ihre Bedingungen und Methoden sorgfältig zu studieren, die Fehler ihrer Organisationen in jedem konkreten Falle einer aufmerksamen kritischen Prüfung zu unterziehen, auch die bloße Möglichkeit einer Massenaktion sorgfältig durch ausgedehnte und angespannte Agitation vorzubereiten und ihre Parolen mit der Bereitschaft und Fähigkeit der Massen zur Aktion in Einklang zu bringen.

Die Führer der Reformisten stützen sich bei ihren verräterischen Handlungen auf die Ratschläge, Eingebungen und Hinweise der gesamten bürgerlichen öffentlichen Meinung, mit der sie untrennbar verbunden sind. Die revolutionären Syndikalisten, die in den Gewerkschaftsorganisationen natürlich nur eine Minderheit sein können, werden um so weniger Fehler begehen, je mehr die Partei als solche ihre Aufmerksamkeit allen Fragen der Arbeiterbewegung zuwendet, die Verhältnisse und die Lage sorgfältig studiert und durch ihre Mitglieder den Gewerkschaften diese oder jene Vorschläge macht, die mit der Gesamtlage in Einklang stehen.

Das Freimaurertum, die Liga der Menschenrechte und die bürgerliche Presse

Die Unvereinbarkeit des Freimaurertums mit dem Sozialismus war von der Mehrzahl der Parteien der 2. Internationale anerkannt worden. Die Sozialistische Partei Italiens schloss im Jahre 1914 die Freimaurer aus ihrer Mitte aus, und diese Maßregel gehörte zweifellos mit zu den Ursachen, die es der Partei ermöglichten, während des Krieges eine oppositionelle Politik durchzuführen, da die italienischen Freimaurer als Werkzeug der Entente zugunsten der Intervention tätig waren.

Der 2. Kongress der Kommunistischen Internationale hat den Eintrittsbedingungen in die Internationale nur deshalb keinen besonderen Punkt über die Unvereinbarkeit des Kommunismus mit dem Freimaurertum beigefügt, weil dieser Grundsatz bereits seinen Platz in einer besonderen Resolution gefunden hatte, die mit Einstimmigkeit vom Kongress angenommen worden ist. Die Tatsache, die auf dem 4. Kongress der Kommunistischen Internationale ans Licht getreten ist, dass eine bedeutende Anzahl französischer Kommunisten den Freimaurerlogen angehören, bildet in den Augen der Internationale den deutlichsten und zugleich beklagenswertesten Beweis dafür, dass unsere französische Partei nicht nur das psychologische Erbe der Epoche des Reformismus, Parlamentarismus und Patriotismus bewahrt hat, sondern auch ganz konkrete, die Spitzen der Partei höchst kompromittierende Beziehungen zu den geheimen politischen und karrieristischen Institutionen der radikalen Bourgeoisie.

Während die kommunistische Vorhut die Kräfte des Proletariats zum unversöhnlichen Kampfe gegen alle Gruppen und Organisationen der bürgerlichen Gesellschaft und für die proletarische Diktatur sammelt, bewahrt eine ganze Reihe von verantwortlichen Funktionären der Partei, Abgeordneten, Journalisten und sogar Mitgliedern des Zentralkomitees enge Beziehungen zu den geheimen Organisationen unserer Feinde.

Besonders niederdrückend ist die Tatsache, dass keine der Richtungen der Partei nach Tours diese Frage aufgeworfen hat, trotz der absoluten Klarheit derselben für die gesamte Internationale. Erst der Kampf der Fraktionen im Innern der Partei hat diese Tatsache in ihrer ganzen drohenden Bedeutung zur Kenntnis der Internationale gebracht.

Die Internationale hält es für notwendig, diesen kompromittierenden und demoralisierenden Beziehungen der Spitzen der Kommunistischen Partei zu den politischen Organisationen der Bourgeoisie ein für allemal ein Ende zu machen. Es muss für das französische revolutionäre Proletariat Ehrensache sein, seine gesamten Klassenorganisationen von allen Elementen zu säubern, die gleichzeitig beiden kämpfenden Lagern angehören wollen:

Der Kongress beauftragt das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Frankreichs damit, bis zum 1. Januar 1923 jede Beziehung der Partei in der Person gewisser Mitglieder oder Gruppen zur Freimaurerei zu lösen. Jeder Kommunist, der heute noch zu den Freimaurern gehört und bis zum 1. Januar 1923 seiner Organisation durch Veröffentlichung in der Parteipresse nicht öffentlich erklärt hat, dass er mit dem Freimaurertum vollkommen gebrochen hat, scheidet damit automatisch aus der Kommunistischen Partei aus, ohne das Recht, auch in noch so ferner Zukunft wieder aufgenommen zu werden. Falls jemand seine Zugehörigkeit zum Freimaurertum verheimlicht, muss dies als das Eindringen eines feindlichen Agenten in die Reihen der Partei betrachtet und die betreffende Person vor dem gesamten Proletariat als ehrlos gebrandmarkt werden.

In Anbetracht dessen, dass allein die Tatsache, zu den Freimaurern zu gehören – ganz gleich, ob man ein rein materielles Ziel verfolgt oder nicht, Karriere machen will, oder irgendeinem anderen entwürdigenden Ziel nachgeht –, Zeugnis gibt von einer außerordentlich ungenügenden Entwicklung des kommunistischen Bewusstseins und des Klassengefühls: hält der 4. Kongress es für unbedingt notwendig, dass die Genossen, die bisher zum Freimaurertum gehört haben und jetzt mit ihm brechen wollen, zwei Jahre lang das Recht verlieren, wichtige Posten in der Partei zu bekleiden. Nur durch angespannte Arbeit für die Sache der Revolution als einfache Kämpfer können diese Genossen das volle Vertrauen wiedergewinnen und das Recht, in der Partei wichtige Posten einzunehmen.

Angesichts dessen, dass die Liga zum Schutze der Menschen– und Bürgerrechte ihrem Wesen nach eine Organisation des bürgerlichen Radikalismus ist, und dass sie ihre einzelnen Kampagnen gegen diese oder jene „Ungerechtigkeiten” zur Ausstreuung von Illusionen und Vorurteilen der bürgerlichen Demokratie benutzt, und dass sie vor allen Dingen in den wichtigsten und entscheidendsten Fällen, z. B. während des Krieges, dem in der Gestalt des Staates organisierten Kapital ihre volle Unterstützung verleiht: betrachtet der 4. Kongress der Kommunistischen Internationale die Zugehörigkeit zur Liga zum Schutze der Menschen– und Bürgerrechte als unbedingt unvereinbar mit dem Namen eines Kommunisten und als den elementaren Grundlagen der kommunistischen Weltanschauung widersprechend, und fordert alle der Liga angehörenden Parteimitglieder auf, die Reihen der Liga bis zum 1. Januar 1923 zu verlassen unter entsprechender Benachrichtigung ihrer Organisation und unter Bekanntgabe des Austrittes in der Presse.

Der 4. Kongress fordert das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Frankreichs auf:

a) unverzüglich einen Aufruf an die ganze Partei zu erlassen, der Sinn und Bedeutung dieser Resolution klarlegt;

b) alle sich aus der Resolution ergebenden Maßnahmen zu treffen, damit die Säuberung der Partei vom Freimaurertum und der Abbruch aller Beziehungen zur Liga zum Schutze der Menschen– und Bürgerrechte ohne jegliche Nachsicht und Versäumnis bis zum 1. Januar 1923 durchgeführt wird. Der Kongress drückt seine Überzeugung aus, dass das Zentralkomitee bei dieser Reinigungs- und Sanierungsarbeit die Unterstützung der erdrückenden Mehrheit der Parteimitglieder finden wird, welcher Fraktion sie auch angehören mögen.

Das Zentralkomitee muss Listen aller Genossen aufstellen, die – in Paris oder in der Provinz –, obgleich sie zur Kommunistischen Partei gehören, und selbst verschiedene, darunter auch verantwortliche Ämter bekleiden, zu gleicher Zeit in der bürgerlichen Presse mitarbeiten. Es muss diese Elemente auffordern, bis zum 1. Januar ihre völlige und endgültige Wahl zu treffen zwischen dem bürgerlichen Organ der Korruption der Volksmassen und der revolutionären Partei der proletarischen Diktatur.

Die Funktionäre der Partei, die diese mehrfach aufgestellte und wiederholte Vorschrift verletzt haben, sollen ein Jahr lang das Recht verlieren, Vertrauensposten in der Partei zu bekleiden.

Die Kandidaten der Partei

Um der Partei einen wahrhaft proletarischen Charakter zu geben, und aus ihren Reihen die Elemente zu entfernen, die in ihr nur einen Durchgang zum Parlament, zu den Gemeindevertretungen, den Generalräten usw. sehen, ist es erforderlich, die bindende Regel aufzustellen, dass die Listen der Parteikandidaten bei den Wahlen mindestens zu neun Zehnteln aus kommunistischen Arbeitern, die noch in den Werkstätten, im Betriebe oder auf den Feldern arbeiten, und aus Bauern bestehen müssen. Die Vertreter freier Berufe können nur in eng begrenztem Maßstabe zugelassen werden, und zwar zu nicht mehr als einem Zehntel der Gesamtzahl der Sitze, die die Partei einnimmt oder durch ihre Mitglieder zu besetzen hofft: wobei in der Auswahl der Kandidaten, die den freien Berufen angehören, besondere Strenge herrschen muss. (Sorgfältige Prüfung ihrer politischen Vergangenheit, ihrer gesellschaftlichen Beziehungen, ihrer Treue und Ergebenheit für die Sache der Arbeiterklasse durch besondere, aus Proletariern bestehende Kommissionen.)

Nur unter solchen Umständen werden die kommunistischen Parlamentarier, Gemeinde– und Generalräte und Bürgermeister aufhören, eine in ihrer Mehrzahl mit der Arbeiterklasse nur schwach verbundene Berufskaste zu bilden, und werden statt dessen eines der Werkzeuge des revolutionären Kampfes der Massen werden.

Die kommunistische Arbeit in den Kolonien

Der 4. Kongress richtet noch einmal die Aufmerksamkeit auf die außerordentliche Wichtigkeit einer richtigen und systematischen Arbeit der Kommunistischen Partei in den Kolonien. Der Kongress verurteilt scharf die Stellung der kommunistischen Sektion von Sidi Bel Abbas, die durch eine pseudo–marxistische Phraseologie einen Standpunkt reiner Sklaverei bemäntelt und im Grunde genommen die imperialistische Herrschaft des französischen Kapitals über seine Kolonialsklaven unterstützt. Der Kongress ist der Ansicht, dass unsere Arbeit in den Kolonien sich nicht auf Elemente, die so durchdrungen sind von kapitalistischen und nationalistischen Vorurteilen, stützen darf, sondern auf die besten einheimischen Elemente und in erster Linie auf die einheimische Proletarierjugend.

Nur der entschiedenste Kampf der Kommunistischen Partei im Mutterlande gegen die Kolonialsklaverei und ein systematischer Kampf in den Kolonien selbst kann den Einfluss der extrem–nationalistischen Elemente der unterdrückten Kolonialvölker auf die arbeitenden Massen abschwächen, die Sympathie dieser letzteren für die Sache des französischen Proletariats gewinnen und dadurch dem französischen Kapital die Möglichkeit nehmen, in der Epoche der revolutionären Erhebung des Proletariats die Eingeborenen der Kolonien als letzte Reserve der Konterrevolution zu benutzen. Der 4. Weltkongress fordert die französische Partei und ihr Zentralkomitee auf, der Kolonialfrage und der Propaganda in den Kolonien unvergleichlich mehr Aufmerksamkeit, Kräfte und Mittel als bisher zuzuwenden, und insbesondere beim Zentralkomitee selbst ein ständiges Büro zu schaffen für die Arbeit in den Kolonien unter Heranziehung von Vertretern der kommunistischen Organisationen von Eingeborenen.

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