Leo Trotzki‎ > ‎Komintern‎ > ‎

Leo Trotzki 19210715 Rede auf der Zweiten Weltkonferenz Kommunistischer Frauen

Leo Trotzki: Rede auf der Zweiten Weltkonferenz Kommunistischer Frauen

[Eigene Übersetzung nach The first five years of the Communist International, Band 1, New York 1945, S. 153-157]

Genossinnen! Wir kommen nun zusammen – Ihre Konferenz Kommunistischer Frauen und der gegenwärtige Kongress der Kommunistischen Internationale – wir kommen nun zusammen und machen unsere Arbeit zu einem Zeitpunkt, der nicht die Entschiedenheit, die Klarheit und die plastischen grundlegenden Merkmale zu haben scheint, die auf den ersten Blick als die kennzeichnenden Merkmale des Ersten Weltkongresses erschienen, als er direkt nach dem Krieg zusammentrat. Unsere Feinde und unsere Gegner sagen sogar, dass wir mit unseren Berechnungen völlig und total falsch lagen. Wir Kommunisten hatten angenommen und gehofft, so sagen unsere Gegner, dass die proletarische Weltrevolution entweder während dem Weltkrieg oder unmittelbar danach ausbrechen werde. Aber jetzt endet schon das dritte Jahr seit dem Krieg und in diesem Zeitraum haben zwar viele mächtige Bewegungen stattgefunden, aber nur in einem Land, nämlich in unserem eigenen wirtschaftlich, politisch und kulturell rückständigen Russland hat die revolutionäre Bewegung zur Diktatur des Proletariats geführt – einer Diktatur, die sich bis heute halten konnte und die sich, wie ich hoffe, noch lange halten wird. In anderen Ländern hat die revolutionäre Bewegung nur zur Ersetzung der Hohenzollern- und Habsburg-Regime durch bürgerliche Regime in Form bürgerlicher Republiken geführt. Schließlich ebbte in einer ganzen Reihe von Ländern die Bewegung ab, wobei Streiks, Demonstrationen und isolierte Aufstände unterdrückt wurden. Im Allgemeinen wurde der Kern des kapitalistischen Regimes während des ganzen Weltkriegs mit der Ausnahme Russlands bewahrt.

Daraus zogen unsere Feinde die Schlussfolgerung, dass, weil der Kapitalismus nicht als Ergebnis des Weltkriegs im Verlauf der ersten zwei bis drei Nachkriegsjahre zusammengebrochen ist, als Bilanz gezogen wurde, daraus folge, dass das Weltproletariat seine Unfähigkeit gezeigt habe, während der Weltkapitalismus seine Fähigkeit und Macht gezeigt habe, seine Stellungen zu halten, sein Gleichgewicht wiederherzustellen.

Und genau an diesem Augenblick diskutiert die Internationale die Frage: Wird die unmittelbar bevorstehende Periode, die nächsten paar Jahre, die Wiederherstellung der kapitalistischen Herrschaft auf neuen und höheren Grundlagen beinhalten? Oder wird sie einen anschwellenden Ansturm des Proletariats auf den Kapitalismus beinhalten, einen Ansturm, der die Diktatur der Arbeiterklasse herbeiführen wird? Dies ist die grundlegende Frage für das Weltproletariat und folglich auch für seine Frauensektion. Natürlich, Genossinnen, kann ich hier nicht einmal versuchen, eine vollständige Antwort auf diese Frage zu geben. Mir steht zu wenig Zeit zur Verfügung. Ich werde versuchen, es zu machen, wie es mir das Exekutivkomitee der Komintern auf dem Kongress aufgetragen hat. Aber eines ist völlig klar für uns Kommunisten, Marxisten. Wir wissen, dass die Geschichte und ihre Bewegung von objektiven Ursachen bestimmt sind, aber wir wissen auch, dass die Geschichte von Menschen und durch Menschen gemacht wird. Die Revolution wird von der Arbeiterklasse vollbracht. Die Geschichte stellt uns folglich die Frage wesentlich folgendermaßen: Der Kapitalismus bereitete den Weltkrieg vor; der Weltkrieg brach aus und zerstörte Millionen Leben und Nationalreichtum im Wert von Milliarden Dollar. Er hat alles erschüttert. Und hier stehen auf diesen halb zerstörten Grundlagen zwei Klassen im Kampf miteinander – die Bourgeoisie und das Proletariat. Die Bourgeoisie versucht, das kapitalistische Gleichgewicht und ihre Klassenherrschaft wiederherzustellen. Das Proletariat versucht, die Herrschaft der Bourgeoisie zu stürzen.

Es ist unmöglich, die Frage mit dem Stift in der Hand zu entscheiden, wie man eine Liste Lebensmittel zusammenstellt. Es ist unmöglich zu sagen: Die Geschichte hat eine Wendung zur Wiederherstellung des Kapitalismus gemacht. Es ist nur möglich zu sagen: wenn die Lehren der ganzen vorangegangenen Periode – die Lehren des Krieges, die Lehren der Russischen Revolution, die Lehren der Halbrevolutionen in Deutschland, Österreich und anderswo – wenn diese Lehren für die Katz’ sind, wenn die Arbeiterklasse erneut zustimmt, ihren Nacken unter das kapitalistische Joch zu beugen, dann wird die Bourgeoisie vielleicht in der Lage sein, ihr Gleichgewicht wiederherzustellen, indem sie die Zivilisation Westeuropas zerstört und das Zentrum der Weltentwicklung nach Amerika, nach Japan, nach Asien verlegt. Ganze Generationen würden zerstört werden müssen, um dieses neue Gleichgewicht zu schaffen. Auf dieses Ziel richten nun die Diplomaten, die Militärs, die Strategen, die Ökonomen, die Geschäftemacher der Bourgeoisie all ihre Anstrengungen. Sie wissen, dass die Geschichte zwar ihre tiefen Gründe hat, aber trotzdem von Menschen durch ihre Organisationen und durch ihre Parteien gemacht wird; und folglich haben sich unser Kongress und Ihre Frauenkonferenz versammelt, genau um in die unentschiedene geschichtliche Lage die Gewissheit des Bewusstseins und den Willen der revolutionären Klasse einzubringen. Das ist das Wesentliche des Moments, in dem wir leben, und darin liegt auch das Wesentliche unserer Aufgabe.

Wir können sagen, dass die Machtübernahme nicht länger als eine so einfache Sache erscheint, wie sie vielen von uns vor zwei oder drei Jahren erschien. Im Weltmaßstab ist die Aufgabe der Machteroberung äußerst schwierig und kompliziert. Man muss sich bewusst sein, dass im Proletariat selbst verschiedene Schichten sind, verschiedene Niveaus der geschichtlichen Entwicklung und sogar verschiedene Augenblicksinteressen. All dies wird unausweichlich zu gegebener Zeit spürbar. Eine Schicht des Proletariats nach der anderen wird in den revolutionären Kampf gezogen, geht durch seine Schule, verbrennt sich die Fingern, zieht sich zurück. Ihnen folgt eine andere Schicht, in deren Gefolge noch eine kommt, und alle von ihnen werden nicht gleichzeitig, sondern zu verschiedenen Zeiten hineingezogen; sie gehen durch den Kindergarten, die erste, zweite und weitere Stufen der revolutionären Entwicklung. Und all dies zu einer Einheit zu verbinden – ach, das ist eine ungeheuer schwierige Aufgabe! Das Beispiel Deutschland hat dies schon gezeigt. Dort, in Mitteldeutschland, war diese Schicht des Proletariats vor dem Krieg die rückständigste und den Hohenzollern ergebenste Schicht und sie wurde heute die revolutionärste und dynamischste.

Das selbe passierte in unserem Land, als der rückständigste Teil des Proletariats – das Proletariat des Ural – in einem bestimmten Augenblick aus einer ganzen Reihe von Gründen der revolutionärste wurde. Sie machten eine große innere Krise durch. Und auf der anderen Seite, um nach Deutschland zurückzukehren, nehmen wir zum Beispiel die fortgeschrittenen Arbeiter von Berlin und Sachsen, die früh den Weg der Revolution betraten und sich sofort ihre Finger verbrannten; sie schafften es nicht nur nicht, die Macht zu übernehmen, sie erlitten auch eine Niederlage und waren daher seitdem viel vorsichtiger. Und gleichzeitig die Arbeiterbewegung in Mitteldeutschland, eine sehr revolutionäre Bewegung, die mit so großer Begeisterung begann – diese Bewegung schaffte es nicht, mit der Bewegung jener Arbeiter zusammenzufallen, die viel höher entwickelt war, aber die vorsichtiger und auf gewisse Weise konservativer war. Schon aus diesem Beispiel können Sie sehen, Genossinnen, wie schwierig es ist, die verschiedenen Äußerungen unter Arbeitern verschiedener Branchen und Entwicklungsniveaus und Kultur zusammenzubringen.

Im Fortschritt der Weltarbeiterbewegung spielen Arbeiterinnen eine große Rolle. Ich sage das nicht nur, weil ich auf einer Frauenkonferenz rede, sondern weil die bloßen Zahlen zeigen, was für einen wichtigen Teil die Arbeiterin im Mechanismus der kapitalistischen Welt spielt – in Frankreich, in Deutschland, in Amerika, in Japan, in jedem kapitalistischen Land … Statistiken teilen mir mit, dass es in Japan viel mehr Arbeiterinnen als Arbeiter gibt; und folglich müssen, wenn die mir vorliegenden Daten glaubwürdig sind, in der Arbeiterbewegung Japans die proletarischen Frauen die entscheidende Rolle spielen und den entscheidenden Platz einnehmen. Und allgemein gesagt steht in der Weltarbeiterbewegung die Arbeiterin am nächsten gerade dem Teil des Proletariats, der von den Bergarbeitern Mitteldeutschlands vertreten wird, von denen ich gerade gesprochen haben; das heißt: der Teil der Arbeiterklasse, der am rückständigsten, am meisten unterdrückt ist, die Untersten der Unteren. Und gerade deshalb kann und muss in den Jahren der kolossalen Weltrevolution dieser Teil des Proletariats der aktivste, revolutionärste und initiativste Teil der Arbeiterklasse werden.

Natürlich sind bloße Energie, bloße Bereitschaft zum Angriff nicht genug. Aber gleichzeitig ist die Geschichte voller Beispiele wie diese: dass sich während einer mehr oder weniger langgezogenen Epoche vor der Revolution im männlichen Teil der Arbeiterklasse, besonders unter den privilegierteren Schichten sich übermäßige Vorsicht ansammelt, übermäßiger Konservatismus, zu viel Opportunismus und übergroße Anpassungsbereitschaft. Und die Reaktion auf ihre eigene Rückständigkeit und Erniedrigung, die von Frauen gezeigt wird, kann, wie gesagt, eine kolossale Rolle in der revolutionären Bewegung insgesamt spielen. Es gibt zusätzlichen Grund zu glauben, dass wir gegenwärtig auf einen Knick in der Geschichte gestoßen sind, einen vorübergehenden Halt. Drei Jahre nach dem imperialistischen Krieg bleibt der Kapitalismus bestehen. Das ist ein Tatsache. Dieser Halt zeigt, wie langsam die objektiven Lehren der Ereignisse und Tatsachen sich auf den menschlichen Geist, auf die Psychologie der Massen auswirken. Das Bewusstsein hinkt weit hinter den objektiven Ereignissen her. Wir sehen das direkt vor unseren Augen. Trotzdem wird die Logik der Geschichte ihren Weg durch das Bewusstsein der werktätigen Frauen sowohl in der kapitalistischen Welt als auch im asiatischen Osten bahnen. Und erneut wird es die Aufgabe unseres Kongresses sein, nicht nur von neuem zu bekräftigen, sondern auch genau und präzise zu formulieren, dass das Erwachen der werktätigen Massen im Osten heute ein integraler Teil der Weltrevolution ist, genauso wie die Erhebung der Proletarier im Westen. Und der Grund dafür ist dies: Wenn der englische Kapitalismus, der mächtigste Kapitalismus im geschwächten Europa, es geschafft hat, sich zu halten, liegt es genau daran, dass er sich nicht nur auf die wenig revolutionären englischen Arbeiter stützt, sondern auch auf die Trägheit der werktätigen Massen des Ostens.

Im Allgemeinen und insgesamt kann man sagen, dass trotzdem die Ereignisse sich langsamer entfalten als wir erwarteten und wünschten, wir in dem Zeitraum seit dem ersten Weltkongress stärker geworden sind. Es stimmt, dass wir gewisse Illusionen hatten, aber zum Ausgleich haben wir unsere Fehler bemerkt und ein paar Dinge gelernt; und statt der Illusionen haben wir eine klarere Vorstellung erlangt. Wir sind herangereift; unsere Organisationen sind stärker geworden. Unsere Feinde haben den Zeitraum auch nicht ungenutzt gelassen. All dies zeigt, dass der Kampf schwer und hart werden wird. Dieser Kampf fasst die Bedeutung der Arbeit Ihrer Konferenz zusammen. In Zukunft werden Frauen in viel geringerem Grad als in der Vergangenheit im politischen Sinne „barmherzige Schwestern” sein, das heißt: sie werden viel direktere Teilnehmerinnen an den revolutionären Hauptkampffronten sein. Deshalb preise ich aus tiefstem Herzen, wenn auch etwas spät, ihre Weltfrauenkonferenz und rufe zusammen mit ihnen: Hoch das Weltproletariat! Hoch die Arbeiter der Welt!

Kommentare