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Leo Trotzki 19210702 Redebeitrag über den Bericht des Genossen Radek über die Taktik

Leo Trotzki: Redebeitrag über den Bericht des Genossen Radek über die Taktik

[14. Sitzung, 2. Juli 1921, Protokoll des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale. Band 2, Hamburg 1921, S. 637-650]

TROTZKI. Zunächst eine ganz kleine formelle Bemerkung. Genosse Thälmann, dessen leidenschaftliche Rede wir soeben hier gehört haben, beklagte sich darüber, dass es ihn nicht vergönnt war, nach mir zu sprechen. Nun wird ja die Reihenfolge durch die Rednerliste bestimmt. Genosse Thälmann sagte auch, er sei ein sehr disziplinierter Genosse. Als solcher musste er sich auch der Disziplin der Rednerliste fügen und hatte eigentlich kein Recht, sich über diese objektive Tatsache zu beklagen.

Genosse Thälmann hat sich auch, und zwar ebenfalls mit Unrecht, über den Genosse Lenin beklagt und die Sache so hingestellt, als ob Genosse Lenin gesagt hätte: da schlagen wir ihnen taktische Thesen vor und die übrigen Delegationen haben nicht das Recht für sich in Anspruch zu nehmen, Änderungsanträge vorzuschlagen. So war es nicht gemeint und diese Einstellung des Genossen Thälmann ist in dieser Beziehung ganz falsch. Lenin hat gesagt: Die Thesen, die wir vorschlagen, sind nicht das Elaborat, nicht das Produkt der russischen Delegation, die sich in einem Stübchen versammelt und dann in einer kleinen Stunde die Thesen ausgearbeitet hat. O nein, Genosse Thälmann kann diesbezügliche Erkundigungen bei den Mitgliedern seiner eigenen Delegation darüber einholen, dass wir ziemlich große, langwierige und stellenweise leidenschaftliche Verhandlungen und Diskussionen auch mit den Mitgliedern der deutschen Delegation über die Thesen hatten, dass verschiedene Vorschläge vorgelegt worden sind, auch von der deutschen Delegation, dass man einander Konzessionen machte. Aus diesem ziemlich langwierigen Prozess sind diese Thesen entstanden. Und ich behaupte nicht, dass diese Thesen von allen Parteien, Gruppen und Tendenzen gebilligt worden sind, ich behaupte aber, dass diese Thesen unsererseits als Kompromiss betrachtet werden, als Kompromiss in der Richtung nach links. Was das Wort links hier bedeutet, werde ich später des näheren zu erörtern versuchen. Jetzt will ich nur noch mit Nachdruck feststellen, dass wir diese Thesen als maximale Zugeständnisse betrachten an diejenige Tendenz, die hier von vielen Genossen, so auch vom Genosse Thälmann verteidigt worden ist.

Genossen, mehrere Delegierte haben mir gegenüber privatim ihrer Ungeduld darüber Ausdruck verliehen, dass die deutsche Delegation hier ziemlich viel Zeit für sich in Anspruch nimmt und ihre internen Angelegenheiten so breit hier erörtert. Die Ungeduld dieser Genossen ist meines Erachtens nicht berechtigt. Es handelt sich hier in erster Linie um die Märzaktion. Selbstverständlich ist es etwas Menschliches, allzu Menschliches, dass mit dieser ganz politischen Frage auch persönliche Fragen, persönliche Reibungen, Leidenschaften zusammenhängen. Wohl haben manche unserer Genossen diese persönliche Seite der Frage und diese Leidenschaften etwas allzu sehr zugespitzt. wie es Genosse Heckert tat, dessen Rede im Übrigen recht interessant war. Aber ich meine, wir müssen doch die Hauptsache herausfinden, die Hauptfrage herausschälen, und diese Frage, diese Hauptfrage ist keine deutsche Frage, sie ist eine eminent internationale Frage. Die deutsche Partei ist diejenige unter den westeuropäischen, vom russischen geografischen Standpunkte aus, die, nachdem sie sich zu einer selbständigen, festumrissenen. großen Partei entwickelt hatte, zum ersten Mal selbständig eine Aktion leitete. Und weil die junge, ganz junge Italienische Partei, und die größere, aber als Kommunistische Partei ebenfalls junge Französische Partei in dieser Beziehung ähnlichen Situationen gegenüberstehen, glaube ich, dass alle Delegationen, und insbesondere die erwähnten, aus dieser Frage vieles zu lernen haben.

Ich werde meine Ausführungen über die Märzaktion mit der Erörterung der Änderungsanträge beginnen, die vorgeschlagen worden sind. Denn wir werden zwischen zwei Tendenzen zu wählen haben. Von redaktionellen und sachlichen Ergänzungen zu der ursprünglichen Fassung der Thesen will ich natürlich gar nicht sprechen. Wir werden also zwischen zwei Tendenzen zu wählen haben. Zwischen der einen Tendenz, die hier vom Genossen Lenin, Genossen Sinowjew und in erster Linie vom Genossen Radek, der ja den Bericht erstattete, und jetzt von mir verteidigt, und dann sind da diese Änderungen, diese Vorschläge, in denen man eine andere Tendenz zum Ausdruck bringt, oder bringen möchte. Daher ist es wichtig, dass man sich mit diesen Abänderungsvorschlägen beschäftigt. Ich will mich nur auf jenen Passus beschränken, der sich auf die Märzaktion bezieht. Unsere Vorschläge sagen darüber, dass wir die Märzaktion als einen der VKPD durch den Angriff der Regierung auf das mitteldeutsche Proletariat aufgezwungenen Kampf ansehen, dass wir das mutige Auftreten der VKPD anerkennen, die dadurch bewiesen hat, dass sie die Partei des revolutionären Proletariats Deutschlands ist”. Dann deckt man die wichtigen Fehler auf, die bei dieser Aktion begangen worden sind, und dann erteilen wir zum Schluss folgenden Rat:

Die VKPD muss im Interesse der sorgfältigen Abwägung der Kampfesmöglichkeiten aufmerksam die Stimmen berücksichtigen, die auf Schwierigkeiten der Aktionen hinweisen und sie auf ihre Berechtigung sorgfältig prüfen. Aber sobald eine Aktion von den Parteibehörden beschlossen wird, haben sich alle Genossen den Beschlüssen der Partei zu fügen, und diese Aktionen durchzuführen. Die Kritik an Aktionen darf nur nach deren Abschluss beginnen, sie darf nur in Parteiorganisationen geübt werden und muss Rücksicht nehmen auf die Lage, in der sich die Partei dem Klassengegner gegenüber befindet. Da Levi diese selbstverständlichen Forderungen der Parteidisziplin und die Bedingungen der Parteikritik missachtet hat, heißt der Kongress seinen Ausschluss aus der Partei gut und hält jede politische Mitarbeit der Mitglieder der Kommunistischen Internationale mit ihm für unzulässig.”

Nun, der Genosse Brand war ja entschieden dagegen, dass man eine Stelle errichte, auf deren mahnende Stimme die Partei zu horchen hat. Zu dem Genossen Brand, der verschiedenes, wie die mahnende Stimme, die Statistik und manches andere zurückweist, werden wir vielleicht noch zurückkehren. Was schlagen uns nun die deutschen und die anderen Genossen, die die Abänderungsvorschläge verfertigt haben, zu diesem Paragrafen vor? Sie schlagen uns vor, anzuerkennen, dass der III. Kongress der Kommunistischen Internationale die Märzaktion der VKPD für einen Schritt nach vorwärts halte und sagen: „Diese Aktion bedeutet den Übergang der stärksten Massenpartei Mitteleuropas zum wirklichen Kampf, den ersten Versuch zur Verwirklichung der führenden Rolle der Kommunistischen Partei in den Kämpfen des deutschen Proletariats, zu der die Partei sich in ihrem Gründungsprogramm bekannt hatte. Die Märzaktion bedeutet die Enthüllung und Überwindung des offenen konterrevolutionären Charakters der USPD und der verkappten zentristischen Elemente in den Reihen der VKPD selbst. Die Märzaktion hat infolge zahlreicher in der Aktion auftretender Fehler und organisatorischer Mängel der Partei ermöglicht, diese Mängel und Fehler klar zu sehen und mit ihrer Abstellung zu beginnen. Sie hat in ihrem Verlauf die nicht genügend straffe Kampfdisziplin der Partei aufgedeckt und zu ihrer Festigung beigetragen. Sie hat ferner nicht unbeträchtliche Massen sozialdemokratischer Arbeiter mitgerissen und eine revolutionäre Gärung in diesen Parteien veranlasst. Die Aktion hat, weit davon entfernt, die Organisation zu zerrütten, ihren Kampfgeist gestärkt,” usw. usw.

Wenn man vom Kongress fordert, dass er feststelle, die Märzaktion war nicht nur ein Massenkampf, eine Massenaktion, der Arbeiterschaft und somit auch der Partei aufgezwungen, dass die Partei dabei sich mutig gehalten habe, wenn man vom Kongress auch fordert, dass er anerkenne, die Partei habe den Versuch gemacht, die führende Rolle der Kommunistischen Partei in den Kämpfen zu verwirklichen, so muss man ja auch dem Kongress das Recht überlassen, zu sagen, ob dieser Versuch glücklich oder unglücklich war. Wenn wir sagen, die Märzaktion war ein Schritt nach vorwärts, so verstehen wir darunter — ich wenigstens — die Tatsache, dass die Kommunistische Partei nicht mehr als Opposition innerhalb der Unabhängigen Sozialistischen Partei, oder als eine propagandistische kommunistische Organisation vor uns steht, sondern als eine einheitliche, selbständige, geschlossene, zentralistische Partei, die die Möglichkeit hat, selbständig in den Kampf des Proletariats einzugreifen, und dass dies zum ersten Mal in der Märzaktion geschehen ist. Ich habe mit den französischen Freunden anlässlich des II. Kongresses oft über die Situation innerhalb der Gewerkschaften und der Partei gesprochen und habe gesagt: Ja, Ihr seid zusammen mit Syndikalisten, Anarchisten, Sozialisten und Ihr seid nichts mehr als eine Opposition. Man sieht ja die Tendenz, Nuancen in Erfolg, vielleicht auch die potentiellen Dummheiten. Es wird das ein großer Fortschritt sein in dem Moment, wo sie sich aus der alten Organisation loslösen und als selbständige Macht auftreten. Nun ist das im ganzen Umfange geschehen. Das will aber gar nicht sagen, dass dieses erste Auftreten, dieser Versuch, selbständig eine führende Rolle zu spielen, ein Glück war. Man sagt aber, wir haben daraus sehr viel gelernt und auch aus den Fehlern. So heißt es in den Abänderungsvorschlägen, ich will sie nicht verlesen, allein es wird dort gesagt, dass gerade das große Verdienst der Märzaktion darin bestehe, dass sie die Möglichkeit gegeben habe, die Fehler, die man dabei gemacht hatte, festzustellen. um sie dann später zu beseitigen. Ja, wenn wir auf diesem Wege Verdienste suchen, so ist das selbstverständlich eine ganz kühne Auffassung. Ich habe dem Genosse Thalheimer im Privatgespräch gesagt, es erinnere dies an einen russischen Übersetzer, der in den siebziger Jahren ein englisches Buch übersetzt und im Vorwort vorausgeschickt hat, er habe das Buch übersetzt, damit die Welt sehe, wie wertlos dieses Buch ist. (Heiterkeit.) Man beginnt doch eine Aktion nicht darum, dass man aus der Aktion ersehen soll, welche Fehler man dabei begeht, um sie dann zu beseitigen. Diese Abänderungsvorschläge sind im Geiste der Verteidigung geschrieben, nicht im Geiste der Analyse.

Genosse Heckert hat in seiner interessanten Rede uns ein Bild der Märzaktion gegeben in dem Sinne, man habe eine sehr stark zugespitzte Lage gehabt. Die Frage der Reparationen, die Ruhrbesetzung, Oberschlesien, ökonomische Krise, Arbeitslose, große Streiks. In diesem ganzen Rahmen der weltgeschichtlichen Bewegung verschärften sich noch die Gegensätze, und das gab sozusagen den letzten Anstoß für den Angriff der Partei die Bewegung der Arbeiter Mitteldeutschlands. Wahrlich ein schönes, ehrliches, ökonomisches Bild. Aber ein anderer Genosse, der dieselbe Aktion verteidigte, entwarf uns ein ganz entgegengesetztes Bild. Wenn Genosse Thalheimer nach 30 Jahren, wenn er schon ergraut sein wird, die Feder Mehrings nimmt, um die Geschichte der Kommunistischen Partei zu schreiben, so wird er Dokumente und Bücher..

RADEK. In meinem Zauberkoffer . . . (Heiterkeit.)

TROTZKI (fortfahrend): Dokumente und Bücher auftreiben, in denen man ein ganz anderes Bild der Bewegung findet. Nämlich die internationale Lage war ziemlich konfus, und sie steuerte im Großen und Ganzen einem Kompromiss zu. Die oberschlesische Frage schwebte in der Luft. Sie konnte auch keine revolutionäre Wirkung ausüben. Die Entwaffnungsfrage in Bayern. Die „Rote Fahne” erklärte stets im Gegensatz zu Heckerts gestriger Rede, es werde immer klarer, dass man die Angelegenheit mit einem Kompromiss auf Kosten der revolutionären Arbeiterschaft Bayerns und ganz Deutschlands erledigen werde, und zwar ohne große weltpolitische Zusammenstöße und ohne Zusammenstöße zwischen der deutschen und bayerischen Regierung. Auch dafür wird Genosse Thalheimer nach 30 Jahren Artikel entdecken, die beweisen, dass die Krise in Deutschland einen ganz anderen Charakter hatte und hat wie in den Vereinigten Staaten oder in England, dass sie sich nicht so katastrophal zuspitzte, wie in diesen beiden Staaten, dass in Deutschland das ganze ökonomische Leben eine Fäulnis darstelle, und auch die Krise keine Kraft hatte, sich unter den ökonomischen Bedingungen Deutschlands so auszutoben. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist minimal im Vergleich zu der in den Vereinigten Staaten und England.

Und die innere Konstellation, die Sozialdemokraten nehmen an der Regierung zur Hälfte teil, zur Hälfte bilden sie Opposition. Die Unabhängige Partei verfährt ebenso, und sie nähert sich immer mehr den Sozialdemokraten. Die Gewerkschaften, die bürokratische Führerschaft ist ganz gegen uns. Und welcher Schluss ist daraus zu ziehen? Derselbe Genosse sagt uns ja, es herrschte in der Arbeiterschaft ein Wall der Passivität, und es galt, diesen Wall der Passivität zu brechen durch die revolutionäre Initiative einer entschlossenen Minderheit. Heckert sagt dagegen, alles war in Aufruhr, alles war aufgewühlt. Sturm und Drang. Und dann kam die mitteldeutsche Geschichte. Der andere Genosse sagt: Alles war versumpft. Es war ein Wall der Passivität vorhanden. Wir mussten durchbrechen, koste es, was es wolle. Jedes dieser Bilder ist ja vortrefflich als ein in sich geschlossenes logisches Bild, aber ich meine, sie passen kaum zueinander. Ein anderer Genosse wieder, es war Genosse Koenen, meinte, es herrschte in Mitteldeutschland heller Aufruhr, und ringsumher herrschte Passivität. Es war Aktivität in Passivität eingekapselt. Man gewinnt aus alledem den Eindruck, dass die Mitglieder der deutschen Delegation die Sache noch immer so ansehen, dass man sie um jeden Preis verteidigen muss, nicht untersuchen, nicht analysieren, und alles, was wir hören, ist so zu sagen nur das Mittel, der Zweck ist aber, dass man die Märzaktion vor der Internationale um jeden Preis verteidigt. Das wird ja kaum gelingen, und dabei ist für mich das die Hauptsache, worauf Genosse Thälmann hingewiesen hat. Er hat gesagt, wenn wir die Thesen und sogar die Abänderungsvorschläge nehmen, so „werden wir in unserem Lande eine Umstellung machen”, und ich glaube, unser tapferer und hartnäckiger Genosse Thälmann hat damit Recht, er muss eine sehr gute Fühlung mit den Massen haben.

THÄLMANN. Jawohl, ausgezeichnete Fühlung.

TROTZKI (fortfahrend): Ich bezweifele das gar nicht, insbesondere, wenn ich den Geist der Verfassung in Betracht ziehe, in der manche Genossen aus Deutschland gekommen sind, oder in der sie in Deutschland manche Artikel und Broschüren veröffentlicht haben. Sie hatten ja eine ziemlich lange, unbequeme Reise nach Russland, um etwas kühler die Situation zu betrachten. Es sind die Thesen dann gekommen, die auf harten Widerstand stießen. Später folgte die mündliche Aussprache mit anderen Delegationen und auch mit der russischen, und da mussten die deutschen Genossen bemerken, dass die Genossen der Internationale die Dinge nicht mit der Brille der Deutschen ansehen. Da beginnen sie einen gewissen strategischen Rückzug anzutreten.

Es ist ja nicht zu leugnen, dass diese Abänderungsvorschläge in erster Linie gefährlich sind, nicht darin, was sie direkt und unmittelbar zum Ausdruck bringen, sondern darin, dass sie ziemlich verkappt, in ziemlich konfuser Form diejenigen Gedanken zum Ausdruck bringen möchten, die man im Namen der Zentrale in den heißesten Tagen des Kampfes und nach dem Kampfe unter der deutschen Arbeiterschaft, im Apparat der deutschen Kommunistischen Partei verbreitete. Und Genosse Thälmann und andere Genossen sagen sich, wir müssen mit Thesen zurückkommen, die uns nicht desavouieren. Wir wollen übrigens das auch nicht, wir wollen die Partei keineswegs desavouieren, denn die deutsche Partei ist eine unserer besten Parteien. Aber die ganze Auffassung der Märzaktion, die Bedingungen des Kampfes und des Sieges sind hier so aufgerollt, dass manche Artikel, manche Reden, manche Zirkulare der deutschen Zentrale, ihrer Mitglieder, als etwas ganz Schroffes und Gefährliches aufgefasst werden müssen. Das ist die Hauptsache. Sie wollen die Situation in dem Sinne beeinflussen, dass man Ihnen keinen präzise Resolution gibt, sondern eine konfuse Resolution, in die Sie allmählich den neuen Sinn, dem Sie vielleicht doch ein wenig ihr Gehör leihen möchten, allmählich und unmerklich hineininterpretieren wollen. Das ist die Hauptsache. So kann es nicht gehen. Denn wie wir die Gefahr auffassen, ist sie viel zu groß, um diesen Spielraum für das allmähliche und unmerkliche Austoben dieses Offensivgeistes zuzulassen. Darauf werden wir in keinem Fall eingehen, das ist ausgeschlossen. Ja, Sie können uns durch den Beschluss der Mehrheit des Kongresses erdrücken. Dann werden wir innerhalb des Rahmens, den uns der Kongress lassen wird, kämpfen. Aber ganz entschieden in dem Rahmen, den Sie uns lassen werden. Aber ich hoffe, dass es mit der taktischen Resolution ebenso gehen wird, wie mit der ökonomischen. Da haben auch die Genossen unserer deutschen Delegation aus dem linken Flügel paradieren wollen und haben diesen Thesen im Prinzip zugestimmt, doch eine Resolution unterbreitet, die ganz entschiedene Gegensätze enthielt. Dann hat sich aber erwiesen, dass sie das, was sie früher vorbringen wollten, nicht mehr wagten. Und in der Kommission sind nur ganz unbedeutende Reste geblieben. Ich glaube, ganz dasselbe wird mit den taktischen Fragen der Fall sein. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es ziemlich unangenehm ist, von einem Parteikongress, von einem Internationalen Kongress desavouiert zu werden. Allein, Genossen, ich glaube, dass es für Ihre Situation in Deutschland besser ist, in diese Frage Klarheit zu bringen. Ich glaube nicht, was Levi behauptet hat, dass die Partei daran zugrunde gehen wird. Allein der Kongress muss den deutschen Arbeitern sagen, dass das ein Fehler war, und dass der Versuch der Partei, eine führende Rolle in einer großen Massenbewegung zu spielen, nicht glücklich war. Wir müssen es verzeichnen, dass dieser Versuch ganz unglücklich war in dem Sinne, dass er, wenn er wiederholt werden sollte, diese gute Partei wirklich zugrunde richten könnte.

THALHEIMER. Sie wissen, dass das ausgeschlossen ist.

TROTZKI. Bei Ihnen ja, nicht aber bei den Tausenden der organisierten Arbeiter, die da meinten, der Kongress werde mit Jubel das begrüßen, was wir als Fehler betrachten. (Lebhafte Zustimmung.) Dasselbe gilt auch für unsere jungen französischen Freunde. In der Exekutive haben wir die Frage der Einberufung des Jahrganges 1919 erörtert, und wir haben die Frage gestellt, ob die Französische Partei nicht die Parole hätte ausgeben müssen, dass man der Einberufungsorder nicht Folge leisten soll.

Da habe ich unseren jungen Freund Laporte gefragt: wie meinen Sie das, ob diejenigen, die zu mobilisieren waren, bewaffneten Widerstand leisten sollten oder rein passiven Widerstand? Und der Genosse hat aus vollem Herzen geantwortet: aber selbstverständlich mit dem Revolver in der Hand. Ja, er meinte auch, dass er dadurch aus ganzem Herzen mit der Dritten Internationale übereinstimme, dass er dadurch der Dritten Internationale die größte revolutionäre Freude erweise und seine Pflicht erfülle, wenn er das sagt, und er meinte es auch ganz ernst und ist vollkommen bereit, mit dem Revolver gegen die Einberufung zu kämpfen. Natürlich haben wir ein Gefäß kalten Wassers auf ihn gegossen, und ich glaube, der Kamerad wird sich eines besseren besinnen. Er ist hergekommen in ein neues Milieu, das er nicht jeden Tag hat, die Ecken werden etwas abgeschliffen. Aber [wie ist es] in Deutschland, Frankreich, Ungarn: diese 2-3 Wochen, die hier in unseren Schädeln manches geändert haben, diese 2-3 Wochen, wo wir auf dem Kongress zusammenkommen! Aber dort, in den Ländern, was hat sich dort geändert? Nichts. Und diese famose Offensivphilosophie, die absolut unmarxistisch ist, ist folgendem seltsamen Geist entsprungen: Es bildet sich allmählich der Wall der Passivität heraus und das ist ein Unglück, das die Bewegung versumpft. Also auf! diesen Wall zu brechen! Ich meine, in diesem Geist hatte man im Laufe einer gewissen Zeit eine ganze Schicht der leitenden, halbleitenden Genossen der deutschen Partei erzogen, und sie warten, was der Kongress darüber sagen wird. Und wenn wir nun sagen, wir schleudern Paul Levi zum Fenster hinaus und über die Märzaktion nur in ganz konfusen Redensarten sagen, sie sei der erste Versuch gewesen, ein Schritt nach vorwärts, mit einem Wort, dass wir die Kritik phraseologisch verdecken, so haben wir damit unsere Pflicht nicht erfüllt. Wir sind verpflichtet, der deutschen Arbeiterschaft klipp und klar zu sagen, dass wir diese Offensivphilosophie als die größte Gefahr und in der praktischen Anwendung als das größte politische Verbrechen auffassen.

Ich bin ganz mit dem Genossen Sinowjew einverstanden und hege wie er die Hoffnung, dass wir auf diesem Kongress ganz einheitlich unsere Meinung festlegen werden, und ich glaube, dass wir in dieser hauptsächlichen, taktischen Frage keine großen Zugeständnisse an die sogenannte Linke werden machen können. Und manche Genossen, ich glaube, auch die französischen, waren etwas besorgt, dass man gegen die Linke kämpft; Genosse Sinowjew hat darüber gesprochen. Und glücklicherweise hat gerade in der französischen Sprache das Wort “la gauche” zweierlei Bedeutung: gauche, d. h. was links steht, und gauche was unbeholfen und plump ist. (Zuruf: linkisch). Ja, linkisch aber im schlimmen Sinne des Wortes. [Auf] Deutsch ist es auch halbwegs so. Also, ich meine, wir, die wir gegen die sogenannte Linke kämpfen, fühlen uns gar nicht rechts von dieser Linken.

Wir sehen keine Partei links von uns, denn wir sind die Internationale, die kommunistische, marxistische Internationale, wir sind die revolutionärste Partei, die es geben kann. Das bedeutet, diejenige Partei, die alle Situationen, alle Möglichkeiten auszubeuten imstande ist, und nicht nur Kämpfe zu führen, sondern auch den Sieg zu sichern vermag. Das ist das eigentliche Ziel und man vergisst manchmal, dass wir Strategie üben müssen, dass wir die Kraft des Feindes mit unseren eigenen kühlen Augen abzuschätzen, die Situation abzumessen und nicht in den Kampf zu gehen haben, um den Wall der Passivität zu brechen, oder wie ein anderer Genosse sagt: „um die Partei zu aktivieren”. Dabei müssen wir selbstverständlich auch etwas Statistik treiben. Obwohl der Genosse Brand sagt, dass sich die Opportunisten viel mit Statistik beschäftigen, und wir in seiner Rede die Gegenüberstellung Schwert und Statistik gehört haben, und in einer zweiten Rede wurden uns die Opportunisten überhaupt als Beute entgegengeschleudert. Diese Einstellung ist gefährlich für unsere italienischen Genossen, die mit Statistik noch viel zu tun haben werden. Wenn ich im Sinne von Heckert und Thalheimer über Italien spräche, dann würde ich sagen: da hat man ein Land, in dem die Arbeiterschaft die Fabriken besetzt hat, wo die Serratiner ihren Verrat geübt haben, wo die Faschisten die Arbeiterdruckereien stürmen und die Büros in Brand stecken — wenn diese Partei nicht aufruft: „Mit aller Macht vorwärts gegen den Feind”, dann ist das eine feige Partei, die vor dem Gericht der Weltgeschichte vollkommen verurteilt dastehen wird. Aber wenn wir nicht vom Standpunkt dieser phraseologischen Auffassung, sondern vom Standpunkte des kühlen Abwägens die Situation betrachten, dann werden wir sagen müssen, was Sinowjew gesagt hat. Sie müssen das Vertrauen der Arbeiterschaft von neuem gewinnen, da eben der Verrat die Arbeiterschaft viel vorsichtiger gemacht hat. Sie werden sich sagen, wir haben die Phraseologie von Serrati gehört. Der hat ungefähr dasselbe gesagt und hat sie dann verraten. Wo ist die Bürgschaft, dass die neue Partei sie nicht verrät? Sie wird von der Partei Taten sehen wollen, bevor sie unter ihrer Führerschaft in entscheidende Kämpfe gehen wird.

Wir haben hier auf dem Kongress drei einigermaßen ausgesprochene Tendenzen, drei Gruppen, die zeitweilig zu Tendenzen geworden sind und ohne deren Beachtung man das Spiel der Kräfte auf diesem Kongress nicht recht beurteilen kann. Da ist in erster Linie die deutsche Delegation, die aus dem Feuer der Märzaktion herausgekommen ist und ihre Auffassung am schärfsten in der Offensivphilosophie zum Ausdruck gebracht hat, welche selbstverständlich von manchen deutschen Genossen aufgegeben worden ist.

Dann die italienischen Genossen, die sich auf denselben Wegen befinden, selbstverständlich, weil die Partei von den Zentristen abgeprallt ist. Die italienischen Genossen sagen, jetzt haben wir endlich die Hände frei, jetzt können wir unsere Pflicht erfüllen, in revolutionäre Massenaktionen einzutreten und uns für den Verrat Serratis zu revanchieren. Und nun, Genossen, — Sie wissen, dass darüber nicht nur von Levi gesprochen worden ist, sondern auch von der kapitalistischen und unabhängigen Presse, — dass die Märzaktion von der Exekutive befohlen und Levi ausgeschlossen worden sei, weil er den Ukas nicht befolgt habe. Mancher Genosse in der französischen und tschechischen Partei fragte sich — das beweist, dass er mit dem Geist der Exekutive nicht ganz vertraut ist, aber es existieren in der Kommunistischen Internationale bei manchen Genossen solche Befürchtungen — vielleicht wird man mir im Namen der Exekutive auch einmal solche Befehle geben, und wenn ich sie dann nicht erfülle, dann werde ich aus der Partei ausgewiesen. Diese zwei Stimmungen existieren hier. Auch eine dritte Stimmung, die, wie wir hoffen, in unseren Thesen zum Ausdruck gekommen ist. Die sagt, dass es, selbstverständlich, Unsinn gewesen wäre, wenn die Exekutive sich auf diese taktische Philosophie der Steigerung der Kämpfe durch mehr oder minder künstliche Massenaktionen stellen wollte und Befehle in mehrere Länder schicken würde. Im Gegenteil, weil wir jetzt stark geworden sind, und weil wir dadurch vor die Aufgabe gestellt wurden als selbständige, zentralisierte Partei, die Massenbewegung zu führen, vielmehr die Schuldigkeit haben, die Situation in jedem Lande ganz genau mit kühlen Augen zu analysieren und wenn es möglich und notwendig ist, mit der ganzen Leidenschaft anzugreifen und vorzugehen. Das eben sagen die taktischen Thesen, die wir vorgeschlagen haben. In Frankreich, sagt der Genosse, gibt es keine Linken. Ja, es gibt sie nicht. Die Französische Partei befindet sich im Zustande der Mauserung. — Wenn Sie das Hauptorgan, die Humanité” lesen, so finden Sie einen ziemlich konfusen verschwommenen Ton in der Agitation, in der Rede. Also, man findet, selbstverständlich, in der Humanité” diejenigen — um mit dem Genossen Bucharin zu reden — Schweinereien, die Longuet und seine engeren Freunde geschrieben haben. Es ist ein vom kommunistischen Willen getragenes Blatt. Aber dieser Wille ist nicht genügend gespannt, der kommunistische Gedanke ist nicht genügend präzisiert und klar, man sieht nicht diesen Willen, der immer die Situation im revolutionären Sinne vorwärts treiben und aufklären muss. Wenn man das in dem Hauptorgan der Partei nicht sieht, so ist es für mich ausgeschlossen, dass so eine Partei von heute auf morgen die Möglichkeit bekommt, eine große, revolutionäre Massenaktion auszulösen und zu leiten. Die erste Voraussetzung ist, dass sich in ihm der klare revolutionäre Gedanke und Wille herauskristallisiert und in der gesamten Agitation und Propaganda zum Ausdruck kommt. Dieser Prozess der Herauskristallisierung, er kann 2, 3, 6 Monate, vielleicht ein Jahr in Anspruch nehmen, das hängt von den Verhältnissen ab und wird für viele Genossen nicht genügend schnell vor sich gehen. Sie geben sich nicht die Rechenschaft ab von der inneren Lage dieses Prozesses, der revolutionären Mauserung einer großen Partei. Sie wollen das umgehen und es scheint, als ob ihnen nur der Vorwand mangelt, um die revolutionäre Aktion zu beginnen. Da sagen sie, Frossard und andere machen es nicht. Das ist ein ausgezeichneter Vorwand. Da beginnen wir erst recht. Der Appell der Klasse 19 — und gerade in Frankreich, wo die Anarchisten, Syndikalisten so stark sind, mit dem französischen Temperament, mit der Pariser Arbeiterklasse ist es möglich, dass mancher Teil dieser Arbeiterschaft, ein ausgezeichneter Teil, der in den großen Kämpfen ausschlaggebend sein wird, dass dieser Teil von den jüngeren, weniger erfahrenen, durch ihre Ungeduld getriebenen Genossen, in eine Aktion hineingetrieben wird, die für die Entwicklung in Frankreich für Jahre hinaus verhängnisvoll werden kann. Das ist die Situation. Selbstverständlich, kann man sagen, Sie greifen diesen oder jenen Genossen an. Das ist unbedeutend. Er hat eine falsche Rede gehalten. Ja, Genossen, wenn jeder sich ein Urteil bilden könnte, dann hätte man kein Bedürfnis, diese Internationale zu haben. Darin besteht die Aufgabe, dass man, wenn man die Gefahr sieht, sei sie noch so klein, sie scharf zum Ausdruck bringt, dass man auf sie aufmerksam macht, wenn Sie wollen, dass man sie übertreibt. Dass ich oder Sie die Gefahr übertreiben, ist doch ganz unbedeutend, also eine Mahnung mit etwas erhöhter Stimme. Aber die andere Gefahr, dass man es versäumt oder verpasst, dass diese Tendenz heranwächst und mit einer Provokation zusammenstößt, dass daraus das Feuer des Abenteuers lodert, das ist die große Gefahr. Dadurch erklärt sich auch die Leidenschaft, mit der mancher Genosse darüber spricht. Und ich werde Ihnen sagen, wenn ich mit dem einen oder anderen Genossen privatim darüber spreche und merke, er versteht mich nicht, er denkt, ich bin älter, er ist jünger, ich habe schon etwas graue Haare, er ist etwas entschlossener, er fasst es als die Frage des Temperaments auf und sagt: „Du bist zu vorsichtig”, da sage ich mir: Die größte Gefahr besteht darin, dass mancher Genosse auch den Boden der Gefahr nicht versteht, dass er politisch, in revolutionärem Sinne, unerfahren ist, dass er diese Mahnung in ihrer Wirklichkeit, aber auch in ihrer Begrenztheit nicht versteht. Er meint, man rückt nach rechts. Nein, das ist nicht der Fall.

Man sagt, du bist jetzt von den Opportunisten abgeprallt und du machst diese Bewegung von innen, aber schau, auf der Welt existieren nicht nur die Opportunisten, sondern die Klassen, die kapitalistische Gesellschaft, die Polizei, die Armee, bestimmte ökonomische Verhältnisse, ein Teil mit dir, ein anderer gegen dich, der dritte ziemlich neutral, der vierte gegen dich, eine ganz komplizierte Welt, in der sich zurechtzufinden eine große Aufgabe ist. Das musst du lernen, wenn du mir antwortest. Ja, willst du, dass ich den Kampf mit den Zentristen aufnehme. Alle die Resolutionen des I. und II. Kongresses bleiben doch bestehen. Und die ganze Tätigkeit, die wir zu entfalten haben, ist doch immer für den Opportunismus ein Schlag ins Gesicht. Aber wir haben doch nicht nur die Aufgabe, den Opportunismus immer theoretisch zu verurteilen, wir haben praktisch die kapitalistische Gesellschaft zu überwinden, die Bourgeoisie auf den Rücken zu werfen und zu töten. Das ist die Aufgabe. Und für diese Aufgabe, — ich muss das wiederholen, muss man die kühle Sprache der Statistik mit der leidenschaftlichen Sprache der revolutionären Gewalt vereinigen. Wir werden das lernen und wir werden siegen. (Lebhafter Beifall und Applaus.)

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