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Leo Trotzki 19220112 Referat über die französische Frage

Leo Trotzki: Referat über die französische Frage

(28. Sitzung, 1. Dezember 1922)

[Protokoll des IV. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, Band II, Hamburg 1923, S. 838-873]

TROTZKI (mit Beifall empfangen): Wir haben jetzt eine äußerst wichtige und sehr schwierige Frage auf der Tagesordnung: die Frage unserer französischen Partei.

Die Kommunistische Partei Frankreichs macht jetzt eine sehr schwere Krise durch. Und diese Krise der Partei trifft merkwürdigerweise mit der Krise der französischen Bourgeoisie und ihres Staates zusammen.

Ich sage: merkwürdigerweise, denn im allgemeinen pflegen gerade die Krisen der bürgerlichen Organismen eine für die Entwicklung einer revolutionären Partei günstige Lage zu schaffen. Gewöhnlich schöpft die revolutionäre Partei aus der Krise der bürgerlichen Gesellschaft Kraft.

Das Zusammentreffen dieser beiden Krisen veranlasst mich, darauf zu schließen, dass die französische Partei in ihrer Organisation und in ihrer Aktion noch nicht jene absolute Selbständigkeit und Freiheit der kapitalistischen Gesellschaft gegenüber erlangt hat, deren sie bedarf, um die Krise der letztgenannten frei und ausgiebig ausnutzen zu können. Wir werden dies später eingehender und genauer sehen.

Worin besteht aber diese Krise, deren Vorhandensein niemand in Abrede stellt?

Es wird auf den Stillstand und sogar auf den Rückgang der Werbetätigkeit hingewiesen. Die Auflage unserer Blätter, unserer Pressemitteilungen und besonders der “Humanité” nehmen ab. Das innere Leben der Organisationen stockt.

Das sind die frappantesten und zugleich offenkundigsten und unleugbarsten Anzeichen.

Es gibt aber auch noch andere. In der Partei hat sich das Fraktionssystem eingenistet. Die Kämpfe der Fraktionen, die herben, zuweilen sogar persönlichen Polemiken bilden verschiedene, unbestreitbare Ausdrucksformen einer tiefen Krise im Organismus der Partei.

Diese äußeren Erscheinungen sind nicht von ausschlaggebender Bedeutung für die Entwicklung unserer französischen Partei.

Der Rückgang unserer Werbetätigkeit bedeutet keine große Gefahr, wenn er nur vorübergehend ist und wenn er nur eine Folge der Tatsache ist, dass unsere Partei in der ersten Periode Elemente an sich gezogen hat, die weder durch ihre Mentalität noch durch ihren Standpunkt zu uns gehören, und dass sie diese Elemente entfernt, um ihre Einheit, ihre kommunistische Festigkeit zu steigern und zu stabilisieren. Selbst die Abnahme der Auflagen der Presse bedeutet keine Gefahr. Dies ist vielleicht nur eine vorübergehende Erscheinung, die durch die Veränderung der politischen Lage hervorgerufen wurde.

Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass wir in der Geschichte unserer verschiedenen Parteien beobachtet haben, dass ihre Entwicklung nie eine ganz gerade ist, dass es einen unvermeidlichen Wechsel von Ebbe und Flut gibt, dass zur Zeit der Flut die Partei eine großangelegte äußere Aktion entwickeln muss, um die Massen an sich zu reißen, während sie zur Zeit der Ebbe sich auf sich selbst konzentrieren, sich in sich selbst kehren muss, um ihre Organisation zu entwickeln, ihre Ideen zu präzisieren und sich auf die unvermeidlichen Kämpfe vorzubereiten.

Viel bedeutungsvoller ist das Fraktionswesen und der Fraktionskampf.

Woher kommen die Fraktionen? Wer trägt die Verantwortung für dieses System?

Man kann hierauf eine Antwort geben, die mehr beschreibend ist, eine Antwort, der man in der Presse unserer französischen Partei ziemlich häufig begegnet. Ich werde einen Genossen zitieren, der Ihnen wohl bekannt ist, den Genossen Frossard, der in der “Humanité” vom 16. Juli einen Artikel mit der Überschrift: “Das wird also nie ein Ende nehmen!” geschrieben hat. Ich entnehme daraus folgende Sätze: “Es ist ja, als kämen wir aus Byzanz! Wir sind ja die richtigen Haarspalter! Wir sind ja armselige Nörgler! Wie müssen wir die wahren Helden bedauern, die uns lesen!”

Das ist ein sehr düsteres Bild. In diesen Sätzen finden wir aber nur eine äußere Beschreibung der Lage der Partei. Weshalb sind wir so, als kämen wir aus Byzanz? Weshalb sind wir armselige Nörgler und Haarspalter? Was liegt dieser Behauptung zugrunde? Eine Frage, die unbedingt eine Antwort erfordert. Es wird zuweilen auch die Frage aufgeworfen, von welcher Seite die Polemiken, die allgemeinen Polemiken und die persönlichen Polemiken, stammen.

Jene Genossen, die derselben Tendenz angehören wie unser Genosse Frossard, bezeichnen oft die Linke als die Triebkraft dieser Polemiken und gleichzeitig als Triebkraft des Fraktionssystems. Dieses Fraktionssystem wird aber sehr oft von Genossen bloßgestellt, die selber den Fraktionen angehören und die dieses System als durchaus künstlich betrachten, als System, das in keiner Hinsicht auf Ideen beruht und das weder den politischen Fähigkeiten, noch den politischen Zielen entspricht. Ich gestatte mir aus einem Artikel Daniel Renoults zu zitieren, der im September in der “Humanité” erschienen ist: “Wie mein Freund Duret - dem übrigens in dieser Frage nie eine Antwort zuteil wurde - sagte, kann eine ernste und wichtige Gruppierung in der Partei nur in der Aktion und durch die Aktion bewerkstelligt werden”.

Man sieht also, dass die Fraktionen sich einerseits grimmig bekämpfen und dass andererseits die Vertreter der beiden Fraktionen erklären, dass diese Gruppen bloß in künstlicher Weise gebildet worden sind und dass man eine richtige Gruppierung in der Partei durch die Aktion, d. h. durch die zukünftige Aktion bewerkstelligen könne. Ich glaube nicht, dass diese Analyse richtig ist.

Vor allem müsste man sich fragen, woher es kommt, dass Genossen, die die ideologische und politische Form dieser Fraktionen leugnen, einer der drei wichtigsten Fraktionen der Partei angehören.

Dann muss man sich auch fragen, ob das Argument, es sei von der Aktion zu erwarten, dass sie uns in einem richtigen Rahmen gruppiere, stichhaltig sei.

Hätte es sich bloß um die revolutionäre Aktion, d. h. um den Kampf, um die Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse gehandelt, so hatten wir unrecht, als wir uns von den Dissidenten trennten, weil diese behaupten, dass die Spaltung von einem äußeren Willen, nicht aber durch die inneren Bedürfnisse der Partei diktiert war.

Das gesamte Leben den Partei muss jedoch eine Reihe von Aktionen abgeben, die eine Kette bilden, und diese Kette muss zu der größten Aktion, der Eroberung der Macht durch das Proletariat, führen.

Wenn man nun sagt, dass die Gruppen, die gebildet wurden, nicht definitiv sind, sind wir damit einverstanden, und ich glaube, dass wir die Richtigkeit einer solchen Behauptung nie in Abrede stellen werden.

Ich glaube, dass es immer eine Gruppierung nach Tendenzen geben wird und dass im Augenblick der entscheidenden revolutionären Aktion die überwiegende Mehrheit der Mitglieder aller Fraktionen auf derselben Grundlage zusammentreffen wird. Das ist wahr. Aber die Behauptung, dass die Tendenzen, die heute bestehen und sich gegenseitig bekämpfen, bloß eine künstliche Einteilung darstellen, ist hinsichtlich der französischen Partei, die ganz aus Tendenzen besteht und die außerhalb der Tendenzen gar nicht existiert, in der Tat unzutreffend; es muss für ihre Existenz und ihre Kämpfe einen triftigen Grund geben.

Die Gruppierung, sagt man, kann nur durch die Aktion gegeben werden. Aber gerade durch die Aktion suchte ja die Internationale 1½ Jahre hindurch eine Umgruppierung in der französischen Partei herbeizuführen, und im Interesse dieser Aktion schlug die Internationale zwei Wege vor, die beide zu demselben Ziel führen, die Aktion in den Gewerkschaften sowie die Aktion durch die Gewerkschaften und die Aktion durch die Einheitsfront.

Um aber eine Aktion führen zu können, muss man einen mehr oder minder genauen Begriff von ihr haben und die Zustimmung der Mehrheit der Partei besitzen. Als die Umgruppierung der Partei durch die Aktion vorgeschlagen wurde, standen dieser Aktion immer unmittelbare Hindernisse im Wege. Man wollte die methodische und organisierte Aktion in den wichtigsten und größten - wenn auch erheblich zusammengeschrumpften - Organisationen Frankreichs, sowie die Aktion durch die Losung der Einheitsfront nicht zulassen.

Es ist eine bereits banal gewordene Wahrheit, dass man in einem Lande, wo man nicht einmal das Vertrauen der erdrückenden Majorität der Arbeiterklasse besitzt, wo das Proletariat gewerkschaftlich und politisch in verschiedene Fraktionen gespalten ist, wo die Mitglieder dieser Fraktionen sowohl in den Gewerkschaften, wie auch in der Partei nur einen verschwindend geringen Teil der Arbeiterklasse darstellen, eine Aktion nur mit Hilfe der Losung der Einheitsfront, nur in der Form einer gemeinsamen Aktion entfalten kann. Wenn man diese Aktionsmöglichkeit, die keine gekünstelte Erfindung, sondern eine Notwendigkeit der Aktion selbst ist, ablehnt, so lehnt man damit die Aktion selbst ab. Und wenn man sich dann über Gruppierungen beschwert, häuft man damit nur die unzulässigen Widersprüche.

Sie wissen, Genossen, dass im Verlaufe dieses letzten Jahres zwischen der Internationale und der französischen Partei - d. h. der Mehrheit, die in dieser Frage durch zwei Richtungen, der Richtung des Zentrums und der Richtung Renoult vertreten war - ein ständiger Kampf - ich muss diesen Ausdruck gebrauchen - im Gange war.

Man wollte unserer französischen Partei die Notwendigkeit der Einheitsfront klarmachen. Gestern erinnerte der Genosse Sinowjew in der Kommission, die Sie zur Erledigung der französischen Frage eingesetzt haben, an das Argument, dessen man sich jetzt bei dieser wichtigen Frage in Frankreich gegen die Internationale bedient hat, nämlich, dass es die Internationale war, die der französischen Partei in Form der Einheitsfront die Rückkehr zur Burgfriedenspolitik und zum Millerandismus aufgezwungen hätte. So weit gingen die Missverständnisse über eine Frage, die zugleich ein mächtiges Mittel zur Entfaltung einer Aktion in den französischen Partei bildete.

Heute bemächtigt sich die französische bürgerliche Presse dieses Arguments und das ist die Sühne für die Fehler, die in dieser Polemik begangen wurden. Es ist eine Strafe für sie, sehen zu müssen, wie sich der Feind der falschen Formel bemächtigt, wie er sie präzisiert und auf den politischen Markt wirft. Im “Temps” kann man folgendes lesen:

Es ist nicht gesagt, dass dieser erniedrigende Gehorsam genügen wird, um den Zorn Moskaus zu beschwichtigen, denn es ist gar nicht so leicht, den Geist und den Buchstaben der Politik der Internationale zu befolgen, die grenzenlos veränderlich ist, je nach den augenblicklichen Interessen der Sowjetregierung und je nach den Umständen, denen die Führer dieser Regierung Rechnung tragen müssen, um das Fiasko des reinen Kommunismus nach Möglichkeit zu verbergen.”

Nicht sie haben diese Formel erfunden. Sie haben sie einem Vertreter einer der Richtungen unserer Partei entliehen, sie haben sie präzisiert und gegen unsere ganze Partei gerichtet.

Erst vor einigen Tagen wandte sich Frossard, der ebenfalls gegen die Einheitsfront gekämpft hat, an die Reformisten, um ihnen eine Aktion im Sinne der Grundsätze der Einheitsfront vorzuschlagen.

In der Antwort der Dissidenten ist die ganze Terminologie enthalten, die wir sehr gut kennen, die wir bereits in der Presse unserer Partei gelesen haben und deren sich jetzt unsere Feinde bedienen.

Noch schlimmer ist es aber, dass man mehr als ein Jahr gewartet hat und zuließ, dass die Dissidenten sich der Idee der Einheitsfront bemächtigten; jetzt erscheint vor dem französischen Proletariat nicht unsere französische Partei als die Urheberin dieser Formel, sondern die Dissidenten sind es, die auf diesem Gebiete schon den Wettkampf mit uns aufnehmen. Es genügt, im “Populaire” die Artikel über die Wiederherstellung der gewerkschaftlichen Einheit zu lesen.

Das Fraktionssystem wurde also nicht in künstlicher Weise und gelegentlich unter dem Einfluss eines äußeren Willens geschaffen; es beruht auf Strömungen; die Produkte der Aktion oder des Aktionsmangels sind, der in der französischen Partei ebenfalls keine zufällige Erscheinung darstellt.

Auf die Frage, wem die Verantwortung für diese Politik zufällt, antworte ich, dass nicht die Linke, sondern leider vielleicht die Internationale selbst die Verantwortung trägt. Man konnte die Aktion nicht durchführen, weil man die Voraussetzungen dieser Aktion nicht akzeptieren wollte. Es gilt, durch Polemik die ideologischen Hindernisse der Aktion zu beseitigen. Deshalb hat die Internationale selbst die Initiative zu dieser Polemik ergriffen.

Um die Richtlinien rechtfertigen zu können, die wir der französischen Partei gegenüber in diesen zwei Jahren verfolgt haben, ließ ich eine Rede heraussuchen, die ich im Juni 1921 in der Sitzung der Erweiterten Exekutive über die französische Frage gehalten habe; das ist also 1½ Jahre her.

Ich muss gestehen, mich hat frappiert, dass wir nicht vom Fleck kommen.

Ich will nur einige wesentliche Stellen aus dieser Rede in Erinnerung bringen:

Man merkt nicht, welchen Abgrund unsere Presse, unsere Reden zwischen der Kommunistischen Partei und der ganzen bürgerlichen Gesellschaft schaffen muss. Man merkt es nicht. Die Arbeiter müssen jetzt kommen und Euch sagen: Aber was macht Ihr denn dort? Warum redet Ihr keine kommunistische Sprache? Bei Euch herrscht ja eine Verschwommenheit, die kaum klarer ist als das Dunkel der Longuetisten, im Wesen aber mit diesem identisch ist.”

Ich füge hinzu: Man muss hier noch eine Tatsache kennen und richtig einschätzen: nämlich das Verhalten der Partei den Syndikalisten gegenüber ist durchaus unrichtig.

Und dann:

Wir müssen daher der Kommunistischen Partei Frankreichs freundschaftlich, aber energisch sagen: Wir verlangen von Euch nicht, revolutionäre Aktionen zu unternehmen, ohne Euch dessen bewusst zu sein, ob die Lage günstig ist oder nicht. Wir verlangen von Euch bloß, nicht nur formell, sondern in Euren Taten, in Euren Ideen, in Euren Gefühlen, in Eurem ganzen Verhalten, dass Ihr mit Eurem früheren Verhalten, mit Euren früheren Beziehungen, mit Eurem früheren Verhältnis zur kapitalistischen Gesellschaft und ihren Einrichtungen für immer brecht.”

Klingen diese Worte nicht, als wären sie dieser Tage zur Zeit der Diskussion über das Freimaurertum gesprochen worden.

Dann weiter:

Wir verlangen von Euch bloß, dass Euer revolutionärer Wille in Euren Presse, im Parlament, in den Gewerkschaften, überall zum Ausdruck gelange und schließlich seinen höchsten Ausdruck auf den Pariser Barrikaden finde…”

So haben wir die Frage dem Exekutivkomitee dargelegt. Meine Stimme war nur eine Stimme der Exekutive, die in dieser Frage vollkommen einmütig war; es ist anderthalb Jahre her. Wir haben gegen den Geist des Konservatismus - der die Vergangenheit darstellte - gekämpft im Interesse des revolutionären Geistes, der der Geist der Zukunft war. Ich kann nicht sagen, dass unsere Bemühungen ganz erfolglos geblieben seien. Etwas hat sich ja in der Partei geändert. Die gegenwärtige Krise, die gewiss sehr unangenehm ist, hat dem Konservatismus der Partei einen tödlichen Schlag versetzt.

Selbstverständlich, wenn die Partei zur Überwindung dieser Krise nicht die erforderliche Kraft aufbringt, kann sie einen Rückschlag in der ganzen revolutionären Entwicklung des französischen Proletariats herbeiführen. Es ist aber gar keine Ursache vorhanden, die Möglichkeiten, die sich der französischen Partei erschließen, pessimistisch zu beurteilen, Ich wiederhole: Der Inhalt der Krise ist einerseits das Ergebnis der Polemik und andererseits des Kampfes, den die Internationale gegen den Konservatismus geführt hat, und die Schärfe dieser Krise, ihr ganzer Charakter kommt daher, dass der Konservatismus sehr stark, sogar zu stark geblieben ist.

Wir haben nach Tours Sitten und Gepflogenheiten mitgebracht, die vor denen der Kommunistischen Aktion nicht weichen wollen. Darauf ist das Entstehen des Fraktionsgeistes zurückzuführen, das nichts anders bedeutet, als den Kampf der Zukunft gegen die Vergangenheit, oder die Zwischentendenz, die nach Orientierung sucht.

Es wurde oft darauf hingewiesen, dass viele Faktoren der Partei selbst die raschere Entwicklung dieser Partei verhindern; es wurde auf die französische Tradition und auf den Individualismus des französischen Arbeiters hingewiesen. Nun aber darf eine Partei, die eine Partei des Kampfes werden will, sich nicht bloß auf den Standpunkt eines Geschichtsschreibers stellen, der sich jenseits von Gut und Böse der Partei stellt und nur die Ursachen bezeichnet, die ihre Entwicklung verhindern.

Ich will unserem Genossen Vaillant-Couturier ein vortreffliches Argument entleihen. Er sagte: Ihr behauptet, dass Ihr es mit Arbeitern zu tun habt, die vorn individualistischen Geist ganz durchdrungen sind, und dass dieser individualistische Geist die Organisierung einer revolutionären Partei verhindere. Hat aber die kapitalistische Gesellschaft im Kriege vor dem französischen Individualismus haltgemacht? War dieser Individualismus ein Hindernis für die Sozialpatrioten? Mit Nichten. Im Gegenteil, sie haben mit Hilfe der Polizei und der aktiven Armee, hauptsächlich aber mit Hilfe der öffentlichen Meinung auf den angeblichen Individualismus des französischen Arbeiters einen wachsenden Druck ausgeübt und diesen in die Schützengräben gebracht, wo er 4½ Jahre verblieb.

Man wusste, wie dieser Individualismus besiegt werden kann, solange es sich um die bürgerlichen Interessen handelte. Darf uns dieser Individualismus wirklich unbesiegbar erscheinen, sobald es sich darum handelt, ihn in Interesse des Proletariats selbst zu besiegen?

Dieses Argument müssen wir also zurückweisen. Freilich ist bei jedem Arbeiter eine stark entwickelte individualistische Seite vorhanden. Es ist besonders der französischen Geschichte zuzuschreiben, dass dieser Individualismus beim französischen Arbeiter vielleicht stärker entwickelt ist, als bei den anderen Arbeitern.

Er hat aber auch eine großherzige Seite. Wir müssen es verstehen, an diese Großherzigkeit zu appellieren, indem wir ihm die Perspektiven einer Aktion eröffnen, der er seine ganze Hingabe, seine ganze Selbstlosigkeit widmen kann, und Sie werden sehen, dass er nicht nur seine materiellen Interessen, sondern auch sein Leben zu opfern wissen wird, sobald der Kampf es erfordert.

Man muss hierzu aber fähig sein. Wenn ich höre, dass ein Kommunist sagt: Es ist alles vergebens, die Arbeiter sind so sehr individualistisch gesinnt! - so muss ich sagen, dass diese Erklärung nur geeignet ist, Misstrauen der Partei oder einer gewissen Tendenz gegenüber hervorzurufen und ihre Ohnmacht zu beweisen.

Die Gewerkschaftsfrage.

Wir haben über die Gewerkschaftsfrage im Verlaufe dieses Kongresses viel gesprochen und sind bei der Richtung des Zentrums und der Richtung Renoult auf dieselben Hindernisse gestoßen, die sich in den Protokollen des Pariser Kongresses widerspiegeln.

Ich will Ihnen einige Aussprüche unseres Genossen Jacob zitieren, der der Gewerkschaftsdelegation angehört. Seine Rede auf dem Pariser Kongress ist äußerst charakteristisch und wichtig und - ich sage es freundschaftlich - durchaus falsch, schier gefährlich falsch.

Genosse Jacob ist Mitglied der Partei und zugleich befähigtes Mitglied der Gewerkschaftsorganisation. Er bezeichnet die Rolle, die die Partei in der Arbeiterbewegung spielen soll, folgendermaßen:

Die Partei darf die Aktion der Gewerkschaften nicht stören; gewisse Stellen der Resolution des Zentralkomitees können aber diese Aktion nur behindern. Manuilski ist über den Streik von Le Havre falsch unterrichtet. Frossard und Lopez sagten, die Kommunistische Partei hätte ihre Pflicht im Streik nicht erfüllt, Wir hingegen meinen, dass die Partei damit überhaupt nichts zu tun hatte…”

Eine äußerst gefährliche Auffassung. Man könnte vielleicht sagen, dass dies bloß ein Temperamentsausbruch sei. Möglich! Eine solche Entgleisung ist aber dennoch für die ganze Mentalität der Partei ungemein charakteristisch. Parteimitglieder sind es - nicht die freundschaftlich gesinnten Syndikalisten, wie z. B. Monmousseau oder Monatte - Parteimitglieder sind es, die der Partei sagen: “Du hast bei einem Ereignis. wie der Streik von Le Havre, nichts zu suchen.”

Sie wissen, dass im Streik von Le Havre der Bürgermeister von Le Havre, Mayer, ein bürgerlicher Radikaler, und der seither verstorbene Abgeordnete Siegfried interveniert haben; außerdem haben die Gewehre des Herrn Poincaré interveniert: Das ist eben Politik. Nur eine Partei hat als solche in diesem Streik nicht interveniert. Gewiss diese Partei hat für die Streikenden viel getan: sie hat durch tägliche Subskriptionen bedeutende Geldbeträge gesammelt, es wurden zahlreiche Artikel geschrieben; aber als Organisation, die Ratschläge erteilen kann, die auftreten kann, ohne der Aktion der Gewerkschaften entgegenzuarbeiten, die den Arbeitern ihr politisches Angesicht zeigen und sagen kann: Wir sind hier, um Euch zu helfen, was fordert Ihr von uns, wir sind bereit, es zu tun! - in diesem Sinne hat die Partei als solche für den Streik von Le Havre nichts getan.

Es gab lokale Gewerkschaftler, die erklärten (ich habe es von hier anwesenden Genossen erfahren): Kompromittiert uns nicht vor der Regierung, die behaupten wird, Ihr macht einen kommunistischen Streik, vielleicht sogar auf Anweisung Moskaus.

Darauf schlich sich die Partei davon.

Ich begreife wohl, dass es Umstände geben kann, unter denen die Partei während des Streiks sogar der rückständigsten Auffassung der Masse oder ihrer lokalen Vertreter Konzessionen machen darf. Dann hätte man aber in der “Humanité” schreiben müssen: Wir haben den Führern des Streiks von Le Havre unsere Dienste angeboten; sie gaben uns die Antwort: Wir sind mit Mayer, mit Siegfried in Verbindung: kompromittiert uns nicht! Aber wir sagen ihnen: Achtung, da ist eine Falle! Ihr habt es mit bürgerlichen Berufspolitikern zu tun, sie werden Euch verraten und verkaufen. Nur eine Partei gibt es, die im Augenblick des großen Kampfes mit Euch marschieren wird: das ist die Kommunistische Partei!

Hättet Ihr diese Worte vom ersten Tage des Streiks von Le Havre an oder während der Entwicklung des Streiks, vor den tragischen Ereignissen des 28. August und vor dem Gemetzel gesprochen, so wäre Eure Autorität viel größer, denn man wüsste dann, dass Ihr den Entwicklungsgang der Ereignisse vorausgesehen habt.

Aber nein. Wir haben uns gefügt. Genosse Frossard sagte: “Die Partei konnte auf diesem Gebiete nichts unternehmen.” Und ein Kommunist, der in den Gewerkschaften arbeitet, erklärt: “Die Partei hat dort nichts zu suchen.”

Das ist eine sehr traurige und sehr gefährliche Lage, denn von da führt nur ein Schritt zu unserem Genossen Erneste Lafont, der sich in seiner auf dem Pariser Kongress gehaltenen Rede an den “Lagardellismus” anlehnte. Sie wissen wohl, was dieser “Lagardellismus” ist: das ist kein Syndikalismus, das ist ein Mischmasch verschiedener ideologischer Abfälle des Syndikalismus, vermengt mit Politikasterei. Und Erneste Lafont erklärt: Die Gewerkschaften sind ein Ding zweiten Ranges und ich bin für dieses sekundäre Ding geschaffen.

Lagardelle war ein großer Philosoph. Er ist jetzt ein Angestellter kapitalistischer Organisationen. Man setzt die durch und durch opportunistische, reformistische und nichtrevolutionäre Aktion in der Partei fort, indem man sich auf die Philosophie stützt, derzufolge die Revolution außerhalb der Partei gemacht werden soll. Und Erneste Lafont findet eine sehr glückliche Formel, indem er sagt: Was haben wir Advokaten uns in die Angelegenheiten der Gewerkschaften einzumengen?

Und Genosse Jacob, der weder Advokat noch Lagardellist, sondern ein guter Kommunist und ein guter syndikalistischer Arbeiter ist, sagt: “Ja, die Partei hat dort nichts zu suchen.”

Dieses Zusammentreffen ist ungemein gefährlich.

Ich finde es ein wenig auch in der Deklaration, die Monatte - mein Freund - und die Genossen Louzon, Chambellan u. a. unterzeichnet haben.

Man kann es begreifen, wenn Monatte - der der Partei nicht angehört - sagt: “Wir sind revolutionäre Syndikalisten, d. h. wir erkennen der Gewerkschaft im revolutionären Kampf um die Befreiung des Proletariats die Hauptrolle zu.”

Eine solche Erklärung ist erst vor kurzem, gleich nach dem Pariser Kongress in dem unter der Leitung des Genossen Rosmer stehenden Blatte “Lutte de classe” mit einer Anmerkung der Redaktion erschienen.

Ich begreife derartige Behauptungen Monattes, der außerhalb der Partei verbleibt, - ich verstehe aber weder Louzon, noch Chambellan, noch Clavel, noch Orlianges, die der Partei angehören und zugleich Mitglieder der Exekutivkommission der CGTU sind.

Was soll das heißen: “Wir erkennen der Gewerkschaft im revolutionären Kampf um die Befreiung die Hauptrolle zu…?” Welcher Gewerkschaft? Wir kennen in Frankreich verschiedene Gewerkschaften. Handelt es sich um die Gewerkschaft der Jouhauxisten? Selbstverständlich doch nicht. Oder um die Gewerkschaft unseres Genossen Monmousseau? Vielleicht. Sie wollen aber eine Vereinigung, eine Fusion der beiden Gewerkschaften herbeiführen. Wir haben heute Monmousseau als Generalsekretär bei der CGTU, wir hatten aber gestern eine Verwaltungskommission dieser CGTU, die sich in der Hand der Urheber des Paktes: der Besnard, der Verdier usw. befand.

Kann das Proletariat unter ihrer Leitung der Revolution entgegenmarschieren und die Revolution machen? Glauben Sie im Ernst, dass die Rolle der Führerin der Arbeiterklasse der Gewerkschaft gebührt? Glauben Sie wirklich, dass die von den Reformisten, von den Konfusionisten und jenen Kommunisten geleitete Gewerkschaft, die sich der Disziplin und der Theorie ihrer Partei nicht unterwerfen wollen, die erste Arbeiterorganisation der Welt ist, oder ist es eine von den kommunistischen Ideen durchdrungene Gewerkschaft, wie wir sie vertreten? Sie bedienen sich einer Formel des Syndikalismus, den Sie seines revolutionären und ideologischen Inhaltes beraubt haben, und erklären, die Gewerkschaft ist das erste Ding der Welt!

Natürlich, wenn es sich um eine Gewerkschaft handelte, die unter der Führung der besten, wohlorganisiertesten und bewusstesten Elemente der Arbeiterklasse stünde, die vom Geiste jener Theorie beseelt wären, die die Interessen des revolutionären Kampfes verträten, so wäre das eine vortreffliche Gewerkschaft. Eine solche gibt es aber nicht, zumal nicht in Frankreich. Sie muss erst geschaffen werden. Durch welche Mittel? Durch das Zusammenwirken jener Genossen, die der Partei nicht angehören, mit jenen, die ihr angehören. Man muss die Elite der Arbeiterklasse organisieren, ihr die kommunistischen Ideen einprägen und diese in den Geist aller Arbeiterorganisationen eindringen lassen.

Ihr lasst in die Gewerkschaften jene Arbeiter eintreten, die außerhalb der Partei stehen, die nicht revolutionär sind, die die rückständigsten Vorurteile hegen: z.B. die katholischen Arteiter. Ihr seid gezwungen, dies zu tun, denn wenn sich in den Gewerkschaften nur Kommunisten und solche Syndikalisten befinden würden, die infolge einiger Vorurteile noch nicht der Partei angehören, wenn sich in den Gewerkschaften nur diese Elemente befinden würden, so hätten sie gar keinen Wert, weil sie lediglich eine Wiederholung der Partei wären.

Dies wäre aber noch schlimmer, denn die Partei ist homogener oder müsste zumindest homogener sein, als die Gewerkschaften, in denen sich Kommunisten befinden, die sich der Disziplin ihrer Partei nicht unterwerfen, und Syndikalisten, die keiner Partei angehören und Angst vor der Partei haben, zur selben Zeit, da sie das Bedürfnis haben, ihre Ideen, ihre Methoden zu analysieren und keine politische Partei haben, in der sie es tun könnten.

Wenn die Gewerkschaften nur so beschaffen wären; so wären sie eine verschlechterte Auflage der politischen Partei.

Die Bedeutung der Gewerkschaft besteht darin, dass ihre Mehrheit aus Elementen besteht oder bestehen muss, die dem Einfluss einer Partei noch nicht unterworfen sind; es ist aber evident, dass es in den Gewerkschaften verschiedene Schichten gibt: vollkommen bewusste Schichten und Schichten, die ein gewisses Klassenbewusstsein haben, aber auch einen Rest von Vorurteilen hegen, und jene Schichten, die noch revolutionäres Bewusstsein herauszubilden suchen.

Wer muss da aber die Führung übernehmen?

Wir dürfen die Rolle des Paktes nicht vergessen. Er muss vor jedem einzelnen französischen Arbeiter, sogar vor dem rückständigsten, vor dem einfachsten als Beispiel dastehen. Man muss ihnen die Tatsache klarmachen, dass infolge der Schwäche der Partei auf gewerkschaftlichem Gebiete - einige anarchisierende oder anarchistische Elemente einen geheimen “Pakt” geschlossen haben, die Führerschaft der Bewegung zu übernehmen. Die Gewerkschaften bringen eine Elite hervor, die ein Bedürfnis nach leitenden Ideen empfindet; diese Ideen sind nicht spontaner Natur, sie fallen nicht vom Himmel herab; in diesen Ideen muss eine Kontinuität vorhanden sein, durch die Erfahrung bestätigt, analysiert und kritisiert werden, und diese Arbeit muss von der Partei vollbracht werden.

Der große Einwand, den man uns heute entgegenstellt, ist unsere Forderung der Unterordnung der Gewerkschaften unter die Partei.

Jawohl, wir wollen das Bewusstsein der Arbeiterklasse den revolutionären Ideen unterordnen. Das ist unser Streben. Es wäre dumm, zu behaupten, dass wir mit Hilfe eines von außen kommenden Drucks arbeiten können, der nicht auf dem freien Willen der Arbeiter selbst beruht, oder dass die Partei über Pressionsmittel verfügt, die sie den Gewerkschaften gegenüber anwenden kann, die an Zahl stärker sind oder wenigstens stärker sein müssen als sie. Die Reaktion in allen Ländern hat immer wieder behauptet, dass die Partei und die Gewerkschaften die Arbeiterklasse ihrem eigenen Willen zu unterwerfen suchen.

Betrachten wir die reaktionärste und perfideste Presse in Frankreich. in Deutschland, überall, auch in Amerika. Überall finden wir dieselben Behauptungen. Demnach bemächtigen sich die Arbeiterorganisationen entgegen dem Willen der Arbeiterklasse ihrer Aktionen, die sich als notwendig erweisen und die infolge ihrer Manöver zu der Unterwerfung der Arbeiterklasse unter die Organisationen führen.

Und was antworten sie darauf? Sie erklären: nein, wir bieten unsere Dienste der Arbeiterklasse an, wir gewinnen das Vertrauen der Arbeiterklasse. Der fortgeschrittene Teil der Arbeiterklasse tritt in die Gewerkschaften ein; die große Masse unterstützt die Gewerkschaften im Kampfe und tritt nach und nach in die Gewerkschaften ein.

Verhält es sich mit der Partei nicht ebenso? Wir wollen das Vertrauen der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter gewinnen. Ist es nicht unser Recht, ist es nicht unsere Pflicht, bei jeder Aktion, besonders aber bei den schwierigen Aktionen, als die mutigsten Träger der Aktion vor die Arbeiter zu treten, um sie anzustacheln, um sie zu ermutigen, um die schwersten Posten einzunehmen, die mit den größten Gefahren verbunden sind, um zu beweisen, dass die Kommunisten immer und überall die treuesten Elemente des revolutionären Kampfes sind?

Ist das nicht unsere Pflicht und unser Recht?

Lesen Sie über diesen Gegenstand den Artikel des Genossen Soutif in der letzten oder vorletzten Nummer des “Bulletin Communiste”, also nach dem Pariser Kongress. Man hat in Frankreich eine bestimmte Art, die Internationale zu kritisieren: man fügt sich der Internationale und erteilt gleichzeitig einen tüchtigen Hieb nach links, besonders in jenen Fragen, in denen die Linke in treuester Weise die Ideen der Internationale vertritt. Soutif sagt: “Diese Resolution - es war dies die Resolution Rosmers, die ich vortrefflich finde - diese Resolution verkündet, dass die Kommunistische Partei “die Bestrebungen der Arbeiterklasse am besten auszudrücken und ihre Befreiung zu sichern am meisten befähigt zu sein glaubt”. Die Mehrheit des Zentralkomitees hat diesen Antrag natürlich abgelehnt.”

Das Zentralkomitee einer Partei, das der Arbeiterklasse am besten zu dienen behauptet, müsse eine solche Erklärung “selbstverständlich” zurückweisen, Und das schreibt in einem Organ unserer Partei ein Mitglied des Zentralkomitees, das der Linken vorwirft, sich zu der Behauptung verstiegen zu haben, dass unsere Partei imstande sei, der Arbeiterklasse am besten zu dienen.

Man kann all das nicht begreifen. Wenn wir uns in unseren Organen, von den Mitgliedern unseres Zentralkomitees derart bloßstellen lassen, können wir dann das Vertrauen der Arbeiterklasse gewinnen? Kann man das Wochen hindurch dulden? Eine lebendige Partei, die das Vertrauen der Arbeiterklasse gewinnen will, müsste dem Verfasser dieses Artikels sofort das ABC des Kommunismus beibringen.

Das ist nicht der erste derartige Artikel. Es ist einer in der ganzen langen Reihe von Artikeln, die wir in unseren Briefen, in unseren Unterredungen, in unseren Telegrammen bloßgestellt haben.

Die Konsequenzen sehen wir im Streik von Le Havre und besonders in dem großen allgemeinen Proteststreik gegen Ende des Streiks von Le Havre nach dem Gemetzel vom 28. August.

Sie kennen all diese Ereignisse. Der Streik von Havre dauerte 110 Tage. Er endete mit einem Gemetzel. Vier Arbeiter wurden ermordet, mehrere verwundet. Ich will Ihnen nun einige Dokumente zeigen, die der Geschichte der französischen Arbeiterbewegung angehören; es sind Ausschnitte aus der “Humanité”. Da ist der Aufruf der CGTU und des Seineverbandes der Gewerkschaften. Dieser Aufruf ist in der “Humanité” am Montag erschienen. Da wird der Arbeiterklasse der Mord von Le Havre mitgeteilt und nachher folgt ein Nachtrag: “Dienstag. d. h. am nächsten Tag, 24-stündiger Generalstreik” Und hinzugefügt wird: “Einstweilen beschließt die Bauarbeitergewerkschaft den Generalstreik für heute.” Also schon für Montag!

Die Partei hatte, wie unser Genosse Jacob erklärte, mit dem Streik von Le Havre nichts zu tun. Das sei eine wirtschaftliche Frage gewesen. Man hat “wirtschaftlich” vier Arbeiter getötet und mehrere Arbeiter in einer rein gewerkschaftlichen Frage verwundet. Und nun befassen sich mit dieser Angelegenheit wirtschaftliche Organisationen: zunächst die Bauarbeitergewerkschaft “einstweilen”, d. h. ohne abzuwarten, die Aktion sabotierend. Sie stürzt sich in einen Streik, den sie als Generalstreik proklamiert.

Und was macht die CGTU? Sie fügt sich der Bauarbeitergewerkschaft. Warum? Weil sie ihren Platz nicht den Anarchisten überlassen kann, die behaupten würden, dass sie bessere Revolutionären seien als die übrigen, und die sagen würden: Wir haben den Generalstreik proklamiert und die Syndikalisten, die Halbkommunisten der CGTU haben unsere große Aktion sabotiert, - die ja gar keine Aktion, sondern in jenem Augenblick bloß eine ausgegebene Losung war.

Man fügt sich dem großen Fehler, - und was macht hierauf die Partei? Sie fügt sich der CGTU. Welche Verkettung von Fehlern! Wer macht den Anfang? Einige junge Anarchisten, die vielleicht gar nicht so schuldig sind. Sie gingen zur Zentralstelle ihrer Organisation und erklärten: Es muss etwas geschehen, und sie fanden dort einen Genossen, der ihnen die Antwort gab: Aber natürlich, es muss etwas getan werden. Wir werden den Generalstreik proklamieren.

Und die CGTU fügt sich. Die Partei, die mit dem Streik von Le Havre nicht viel anzufangen wusste, die bei dieser Auseinandersetzung zwischen den Arbeitern von Le Havre und der großen bürgerlichen Gesellschaft ein vollkommen überflüssiger Organismus geblieben ist, diese Partei? Sie fügt sich der CGTU Welche Verkettung von Fehlern!

Und das Resultat? Ein Zusammenbruch! Ein vollkommenes Fiasko. Warum? Weil es so vorherbestimmt, weil es so prädestiniert war. Und die Zeitungsausschnitte, die ich Ihnen hier zeige, sollten die Arbeiterklasse Frankreichs vom Montag auf Dienstag zum allgemeinen Streik mobilisieren. Ist das möglich?

Selbst in einem Lande wie hier in Russland, wo wir im Besitz des Telegraphennetzes, des Funkentelegraphen sind, wo die Partei stark ist, wo die Gewerkschaften in vollem Einvernehmen mit der Partei arbeiten, wo unserer Partei, unseren Gewerkschaften keine andere Partei, keine andere Gewerkschaft gegenübersteht, ist dies unmöglich. So hat man z. B. vor der Demonstration zu Ehren des 4. Weltkongresses den Arbeitern zuerst erklären müssen, was der 4. Weltkongress eigentlich ist. Es gab unter den Soldaten solche, die am 7. November mit einem gewissen Enthusiasmus vor Ihnen vorbeimarschiert sind, den Sie ihnen vielleicht angesehen haben. Woher kommt dieser Enthusiasmus? Es gab unter ihnen junge Bauernburschen, die die Geographie nicht besonders gut kennen und die nicht wissen, was in Frankreich vorgeht, was außerhalb Russlands vorgeht. Man musste ihnen die Bedeutung des 4. Weltkongresses erklären. Und was verlangte man schließlich von ihnen? Dass sie einfach vor den ausländischen Delegierten vorbeimarschieren und ihnen ihren brüderlichen Gruß entbieten.

Sie aber, die von der französischen Arbeiterklasse einen Generalstreik forderten, Sie hätten dieser Arbeiterklasse erklären müssen, was in Le Havre vorging und sich nicht mit der einfachen Formel “Mörderregierung” begnügen dürfen.

In Frankreich fabriziert man diese Formeln viel besser, als in irgendeinem anderen Lande. Man versteht sich darauf. Es wäre notwendig gewesen, jedem einzelnen Arbeiter und jeder einzelnen Arbeiterin, den Landarbeitern, den Bauern und den Bäuerinnen zu erklären, was sich in Le Havre ereignet hatte: Man hat in Le Havre vier Arbeiter getötet, nachdem man ihrer 1½ Millionen im Krieg getötet hatte. Man stellt, wenn möglich, die Photographien der Getöteten aus; man zeigt die Photographien der Töchter und der Söhne dieser getöteten Arbeiter. Sie müssen sofort Korrespondenten hinschicken die diese Fragen und das Leben der Arbeiter kennen, Genossen, die imstande sind, zu den Familien der getöteten Arbeiter zu gehen an ihrer Qual teilzunehmen und die ganze entsetzliche Geschichte der Arbeiterklasse zu erzählen.

Es wäre notwendig gewesen, in Paris und im ganzen Lande sofort Tausend der besten Kommunisten und revolutionären Syndikalisten zu mobilisieren, und zwar Hand in Hand mit der CGTU, und sie überall hinzuschicken, nicht nur in alle Winkel von Paris, sondern auch in das ganze Land, in die Städte und auf das flache Land damit sie dort natürlich eine intensive Propaganda betreiben. Gleichzeitig hätte man in zwei, drei oder vier Millionen Exemplaren Flugblätter und Aufrufe drucken sollen, um die Arbeiterklasse über die Ereignisse zu unterrichten, und hierbei sagen müssen: Wir können dieses Verbrechen nicht ohne Protest vorübergehen lassen.

Muss man zu diesem Zwecke sofort in einen 24-stündigen Generalstreik eintreten? Nein, Man muss die gesamte Arbeiterklasse durch eine intensive Propaganda, die ausschließlich in der Erklärung der Ereignisse besteht, in Bewegung setzen. Man muss der Arbeiterklasse alles kurz erklären und erzählen: das ist die erste Vorbedingung.

Warum hat man es nicht getan? Man hatte Angst, das Gefühl der Empörung bei der Arbeiterklasse würde nicht drei, vier oder fünf Tage anhalten. Dieses absolute Misstrauen ist das bürokratische Misstrauen unseres revolutionären Syndikalismus und unseres Kommunismus der Arbeiterklasse gegenüber. (Beifall.)

Man hätte der Arbeiterklasse die Tatsachen erzählen und erläutern müssen. Unsere Genossen vom Pas-de-Calais sind aber in die Gruben hinabgefahren und haben erst nachträglich erfahren, dass sie streiken sollten. Natürlich war die Aktion von vornherein gelähmt und kompromittiert. Ich frage mich, ob jemand, der sie absichtlich kompromittieren wollte, anders hätte handeln können.

Und dann hat man - natürlich nicht für immer - die Dissidenten, die Reformisten, die Jouhauxisten gerettet. Warum? Sehr einfach, Genossen. Hat die Bourgeoisie, als sie in Frankreich vier Arbeiter tötete, ihre Freunde, die Dissidenten und Reformisten, nicht in eine äußerst schwierige Lage versetzt? Mit den Reformen, mit den Ideen vom Nationalblock, mit der Teilnahme Jouhaux an den bürgerlichen Versammlungen zur Verbesserung des Schicksals der Arbeiter kann man die Werktätigen noch hinters Licht führen. Deshalb war das Gemetzel von Le Havre ein fast tödlicher Schlag für unsere Gegner.

Was hätte man tun müssen? Man hätte in jeder Nummer der “Humanité” eine oder zwei Wochen hindurch, alle möglichen Propagandamittel, alle zweckentsprechenden Agitationsmittel in Anspruch nehmen und die reformistische CGT und die Dissidenten fragen müssen: “Was schlagt Ihr jetzt vor? Es handelt sich nicht um die Diktatur des Proletariats, nicht diese schlagen wir Euch jetzt vor, obgleich wir ihre getreuesten Anhänger sind. Was schlagt Ihr aber gegen die Bourgeoisie vor, die soeben vier Arbeiter getötet hat? Was schlagt Ihr gegen die Regierung, gegen Poincaré vor?”

Das ist eine Frage, die man hätte Tag für Tag wiederholen und durch die Propagandisten. die Agitatoren der Partei und der Gewerkschaften an allen Straßenecken, in allen Winkeln des Landes in jedem Dorf, wo sich nur ein Arbeiter und eine Arbeiterin befinden, eine oder zwei Wochen hindurch wiederholen lassen müssen. Das wäre in der Tat eine große Etappe der Arbeiterbewegung gewesen. Stattdessen hat man aber die Situation verdorben. Man hat diesen verrückten Aufruf zum unverzüglichen Streik herausgegeben. Man kündigt nicht auf diese Weise am Montag einen Generalstreik für den Dienstag an, denn das dient den Dissidenten und den Reformisten als Vorwand, sich zurückzuziehen und zu sagen: Wir werden uns an einer derart riskanten Unternehmung nicht beteiligen.

Und da der Generalstreik von vornherein kompromittiert war, beschlossen sie, den Opfern den Arbeitslohn auszubezahlen. Sie führten diesen Beschluss nicht durch. Ihr Verbrechen jedoch, das in ihrer Passivität bestand, geriet allenthalben in Vergessenheit, denn im Mittelpunkt der ganzen Aufmerksamkeit der Arbeiterschaft stand der in gefährlicher Weise kompromittierte Generalstreik.

Und nachher schreibt der “Temps” “Der Misserfolg des Generalstreiks bedeutet ein ermutigendes Symptom für die Zukunft.”

Der “Temps” hat recht, Und die “Humanité” erklärt: die Bourgeoisie will diese unerhörte Passivität der Arbeiterklasse ausnutzen.

Es war ein entsetzlicher Misserfolg; dennoch erklärte man nachher, es sei ein großer Erfolg gewesen. Da aber diese Stellungnahme unhaltbar war, erklärte man später: Die Bourgeoisie will diese unerhörte Passivität der Arbeiterklasse ausnutzen. Man wälzt die Verantwortung immer auf die Schultern der Arbeiterklasse ab. Es offenbarte sich eine Schwäche der CGTU und der Arbeiterklasse, und man schiebt den Misserfolg der Arbeiterklasse in die Schuhe, - ein Verfahren, das die Arbeiterklasse nicht weiter dulden darf. Sie wird ihre Führer auffordern müssen, ihre Fehler zu analysieren, damit sie aus den Erfahrungen des Kampfes etwas lernen. Es ist wahrhaftig höchste Zeit dazu, Genossen.

Wir hatten in Frankreich ein großes Ereignis; der Proteststreik kann nur als jämmerliche Wiederholung dieses Ereignisses betrachtet werden. Dies ist die Bewegung vom 1. Mai 1920. Die Partei hieß damals noch nicht “Kommunistische Partei”. Die Spaltung in den Gewerkschaften war noch nicht erfolgt. Die Kräfte waren aber sowohl auf politischem wie auch auf gewerkschaftlichem Gebiet dieselben. Die Linkselemente hatten die Aktion nicht vorbereitet. Die von der Rechten hatten alles getan, um die Bewegung zu kompromittieren und sie durch ihren Verrat zu vernichten. Das gelang ihnen nicht. Sie wissen, von welcher Bedeutung dieser 1. Mai 1920 in der Nachkriegsgeschichte Frankreichs ist.

Der revolutionäre Elan der Arbeiterklasse hat plötzlich nachgelassen, die Stabilität der Bourgeoisieherrschaft plötzlich zugenommen. Nach diesem misslungenen Generalstreik trat eine große Veränderung ein.

Zwei Jahre und drei Monate sind seit dieser ziemlich anschaulichen Lektion verflossen, und jetzt wird dieser Streik in Form des großen Proteststreiks gegen das Gemetzel von Le Havre wiederholt. Natürlich kam eine Enttäuschung und das Ergebnis ist die Passivität der Arbeiterklasse und die unvermeidliche Konservierung des Jouhauxschen Reformismus und Syndikalismus.

Warum? Weil es die Partei nicht verstanden hat, mit ihren Ratschlägen beizuspringen, weil sie es unterlassen hat, zu intervenieren, die Lage vor sich selbst klarzulegen, ihre Ansicht mitzuteilen und unseren Genossen Monmousseau, der der Partei nicht angehört und gegen die organische Verbindung ist, aufzufordern, zu entscheiden, was zu tun sei. Man hätte ihm sagen sollen: Ihr schlagt den Generalstreik für morgen, Dienstag, vor; das ist aber vollkommen unmöglich; Ihr werdet dadurch den Streik kompromittieren und eine für den Kampf der Arbeiterklasse ungünstige Lage schaffen.

Ich bin überzeugt, dass unser Genosse Monmousseau geantwortet hätte: Ich bin bereit, mit Euch zu verhandeln, meine Organisation ist jedoch autonom und sie wird Beschlüsse fassen, die sie für angebracht und richtig hält.

Wäre es aber nicht notwendig gewesen, sich an einen Tisch zu setzen, um die Lage zu analysieren und Ansichten auszutauschen?

Um so mehr, als ja die CGTU nichts anderes tat, als dass sie sich der Initiative der Bauarbeitergewerkschaft fügte. Das Resultat haben wir gesehen. Nach dem 1. Mai 1920 hat man Monate, mehr als Monate verloren, während doch im Kampf der Arbeiterklasse die Zeit von höchstem Wert ist. Die Bourgeoisie verliert keine Zeit. Wir haben zwei Jahre verloren und es gibt Genossen, die behaupten, wir hätten diese Zeit gewonnen.

Auf dem Pariser Kongress hat unser Genosse Frossard die Beziehungen der Partei zur Internationale mit folgender Formel charakterisiert: “Wir müssen Zeit gewinnen.”

Der Generalsekretär der Partei, der bereits zur Zeit des Kongresses von Tours Sekretär war, also am meisten befugt ist, die Partei zu vertreten, drückt sich in einem, die “Die Krise” überschriebenen, in der “Humanité” veröffentlichten Bericht folgendermaßen aus:

Welches sind die Ursachen der Krise? Seit zwei Jahren bin ich geteilt zwischen meiner Treue zur Internationale und dem Interesse meiner Partei. Bei mir ist eine permanente Krise der Pflicht. Man kann bei mir ein verschiedenartiges Verhalten beobachten. Das kommt daher, dass ich meiner selbst nicht sicher bin. (“langanhaltender Beifall”.)”

Man applaudiert also, wenn jener Genosse, der am meisten befugt ist, die Partei zu vertreten, erklärt: Ich werde von meiner Treue zur Internationale und meiner Treue zur Partei zerrissen. Es gibt also zweierlei Treuen, die nicht zusammentreffen, die einander widersprechen: “Wenn sie sagen, man könne bei mir Schwankungen, zwei verschiedene Stellungnahmen beobachten, so kommt das daher, dass ich zwischen zwei ständigen Gegensätzen hin- und hergerissen werde.” Und darauf folgt laut dem Bericht der “Humanité” langanhaltender Beifall.

Des weiteren sagt Genosse Frossard:

Angesichts gewisser undurchführbarer Beschlüsse der Internationale, wollte ich, ich muss es sagen, Zeit gewinnen. Ich zog dies vor, statt meiner Partei das Genick zu brechen.”

Demnach bestand also zwischen der Internationale und der Kommunistischen Partei Frankreichs ein Gegensatz. Der Generalsekretär der Partei befand sich in einem Zustand ständiger Konflikte und er suchte hauptsächlich Zeit zu gewinnen, um seiner Partei nicht das Genick zu brechen. Das ist ziemlich ehrlich. So oft ich dieses Zitat lese, rege ich mich darüber immer wieder auf, so überraschend klingt es!

Wie denn? Man gehört zwei Jahre hindurch der Internationale an und erklärt dann, dass diese oder jene Resolution der Internationale der Partei das Genick zu brechen drohe. Warum gehört man aber dann der Internationale an? Unbegreiflich!

Als ich die betreffende Nummer der “Humanité” erhielt und diese Stelle zum ersten Male las, sagte ich mir: das ist die Vorbereitung des Bruchs mit der Internationale.

Wir kennen unseren Genossen Frossard genügend. Er ist nicht der Mann, der sich von seinem Temperament hinreißen lässt. Er ist ein Mann der kühlen Berechnung, und wenn er, gar nicht so nebenbei, sondern auf dem Kongress seiner Partei als Generalsekretär erklärt, dass er zwei Jahre hindurch nichts anderes getan habe, als Zeit zu gewinnen, weil die Internationale Resolutionen angenommen habe, die seiner Partei schädlich wären, so muss ich mich fragen, ob man das anders auffassen kann, als die Vorbereitung des Bruches mit der Internationale. (Beifall.)

Noch ernster wird die Sache, wenn man die Tatsachen betrachtet, die seiner Rede vorangegangen waren. In dem sogenannten Antrag Frossard-Souvarine, den Frossard unterschrieben hatte und der dem Parteikongress unterbreitet wurde, lesen wir:

Beim Licht der Erfahrung muss man anerkennen, dass die Überbleibsel des sozialdemokratischen Geistes der alten Partei und die Verkennung des Sinnes der Resolutionen der Kommunistischen Internationale der Erstarkung und der Vervollkommnung der jungen Kommunistischen Partei geschadet haben.”

Am Vorabend des Kongresses sagt man also in einem Antrag, die Verkennung des Wertes der Resolutionen der Internationale sei es, die der französischen Partei hauptsächlich geschadet habe.

Es handelt sich um den Wert der Resolutionen über die Einheitsfront und über die gewerkschaftliche Aktion. Frossard unterzeichnet sie, und noch ist die Tinte, mit der er sie unterzeichnet hat, nicht trocken, als er schon von der Rednertribüne herab erklärt, dass die aus Moskau und von der Internationale kommenden Resolutionen der Partei das Genick zu brechen drohen.

Wer dies versteht, den lade ich ein, uns dieses Verhalten zu erklären, Wir haben versucht, die Erklärung aus dem beredten Mund unseres Genossen Frossard zu vernehmen. Wir haben ihn eingeladen. Wir haben unsere Einladung in Form von Briefen und Telegrammen, ja sogar Beschlüssen der Exekutive wiederholt. Leider sind unsere Bemühungen erfolglos geblieben. Dennoch würde es uns sehr freuen, eine Erklärung dieses Verhaltens zu bekommen, das uns weder besonders konsequent, noch sehr klar erscheint.

Um ihnen wenigstens ein knappes Bild von den Beziehungen zwischen der Internationale und der französischen Partei (hauptsächlich deren Zentralkomitee und deren Generalsekretär) zu geben, um Ihnen zu demonstrieren, in welcher Weise die Exekutive der Kommunistischen Partei Frankreichs das Genick zu brechen gedroht hat, wollen Sie mir gestatten, die Liste der Briefe, Telegramme und Resolutionen, die wir abgesendet haben, zu verlesen. Es ist eine sehr trockene und wenig unterhaltende Lektüre. Es ist ein Katalog. Ich erwähne hier nicht die Privatbriefe, die ich geschrieben habe. Ich ließ unter den Mitgliedern der großen Kommission die Abschriften der Briefe verteilen, die ich in meinem eigenen Namen, jedoch immer mit Einwilligung der Exekutive und in vollem Einvernehmen mit ihr an die französischen Genossen gerichtet habe.

Ich zähle also nur die offiziellen Dokumente auf.

Im Juni 1921 wurde eine Sitzung der Erweiterten Exekutive abgehalten, auf der ich die Rede hielt, aus der ich Ihnen eben einige wesentliche Stellen zitiert habe.

Im Juli 1921 wurden nach dem 3. Weltkongress drei Resolutionen der Exekutive gefasst, und zwar über die Kontrolle der Presse, über die Arbeit in den Gewerkschaften und über die Auflösung des Komitees der Kommunistischen Internationale.

Betrachten wir diese Resolutionen. Drohte vielleicht die Resolution über die Kontrolle der Presse, die Resolution über die Angelegenheit Fabre und Brizon, die sich mit ihrer Autorität als Parteimitglieder deckten, um persönliche und die Partei kompromittierende Unternehmungen betreiben zu können, drohte vielleicht diese Resolution der Partei das Genick zu brechen? War es nicht nützlich, die Taktik aufzugeben, die darin bestand, dass man sehr wichtige Posten in der Kommunistischen Partei bekleidete und gleichzeitig an bürgerlichen Organen mitarbeitete, die die Volksmassen vergiften?

Da ist also gleich eine Resolution, die meiner Ansicht nach nicht der französischen Partei, sondern höchstens einigen streberhaften Journalisten der französischen Partei das Genick zu brechen drohte. Diese Resolution wurde überhaupt nicht durchgeführt.

Über unsere Diskussion über die Arbeit in den Gewerkschaften habe ich Ihnen einiges erzählt.

Eine einzige dieser drei Resolutionen wurde durchgeführt, und zwar jene, die sich auf die Auflösung des Komitees der Kommunistischen Internationale bezog.

Wenn wir Fehler begangen haben - und wir haben deren mehrere begangen -. war es meiner Ansicht nach unser größter Fehler, dass wir der Treue jener Genossen, die damals die französische Partei führten, ein bisschen zu viel Vertrauen schenkten.

Am 26. Juli 1921: vertraulicher Brief der Exekutive an das Zentralkomitee mit freundschaftlicher Kritik und Anregungen über die parlamentarische Arbeit der Partei, über die Beziehungen der Partei zur Internationale und über die Parlamentsberichte der “Humanité” (unsere Genossin Marthe Bigot hat über diesen Punkt in der Kommission einige Bemerkungen gemacht, die die Richtigkeit unserer Kritik bestätigen); über die Beziehungen zu den Syndikalisten, über die Arbeit in den Gewerkschaften, über die Reorganisation des Zentralkomitees (damals haben wir zum ersten Male schriftlich beantragt, jene schreckliche Oligarchie zu schaffen, die das politische Büro des Zentralkomitees genannt wird); über die Struktur der Partei, über die Unzulänglichkeit der “Humanité”, über die Kontrolle der Presse.

Einladung Frossards und Cachins nach Moskau.

Am 1. Oktober 1921: Telegramm an die Partei, mit der Aufforderung, Frossard nach Moskau zu schicken.

Am 15. Dezember 1921: Offener Brief der Exekutive an den Marseiller Kongress mit Kritiken und Anregungen über: die Schwäche der Parteileitung, die Disziplin, die Gewerkschaftspolitik, die Kontrolle der Presse, die Rechtstendenz und das “Journal du Peuple”.

Das war nicht der Anfang; den Anfang bildeten schon die Gespräche mit der Delegation während des 3. Kongresses. Dann kam die Resolution über die Kontrolle der Presse im Juli 1921, als die Frage Fabre zum ersten Male aufgeworfen wurde. Der dritte Schritt war der vom 15. Dezember 1921. Natürlich haben wir die Bedeutung Fabres “übertrieben”, jetzt aber scharen sich alle jene, die zurückgewiesen worden sind, um das “Journal du Peuple”. Es bildet sich dort ein Eitergeschwür, diesmal aber außerhalb der Partei und unter der Mitwirkung der nunmehr berüchtigten Sippe der Vorstadtbürgermeister.

Über das Eindringen der Partei in die Betriebe, über die Einbeziehung der Arbeiter in die Direktion, über die Gleichgültigkeit der Partei dem Leben der Internationale gegenüber.

Weiter! Am 19. Dezember 1921: vertraulicher Brief an das Zentralkomitee, enthaltend Kritiken und Anregungen über folgende Fragen: Duldsamkeit dem “Journal du Peuple” gegenüber; zum dritten Male:

Unterlassung der Durchführung der Beschlüsse der Internationale.

Duldsamkeit Brizon und der “Vague” gegenüber. Beziehungen der Partei zur Internationale, Präsidium oder politisches Büro der Partei.

Wenn Sie mich fragen, warum ich die Antworten nicht anführe, so muss ich Ihnen darauf sagen, dass eben keine Antworten kamen. Nicht ein einziges Mal haben sie geantwortet.

Am 9. Januar 1922: Resolution über die Marseiller Demissionen; Telegramme, die 5 Vertreter der Partei nach Moskau beriefen.

Am 15. Januar 1922: telegraphische Wiederholung der Einladung französischer Delegierter mit Rücksicht auf die Krise.

23. Januar 1922: telegraphische Aufforderung an Frossard und Cachin und Mitteilung, dass die französische Frage auf die Tagesordnung der Februarsession der Erweiterten Exekutive gesetzt worden sei.

24. Januar 1922: Telegramm, in dem die Notwendigkeit der Ankunft Frossards und Cachins betont und nachdrücklich auf den unerwünschten Eindruck hingewiesen wird, den ihre Abwesenheit hervorrufen würde.

27. Januar 1922: Telegramm, in dem die Ankunft Frossards gefordert wird, “dessen Abwesenheit auf die ganze Exekutive den schlechtesten Eindruck machen würde”, und in dem mitgeteilt wird, dass die Eröffnung der Erweiterten Exekutivsitzung um einige Tage verschoben wird, damit Frossard rechtzeitig eintreffen kann.

Während dieser Tage, in denen wir uns anschickten, die französische Frage vor die Internationale zu verweisen und sie den Parteien zu unterbreiten, fragten wir uns gegenseitig jeden Morgen und jeden Abend telephonisch:

Glauben Sie, Trotzki, dass er kommen wird?” - “Was weiß ich?”

Glauben Sie, Sinowjew, dass er kommen wird? - “Keine Ahnung.”

Man wartet man schickt Telegramme, und worum handelt es sich? Wenn wir sofort nach Paris hätten fahren können, um uns mit unseren Freunden dort zu beraten, so hätte jeder von uns versucht, sich als erster in den Eisenbahnzug zu werfen. (Beifall.)

Es handelte sich jedoch darum, die schwierigen Probleme der französischen Partei zu erörtern, sie zu analysieren, um sie lösen zu können. Und wir suchen immer ihre kompetentesten Führer einzuladen, damit sie mit uns diskutieren. Deshalb wurden diese 5 Telegramme abgesandt, um die Führer der französischen Partei einzuladen, zur Internationale zu kommen und die französische Frage zu lösen.

Zur selben Zeit: Intervention Radeks bei Cachin in Berlin, um ihn zu bewegen, sich nach Moskau zu begeben.

Februar 1922: Erweiterte Exekutive - Resolution über die französische Frage, Kritik des Opportunismus, des Blocks der Linken, des kleinbürgerlichen Pazifismus, der Untätigkeit dem Syndikalismus gegenüber, der unzulänglichen Führung der Partei, des Föderalismus.

Verpflichtung der Delegation des Zentrums, Fabre auszuschließen. Zum vierten Male wird die Frage der Wiedereinsetzung der in Marseille demissionierten Genossen und der Anwendung der Marseiller Gewerkschaftsthesen aufgeworfen.

April 1922: Nationalrat der französischen Partei.

9. Mai 1922: Ausschluss Fabres durch die Exekutive (als die Frage zum fünften Male aufgeworfen und der Artikel 9 der Statuten in Anwendung gebracht wurde).

12. Mai 1922 vertraulicher Brief an das Zentralkomitee mit Kritiken und Anregungen über folgende Fragen:

Wachsender Einfluss der Rechten;

Passivität in der Angelegenheit Fabre (zum sechsten Male);

Schweigen der “Humanité” über die brennendsten Fragen;

Untätigkeit den Anarchisten und den Syndikalisten gegenüber;

Feindseligkeit der Einheitsfront gegenüber, Kampagne der “Humanité” und der “Internationale” als Sabotage der Aktion der Kommunistischen Internationale;

Disziplinlosigkeit der Partei gegenüber den Beschlüssen der Kommunistischen Internationale;

Böswilligkeit bei der Durchführung der Resolutionen, für die die verschiedenen französischen Delegationen in Moskau gestimmt haben; Wiederholung der von der Kommunistischen Internationale schon unzählige Male unternommenen Schritte zur Versöhnung;

Aufforderung, die Beziehungen der französischen Partei zur Internationale nunmehr zu klären.

Zugleich telegraphische Aufforderung an Frossard, zur Junisitzung der Erweiterten Exekutive zu kommen.

Juni 1922: Erweiterte Exekutive - Resolutionen über:

die Struktur der Partei;

die innere Disziplin;

den Seineverband;

die Gewerkschaftsfrage;

die Einheitsfront;

den Block der Linken;

die Parteipresse;

die Fraktionen der Partei;

die Rüge an Daniel Renoult;

die Angelegenheit Fabre (zum siebten Male);

den Parteikongress;

die Notwendigkeit eines Manifestes des Zentralkomitees;

Juli 1922: 3 Telegramme mit der Aufforderung an die Partei, Verfeuil, Mayoux und Lafont auszuschließen.

Juli 1922: Brief an den Seineverband über:

Föderalismus und Zentralismus;

den Artikel 9 der internationalen Statuten;

die Angelegenheit Fabre (zum achten Male);

die Disziplin.

September 1922: Botschaft an den 2. Kongress der Kommunistischen Partei Frankreichs, in der sämtliche, in den vorhergegangenen Briefen erwähnten Fragen behandelt werden.

6. Oktober 1922: ergänzende Botschaft an den Pariser Kongress über:

die erneute Abstimmung über die 21 Bedingungen;

Ausschluss Verfeuils.

November 1922: mehrere Telegramme mit der Einladung an Frossard und Cachin, dem 4. Kongress beizuwohnen.

Das ist die trockene Aufzählung der Briefe, Telegramme, Vorschläge und Anregungen, die wir seit anderthalb Jahren abgesendet haben und die fast immer ohne Widerhall und ohne Antwort geblieben sind. Das ist die Zeit, die unser Genosse Frossard gewonnen zu haben behauptet. Wir erklären, dass diese Zeit in der Geschichte der französischen Partei als Verlust einzutragen ist, an dem die Passivität, die materielle und politische Untätigkeit jener Genossen Schuld tragen, die zu jener Zeit verantwortliche Führer der Partei waren.

Man möge mir doch sagen, welche von den Anregungen, die ich jetzt hier aufgeführt habe, der Partei schädlich sein kann.

Warum war es denn notwendig, beim Ausschluss Fabres, der ja so selbstverständlich und unvermeidlich war, ferner in den Fragen der Presse, des politischen Büros und hauptsächlich der gewerkschaftlichen Einheit und der Einheitsfront Zeit zu gewinnen?

Gewiss sind die Mitglieder der Internationale nicht unfehlbar; das bezweifelt niemand. Kann uns aber jemand beweisen, dass die Internationale in diesen Anträgen, Vorschlägen und Resolutionen Fehler begangen hätte? Wo sind diese Fehler? Möge man uns doch zeigen, dass man der französischen Partei eine Wohltat erwiesen hat, als man diese Anträge und Versuche der Internationale überging. Möge man uns doch beweisen, dass man Zeit gewonnen und nicht verloren hat.

Wenn der Generalsekretär der Partei selbst erklärt, er habe der Internationale gegenüber, die der französischen Partei das Genick zu brechen drohte, Zeit gewonnen, ist es selbstverständlich, dass die mit der ständigen Propaganda betrauten Parteimitglieder dasselbe sagen und dasselbe tun, nur in einfacherer Form. So kommt es, dass Genosse Auclair der Jugend erzählt, dass die Beschlüsse der Internationale sich auf “ragots” stützen, wie er sich ausdrückt.

Als wir an Frossard die Frage richteten ob er tatsächlich Auclair mit der Propaganda betraut hätte, gab er uns zur Antwort, dies wäre nur provisorisch geschehen. Das stimmt auch.

Nun aber sehen wir nach dem Pariser Kongress, dass dieser Genosse auf seinem Posten belassen wurde. Und als wir hierüber unseren französischen Genossen vom Zentrum Vorhaltungen machten, antworteten sie: Sie übertreiben! Wir übertreiben also bei Fabre, wir übertreiben bei Auclair, wir übertreiben in unseren Aufforderungen zur Einheitsfront und zur gewerkschaftlichen Aktion, wir übertreiben in der Frage der Presse, wir übertreiben immer.

Und doch ist es natürlich, dass wir uns gegen die Kundgebungen eines antikommunistischen Geistes, wie er bei Fabre und Auclair oder in der Mitarbeit bei der bürgerlichen Presse zum Ausdruck kommt, gewendet haben. Jede dieser Tatsachen hat, einzeln betrachtet, tiefe Wurzeln in den tiefsten Schichten der Partei. Wer sie als bedeutungslos hinstellt, hat unrecht, denn das sind Anzeichen, über die sich ein Parteikämpfer nicht hinwegtäuschen darf. Was wollen Sie denn dann als sicheres Zeichen dafür ansehen, dass man nicht Kommunist ist? Wenn Frossard erklärt, dass die Beschlüsse der Internationale der französischen Partei das Genick zu brechen drohen, und wenn Auclair das mit der Behauptung ergänzt, dass diese Resolutionen auf Grund eines Getratsches gefasst worden seien, so kann man einen Begriff davon haben, welches Licht die tieferen Schichten der Partei erhellt, die überhaupt nicht informiert sind.

Wir haben darüber außerordentlich wertvolle Angaben unseres Genossen Louis Sellier (der nicht zu verwechseln ist mit dem aus der Partei ausgeschlossenen Henri Sellier). Louis Sellier hat eine Zeitlang die Partei in Moskau vertreten. Er ist jetzt nach Frankreich zurückgekehrt und ist als stellvertretender Generalsekretär der Partei vorgeschlagen, ein Beweis, dass dieser Genosse in der französischen Partei in hoher Achtung steht. Wir, die wir ihn in Moskau kennengelernt haben, teilen diese Wertschätzung des Genossen Louis Sellier.

In der “Humanité” vom 27. August 1922 veröffentlicht er unter der Überschrift “Beseitigen wir vor allem die absurden Legenden” einen Artikel, in dem es heißt:

Wir haben Genossen, die sicherlich sehr boshaft sind. Sie beginnen damit, dass sie die Hand aufs Herz legen und erklären, sie wären und seien der russischen Revolution mit Leib und Seele ergeben, aber … Und da beginnt eine ganze Reihe von drohenden, feierlichen, absurden “Wenn” und “Aber”. Wenn aber Moskau aus der Partei eine kleine besoldete und servile Sekte machen will, wenn Moskau der Partei ihre Unabhängigkeit in jeder Hinsicht nehmen will, wenn Moskau die Guillotine als ständige Einrichtung in die Partei einführen will … usw.”

Dann weiter:

Wir würden die Erfüllung unserer elementarsten Pflichten unterlassen, wenn wir unseren Genossen von der Mehrheit, unseren Genossen vom Zentrum nicht zubrüllen würden, dass man sie betrügen will, wenn man ihnen über Moskau Dummheiten erzählt, von denen wir die perfidesten soeben zitiert haben. Moskau will keinesfalls, dass die Kommunistische Internationale ebenso zusammenbreche, wie es mit der 2. Internationale der Fall war.”

Das schreibt Louis Sellier. Man muss den Genossen vom Zentrum also “zubrüllen”, dass Moskau nicht eine kleine besoldete und servile Sekte schaffen will. Das sagt ein Genosse vom Zentrum.

Louis Sellier berichtet den Ausspruch: “Wenn Moskau die Partei ihrer Unabhängigkeit in jeder Richtung berauben will…” Und wir konnten in der großen französischen Kommission einige Worte in diesem Sinne hören: Gewisse Interventionen der Internationale bedrohen die Würde der Partei. Das sind Gefühle, das ist eine Mentalität, das ist eine Auffassung, die uns ganz fremd sind und die wir nicht begreifen können.

Im Februar gab es hier eine Kommission für die russische Frage. Den Vorsitz in dieser Kommission führte, wenn ich nicht irre, Genosse Marcel Cachin. Es handelte sich um ein inneres Übel unserer russischen Partei. Diese Kommission arbeitete nicht in Paris, weil wir leider unsere Kongresse noch nicht in Paris abhalten können. Das wird auch noch kommen! Es war also in Moskau. Diese Kommission bestand aus ausländischen Genossen, die in einer Frage zu beschließen hatten, die für unsere Partei sehr peinlich war, denn es handelte sich um die sogenannte Arbeiteropposition gegen das Zentralkomitee der russischen Partei.

Sinowjew, ich und einige andere Genossen wurden vor die Kommission geladen. Wir haben unsere Ansicht auseinandergesetzt. Es entstand bei uns ein Gefühl der Erleichterung, dass es eine internationale Institution, eine höchste Instanz gab, und niemand sah darin eine Erniedrigung der Autorität unserer Partei. Im Gegenteil, man war sehr glücklich, eine wichtige Frage mit Hilfe der Kommunistischen Internationale erledigen zu können. Die Intervention dieser Kommission ergab ein glänzendes Resultat im Interesse unserer Partei, denn die Arbeiteropposition hörte nach der Intervention dieser höchsten Instanz auf.

Was ist denn die Würde der Partei? Es gibt nur ein Interesse der Partei, das ist das höchste Gesetz, und diesem höchsten Gesetz muss sich jeder von uns fügen. Darin besteht die Würde der Partei und jedes einzelnen Mitgliedes der Partei. (Applaus.)

Ich verweilte bei diesem Punkt, weil man auf dem Pariser Kongress dieses Gespenst der Würde der Partei auffahren ließ. Sie kennen die ganze Lage, die der Pariser Kongress geschaffen hat. Einige Monate vor dem Kongress hatten wir vorgeschlagen, einen Block zu bilden zwischen den beiden stärksten Fraktionen, zwischen dem Zentrum und der Linken gegen die Rechte und mit einem gewissen, ich möchte sagen abwartenden Verhalten der Richtung Renoult-Dondicol gegenüber.

Was war die Grundidee dieses Planes? Sehr einfach: Die Exekutive hatte den Fraktionskampf vorhergesagt: eben unserem Genossen Sellier haben wir einige Male wiederholt, dass, wenn der Konservatismus des Zentrums sich hält, die Bildung von Fraktionen als notwendige und heilsame Reaktion im Interesse der Partei - damit diese nicht im Sumpf der Passivität versinke - unvermeidlich sei.

Zur selben Zeit, als sich dieser unvermeidliche Prozess abspielte, ergab sich die Notwendigkeit, der Partei die Möglichkeit zur Führung ihrer äußeren Aktion zu bieten. Zu jener Zeit machte die Fraktion Renoult-Duret gegen die Einheitsfronttaktik die äußerste Opposition. Es bestand damals nicht die geringste Möglichkeit, ein Zusammenwirken mit dieser Fraktion ins Auge zu fassen, obgleich es der Exekutive bekannt war, dass sie vortreffliche Arbeiterelemente enthielt, gegen den Parlamentarismus und gegen die Kombinationen mit den Dissidenten gerichtete, d. h. von reinem revolutionären Geist erfüllte, jedoch schlecht informierte Elemente. Wir nahmen dieser Richtung gegenüber eine abwartende Haltung ein, indem wir sie kritisierten.

Auch waren wir uns immer dessen bewusst, dass trotz einiger Fehler, die die Linke hin und wieder beging, sie es war, die die Vorwärtsbewegung in der Partei gegen den Konservatismus und gegen die Passivität vertrat.

Anderseits haben wir das Zentrum, trotz seiner Fehler, die die Grundlagen der Partei selbst bedrohen, nie außer acht gelassen. Diese Fraktion umfasst zahlreiche vortreffliche Arbeiterelemente die sich morgen oder übermorgen auf derselben Grundlage revolutionärer Aktion vereinigen werden. Wir schlugen daraufhin einen Block der beiden großen Gruppen, des Zentrums und der Linken, vor, um die Aufgabe des Pariser Kongresses zu erleichtern, die ausschließlich darin bestand, die Ideen der Partei zu klären und jene Zentralorgane zu schaffen, die imstande wären, sie zu leiten. Der Fraktionskampf führte die Partei in eine Sackgasse. Es musste eine Kombination getroffen werden, die, wenn sie auch nicht vollkommen war, so doch für das nächste Jahr eine mehr oder minder entsprechende Lösung zu bringen vermochte.

Dieser Block musste mit der Spitze gegen die Rechte gerichtet sein und auf der Grundlage der von kommunistischem Geist erfüllten und von der Linken vorbereiteten Resolutionen stehen. Die Unterhandlungen über diesen Block begannen in Moskau mit dem Genossen Louis Sellier, der Genossin Lucie Leiciague und mit Frossard, als Vertretern des Zentrums.

Wir bestanden immer auf der Verwirklichung dieses Blocks auf revolutionärer Grundlage; dieser Block musste mit aller Energie gegen die Rechte gerichtet sein, damit diese Frage vollständig, endgültig und in politischer Weise gelöst werden konnte. Unter solchen Umständen hätten wir die Möglichkeit gehabt, eine kraftvolle Aktion einzuleiten, und die Partei hätte vor dem 4. Kongress als eine viel diszipliniertere Partei hintreten können, die imstande ist, die Aktion zu führen.

Unzählige Male wurde gesagt und wiederholt: Wenn das Zentrum sich widersetzt, wenn es sich von Elementen des Konservatismus und der Reaktion in passiver Weise mitziehen lässt, um Zeit zu gewinnen, so glauben wir, dass es seiner Zersetzung entgegengeht, und seine Zersetzung wird über die ganze Partei die peinlichste Krise heraufbeschwören.

Ich will hier nicht die ganze Geschichte der Verhandlungen erzählen, die in Paris über die Bildung der Zentralorgane stattgefunden haben, - die Fraktionen stießen auf Schwierigkeiten, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen. Bei Verhandlungen zwischen zwei sich bekämpfenden Fraktionen sind die Organisationsfragen stets peinlich: Es gibt Diskussionen, übertriebene Forderungen beiderseits. Das ist gar nicht anders möglich. Der Bruch erfolgte jedoch auf vollkommen klare Vorschläge und nicht auf übertriebene Forderungen der Linken hin, wie behauptet wird, sondern auf Vorschläge zur paritätischen Lösung, die die Vertreter der Exekutive machten.

Das Zentrum zog es vor, die Verhandlungen zu unterbrechen; es lehnte die Parität, sogar die bis zum Kongress gültige provisorische Parität ab. Genosse Ker hielt am 17. Oktober über diesen Gegenstand eine große Rede. Er stellte die Frage folgendermaßen: “Es handelt sich darum, ob die französische Partei nicht die Freiheit haben soll, die Männer, die sie führen sollen, selbst zu wählen.” Ich entnehme das dem Bericht der “Humanité” vom 18. Oktober über die Sitzung vom 17, Oktober.

Sobald die Verhandlungen auf die Initiative des Zentrums abgebrochen sind, sagt man also den Provinzdelegierten, denen die Vorschläge der Internationale noch nicht bekannt sind, es handele sich darum, ob die französische Partei nicht die Freiheit habe, die Männer, die sie führen sollen, selbst zu wählen.

Was soll das heißen? Die Unterhandlungen werden ja vom Zentrum mit der Linken geführt, um die Zusammensetzung der Zentralorgane festzustellen. Und das Zentrum fand, dass diese Unterhandlungen zu keinem Ergebnis führen können. Das Zentrum fand, dass die Intervention der Exekutive unrichtig und gefährlich sei. Statt aber zu sagen: Wir haben uns mit der anderen Fraktion über die Zusammensetzung der Zentralorgane nicht geeinigt, lässt man Gerüchte über die Unterhandlungen verbreiten und erklärt: es handelt sich darum, ob die französische Partei nicht die Freiheit haben soll, die Männer, die sie führen sollen, selber zu wählen.

Es wurden also einerseits die Linke und andererseits die Vertreter der Internationale denunziert, dass sie die Absicht hätten, der französischen Partei das Recht zu entziehen, über ihre Autonomie als Partei selbst zu verfügen. Diese Anklage war vollkommen ungerecht und sehr gefährlich vom Standpunkt der nationalen und anti-internationalen Bestrebungen aus.

Diese Idee kehrt in dem Aufruf wieder, der von dem neuen, aus den Mitgliedern des Zentrums zusammengesetzten Zentralkomitee unterzeichnet ist. Am Tage nach dem Pariser Kongress sagt man: “Der 4. Weltkongress wird die Lage der Partei untersuchen … Die Partei befindet sich in einem Konflikt, der sich hauptsächlich darauf bezieht, ob der Kongress des Rechtes beraubt werden kann, die Männer, denen er sein Vertrauen schenkt, und die die Aufgabe haben, ihn in den leitenden Organen der Partei zu vertreten, selber zu wählen.”

Genossen, es handelt sich darum, für jede Sektion eine Richtlinie ihrer Aktion festzustellen, Ratschläge zu erteilen über die Organisierung einer Partei, die Richtung einer Partei zu überwachen. Jede Partei kann sich ja fragen, ob sie über sich selbst frei verfügen kann, oder ob ihr nicht die Gefahr droht, ihrer Rechte beraubt zu werden.

Worin besteht das Selbstbestimmungsrecht einer Partei? Im gegenwärtigen Falle bestand es darin, dass die beiden Fraktionen, die vereint die erdrückende Majorität der Partei bilden, sich verständigen sollten, um eine gemeinsame Liste aufzustellen, die Zusammensetzung der Zentralorgane im gegenseitigen Einvernehmen festzustellen und diese Liste dem Kongress mit den Worten vorzulegen: Das sind unsere Vorschläge, deren Annahme wir anraten, weil sie in der gegenwärtigen Periode der drohenden Zersetzung der Partei den besten Ausweg zeigen.

Die Frage wurde jedoch nicht in dieser Form vorgelegt. Nach den Unterhandlungen mit der Linken und den Vertretern der Internationale als Institutionen, Organen und Personen, die die Würde und die Souveränität der französischen Partei bedrohen, und nach dem Tumult und der Nervosität des Kongresses erklärt man in einem Aufruf, der die Unterschriften der Mitglieder des Zentralkomitees trägt: “Der Weltkongress wird sich mit der Frage beschäftigen müssen; es handelt sich darum, ob der Landeskongress berechtigt ist, sein Zentralkomitee selber zu wählen.”

Aber das ist ja ein unbestrittenes Recht! Wir sehen, dass dieses Recht besteht. Wir sehen, dass dieselben Genossen, ich kann sagen, nicht gewagt haben, den Vorschlag zu machen, seine Souveränität dadurch zu behaupten und zu wahren, dass er ein normales Zentralkomitee bildet. Sie selbst haben den Vorschlag gemacht, ein provisorisches Zentralkomitee zu bilden. Warum? Weil sie selbst die Souveränität des Kongresses geschmälert haben und weil sie, nachdem sie sie geschmälert hatten, in Anbetracht der Situation der Partei diesen Kongress nicht veranlassen konnten, mit zwei Fünfteln der Stimmen ein Zentralkomitee zu bilden. Nun blieb nichts übrig, als sich an den internationalen Kongress zu wenden, damit dieser die durch die Schuld des Zentrums zerrissenen Bande wieder knüpfe.

Genossen, ich sagte Ihnen bereits, dass ich Ihnen nicht die ganze Geschichte des Pariser Kongresses erzählen kann. Es ereignete sich aber ein Zwischenfall, den ich Ihnen zur Kenntnis zu bringen für notwendig halte. Dieser Zwischenfall wurde in der großen Kommission von unserer Genossin Clara Zetkin behandelt. Es handelt sich um einen ungemein peinlichen Zwischenfall, da er mit dem Namen Jean Jaurès’ verbunden ist. Ich halte es für notwendig, darüber einige Worte zu sagen, nicht um die Szene vom Pariser Kongress aufzufrischen, sondern nur um eine ernste Ideenfrage zu klären.

Die Konfliktkommission, deren Sekretär, wie mir berichtet wurde, ein junger Genosse von der Linken ist, hatte den Antrag unterbreitet, Henri Sellier, der vollkommen reif zum Ausschluss war, aus der Partei auszuschließen. Dieser Antrag wies darauf hin, dass Henri Sellier sich in seiner demokratischen Auffassung auf die Jaurèsistische Tradition stützte.

Jedermann wird zugeben, dass es im Ausschlussantrag vollkommen überflüssig war, Jaurès auch nur in indirekter Weise anzuführen. Aus dieser Ungeschicklichkeit wurde nicht nur auf dem Kongress, sondern auch nach dem Kongress in der Parteipresse ein großer politischer Zwischenfall gemacht.

Eine Resolution wurde in aller Eile verfasst, man machte daraus eine Tendenzfrage und forschte danach, wer für und wer gegen die Tradition Jaurès sei. In dieser Form wurde die Frage gestellt. Ich glaube, dass das weder dem Andenken Jaurès’ noch der Partei selbst nützlich war.

Wir alle haben Jaurès gekannt, wenn nicht persönlich, so doch durch seinen politischen Glanz. Wir alle kennen seine große und monumentale historische Gestalt, die seine Gedanken überragt und die in der Geschichte immer als eine der schönsten menschlichen Erscheinungen fortleben wird, Und wir können heute sagen, wir werden es auch morgen sagen können, dass jede revolutionäre Partei, jedes unterdrückte Volk, jede unterdrückte Arbeiterklasse, und vor allem der Vortrupp der unterdrückten Völker und Arbeiterklassen, die Kommunistische Internationale, Jaurès, sein Andenken, seine Gestalt, seine Persönlichkeit ihr eigen nennen dürfen. Jaurès ist unser aller, er gehört den revolutionären Parteien, den unterdrückten Klassen, den unterdrückten Völkern. Jaurès hat jedoch in einer gewissen Periode, in einem gewissen Lande, in einer gewissen Partei, in einer gewissen Tendenz dieser Partei eine gewisse Rolle gespielt. Das ist die andere Seite Jaurès’.

Die Geschichte seiner politischen Aktivität ist unserem Genossen Marcel Cachin besser bekannt als mir.

In Frankreich gab es vor dem Krieg in der Sozialistischen Partei zwei Richtungen. Der geistige und politische Führer der anderen Richtung war Jules Guesde, der ebenfalls eine große und glänzende Gestalt in der Geschichte der französischen und internationalen Arbeiterklasse ist. Es gab einen großen Kampf zwischen Jaurès und Guesde, und in diesem Kampf behielt Guesde Jaurès gegenüber recht.

Wir dürfen das niemals vergessen.

Wenn wir uns von der Jaurèsistischen Tradition lossagen, so bedeutet das nicht, dass wir die Persönlichkeit und das Andenken Jaurès’ den unsauberen Händen der Dissidenten und der Reformisten überlassen. Das bedeutet lediglich, dass unsere Politik eine große Änderung erfahren hat.

Wir werden die Überbleibsel und die Vorurteile dessen, was man die Jaurèsistische Tradition nennt, in der französischen Arbeiterbewegung bekämpfen. Wer aus diesem Zwischenfall einen Ideenkampf macht, als könnten sich die Kommunisten wirklich auf die demokratischen und sozialistischen Traditionen Jaurès’ berufen, der erweist der Arbeiterklasse Frankreichs einen schlechten Dienst. Lesen wir die Bücher Jaurès’, seine sozialistische Geschichte der Großen Französischen Revolution, sein Buch über die neue Armee, seine Reden: wir werden uns immer in einem neuen Geist, einem neuen Glauben wiedergeboren fühlen. Gleichzeitig müssen wir aber die großen Schwächen wahrnehmen, die den Untergang der 2. Internationale verursachten. Und am allerwenigsten können wir die Hüter der Schwächen und der Vorurteile der 2. Internationale sein, jener 2. Internationale, die in genialster Weise in Jaurès verkörpert war. Wir können nicht Hüter dieser Vorurteile sein; im Gegenteil, wir kämpfen gegen diese Tradition, wir müssen sie bekämpfen und sie durch die kommunistische Ideologie ersetzen.

Genossen, die große Kommission, die Sie eingesetzt haben, hat nach eingehender und mitunter leidenschaftlicher Diskussion eine Subkommission mit der Erledigung der Organisationsfragen und der Ausarbeitung eines politischen Resolutionsentwurfes beauftragt. Sie haben unseren schriftlichen Vorschlag erhalten. Bei der Abfassung dieses Vorschlages ließen wir uns durch zwei Gedanken leiten.

Die in erster Linie von der führenden Fraktion der Kommunistischen Partei Frankreichs - dem Zentrum - begangenen Fehler und politischen Irrtümer müssen verurteilt werden. Die von der Richtung Daniel Renoult-Duret-Dondicol begangenen Fehler müssen unterstrichen werden. Und es muss zugegeben werden, dass, welche Fehler zweiten Ranges die Linksfraktion auch begangen haben mag, es doch diese Fraktion ist, die die Internationale, ihre Ideen, ihre Eingebungen in den für das Leben und für den Kampf der französischen Arbeiterklasse wichtigsten Fragen vertreten hat.

Das ist es, was wir in unserer politischen Resolution anerkannt haben.

Was unseren Vorschlag über die Organisation und die Zusammensetzung der Zentralorgane der Parteien betrifft, haben wir versucht, das Kräfteverhältnis der verschiedenen Richtungen abzuschätzen und die Zusammensetzung der Zentralorgane der augenblicklichen Lage der Partei anzupassen. Selbstverständlich gehen wir gewöhnlich anders vor. Wir lehnen das Prinzip der proportionellen Vertretung unbedingt ab, weil dieses Prinzip immer die Gefahr enthält, aus der Partei eine Föderation verschiedener Richtungen zu machen. Es ist eine Ermutigung jeder einzelnen Gruppe, die eine Tendenz bilden will. Dieses System schadet der Partei und ihrer Tätigkeit.

Wir befinden uns aber in einer durch die vorhergegangenen Ereignisse geschaffenen Lage, über die ich Ihnen einiges gesagt habe, - ich hoffe, genug, um Ihnen unsere Politik begreiflich zu machen.

In Anbetracht dieser Lage haben wir also für das Zentralkomitee und für die übrigen Zentralorgane der Partei das proportionelle Vertretungssystem gefordert. Die Subkommission, die diesen Vorschlag ausgearbeitet hat, bestand aus den Genossen Zetkin, Bordiga, Kolarow, Humbert-Droz, Katayama, Manuilski und Trotzki.

Die große Kommission, der wir unseren, nach gründlicher Diskussion ausgearbeiteten, Entwurf unterbreiteten, nahm alle Vorschläge politischer oder organisatorischer Natur einstimmig an, und wir ersuchen den Kongress, dasselbe zu tun und sich den votierten Resolutionen einstimmig anzuschließen.

Das Freimaurertum.

Während der Beratung der großen Kommission wurde uns eine neue Frage gestellt. Es ist die Frage des Freimaurertums, die bis jetzt im Leben der Partei unbeachtet geblieben ist. Nie wurden hierüber Artikel geschrieben, noch Polemiken geführt. Nie wurde in der Presse erwähnt, dass in der Kommunistischen Partei, sowie übrigens auch in den revolutionären und reformistischen Gewerkschaften eine nicht unerhebliche Zahl von Genossen gleichzeitig auch dem Freimaurertum angehören.

Als die Kommission diese Tatsache erfuhr, war sie höchst verblüfft, denn kein einziger der ausländischen Genossen hätte geglaubt, dass zwei Jahre nach Tours die Kommunistische Partei Frankreichs noch immer Genossen beherbergen kann, die Organisationen angehören, deren Charakter ich auf einem kommunistischen Weltkongress vielleicht nicht zu definieren brauche.

Ich versuchte zunächst, es in einem Artikel im Organ des Kongresses, dem “Bolschewik”, zu tun. Um diesen Artikel schreiben zu können, musste ich in meinem Gedächtnis längst vergessene, staubbedeckte Argumente gegen das Freimaurertum aufstöbern.

Ich will Sie mit der Wiederholung dieser Argumente nicht langweilen. Tatsache ist, dass in Frankreich die radikale Bourgeoisie, die recht mittelmäßige Führer und eine recht armselige Presse hat, sich geheimer Institutionen, z. B. des Freimaurertums bedient, und zwar hauptsächlich, um ihr reaktionäres Gebaren, ihr kleinliches Getue, ihre Perfidie zu verbergen, die ihre Ideen, ihren Geist, ihr Programm kennzeichnen. Das Freimaurertum ist eine dieser Institutionen, eines dieser Werkzeuge. Vor 1½ Jahren sagten wir der französischen Partei: “Wir sehen den Abgrund nicht, den unsere Presse, unsere Reden zwischen der Kommunistischen Partei und der ganzen bürgerlichen Gesellschaft schaffen müsste.”

Heute sehen wir, dass dieser Abgrund nicht nur nicht vorhanden ist, sondern dass es gut gebaute, ein wenig maskierte, ein wenig verdeckte Brücken gibt: das sind die Brücken des Freimaurertums, der Liga für Menschen- und Bürgerrechte usw. Diese Brücke sichert die Verbindung zwischen der Liga, dem Freimaurertum und den Institutionen der Partei, der Redaktion des Blattes, dem Zentralkomitee, dem Verbandskomitee.

Man hält freilich Reden, man schreibt Artikel darüber, dass diese korrupte Gesellschaft durch den Klassenkampf des Proletariats zerstört werden muss, das aber selbiger unter der Führung einer vollkommen unabhängigen Partei der bürgerlichen Gesellschaft steht. Man ist revolutionär bis zum äußersten und geht in die Freimaurerlogen, um dort die älteren Brüder anzutreffen und zu umarmen, die die bürgerlichen Klassen vertreten.

Wie soll man diese Mentalität und dieses Vorgehen verstehen! Manche Genossen sagten: Jawohl, auch wir sind der Ansicht, dass jeder Kommunist seine ganze Kraft der Partei widmen muss und nicht einen gewissen Teil dieser Kraft anderen Institutionen, anderen Unternehmungen, anderen Organisationen usw. schenken darf. Das ist aber nicht der einzige Grund. Ist ein Kommunist Musiker, so möge er doch die Konzerte, die Theater besuchen; wir können von ihm nicht fordern, dass er irgend ein Opfer bringe, das die Lage nicht erfordert; ist er Familienvater, so möge er doch einen Teil seines Lebens seinen Kindern widmen, wir können von ihm freilich nicht viel fordern, aber wir können auch keinesfalls fordern, dass er seine Kinder vernachlässige. Aber nicht darum handelt es sich. Es handelt sich nicht um eine gewisse Teilung seiner Arbeit, seiner Aufmerksamkeit, seines Lebens zwischen zwei Institutionen oder zwei Beschäftigungen. Durchaus nicht! Wenn Sie diese Frage vor die Arbeiterklasse in dieser Form hinstellen werden, wird diese nie begreifen, warum sich die Internationale dafür interessiert. Es muss die vollständige, absolute, unversöhnliche Unvereinbarkeit des revolutionären Geistes mit dem Geist des freimaurerischen Kleinbürgertums, dieses Werkzeuges der Großbourgeoisie, betont werden. (Beifall.)

Leider wurde diese Frage nach dem Kongress von Tours nicht aufgeworfen. Sie ist nur vor unsere Kommission gelangt dank dem Fraktionskampf. Als die Kommission von diesen Tatsachen Kenntnis erhielt, setzte sie sie unverzüglich als Tatsache von großer Wichtigkeit auf die Tagesordnung ihrer Tätigkeit.

Man sagte uns: Ihr übertreibt!

Immer dieselbe Geschichte, Immer wieder kehrt der Fall Fabre wieder. Fabre ist unsterblich; einmal sogar schon von der Kommunistischen Internationale getötet, feiert er immer unter einem anderen Namen, immer unter einer anderen Maske, sogar unter der Maske des geheimen Freimaurertums, seine Auferstehung.

Man sagte uns: Ihr übertreibt! Im Gegenteil, wir glauben, dass wir uns diesmal einer Frage gegenüber befinden, die zu einem Hebel werden kann, der geeignet ist, etwas in unserer Partei in wirksamer Weise unverzüglich zu ändern.

Es gibt große Fragen: die Frage der Gewerkschaften; die Frage der Einheitsfront. Diese Fragen bilden die Grundlage, auf der sich die Arbeiterbewegung entwickelt. Die parlamentarische Tradition der französischen Partei hat sich jedoch in der höheren Schicht der Abgeordneten, der Journalisten, der Advokaten, der Intellektuellen herauskristallisiert, und diese Kristallisierung hat gewissermaßen einen Staat im Staate geschaffen.

Hauptsächlich finden wir den opportunistischen Geist bei den intellektuellen Elementen entwickelt, deren Gehirn zuweilen mit Reminiszenzen der verschiedenartigen Situationen voll ist, die sie durchgemacht haben, und in dem nichts mehr entziffert werden kann.

Es bedarf einer Erschütterung. Besonders in dieser Schicht der Partei wäre die Erschütterung heilsam, nicht nur für die Partei - was ein Grund ersten Ranges ist - sondern auch für die wertvollen Elemente, die in dieser führenden, ein wenig den Traditionen nachlaufenden, viel zu konservativen Schicht natürlich vorhanden sind, die sich immer auf den gestrigen oder vorgestrigen Tag beruft, statt sich in der Richtung der Zukunft zu orientieren.

Das wird eine große Erschütterung geben, denn das kann für die Arbeiterklasse nicht eine Richtungslinie für immer bilden. Das ist eine Frage von Beziehungen, Gewohnheiten, Fähigkeiten, persönlichen Sitten jener Genossen, die dieser führenden Schicht angehören.

Viele Funktionäre der Partei besuchen die Freimaurerlogen regelmäßig. Selbstverständlich machen sie dort aus ihrer kommunistischen Überzeugung kein Hehl, wie sie ihr Freimaurertum verbergen, wenn sie unter uns sind, jedenfalls geben sie aber ihrem Kommunismus einen, den bürgerlichen Brüdern passenden Anstrich, damit er in dieser so empfindlichen Gesellschaft, deren Nerven so verfeinert sind, geduldet wird. Maeterlinck, der Dichter, sagte einmal, wer seine Seele zwischen den Sternen verbirgt, wird sich schließlich selbst nicht mehr wiederfinden. Nun, wenn man sich in einem derartigen Kreise aufhält und seine Ansichten dem auserlesenen Geschmack dieser in der radikalen Politik raffinierten Brüder entsprechend abändert, wird man schließlich sein echtes kommunistisch-revolutionäres Angesicht nicht mehr wiederfinden.

Deshalb ist das für uns und für die führenden Schichten der Partei eine so schwerwiegende Frage. Selbstverständlich wird das Zentralkomitee, wenn es diese Aufgabe, die wir ihm vorschlagen, erfüllen wird, in Frankreich sofort neun Zehntel der offiziellen öffentlichen Meinung gegen sich haben. Man sieht bereits mit einer gewissen revolutionären Genugtuung voraus, dass diese reaktionären, katholischen, freimaurerischen Kreise, von der Farbe der Léon Daudet oder von der Farbe der Freunde Herriots, sich mit ihrer ganzen Presse auf die Internationale und auf die Kommunistische Partei stürzen werden. Wenn Ihr Euch aber mit Entschuldigungen, mit Beschwichtigungen, mit Erklärungen hinstellen und sagen werdet, dass das Freimaurertum an und für sich ja gar nicht zu verurteilen sei, dass man aber sein Herz nicht zwischen der Partei und dem Freimaurertum teilen dürfe, weil die Partei alle vier Viertel unseres Herzens beansprucht, dann werdet Ihr Euch, Genossen vom Zentralkomitee, eine unhaltbare Lage geschaffen haben. Im Gegenteil, die Partei muss energisch, mit der Faust auf den Tisch schlagen und erklären: Jawohl, wir haben einen Fehler begangen, als wir zuließen, dass wertvolle Genossen aus sträflicher Trägheit dem Freimaurertum angehörten. Sobald wir aber einmal diesen Fehler erkannt haben, sagen wir diesem Apparat zur Verhinderung der Revolution den unversöhnlichen Kampf an. Die Liga für Menschenrechte und das Freimaurertum sind bürgerliche Institutionen, die das Bewusstsein der Vertreter des französischen Proletariats trüben. Wir erklären diesen Methoden einen unversöhnlichen Kampf, weil sie einen geheimen und perfiden Teil der ganzen bürgerlichen Maschinerie darstellen.

Beginnt das Zentralkomitee seine Aktion mit dieser unversöhnlichen Energie, so wird es selbstverständlich die Dissidenten, die Léon Blum gegen sich haben; die Katholiken werden sogar die Freimaurer verteidigen. Dem Freimaurertum zuliebe werden katholische Bannsprüche die Kommunisten verfluchen. Die Partei wird ein ganzes Gemisch der Bourgeoisie und all ihrer Schattierungen gegen sich haben; die Kommunistische Partei wird jedoch all diesem Politikastertum, all diesen Betrügereien der bürgerlichen Gesellschaft zum Trotz aufrecht bleiben als revolutionärer Fels, der die höchsten Interessen des Proletariats verficht.

Und ich bin überzeugt, dass Sie, wenn Sie die heilsame Erschütterung vornehmen, in einem Monat, in zwei Monaten Ihre Partei in einer Lage wiederfinden werden, die sich wesentlich unterscheidet von der Lage, in der sie jetzt, vor dem 4. Weltkongress dasteht.

Man wird ein großes Geschrei anstimmen gegen die Befehle Moskaus. Man wird von neuem über die Meinungsfreiheit, aber die Meinungsfreiheit der Freimaurer schreien; dieselben Genossen werden wiederum die Freiheit des Gedankens und der Kritik fordern. Richten aber diese Genossen, die um die Freiheit kämpfen, ihr Augenmerk auf die unvermeidlichen Meinungsverschiedenheiten. die innerhalb der kommunistischen Kaders bestehen? Nein. Sie möchten einen Kader haben, der die Pazifisten, die Freimaurer, die Propagandisten des heiligen katholischen Gesetzes, die Reformisten, die Anarchisten, die syndikalistisch-tuenden Elemente umfasst. Das nennen sie Gedankenfreiheit.

Diese Leute, die fast immer der Schicht der Intellektuellen angehören, verbringen neun Zehntel ihrer Zeit in bürgerlichen Kreisen; sie gehen Beschäftigungen nach, die sie von der Arbeiterklasse vollständig trennen. An sechs Tagen der Woche, die sie dort verbringen, wird ihr Geist in diesem Kreise geformt. In die Partei kommen sie am Sonntag. Bis dahin haben sie die Prinzipien der Partei vergessen und müssen natürlich mit der Kritik, besonders aber mit dem Zweifel anfangen. Sie sagen: wir fordern für uns Gedankenfreiheit. Daraufhin verfasst man eine neue Resolution, die man ihnen aufzwingt. Nachher kehren sie in ihren Kreis zurück und fangen von neuem an. Das sind Amateure, das sind Dilettanten, unter denen es viele Streber gibt.

Sie müssen beseitigt werden. Die Partei muss von diesen Elementen, die in ihr nichts anderes sehen, als eine offene Tür zu einem Posten, einem Mandat, befreit werden.

Deshalb nehmen wir als strenge Richtlinie den Grundsatz an, dass neun Zehntel der der Partei zur Verfügung gestellten wählbaren Posten mit Arbeitern besetzt werden müssen, und zwar nicht mit solchen Arbeitern, die selber Funktionäre der Partei geworden sind, sondern mit Arbeitern, die noch im Betrieb oder auf dem Acker arbeiten.

Man muss der Arbeiterklasse zeigen, dass sie bis jetzt irregeführt wurde und dass die verschiedenen Parteien sich ihrer als Sprungbrett bedient haben, um von dort aus ihre Karriere zu machen. Man muss ihr zeigen, dass unsere Partei das parlamentarische Gebiet als ein Stück, als einen Teil ihres ganzen revolutionären Tätigkeitsgebietes betrachtet.

Die Arbeiterklasse ist es, die sich auf diesem Gebiete bewegt; ihre reinsten, besten Vertreter sind es, jene, die ihre Klasse am besten vertreten und die in das Parlament eingeführt werden müssen, natürlich ergänzt durch einige unbedingt ergebene und zuverlässige Genossen, die eine gewisse Bildung besitzen. Die drückende Mehrheit unserer parlamentarischen, kommunalen, kantonalen usw. Fraktionen muss jedoch besonders in Frankreich in Anbetracht der Sitten, der Auffassungen, er Gewohnheiten dieses Landes im Besitze der Arbeitermassen sein.

Die Presse.

Es muss endlich dem System ein Ende gemacht werden, dass die Presse als ein Gebiet betrachtet wird, auf dem sich journalistische Talente tummeln. Es ist sehr gut, wenn ein Journalist Talent hat. Die Presse ist jedoch nichts anderes, als ein Instrument des Kampfes, ein Instrument, das möglichst selbständig sein, die Kollektivität vertreten und die leitenden Ideen der Arbeiterklasse, nicht aber die besonderen Ideen dieses oder jenes Individuums widerspiegeln muss.

Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, vertritt der “Populaire” sehr gut die Traditionen der parlamentarischen Partei.

Ich habe hier einen Leitartikel des “Populaire” mit einer Anmerkung der Redaktion; der Chefredakteur erklärt: “Ich glaube daran erinnern zu müssen, dass für die Leitartikel des Blattes nur die Verfasser verantwortlich sind.”

Das ist ihre Moral; für die Leitartikel sind nur ihre Verfasser verantwortlich … Man fordert, dass die Arbeiter ihre Groschen opfern für ein Blatt, das sich auf den Sozialismus beruft, und das als allgemeine Regel den Grundsatz aufstellt, dass für die Leitartikel nur deren Verfasser verantwortlich sind.

Bei uns ist für die Artikel die Partei verantwortlich. Der Journalist muss der Partei anonym zur Verfügung stehen. Und wenn uns die Herren Journalisten - auch ich gehöre ein wenig dieser Kaste an - antworten, dass dieses Verfahren ihre persönliche Würde verletzt, so antworten wir hierauf, dass die höchste Würde eines kommunistischen Journalisten darin besteht, das treueste und möglichst unversöhnliche Werkzeug der Mentalität, der Politik und des Kampfes der Arbeiterklasse zu sein.

Unsere Aktion unter den Bauern.

Ich muss ganz besonders noch zwei Fragen streifen. Zunächst die Frage unserer Aktion unter den Bauern.

Diese Frage wurde auf dem Pariser Kongress in rascherem Tempo erledigt, als alle anderen prinzipiellen Fragen. Sie wurde von unserem Genossen Jules Blanc in die Diskussion geworfen, der erklärte, dass man durch die Briefe von Bauern beweisen könne, dass unter ihnen ein revolutionäres Empfinden zu beobachten ist, was die Möglichkeit gibt, gegen den Beinamen “Kleinbürger” zu protestieren, den man der Bauernklasse all zu rasch anhängt, und dass die Verbreitung von Broschüren, in denen die Bauernklasse als Kleinbourgeoisie behandelt wird, der Propaganda der Partei einen bösen Streich spielt.

Denselben Einwand erhob Genosse Renaud Jean, und ich glaube, über unsere Arbeit unter den Bauern einige Worte sagen zu müssen.

Der Ausdruck “Kleinbürger” ist keine Beleidigung. Es ist ein wissenschaftlicher Ausdruck dessen Inhalt die Tatsache bestimmt, dass der Produzent im Besitze seiner Produktionsmittel ist. Er ist seiner Produktionsmittel nicht ganz entblößt und ist auch kein Lohnarbeiter. Das ist die Bedeutung des Ausdrucks “Kleinbürger”.

Wenn ein Bauer während einer propagandistischen Rede und nicht in einem wissenschaftlichen Kurs die Frage an mich richtet, bin ich denn Kleinbürger? - so werde ich ihm Aufklärungen geben, die, glaube ich, ihn nicht verletzen werden. Man trifft nur zu oft Bauern, die sich vom Proletarier, der nichts hat, nur dadurch unterscheiden, dass sie im Besitze ihrer Produktionsmittel sind. Diese Tatsache verursacht, dass sie eine individualistischere Denkungsart haben als die Arbeiter.

Dieser Ausdruck ist richtig und notwendig, damit wir uns selbst nicht über den Charakter dieser Bauernklasse täuschen und auch die Arbeiter nicht täuschen. Trotz der Differenzen jedoch, durch die sich das Leben und die Denkweise dieser beiden Klassen unterscheiden, darf dieser Ausdruck unsere Aktion unter den Bauern nicht im geringsten hemmen.

Die andere Frage ist die Kolonialfrage. Ich weiß nicht, ob die Resolution der Sektion von Sidi bel Abbas hier erwähnt wurde. Diese Resolution einer Gruppe, die sich kommunistisch nennt, ist, so klein diese Gruppe auch ist, ein großer Skandal. Die Resolution besagt: In der Kolonialfrage geht sie (die Sektion) mit den Moskauer Thesen vollkommen auseinander. Nur die kommunistischen Verbände der Eingeborenen sind befugt, eine kommunistische lokale Aktionstaktik festzustellen. Die algerischen kommunistischen Verbände können unter keinerlei Vorwand zugeben, dass in Algier Manifeste veröffentlicht werden, die, obgleich sie dafür verantwortlich sind, weder dem Geist noch dem Inhalt nach von ihnen herrühren.

Die Internationale darf also in den inneren Fragen der Partei nicht allzu unmittelbar intervenieren. Eine koloniale Sektion lehnt sich also gegen ihre Partei und gegen ihre Internationale auf und erklärt: nein, nein, soweit es sich um Eingeborene handelt, gehört das Gebiet ganz uns.

Die Resolution besagt ferner:

Ein siegreicher Aufstand der moslemischen Massen Algiers, dem nicht ein ebenso siegreicher Aufstand der proletarischen Massen des Mutterlandes voranging, würde in Algier notwendigerweise die Rückkehr zu einem System herbeiführen, das unmittelbar an den Feudalismus grenzt, was ja nicht das Ziel einer kommunistischen Aktion bilden kann.”

Das ist der Kern der Sache. Man darf eine Revolte, noch dazu die siegreiche Revolte der Eingeborenen in den Kolonien, nicht gestatten, denn wenn man die Dummheit begeht, sich von der Herrschaft der französischen Bourgeoisie zu befreien, so kehrt man zum Feudalismus zurück, und die französischen Kommunisten Algiers dürfen nicht dulden, dass die armen Eingeborenen sich durch einen revolutionären Aufstand von der französischen Bourgeoisie befreien und in den Feudalismus zurückfallen.

Keine zwei Stunden, keine zwei Minuten darf man Genossen in der Partei dulden, die die Mentalität von Sklavenhaltern haben, und die wünschen, dass sie Poincaré unter der wohltätigen Herrschaft der kapitalistischen Zivilisation halte, denn Poincaré ist der Vertrauensmann einer solchen Gruppe, da er es ja ist, der mit Hilfe seiner Unterdrückungsmittel die armen Eingeborenen vor dem Feudalismus, vor dem Barbarismus rettet. Ein Verrat in der Aktion deckt sich stets mit der Unabhängigkeit, mit der Autonomie, mit der Aktionsfreiheit. Man protestiert beständig gegen die Interventionen der Internationale und der französischen Partei selbst. Nun gibt es in der französischen Partei vieles zu ändern. Und wir sehen schon, wie sich die Dissidenten über die Lage der Partei freuen, wenn sie in ihren Artikeln, für die nur der Verfasser verantwortlich ist, schreiben: “Infolge der Zersetzung der Kommunistischen Partei ist die Stunde günstig. Es geht jetzt nicht mehr darum, uns zu verteidigen, sondern darum, zur kräftigen Offensive überzugehen usw.”

Die Dissidenten sehen ein Anschwellen ihrer Partei voraus, eine Prophezeiung, die ganz bestimmt nicht in Erfüllung gehen wird. Im Gegenteil, man kann, ohne vor der Kunst der Stenographie Angst zu haben, vorhersagen dass, wenn die Parteien so bleiben, wie sie heute beschaffen sind, wenn vor der Arbeitermasse bloß zwei verschiedene Schattierungen mit ihren Anhängern, mit ihren Kirchen und ihrer hierarchischen Bürokratie dastehen - dies jahre- und jahrzehntelang dauern kann; sobald aber in der Kommunistischen Partei eine radikale Änderung eintritt, sobald sie zu einer Partei wird, die ganz anders beschaffen ist, als die übrigen Parteien, und in der die Arbeiter mehr als eine bloße Partei, die Vorbereitung der proletarischen Revolution erblicken können - in diesem Falle kann man voraussagen, dass die Dissidenten tot sind, dass sie, ebenso wie die Reformisten von der CGT nicht mehr existieren. Und ich kann Ihnen mit voller Sicherheit sagen, dass nicht die CGTU mit ihren eigenen Kräften die reformistische CGT töten wird. Nein. Es gibt nur eine große, mächtige und wahrhaft revolutionäre Partei, die die ganze Elite der Arbeiterklasse erfasst: sie wird den politischen und syndikalistischen Reformismus vollkommen zerschmettern. Sie werden es bald erleben.

In den ersten Wochen des Kampfes gegen das Freimaurertum oder gegen die Liga für Menschenrechte werden sich Schwächen ergeben, wird es Deserteure geben, die zu den Dissidenten überlaufen werden.

Ich bin dessen sicher, dass die Dissidenten zunächst gewinnen werden, es ist aber der Abfall und der Auswurf der Kommunistischen Partei, den sie bekommen werden. (Beifall.)

Es handelt sich darum, schmerzhafte Operationen energisch und kräftig durchzuführen, um den Prozess zu beschleunigen und eine große Aktion zur Bildung einer revolutionären Partei in Angriff nehmen zu können.

Im Namen unserer Kommission schlagen wir Ihnen ein Aktionsprogramm vor, das der Kommission von der Linken unterbreitet und mit Abänderungen mehr sekundärer Natur einstimmig angenommen wurde.

Die Grundlage dieses Programms bietet die Möglichkeit. nunmehr eine großangelegte Aktion der Partei in Angriff zu nehmen, indem wir alle Elemente beseitigen, die dieser revolutionären Aktion hinderlich sind. Man sage ja nicht, dass diese unmittelbaren Forderungen in der französischen Bewegung einen neuen Reformismus schaffen können. In dieser Periode des Verfalles der bürgerlichen Gesellschaft werden die unmittelbaren Forderungen zum Schlüssel der wahrhaft revolutionären Bewegung. Diese Bewegung muss sich derart entwickeln, dass sie zum Ausgangspunkt die Betriebsräte und als notwendige Forderung die Einheitsfront annimmt, um alle Möglichkeiten der Aktion und des Erfolges erlangen zu können, die ferner, als besonders in Frankreich sehr notwendige Formel, die Arbeiterregierung annimmt.

Die Zwistigkeiten über diese Fragen müssen ein Ende nehmen, denn die Polemiken über diese Losung werden nur dazu führen, das Bewusstsein der bereits genügend beunruhigten Arbeiterschaft zu trüben. - Die Idee einer Regierung Blum-Frossard ist bloß symbolisch gemeint, um sie ganz kurz zu bezeichnen; es handelt sich aber gar nicht um eine Kombination zwischen Parlamentariern zur Bildung einer existenzfähigen Regierung, denn, um die Mehrheit im Parlament zu besitzen, um die Dissidenten und die Kommunisten in der Hand zu haben, dazu ist es nötig, dass die Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit für die Dissidenten und die Kommunisten stimmt; um aber zu diesem Resultat gelangen zu können, ist es notwendig, dass die Dissidenten die Arbeiterklasse nicht mehr auffordern, für den Block der Linken zu stimmen; die Dissidenten müssen sich vom Block der Linken, von der bürgerlichen Gesellschaft lossagen. Der französischen Arbeiterklasse muss vor allem gezeigt werden, wie notwendig es ist, sich von der Bourgeoisie loszusagen und sich ihr in jeder Hinsicht zu widersetzen. Bei einem Fall, wie dem Streik von Le Havre und dem Niedermetzeln von Arbeitern, müssen wir den Arbeitern sagen, dass unter einer Arbeiterregierung derartige Gemetzel nicht hätten stattfinden können; unsere Vertreter im Parlament müssen erklären, dass die Arbeiterklasse eine Regierung Poincaré oder einen Block der Linken nicht dulden kann, dass sie ausschließlich eine Regierung anerkennt, die die Arbeiterklasse vertritt und aus Arbeitern besteht.

Wir Kommunisten, wir orientieren uns mit aller Kraft in der Richtung der durch eine revolutionäre Bewegung zu schaffenden Arbeiterregierung, wenn aber die Arbeiter glauben, dass eine solche Regierung mit Hilfe der parlamentarischen Methoden geändert werden kann, müssen wir ihnen sagen: Versucht es; aber um es erreichen zu können, musst Ihr Euch vor allem vom Block der Linken und von den bürgerlichen Kombinationen vollständig lossagen, denn hierzu bedarf es nur eines Arbeiterblocks. Wenn Ihr Euch von der Bourgeoisie vollkommen loslöst, aber noch immer an die parlamentarischen Methoden glaubt, sagen wir Euch: Wir haben kein Vertrauen zu diesen Methoden, sobald Ihr Euch jedoch von der Bourgeoisie lossagt, unterstützen wir Eure Aktion. Wenn man uns fragt: Ist eine Koalitionsregierung der Parteien, die sich auf die Arbeiterklasse berufen, möglich? so werde ich antworten: Selbstverständlich; aber keinesfalls auf der Grundlage einer parlamentarischen Kombination, sondern auf der Grundlage einer großen Bewegung, die sämtliche Zweige des Kampfes der Proletarierklasse, und auch das Parlament umfasst.

Die Hauptsache ist, dass diese Bewegung der Arbeiterklasse den einfachen Gedanken beibringen kann, dass sie imstande ist, eine Arbeiterregierung zu bilden durch die Arbeiter und für die Arbeiter.

Wenn Ihr uns fragt: Sind wir dessen sicher, dass die Dissidenten uns nicht betrügen werden? so antworte ich Euch: dessen werden wir nie sicher sein. Deshalb eben müssen wir sie sogar in dem Augenblick, indem wir mit ihnen eine revolutionäre Arbeiterregierung bilden, mit derselben Aufmerksamkeit und mit demselben Misstrauen beobachten, das unseren schlimmsten Feinden gebührt, und sie, sobald sie sich schwach zeigen, sobald sie Verrat üben, aus der Regierung hinauswerfen, wie wir es bei uns mit unseren linken Sozialrevolutionären getan haben, die in der von uns gebildeten Arbeiterregierung das Bauerntum vertraten, und die wir dann hinauswerfen mussten, um der Arbeiterklasse die ganze Macht zu sichern.

Die Losung der Arbeiterregierung bedeutet in erster Linie die unbedingte Unabhängigkeit unserer Partei. Diese Unabhängigkeit muss rasch erlangt werden. In Frankreich wird das Zentrum in den nächsten Wochen die Verantwortung für diese energische Aktionsarbeit in unserer französischen Kommunistischen Partei tragen müssen, Ich bin überzeugt, dass die schmerzlichen Auseinandersetzungen, die wir in der Kommission mit unseren französischen Genossen hatten und die ich Ihnen hier in Form eines Berichtes unterbreitete, sich nicht mehr wiederholen können. Die Rede Frossards zeigt uns die Gefahr. Ich habe sie zitiert, ich habe sie interpretiert, jetzt ist es am Zentrum, der Gefahr vorzubeugen, sie für immer aus der Welt zu schaffen. Ich sehe keinen Grund zum Bruch; im Gegenteil, ich glaube, dass die Situation für unsere französische Partei außerordentlich günstig ist. Angesichts des Verfalles des Nationalen Blocks, der vollständigen Unmöglichkeit der Reparationen, der schwierigen Lage des Blocks der Linken, glaube ich, dass unsere Partei die Zukunft Frankreichs und somit der ganzen Menschheit in der Hand hält. Wir sind überzeugt, dass das Zentrum, beseelt von diesen großen und herrlichen Perspektiven, seine Pflicht bis zum äußersten erfüllen wird und dass wir auf dem nächsten Kongress eine einheitliche, homogene, revolutionäre Partei haben werden, die ihre Pflicht treu erfüllen wird bis zur siegreichen Revolution des französischen Proletariats. (Langanhaltender Beifall.)

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