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Leo Trotzki 19210705 Rede zu Lenins Bericht über die Taktik der Russischen Kommunistischen Partei

Leo Trotzki: Rede zu Lenins Bericht über die Taktik der Russischen Kommunistischen Partei

[17. Sitzung, 5. Juli 1921, Protokoll des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale. Band 2, Hamburg 1921, S. 781-789]

TROTZKI. Genossen, ich habe nicht die Möglichkeit, regelmäßig die “Neue Zeit” zu lesen, das theoretische Organ der sogenannten Sozialdemokratie, von Heinrich Cunow geleitet. Aber von Zeit zu Zeit fällt mir eine Nummer in die Hand, und da habe ich gerade einen Artikel von Heinrich Cunow über die Zersetzung des Bolschewismus gelesen, in dem er die Frage behandelt, die jetzt bei uns zur Diskussion steht. Er formuliert die Frage folgendermaßen: wie kann der völlige wirtschaftliche Zusammenbruch vermieden, die industrielle und landwirtschaftliche Erzeugung vermehrt, den städtischen Arbeiter, Angestellten und Gelehrten eine einigermaßen ausreichende Nahrungsmenge gesichert und die steigende Unzufriedenheit dieser Kreise abgewehrt werden?

Die Formulierung ist polemisch gegen uns zugespitzt, aber dem Kern nach doch richtig. Dann schildert er die Tendenzen, die vermeintlichen Tendenzen innerhalb unserer Partei und sagt weiter: “Trotzki ist unterstützt von Bucharin, Rakowski, Pjatakow, Larin, Scholnikow” ..

Wer Scholnikow ist, weiß ich nicht, vielleicht eine Synthese von Sokolnikow und Schljapnikow. Genossin Kollontai ist hier ausgefallen. Ich weiß nicht, warum “und anderen Linkskommunisten”.

Hören Sie, Genosse Bela Kun, Linkskommunisten! (Heiterkeit) “und anderen Linkskommunisten bei der Betrachtung dieser Frage zu der Folgerung gekommen, dass nur eine noch strengere Durchführung des kommunistischen Arbeitssystems zu helfen vermag. Die Fabriken wie die landwirtschaftlichen Betriebe müssen seiner Ansicht nach unter strengere Aufsicht gestellt, die noch selbständigen Wirtschaftsorganisationen ebenfalls verstaatlicht, die Bauern zur Hergabe ihrer Überschusserzeugung an die notleidenden Städte gezwungen und die Gesetze gegen Schleichhandel und Lebensmittelwucher verschärft werden. Überhaupt sei dringend nötig, dass das Wirtschaftsgetriebe energischer diszipliniert und zentralisiert werde. Ein Ziel, das nur dann zu erreichen sei, wenn die Wahl der Aufsichtsfunktionäre usw. durch die Arbeiter aufhöre — die Arbeiter wählen nämlich vielfach solche Personen, die fünf grade sein lassen — und an die Stelle dieser Funktionäre von den politischen Sowjetbehörden ernannte Personen treten. Zum Zweck einer solchen Vermehrung der Produktion will Trotzki die Gewerkschaften anspannen und diese, die größtenteils nicht kommunistisch gesinnt sind, politisieren, das heißt unter die Kontrolle der politischen Organisationen stellen. Ferner soll auf die Bauern ein Produktionszwang ausgeübt, die Bestellung der Felder für eine “Staatsdienstpflicht” erklärt und die Bauern energisch angehalten werden, von den nötigsten Lebensmitteln bestimmte Mengen anzubauen und abzuliefern. Zudem bekämpft Trotzki die Verpachtung großer Landstrecken an fremde kapitalistische Ausbeutungsgesellschaften als antikommunistisch”.

Also mit einem Wort, wir haben hier in diesem Artikel das politische Porträt unserer Freundin Kollontai, nur unter dem Pseudonym von Trotzki. Der Artikel ist sonst, wie überhaupt das ganze, was der Mann zusammenschmiert, die Wiederholung des plattesten Bernsteinismus der neunziger Jahre. Und das erscheint jetzt als die neue Lehre nach dem Kriege, das ist die geistige Nahrung der deutschen Sozialdemokratie. Bei Bernstein war es viel systematischer, durchdachter, planmäßiger geschildert als bei diesem Herrn Heinrich Cunow. Es tut nichts zur Sache. Ich komme also auf die russische Frage. Das ist nicht nur die Meinung des Herrn Heinrich Cunow, dass wir große Streitigkeiten haben und dass ich persönlich in der Frage der Konzessionen, in der Frage der Änderung unserer wirtschaftlichen Politik zu der Opposition gehöre. Das geht nicht nur durch die sozialdemokratische, sondern auch durch die kapitalistische Presse. Jeder Genosse, der überhaupt nur etwas von unseren internen Angelegenheiten weiß, der ist sich im Klaren darüber, dass bei uns in der Partei darüber keine ernsthaften Meinungsdifferenzen bestehen, ausgenommen eine ganz kleine Gruppe, deren Repräsentantin wir heute hier gehört haben. Wenn bei uns im Zentralkomitee überhaupt diese Frage jemals zur Diskussion gekommen war, so nur in der Beziehung, ob man auf diesem oder jenem Gebiet diese oder jene Konzessionen machen soll oder nicht. Also in rein praktischer Form. Und gerade in dieser praktischen Form war ich mit Lenin einverstanden. Weder Genosse Bucharin noch Rakowski, niemand von den Genannten, hat prinzipiell gegen die Konzessionen und gegen die neue landwirtschaftliche oder Bauernpolitik je Stellung genommen. Das charakterisiert also sehr gut die geistige Verfassung der deutschen Sozialdemokratie. Denn inwieweit man wirklich zur Internationale gehört — wie es auch in den besten Zeiten der 2. Internationale war —‚ so hat man doch ein großes Interesse, ehrlich das, was in der Bruderpartei vor sich geht, zu verfolgen und zu verstehen, wenn man auch mit der Partei im Streite ist. Wenn man über den Zarismus eine Lüge in die Welt schleuderte, so sagte man, der Zarismus habe einen breiten Rücken, der werde es ertragen. Aber von dem theoretischen Vertreter einer Partei, der ruhig die Dinge betrachten müsste, könnte man doch fordern — nicht, dass er uns versteht und rechtfertigt, Gott bewahre —‚ aber dass er wenigstens eine Ahnung von den Dingen hat. Doch er hat auch diese nicht.

Also ist es festgestellt, darüber bestehen bei uns keine Meinungsverschiedenheiten. 99 Hundertstel wäre eine bescheidene quantitative Begrenzung der Mehrheit der Partei in dieser Frage. Nun, wie steht es aber mit der Gefahr, die der Vertreter der kommunistischen Arbeiterpartei und die Genossin Kollontai uns hier von zwei verschiedenen Seiten, der eine von der Seite des westeuropäischen Kapitalismus, die andere von der Seite des russischen Kommunismus, geschildert haben. Die Frage ist auch bei uns in der ökonomischen Kommission zur Besprechung gekommen. Ein Genosse hatte festzustellen versucht, dass die Möglichkeit für den Kapitalismus, sich auf diesen weiten russischen Steppen auszuwirken, auch für ihn, den Kapitalismus, den Weg, den Ausweg zur Rettung bedeutet. Nun, der Kapitalismus kann sich ja nur in dem Rahmen bewegen, den unser Eisenbahnnetz, unsere Transportmöglichkeiten, unsere Dimensionen, überhaupt unsere ganze wirtschaftliche Kultur darstellt. Wir sprechen nicht etwa von der Firma Gerngroß von Wien, die sich ganz gut auf Kosten der Sowjetrepublik retten könnte, wenn sie zum Lieferanten würde, sondern wir sprechen vom Kapitalismus.

Wenn der Kapitalismus die Möglichkeit hätte, sich auf Russland stützend, sein Gleichgewicht herzustellen, das Gleichgewicht in den nächsten Jahrzehnten, so würde das bedeuten, dass für uns absolut keine Notwendigkeit besteht, an den westeuropäischen Kapitalismus zu appellieren; denn das würde bedeuten, dass wir mächtig und kräftig genug sind, um auf die Kooperation des westeuropäischen und amerikanischen Kapitalismus zu pfeifen. Nun steht die Sache aber nicht so. Wir sind nicht genügend stark und mächtig, um auf die kapitalistische Technik, die sich auch in kapitalistischer Form präsentiert, verzichten zu können, und wir sind eben nicht stark und mächtig genug, um dem Kapitalismus die Möglichkeit zu geben, alle seine Wunden durch Unterstützung Russlands zu heilen. Das ist die innere Logik der Sache. Jedenfalls, die Genossen, die Furcht haben, der Kapitalismus könnte sich dadurch, dass er sich hier auswirkt, stärken, müssen sich darüber Rechenschaft gehen, dass zwischen diesem sich in Russland auswirkenden Kapitalismus und der Weltrevolution sich Sowjetrussland befindet, und lange, ehe der russische Kapitalismus sich auf russischen Steppen erholt und dadurch viel stärker erscheinen könnte, würde er unsere beginnende kommunistische Wirtschaft erdrücken. Also zuerst würde selbstverständlich unsere im Beginn begriffene sozialistische Organisation zum Opfer fallen. Nun habe ich in der Kommission gesagt: ja, die Hauptsache bleibt doch, dass die Avantgarde des Proletariats die Macht hierzulande hat, die Arbeiterklasse, durch ihre Avantgarde politisch und staatlich verkörpert, und dass wir insoweit Konzessionen zu geben haben, insoweit es unserer Sache nützlich ist. Das ist die selbstverständliche Voraussetzung. Wenn der Kapitalismus militärisch gesiegt hätte, so gäbe es überhaupt keine Frage über die Konzessionen, er hätte sie auf eigene Faust gelöst, dann hätten wir keine taktische Frage. Jetzt haben wir diese Frage. Warum? Weil die Arbeiterklasse hier die Macht im Lande hat, d. h. sie verhandelt mit dem Kapitalismus, sie hat die Möglichkeit, den einen Konzessionen zu geben und sie den anderen zu versagen, d. h. sie hat die Möglichkeit zu kombinieren, das gesamte Feld in seiner wirtschaftlichen Entwicklung und in seiner Weltentwicklung abzuschätzen, zu erwägen, um Rat zu fragen, um dann ihre Entscheidung zu fällen. So steht die Sache.

Und da habe ich die Schlussfolgerung daraus gezogen, dass diejenigen westeuropäischen Genossen und auch die aus Amerika, die eine wirkliche Furcht davor bekommen, der Kapitalismus könnte sich in Russland erholen, damit beweisen, dass sie unsere technischen und auch unsere Transportmittel überschätzen und unseren kommunistischen Verstand unterschätzen. Ich habe gesagt, dass hier die Genossin Kollontai, die zu denjenigen Genossen gehört, die als Linkskommunisten bezeichnet werden, in der Frage in bezug auf die Konzessionen nicht genannt worden ist. Nun hat sie sich aber selbst genannt. Das ist ihr gutes Recht. Sie stellt die Disziplin der Internationale über die Disziplin der Partei. Ich weiß nicht, vielleicht gehört es auch zur Frage der Konzessionen, dass man etwas übertrieben ritterlich — in diesem Falle weiß ich den deutschen Ausdruck nicht —‚ vielleicht amazonenhaft … —

Radek: walkürenhaft!

Trotzki (fortfahrend): walkürenhaft auftreten will; ich überlasse die Verantwortung für diesen Ausdruck dem Genossen Radek (Heiterkeit), indem die Genossin Kollontai sich in die Rednerliste eingetragen hat, da es bei uns doch Usus ist, dass wir in der Delegation, im Büro, im Zentralkomitee die Frage behandeln. Man hat es als natürlich gefunden, dass eine, obwohl ganz kleine, politisch für diese Frage kaum in Betracht kommende Minderheit ihre Schattierung, ihre Tendenz doch zur Kenntnis des Internationalen Kongresses bringen will.

Nun aber zum Material der Rede der Genossin Kollontai. Ihr Hauptgedanke ist der: das kapitalistische System hat sich ausgelebt und daher kann man ja von diesem System geschichtlich sozusagen nichts mehr zum eigenen Profit ausleihen. Das war die Basis. Alles andere war ihr überflüssig. Das gibt uns ja das volle Maß der geschichtlich ökonomisch politischen Anschauungen der Genossin Kollontai. Das ist, philosophisch gesprochen, eine vollständig metaphysische Auffassung, die mit unbeweglichen, nicht geschichtlichen, dogmatischen Begriffen operiert. Der Kapitalismus habe sich ausgelebt und es sei ganz unmöglich, von ihm etwas zu bekommen, was uns zur Hilfe sein könnte. Nun, Genossen, wenn dem wirklich so wäre, dass der Kapitalismus sich ausgelebt hat, so könnte ich sagen, wenn uns eine englische oder französische Armee jetzt angreift, vielleicht am Schwarzen Meer, ja, der Kapitalismus hat sich ausgelebt, und lege dann die Hände in den Schoß. (Lebhafte Zustimmung.) Ja. ich glaube, da gehen wir zum Teufel — mit Verlaub der Genossin Kollontai. (Lebhafter Beifall.)

Denn der Kapitalismus wird ja nicht fragen, ob er nach ihrem dogmatischen Begriffe sich schon ausgelebt hat, sondern er wird uns mit Bajonetten, die in seinen kapitalistischen Fabriken angefertigt werden, durch seine Soldaten, die durch seine kapitalistische Disziplin gedrillt worden sind, töten und begraben. Und wenn der sich ausgelebte Kapitalismus sich als so stark erweisen kann, um uns zu töten und zu begraben, so beweist das, dass er noch ziemlich stark ist. Und auch die Tatsache selbst, dass Genossin Kollontai, die in der russischen Partei in der Opposition steht, gezwungen ist, ihre oppositionellen Ansichten auf einem Internationalen Kongress, der in Moskau tagen muss, vorzubringen, ist ein kleiner Beweis dafür, dass der Kapitalismus sich ausgelebt hat — im großen geschichtlichen Sinne, dass er keine neuen Möglichkeiten für die Menschheit eröffnen kann, aber dass er noch genügend stark ist, um uns sogar zu untersagen, einen Kongress in Paris oder Berlin abzuhalten. (Zustimmung.) Das ist auch eine kleine Tatsache. Und die kapitalistische Technik, z. B.: Wie denkt die Genossin Kollontai über eine gute Lokomotive, eine ehrliche, deutsche, kapitalistische Lokomotive? Das ist eine interessante Frage. Ja, ich fürchte, dass das deutsche Proletariat, nachdem es schon die Macht erobert hat, noch ein paar Jahre auf den echten kapitalistischen Lokomotiven seine Reisen durch das Land wird machen müssen. Noch mindestens zwei Jahre.

Denn es wird vieles zu tun haben, und ich glaube kaum, dass es sogleich in den ersten Monaten an die Erzeugung neuer Lokomotiven wird herantreten können. Nun, Genossen, ist es erlaubt — vom Standpunkt der zehn Gebote der Genossin Kollontai —‚ sich eine neue deutsche Lokomotive mit der Marke der Firma Ebert & Co. zu kaufen oder nicht? Das ist die eine Frage. Ich glaube, dass uns die Genossin Kollontai in dieser Frage die so schroff gestellt ist, nicht das Recht versagen wird, eine Lokomotive bei Ebert zu kaufen. Und wenn wir die Lokomotive dort kaufen, so müssen wir sie auch dort bezahlen, müssen mit Gold bezahlen. Und, Genossen, das Gold, das aus Russland in die kapitalistische Kasse kommt, das stärkt diese kapitalistische Kasse. Allerdings bei weitem nicht in dem Maße, um die deutschen Schulden zu bezahlen. So viel Gold haben wir glücklicherweise nicht. (Heiterkeit.) Aber, wenn wir prinzipiell fest sein wollen, dürfen wir das Gold nicht an die Kapitalisten zahlen. Oder nehmen wir an, wir zahlen nicht mit Gold, sondern mit Holz, was auch möglich ist. Nun sagt vielleicht Genossin Kollontai, ja, den Handel Sowjetrusslands mit dem kapitalistischen Deutschland oder England dulde ich noch, aber die Konzessionen nicht mehr. Was bedeuten aber die Konzessionen? Um Lokomotiven zu bekommen, müssen wir Holz verkaufen. Wenn wir nicht die genügende Zahl von Sägen und mechanischen Einrichtungen haben, so sagen wir, da wächst das Holz im Walde, und der englische Kapitalist kommt mit seinen Maschinen und technischen Einrichtungen, um sich dieses Holz herauszuholen und uns dafür Lokomotiven zu liefern. Also ich möchte gern wissen, wo die prinzipielle Opposition der Genossin Kollontai anfängt und wo sie aufhört, bei dem Ankauf von Lokomotiven, bei der Bezahlung mit Gold, bei der Bezahlung mit Holz, oder bei der Bezahlung mit Holz in der Form eines Waldes. Ich fürchte, dass die Opposition erst mit dem Fällen des Waldes beginnt.

Dann sagt die Genossin Kollontai, wir wollen ja die Arbeiterklasse überhaupt durch Spezialisten und andere Kräfte ersetzen. Die anderen Kräfte, das sind die Techniker.

KOLLONTAI. Das habe ich nicht gesagt!

TROTZKI. Sie haben gesagt, dass man die Initiative der Arbeiterklasse durch andere Kräfte ersetzt, dass man die Avantgarde der Arbeiterklasse zwingt, das Feld anderen Kräften zu überlassen. Also diese anderen Kräfte sind einerseits die so genannte technische Intelligenz, andererseits ist es die Bauernschaft. Dass man die Bauernschaft ersetzen will, ist ja ausgeschlossen. Aber die Klasse, die die Macht in Händen hat, verhandelt mit der Bauernschaft. Was die Techniker anlangt, so ist es Tatsache, dass wir auch in dieser Frage eine Diskussion in der Partei hatten. Zurzeit sind nur die letzten Nachklänge dieser Diskussion in der Partei zu spüren. Und vielleicht der, wenn nicht letzte, so doch der vorletzte Nachklang erscholl hier aus dem Munde der Genossin Kollontai. Prinzipiell gesprochen, Genossen, hat, selbstverständlich, das Proletariat eine ziemlich große Kraft und Initiative, und wir hoffen auch, dass die ganze Menschheit ihr Antlitz etwas durch die Kraft der Arbeiterklasse verändern wird. Aber wir haben nie gesagt, dass die Arbeiterklasse von Geburt aus alle die Fähigkeiten besitzt, um die neue Gesellschaft zu konstruieren. Sie kann sozial und politisch die notwendigen Voraussetzungen für die neue Gesellschaft schaffen. Und weiter: indem sie unmittelbar die Macht ergreift, kann sie die notwendigen Hilfskräfte ausfindig machen, diese Kräfte an den erforderlichen Ort, in den Dienst der Kommunistischen Wirtschaft stellen, um dadurch die ganze Maschinerie in Bewegung zu setzen. Aber wir haben nie gesagt, dass der einfache Arbeiter nur dadurch, dass er zum Kommunisten geworden ist, die Fähigkeiten besitzt, die Arbeit eines Technikers, eines Astronomen oder Ingenieurs zu verrichten. Und wenn man nun diese technischen Kräfte einfach mit dem. allgemeinen Begriff “andere soziale Kräfte” bezeichnet, und wenn man die Tatsache, dass man diese Kräfte in die Dienste unserer Sache stellt, als Mangel des Vertrauens zur Arbeiterklasse charakterisiert, so muss ich feststellen, dass das mit Marxismus und Kommunismus absolut nichts zu tun hat.

Genossen und Genossinnen, von Anfang an hatten wir auf dem einfachsten Gebiete, das wir bis jetzt zu bearbeiten hatten, auf militärischem Gebiete, fremde technische Kräfte verwendet, und wir hatten deshalb manche Reibungen. Es wurden von Seiten des Zentralkomitees manche Fehler begangen und unsere militärische Organisation stieß oft auf Widerstand. Man sagte, ihr stellt fremde technische Kräfte — es waren darunter die Offiziere gemeint — in den Dienst des Proletariats. Und es hat sich doch herausgestellt, dass, wenn wir uns nur auf die Energie, den Opfermut der eigenen Genossen, die sicherlich ihre Pflicht im höchsten Maße erfüllt hätten, gestützt und die fremde militärische Kraft unberücksichtigt gelassen hätten, so hätten wir schon längst aufgehört zu existieren. Das ist ganz klar. Die russische Arbeiterschaft hat durch ihre Fähigkeiten und durch ihre Opferfreudigkeit das Größte geleistet. Sie hat aber auch große Initiative erwiesen, indem sie, obwohl sie zurückgeblieben war und in einem bäuerlichen Lande lebte, imstande war, nachdem sie die Macht ergriffen hatte, die Offiziere durch Gewalt, durch Propaganda, durch neue Gewalt und neue Propaganda an sich zu reißen und in ihre Dienste zu stellen. (Lebhafte Zustimmung.) Wir mussten eine Armee haben. Die Arbeiterschaft hatte keine genügenden Erfahrungen und Kenntnisse, und wir konnten nicht überall gleich aus der Arbeiterschaft die Offiziere stellen. Jetzt haben wir schon zahlreiche Rote Offiziere aus der Reihe der Arbeiterschaft, fast bis in die höchsten Stellen hinauf, und ihre Zahl nimmt von Tag zu Tag zu.

Ganz das Gleiche ist nun auf technischem Gebiete der Fall. Die Tatsache, dass wir noch von einer kapitalistischen Welt umkreist sind, zwingt uns zu den Konzessionen, die wir auf technischem Gebiete erreichen müssen. Wir haben aber das volle Vertrauen, dass unsere Arbeiterklasse, indem sie sich jetzt immer mehr als Mitglied der großen Internationale fühlt, diese Atempause des Kapitalismus, dieses labile Gleichgewicht. das jetzt herrscht und das noch eine Weile bleiben wird, aushält und in dieser Pause sich fremde Kräfte, fremde Mittel ausleiht und in den Dienst der eigenen Sache stellt. Wenn wir der russischen Arbeiterschaft sagen, wir verhandeln mit fremden Kapitalisten, doch werden wir alles anwenden, um auf eigenen Beinen zu bleiben. Wenn wir haben wollen, dass diese Arbeiterschaft das gesamte Feld übersehen und sagen soll: dieses Feld kann ich ja den deutschen und amerikanische Kapitalisten als Konzessionen überlassen, und dafür bekomme ich diese und diese Maschinen, ist das Mangel an Vertrauen in die Kraft der russischen Arbeiterschaft, des russischen Proletariats? Wenn jemand unter uns des Mangels an Vertrauen in die Kraft der Arbeiterklasse geziehen werden kann, so sind das nicht wir, sondern die kleine Gruppe, in deren Namen hier heute die Genossin Kollontai gesprochen hat. (Lebhafter Beifall und Applaus.)

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