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Leo Trotzki 19390311 Stalins Kapitulation

Leo Trotzki: Stalins Kapitulation

[Nach Schriften 1.2. Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur 1936-1940. Hamburg 1988, S. 1161-1167. Dort mit umfangreichen Fußnoten]

Coyoacán, 11. März 1939

Die ersten Berichte über Stalins Rede auf dem zur Zeit in Moskau stattfindenden Parteitag der so genannten Kommunistischen Partei der Sowjetunion zeigen, dass Stalin sich beeilt, aus den spanischen Ereignissen seine Lehre im Sinne einer weiteren Hinwendung zur Reaktion zu ziehen. In Spanien erlitt Stalin eine weniger direkte, aber nicht minder schwere Niederlage als Azaña und Negrin. Dabei geht es um etwas weitaus Wichtigeres als um eine rein militärische Niederlage oder gar einen verlorenen Krieg. Die ganze Politik der spanischen »Republikaner« wurde von Moskau bestimmt. Die Beziehungen zwischen der republikanischen Regierung und den Arbeitern und Bauern waren nur eine Übersetzung der Beziehungen zwischen Kreml-Oligarchie und den Völkern der Sowjetunion in die Sprache des Krieges. Die Führungsmethoden von Azaña und Negrin waren die konzentrierten Methoden der Moskauer GPU. Die Grundtendenz dieser Politik bestand in der Ersetzung des Volkes durch die Bürokratie und der Bürokratie durch die politische Polizei. Unter Kriegsbedingungen fanden die Tendenzen des Moskauer Bonapartismus in Spanien nicht nur ihren höchsten Ausdruck, sondern wurden auch einer raschen Prüfung unterzogen. Darin liegt die Bedeutung der spanischen Ereignisse vom internationalen und vor allem vom sowjetischen Standpunkt aus gesehen. Stalin ist unfähig, Krieg zu führen; und wenn er zum Krieg gezwungen wird, ist er unfähig, anderes als Niederlagen zu erreichen.

In seiner Rede auf dem Parteitag bricht Stalin offen mit der Idee eines »Bündnisses der Demokratien zur Abwehr der faschistischen Aggressoren«. Die Provokation zu einem internationalen Krieg geht jetzt weder von Mussolini noch von Hitler aus, sondern von den beiden wichtigsten Demokratien Europas, Großbritannien und Frankreich, die, wie der Redner ausführt, Deutschland und die UdSSR unter dem Vorwand eines Attentats Deutschlands auf die Ukraine in einen bewaffneten Konflikt ziehen wollen. Faschismus? – der tut hier nichts zur Sache. Von einem Attentat Hitlers auf die Ukraine kann nach Stalins Worten gar nicht die Rede sein, und es gibt nicht den geringsten Anlass für einen militärischen Konflikt mit Hitler. Auf die Absage an die Politik des »Bündnisses der Demokratien« folgt unverzüglich erniedrigende Kriecherei vor Hitler und eifriges Stiefellecken. Das ist Stalin!

In der Tschechoslowakei fand die Kapitulation der »Demokratie« vor dem Faschismus ihren personifizierten Ausdruck im Wechsel der Regierung. In der UdSSR ist Stalin, dank den unschätzbaren Vorzügen eines totalitären Regimes, sein eigener Beneš und sein eigener General Syrový. Er ändert die Prinzipien seiner Politik eben deshalb, um selbst nicht ausgewechselt zu werden. Die bonapartistische Clique will leben und regieren, alles andere ist für sie nur eine Frage der »Technik«.

Die politischen Methoden Stalins unterscheiden sich ihrem Wesen nach durch nichts von den Methoden Hitlers. Aber in der Sphäre der internationalen Politik springt der Unterschied der Resultate ins Auge. In kurzer Zeit gewann Hitler das Saargebiet zurück, warf den Versailler Vertrag über den Haufen, riss Osterreich und die Sudetendeutschen an sich, unterwarf die Tschechoslowakei seiner Herrschaft und brachte eine Reihe zweit- und drittrangiger Staaten unter seinen Einfluss. In denselben Jahren erfuhr Stalin in der Arena der Weltpolitik nur Niederlagen und Demütigungen (China, Tschechoslowakei, Spanien). Es wäre viel zu oberflächlich, wollte man die Erklärung dieses Unterschiedes in den persönlichen Qualitäten Hitlers und Stalins suchen. Hitler ist ohne Zweifel geschickter und kühner als Stalin. Das ist jedoch nicht entscheidend. Entscheidend sind die sozialen Verhältnisse in beiden Ländern.

In oberflächlichen radikalen Kreisen ist es jetzt Mode geworden, die sozialen Herrschaftsformen Deutschlands und der UdSSR über einen Kamm zu scheren. Das ist Unsinn. In Deutschland existiert, trotz aller staatlichen »Regulierungen«, als Grundordnung das Privateigentum an Produktionsmitteln. In der Sowjetunion ist die Industrie nationalisiert und die Landwirtschaft kollektiviert. Uns sind alle sozialen Missbildungen bekannt, die die Bürokratie auf dem Territorium der Oktoberrevolution hervorgebracht hat. Aber die Tatsache einer Planwirtschaft auf Grundlage von Verstaatlichung und Kollektivierung der Produktionsmittel bleibt bestehen. Diese verstaatlichte Wirtschaft hat ihre eigenen Gesetze, die immer weniger mit dem Despotismus, der Ignoranz und der Raubsucht der stalinistischen Bürokratie in Einklang zu bringen sind.

Der Monopolkapitalismus befindet sich in der ganzen Welt und besonders in Deutschland in einer ausweglosen Krise. Der Faschismus selbst ist Ausdruck dieser Krise. Aber im Rahmen des Monopolkapitalismus ist das Hitler-Regime für Deutschland das einzig mögliche. Die Erklärung für die Erfolge Hitlers liegt darin, dass er durch sein Polizeiregime den Tendenzen des Imperialismus den extremsten Ausdruck verleiht. Das Stalin-Regime hingegen ist in unauflösbare Widersprüche zu den Entwicklungstendenzen der sowjetischen Gesellschaft geraten. Selbstverständlich sind die Erfolge Hitlers unbeständig, unsicher und begrenzt durch die Möglichkeiten, die eine sterbende bürgerliche Gesellschaft hat. Hitler wird bald den Höhepunkt erreichen, wenn er ihn nicht schon erreicht hat, um dann in die Tiefe zu stürzen. Aber dieser Moment ist noch nicht gekommen. Hitler beutet weiterhin die dynamische Kraft eines um seine Existenz ringenden Imperialismus aus. Dagegen sind die Widersprüche zwischen dem bonapartistischen Stalin-Regime und den Erfordernissen von Wirtschaft und Kultur in eine unerträgliche Spannung geraten. Der Kampf des Kreml um seine Selbsterhaltung verschärft und vertieft nur die Widersprüche, die zu einem ständigen Bürgerkrieg und daraus folgenden Niederlagen in der Arena der Weltpolitik geführt haben.

Wie ist Stalins Rede zu verstehen? Ist sie Glied in der Kette einer sich formierenden, neuen Politik, die sich auf die ersten, bereits mit Hitler erreichten Übereinkommen stützt, oder ist sie nur ein Versuchsballon, ein einseitiges Angebot von Herz und Hand? Höchstwahrscheinlich kommt die Wirklichkeit der zweiten Variante näher als der ersten. Als Sieger hat es Hitler keineswegs eilig, sich auf seine Freundschaft oder Feindschaft festzulegen. Er ist im Gegenteil sehr daran interessiert, dass die Sowjetunion und die westlichen Demokratien sich gegenseitig vorwerfen, »einen Krieg zu provozieren«. Jedenfalls hat Hitler mit seiner Offensive schon so viel Erfolg gehabt, dass Stalin, der noch gestern der »Alexander Newski« der westlichen Demokratien war, heute seinen Blick nach Berlin richtet und untertänigst die begangenen Fehler bekennt.

Was man uns für Lehren erteilt! In den letzten drei Jahren bezeichnete Stalin alle Kampfgenossen Lenins als Agenten Hitlers. Er rottete die Blüte des Kommandobestandes aus, erschoss, deportierte und verbannte etwa 30.000 Offiziere – alle unter der gleichen Beschuldigung, nämlich Agenten Hitlers oder seiner Verbündeten zu sein. Nachdem er die Partei zertrümmert und die Armee enthauptet hat, verkündet Stalin nun selbst offen seine Kandidatur als Hauptagent Hitlers. Mögen die Knechte der Komintern sich drehen und wenden, wie sie wollen. Die Fakten sind so klar und überzeugend, dass es niemandem mehr gelingen wird, die öffentliche Meinung der internationalen Arbeiterklasse durch marktschreierische Phrasen zu betrügen. Bevor Stalin fällt, wird die Komintern in Stücke fallen. Das eine wie das andere wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.

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