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G. Sinowjew 19160400 Bücherrundschau

G. Sinowjew: Bücherrundschau.

[nach Vorbote, Heft 2 (April 1916), S. 63 f.]

Hermann Gorter: «Der Imperialismus, der Weltkrieg und die Sozialdemokratie.» Übersetzung aus dem Holländischen. Herausgegeben von der Sozialdemokratischen Partei Hollands (SDP). Amsterdam 1915. Preis 50 Pf. 152 + II S.

Das Erscheinen der Gorterschen Broschüre in deutscher Sprache ist ein Ereignis für uns alle revolutionären Internationalisten ohne Unterschied des Landes, Unsere holländische Bruderpartei (die SDP) hat volles Recht, stolz zu sein auf diese Leistung ihres Mitgliedes. Geschrieben in packendem Stile, mit unbändiger Leidenschaft und flammender Entrüstung gegen die offiziellen sozial-patriotischen Parteien, die das Banner des Sozialismus in der wichtigsten historischen Stunde verraten haben, appelliert diese glänzende Broschüre nicht nur an das Herz der Arbeiter, sondern ebenso an ihren Kopf, an ihr Klassenbewusstsein.

Die Broschüre wendet sich hauptsächlich gegen die deutschen Sozialpatrioten und zerpflückt unbarmherzig alle die Sophismen und Scheinargumente dieser Herren. «Aber was wir hier von der deutschen Sozialdemokratie gesagt haben,» schreibt Gorter, «das gilt der nämlichen Gründe halber in gleichem Maße für die französische, die belgische, die englische Sozialdemokratie» (S. 53).

Was in der Broschüre als besonders wichtig hervorzuheben ist, das ist die scharfe, wohlerwogene und absolut richtige Kritik des «Kautskysmus», der Theorie des sogenannten Zentrums oder der – «Radikalen». Genosse Gorter hat vollkommen recht, wenn er die ganze Tätigkeit Kautskys nach dem Erscheinen seines «Weg zur Macht» als konterrevolutionär betrachtet, wenn er die berühmte Kautskysche «Ermattungsstrategie» als Taktik zur Ermattung des Proletariats geißelt, wenn er die ganze Haltung Kautskys während des Krieges als antisozialistisch festnagelt, wenn er sagt: «Beide, Kautsky und Cunow, gehören zusammen» (S. 84).

Mit vollem Rechte sieht Gorter den Hauptschuldigen des Zusammenbruchs der zweitem Internationalen im Opportunismus, im Reformismus. Es gilt, den Opportunismus, diesen Todfeind der revolutionären Arbeiterbewegung, zu bekämpfen und nicht nur zu «erklären» (S. 107). «Wir glauben, dass die Zeit dies fordert», sagt unser Autor. Wir glauben es auch. Denn Gorter trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er den jetzigen Verrat der Reformisten, Sozialimperialisten an der Sache der sozialistischen Revolution mit dem Verrat des bürgerlichen Liberalismus an der Sache der bürgerlichen Revolution von 1848 vergleicht.

Das «Kolonialprogramm» der revolutionären Sozialdemokratie soll nach Gorter nicht nur im Protest gegen koloniale Vergewaltigung bestehen, sondern auch in der «Unterstützung einer jeden revolutionären Aktion der Eingebornen und Forderung ihrer politischen und nationalen Unabhängigkeit.» (S. 14.) Er überschüttet die «kleinbürgerlichen Reformisten Bernstein, Noske usw.», die Troelstra et Cie., die «der Selbständigkeit und der unmittelbaren Befreiung Indiens feindlich gegenüberstehen,» mit wohlverdientem Spott. (S. 66.)

Auf das Argument der Kautskyaner: «Das Proletariat muss sich gegen jede feindliche Invasion wehren, und zusammen mit der Bourgeoisie gegen die Niederlage des Vaterlandes, als das größte aller möglichen Übel, kämpfen» erwidert Gorter sehr zutreffend: «Wir antworten; im allgemeinen, dass der Imperialismus als Ganzes unvergleichlich viel schlimmer für das Proletariat ist als der Krieg oder die Invasion. (S. 34) … Es ist ein Angriffskrieg aller Länder gegeneinander.» (S. 140)

Die sozialimperialistische Ideologie mit ihrer «Losung» des Friedens findet in dem Buche Gorters eine prächtige marxistische Kritik. Unsere Losung kann nur sein: Massenkampf für den Sozialismus, dessen ökonomische Vorbedingungen in England, Deutschland schon ganz reif sind. Wobei es vollkommen unrichtig ist, wenn Kautsky, Cunow et Cie. die Sache so «darstellen, als ob wir den Sieg schnell oder gar mit einem Schlage für möglich hielten.» (S. 95.)

Die «Tribunisten haben das große Verdienst, dass sie noch lange vor dem Kriege die Probleme des Imperialismus ausführlich vom Standpunkte des revolutionären Marxismus behandelten, und Schulter an Schulter mit den deutschen Linksradikalen kämpften.

Wir wiederholen: Die Broschüre Gorters ist ein Ereignis für alle Internationalisten. Es können zwischen uns einige Meinungsverschiedenheiten herrschen (so in der Frage des Selbstbestimmungsrechtes), in der Hauptsache sind wir einig und kämpfen gemeinsam nebeneinander. Wir wünschen der Gorterschen Broschüre die größte Verbreitung in erster Linie unter den deutschen Arbeitern. Wir hoffen, dass sie in der nächsten Zeit auch in andere Sprachen übersetzt wird.*

G. Z.

* Die Broschüre Gorters ist auch vermittelst der Administration des «Vorboten» zu beziehen.

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