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Nat.: Eindrücke vom Parteitag der französischen Sozialdemokratie

Nat.: Eindrücke vom Parteitag der französischen Sozialdemokratie.

[nach Vorbote, Heft 1 (Januar 1916), S. 54-58]

Bis zur Zimmerwalder Konferenz suchte die französische Parteileitung die sich gegen den Sozialpatriotismus in der französischen Arbeiterbewegung regende Opposition totzuschweigen. Das Zirkular der Haute Vienne, der zweitgrößten Bezirksorganisation Frankreichs, das zwar keine prinzipielle Kritik der Politik der Partei enthielt, aber jedenfalls eine Verständigung mit der deutschen Sozialdemokratie zwecks gemeinsamer Friedensaktion forderte, wurde in der «Humanité» mit keinem Worte erwähnt. Die seit Anfang 1915 erstarkende internationalistische Agitation der Syndikalisten Monatte, Merrheim, Rosmer wurde nicht beachtet, obwohl Merrheim Sekretär der stärksten Gewerkschaft Frankreichs ist und die Kämpfe in den Gewerkschaftsorganisationen vollauf bewiesen, dass ein starker Teil der Gewerkschafter hinter den Internationalisten stehe. Als aber die Nachricht kam, dass nicht nur Merrheim, sondern der alte Allemanist, seit 30 Jahren der Partei angehörende Genosse Bourderon nach Zimmerwald gegangen sind, dass sie den Mut besaßen, ihre Unterschriften neben denen deutscher Sozialdemokraten unter ein gemeinsames Manifest zu setzen, als sich zeigte, dass die Häretiker nicht gewillt sind zu schweigen, sondern über die Zimmerwalder Konferenz eine Broschüre verbreiten, dass sie Partei- und Gewerkschaftsversammlungen einberufen, auf denen die Fragen der internationalen Aktion diskutiert werden, wurde die Totschweigetaktik gebrochen. Von nun an beginnt der Kampf der «Instanzen» gegen die bisher unterschätzte Opposition in allen Organisationen und die Permanente Verwaltungskommission der Partei (CAP) belegt die «zwei Bürger ohne Mandat» mit öffentlichem Bann, die Abgeordneten beginnen ihre Organisationen zu bearbeiten. Dass das Zentralorgan der Partei keinen einzigen Artikel seitens der Oppositionellen aufnimmt, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. Die Gärung, die die Agitation der «Zimmerwäldler» hervorrief, die Unzufriedenheit, die die Limoger und Grenobler Parteiblätter – zwar in widerspruchsvoller Weise – zum Ausdruck brachten, erzeugte eine Unruhe in den führenden Kreisen der Partei, die sich aus der parlamentarischen Fraktion, dem Beamtenstab der «L’Humanité» und ihrer Klientel zusammensetzen. Es galt nach außen hin zu zeigen, dass die Partei hinter ihnen stehe, was desto besser geschehen konnte, je weniger Zeit man der Opposition zur Konsolidierung ihrer Kräfte, Propaganda usw. beließ.

So wurde für die Weihnachten ein Parteitag zusammengetrommelt, ohne dass über seine Aufgaben auch die geringste Diskussion in der Parteipresse stattfand. Wie wenig dieser Kriegsparteitag das Recht beanspruchen kann, als Ausdruck der Meinungen nicht nur des französischen Proletariats überhaupt, sondern auch seines sozialistischen Teiles zu gelten, ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, dass weite Kreise der sozialistischen Arbeiter außerhalb der Partei hinter den internationalistischen Syndikalisten stehen, sondern auch aus der Zusammensetzung des Parteitages selbst. Nach den Berechnungen eines lange in der französischen Arbeiterbewegung tätigen Genossen gab die Partei im Jahre 1914 93.218 Mitgliedsmarken aus, im Jahre 1915 nur 24.631. Die Organisationen funktionieren während des Krieges sehr schwach. 20% von ihnen zählten in der Kriegszeit weniger als 50, 38% nur bis 200 Mitglieder. Von den beiden Kreisorganisationen, die vor dem Kriege mehr als zehn Tausend Mitglieder hatten, ist die Nordorganisation von den deutschen Truppen besetzt, die Mitgliederzahl der Seineföderation ist von 16.300 auf 7.210 gefallen. Die Zahl der Mandate (1 auf 25 Mitglieder, wobei ein Delegierter eine beliebige Zahl ihrer sammeln kann) wurde auf Grund des Zensus von 1914 bestimmt. Die Flüchtlinge von den Norddepartements, die zusammen 919 Mitgliedskarten besaßen, hatten auf dem Kongress 789 Mandate, d. h. sie repräsentierten 23.366 Mitglieder der Partei, wobei sie durch die Bank mit den Sozialpatrioten gingen: also von 2.759 Mandaten, die der Resolution des Parteitages zufielen, waren im vornehinein 789 fiktiv. Aber auch die 1970 übrig gebliebenen Mandate repräsentieren nicht 25 Mitglieder jedes, sondern nur 6½. Hinter den offenen französischen Sozialpatrioten und dem Zentrum, das unter der Führung Pressemanes und Longuets unter das kaudinische Joch Renaudels ging, stehen 13-14 Tausend organisierter Arbeiter.

Über den Verlauf des Parteitages selbst – der nicht öffentlich war – bekommen wir von einem Pariser Korrespondenten (Nat.) einen langen Bericht, aus dem wir folgende Einzelheiten entnehmen:

«Nach der Erstattung der offiziellen Berichte sprach eine ganze Reihe der Vertreter der Rechten: die gründlichsten Reden hielten Compère-Morel, Bedouce Milhaud. Compère-Morel zitierte die Daten der Statistik über die Bevölkerung, Lebens- und Geldmittel etc., die allen an den Sieg der Entente zweifelnden beweisen sollten, dass der Sieg sicher sei und die Deutschen unausweichlich der Hungersnot entgegengehen. Milhaud sprach in einer langen Rede über die Grundlagen des dauernden Friedens in Europa. Die Gemäßigten (das Zentrum) stellten eine ganze Reihe glänzender Redner auf. Während der Rede eines von ihnen kam es zur ersten Demonstration. Die Galerie begann die Internationale zu singen. Der Redner unterbrach seine Ausführungen. Viele Delegierte schlossen sich an, und während einiger Minuten tönte laut und harmonisch die Internationale. Die Rechte konnte ihre Nervosität nicht verbergen. Während der weiteren Rede desselben Zentrumsmannes mischte sich Jules Guesde in die Debatte ein. Der Redner zitierte eine frühere Äußerung Guesdes, die ungefähr besagte, dass in einem Kriege zwischen Deutschland und Frankreich es für das Proletariat beider Länder am besten wäre, wenn beide Regierungen eine Niederlage erleiden würden. Jemand rief dazwischen: «Das ist schon lange her, jetzt erinnert sich Guesde nicht mehr daran.» Guesde springt auf, er hält sich kaum auf den Beinen, wird aber von Charles Dumas, dem Chef seines Kabinetts, gestützt. Er beginnt seine Rede unter vollem Schweigen des Parteitages. Er sucht zu beweisen, dass er seine Vergangenheit nicht verraten hat, dass er heute so spreche wie gestern..… Zum Schlusse aber spricht er mit so stiller, heiserer Stimme, dass ihn nur wenige verstehen können. Die Rechte applaudiert ihm. Sembat spricht rein nationalistisch. Er sucht zu beweisen, dass Frankreich der Kämpfer ums Recht sei.» Auf Zwischenrufe antwortend, gibt er folgende Erklärung über die Teilnahme am Ministerium: «Schon am 1. August 1914 wurde den Sozialisten der Eintritt ins Ministerium vorgeschlagen, aber die Sozialisten hielten es für unmöglich, die Verantwortung zu übernehmen. Erst als die Deutschen sich Paris näherten, und an der Spitze Frankreichs unfähige, verbrecherische Menschen standen, galt es, das blutende, zerschmetterte Land, das Land der republikanischen Ideen zu retten. Und wir kamen ihm zu Hilfe.» Dieser Schluss löste einen Sturm von Beifallskundgebungen aus, die in eine Manifestation übergingen, als von der Galerie scharf und klar die Rufe ertönten: Assassins! Assassins!1, die von vielen Hunderten unterstützt wurden. Das wirkte mit solcher Wucht, dass es Guesde nicht aushalten konnte und den Saal verließ. Aus der Rede Thomas, die nicht weniger glänzend und patriotisch war wie die Rede Sembats, wurde eine Stelle besonders bemerkt: «Ihr müsst erklären, ob ich morgen zu meiner Arbeit wiederkehren soll, auf eure Hilfe gestützt. Ich möchte sie nicht weiterführen «en congé» («im Urlaub»). Alle verstanden diese Wendung in dem Sinne, dass er im Falle der Ablehnung des sozialpatriotischen Standpunktes durch den Parteitag aus der Partei austreten würde.

Aus den Reden der gemäßigten Opposition war die beste Pressemanes. Er erklärte die Punkte, in denen er und seine Freunde mit der Rechten nicht einverstanden seien. Es gibt ihrer vier: 1. Die Verantwortung für den Krieg, 2. die Friedensziele, 3. die Elsass- Lothringische Frage, 4. die Wiederherstellung der Internationalen. … Von allen Gemäßigten sprach er allein über den Klassenkampf, den Sozialismus und von der Schädlichkeit des Burgfriedens. Man glaubte in manchen Momenten seiner Rede, dass sein einzig möglicher Schluss die Zustimmung zur Zimmerwalder Aktion sein könne. Viele nehmen an, dass seine Lage als Abgeordneter, der von Anfang an sich die Hände mit der Politik der Fraktion beschmutzt hat, ihm nicht erlaubt, konsequent zu sein. …

Es fiel auf, wie groß die Zahl der Delegierten im Militärrock war. Auf der Tribüne erscheint ein Soldat und erklärt, dass seine Wähler, wie viele Genossen an der Front, ihn beauftragt haben, sich den Zimmerwäldlern anzuschließen. In einer in der Form ungeschickten, aber sehr empfundenen Rede entwickelte er den Gedanken, dass man den Kampf für den Frieden sofort anfangen müsse. Je länger der Krieg dauere, desto mehr beeinflusst der Militarismus die Sitten. Er kenne Genossen, die früher in den Organisationen ausgezeichnete Kameraden waren, in der Front aber, wo die einen Soldaten, die andern Offiziere sind, haben sie sich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die Sozialisten-Offiziere verwandeln sich in typische «Vorgesetzte», behandeln die Sozialisten-Soldaten «wie Hunde» … Bei diesen Worten springt ein Delegierter, der Hauptmann ist, auf und wirft dem Redner mit einer schroffen Geste ein Wort zu, das – man vernahm es nicht auf unseren Plätzen – eine Grobheit enthalten musste. Aus allen Seiten stürzten die Delegierten, schrien, protestierten, fordern vom Offizier die Zurücknahme der Worte. Lange dauert der Skandal. Schließlich gelingt es dem Vorsitzenden, Ruhe zu erzwingen durch die Anzeige, der Schuldige werde Erklärungen abgeben. Nachdem der Soldat die Tribüne verlassen hat, erscheint der Offizier. Er entschuldigt sich, dass er die Beherrschung verloren hat. Das geschah, weil er die Ausführungen des Vorredners als Verleumdung der Offiziere empfand. Er stamme selbst aus den von den Deutschen besetzten Provinzen, aus denen in seinem Regiment viele Leute dienen. Durch den gemeinsamen Schmerz geeinigt, leben sie alle kameradschaftlich zusammen, die Offiziere teilen oft das Geld mit den Soldaten. Sie leiden dieselben Entbehrungen und unterliegen demselben Regime. (Rufe von der Galerie: «Wo ist dein Revolver? Von wo hast du die Epaulette?») Dann sprach er vom «dritten kleinen Kameraden», dem Maschinengewehr, das die Soldaten mit den Offizieren noch mehr vereinige. Dann fleht er in einer langen Rede den Parteitag an, vom Frieden nicht zu sprechen, denn das könnte die einheitliche Stimmung der Soldaten stören, die nur dann alle Schwierigkeiten des Krieges ertragen können, wenn sie wissen, dass das Land standhaft bleibt. Die ganze Szene machte auf alle einen starken Eindruck als ausgezeichnete Illustration der Gegensätzlichkeit in den Stimmungen und Meinungen.

Die Linke glänzte nicht durch hervorragende Redner. Bourderon, dann ein Lehrer, paar Arbeiter, ein Schriftsteller – Delegierter aus der Provinz. Die Zusammensetzung der Linken ist rein proletarisch. Das Zentrum verhielt sich den Rednern der Linken gegenüber am Anfange mit Sympathie, dann rückte es von ihnen ab… Aus den übrigen Reden der Rechten lenkte die Rede des früheren deutschen Reichstagsabgeordneten Weill auf sich die allgemeine Aufmerksamkeit. Er unterbrach die Rede eines Zentrumsmannes, der den geliebten Zentrumsgedanken entwickelte, dass die Wiederherstellung der Beziehungen zu den deutschen Genossen der nationalen Verteidigung Frankreichs helfen und den Zusammenbruch der monarchischen Staatsordnung in Deutschland beschleunigen würde. Weil hielt es für seine Pflicht, diese Anhänger der Einigung mit der deutschen Opposition zu warnen. «Viele bemerkten in den letzten zehn Jahren das Entstehen einer sozialimperialistischen Richtung in Deutschland. Die wirklich sozialistischen Elemente verfolgten ihr Wachstum mit Unruhe. Jetzt beherrschen die Sozialimperialisten die Partei. Es gibt zwar eine Minorität, die gegen den Krieg und die Regierung ankämpft, man darf sich aber über sie keine Illusionen machen. Man glaube nicht, sie bestehe aus überzeugten Republikanern. Dabei ist die Minderheit sehr gespalten. Man müsse abwarten.»

Als letzter sprach Renaudel. Er hat seine Aufgabe ausgezeichnet erfüllt. Er verstand, dass mit der Linken nichts zu machen sei und stellte sich, als ob er sie nicht bemerke. Die ganze Kraft seiner Argumentation richtete er gegen die Gemäßigten, die er zu schlagen suchte, um sie sich anzuschließen. Er sprach einen ganzen Tag (mit Ausnahme der Mittagspause und einer halben Stunde, während der Pressemane antwortete). Er ließ kein einziges Argument der Gemäßigten ohne Antwort. Es fiel ihm nicht schwer, die widerspruchsvollen Reden Longuets et Co. zu widerlegen. Schwieriger war die Sache mit Pressemane. Renaudel erklärte im vorneherein, er wolle und hoffe mit ihm und seinen Freunden zur Einigung zu gelangen; was ihn beängstige, sei nur die nahe Beziehung Pressemanes zu den Zimmerwäldlern. Pressemane habe einen Artikel veröffentlichen wollen, in dem er die Zimmerwäldler in Schutz nahm. Er sehe nicht den Abgrund, der die Zimmerwalder Ideen von denen trenne, die die nationale Verteidigung jetzt als Hauptaufgabe ansehen, auf welchem Standpunkt doch auch Pressemane stehe. Man müsse klar sagen, ob man zusammen mit den Zimmerwäldlern gegen die Teilnahme an der Landesverteidigung sei, oder für die Teilnahme an ihr eintrete, d. h. mit der Partei gegen die Zimmerwäldler gehe. Er las die ganze Zimmerwalder Resolution vor, zergliederte sie Punkt für Punkt und bewies, dass ihr Geist allen Resolutionen des Zentrums widerspreche. Pressemane benützte die Gelegenheit, um zu erklären, worin er mit Zimmerwald sympathisiere und worin er differiere. Er trennte sich von der Resolution der Zimmerwalder Konferenz in der Frage der nationalen Verteidigung, aber schließe sich der Bestrebung an, den Klassenkampf aufzunehmen und die Internationale wieder zu erneuern. Renaudel erblickte sofort die ihm notwendige Brücke. Da eine Einheit in der Frage der Vaterlandsverteidigung bestand, konnte man die Verhandlungen beginnen.

Der Handel war schwierig und lang. Die Kommission begann um 7 Uhr abends ihre Sitzungen und versprach den Entwurf der Resolution um 10 Uhr vorzulegen. Aber weder um 1 Uhr nachts, noch früh morgens war die Resolution fertig. Der Parteitag wartete die ganze Nacht lang. Man wusste sehr gut, was in der «Küche» vorgeht. Der Kommission war als erster Gegenstand des Handels der Vorentwurf Thomas vorgelegt. Es schien, dass die Gemäßigten gewillt sind, keine Zugeständnisse zu machen. Renaudel, dem Bracke und andere mit voller Energie halfen, suchte mit demütiger Miene die Zentrumsleute zu bewegen, diesen oder jenen Passus zu ändern. Was die Rechte vorschlug, musste nicht viel besser sein als der erste Vorentwurf Thomas, da Pressemane ein paar Mal in größter Wut aus dem Kommissionssaal heraus lief, den Hut nahm und schrie, er verlasse den Parteitag. Longuet hielt ihn zurück. Longuet selbst begann vom ersten Augenblick an zu kapitulieren. Als gegen den Morgen Renaudel ein Zugeständnis machen wollte, erklärte Thomas, er lasse sich darauf nicht ein. Um 7 Uhr früh wurde der Parteitag benachrichtigt, dass die Arbeiten der Kommission nicht beendet seien, der Parteitag möge sich bis 5 Uhr nachmittags erholen, die Kommissionsmitglieder aber sollen sich um 1 Uhr sammeln, um bis 5 Uhr die Debatten zu beenden und zu irgendeinem. Resultat zu gelangen. Man nahm an, es handle sich um die Verständigung mit den sozialistischen Ministern, d. h. mit dem Kabinett, über Zugeständnisse an die Gemäßigten. Um 1 Uhr kam Renaudel mit einem neuen, eigenen Vorentwurf. Der Kuhhandel begann vom neuen, endete um 8½ abends; das Resultat war die Kapitulation des Zentrums. Als letzter ergab sich Pressemane, der bis zum Schluss gekämpft hat, obwohl ihn seine Freunde völlig verlassen und sich um Longuet gruppiert haben.

In den Saal tretend, wurden die Zentrumsleute mit den Rufen: «Capitulards!» empfangen. Die Rechte suchte ihre Freude gar nicht zu verbergen. Renaudel las das Manifest ganz heiser, weiß wie die Wand. Longuet motivierte seine und seiner Freunde Zustimmung mit der Notwendigkeit der Einheit. Die Reihe kam auf Bourderon. Wir fragten uns alle: Was wird er sagen? Man muss die fünf Tage und Nächte in dieser Atmosphäre gelebt haben, um zu wissen, wie schwer es ihm und seinen Kameraden war. Die Linke hatte wenig Mandate, es fehlten ihr 5-6, um das Recht der Vertretung in der Kommission zu erhalten. Die Gemäßigten traten ihr «großherzig» ein paar Stimmen ab und so kam Bourderon in die Kommission. Dort umkreisten ihn die Gemäßigten, ließen ihn für keinen Augenblick weg, gebrauchten alle Mittel, um ihn zu überreden, die Resolution «ein etwas» zu ändern. Dies «etwas» bestand in einer solchen Kleinigkeit wie das Weglassen der Verurteilung des Parteivorstandes (CAP), der Forderung des Austrittes aus der Regierung, der Ablehnung der Kredite; nur die Forderung der Wiederherstellung der Internationalen sollte in etwas «gemäßigter» Form bleiben. Für den Fall dieser Änderungen sagte der linke Flügel der Gemäßigten, der unzufrieden war mit der beginnenden Einigung des Zentrums mit der Rechten, die Unterstützung der Resolution zu, die Linke musste mit der Möglichkeit neuer Gruppierungen rechnen. Es gab Augenblicke, wo der Gedanke, irgendeinen Abgeordneten auf die Seite der Linken zu ziehen – was als sehr wichtig gehalten wird –, einen sehr verführerischen Einfluss ausübte. Man beschloss aber, keine Zugeständnisse zu machen.

Der Druck auf die Linke – nicht nur moralischer, sondern direkt physischer – hörte nicht auf. Bourderon wurde in ein Separatzimmer geschleppt, sie redeten auf ihn ein, drohten ihm. Stundenlang hielten sie ihn in geschlossenem Zimmer, um ihn zu nötigen, über die Änderungen zu verhandeln. Schließlich war er so müde, dass er uns keine Antworten mehr gab. Er entschloss sich nun, eine Erklärung für den Parteitag zu verfassen. … Seine Erklärung war rührend in ihrer Aufrichtigkeit. Er will sie mir noch nicht geben. Bekomme ich sie, so sende ich sie euch. Er erklärt, dass das von Renaudel vorgelesene Manifest etwas besser sei als das von Thomas, aber im Wesen seien sie gleich. Dann kritisierte er das Manifest und begründete, warum er seine Resolution nicht zurückziehe:

Die Abstimmung vollzog sich mechanisch. Die Rechte suchte noch im letzten Augenblick manche Mitglieder der Linken zur Fahnenflucht zu überreden. Es gelang nicht. Über die Verteilung der Stellen in den zentralen Einrichtungen der Partei war der Handel fertig. Die Gemäßigten bekamen einige Stellen im Parteivorstand. Pressemane wurde eine Stelle in der Verwaltung der L’Humanité vorgeschlagen, was er jedoch ablehnte. Renaudel, Sembat und Longuet wurden ins internationale Büro delegiert. Nur die Frage Hervés blieb in der Kommission unentschieden, wo ein paar Gemäßigte seine Nichtzuziehung zum Parteivorstande forderten. Als der Sekretär des Parteitages beim Vorlesen der Kandidatenliste seinen Namen nannte, erschollen Proteste, und es entstand eine große Unruhe. Der Abg. Mayeras motivierte im Namen der Protestierenden die Forderung der Streichung Hervés. Die Rechte antwortete, dieser Schritt könnte den Bürgerlichen Anlass geben zur Anklage gegen die Sozialisten, sie hätten einen um die Vaterlandsverteidigung sehr verdienten Mann ausgeschlossen. Da es zu keiner Einigung kam, forderte Mayeras Kontrolle über Hervé. So wurde auch beschlossen, Hervé bleibt in dem Vorstand, aber unter Kontrolle … Renaudel würde zum politischen Leiter der L’Humanité gewählt. Er erklärte: «Ihr erweist mir die Ehre, mich an die Stelle eines Menschen zu wählen, den man nicht ersetzen kann. Ich werde mich an seine Ideen halten, von denen er am meisten die der Einheit der Partei liebte.»

Soviel der Bericht unseres Mitarbeiters. Die Resolutionen des französischen Parteitages sind den Lesern aus der Tagespresse bekannt.

1 „Mörder! Mörder!" Anspielung auf die schaurige Rolle der sozialistischen Minister, die mit keinem Wort gegen die kriegsrechtliche Hinmetzelung der russischen Freiwilligen in der französischen Armee im Juli 1915 protestierten.

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