Clara
Zetkin: Margarete
Wengels zum 60. Geburtstag
[Nach
„Die
Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen“, 26.
Jahrgang Nr. 13, 17. März 1916, S. 98 f. „Aus
der Bewegung.“]
Am
29.
Februar
hat
in Berlin Genossin Margarete Wengels
ihren
sechzigsten
Geburtstag gefeiert.
Ein
Schalttagskind, fast dünkt uns das ein Symbol: Frauen ihrer Art sind
leider
noch selten. Genossin Wengels ist
geradezu
eine Verkörperung der besten proletarischen Kampfestugenden. Von dem
Augenblick an, wo sie mit
Herz
und Hirn den Sozialismus erfasst hat, wo es ihr zur
unerschütterlichen
Überzeugung
geworden war, nur in diesem seinem Zeichen kann die Arbeiterklasse
Freiheit, volles Menschentum erringen: hat sie ihm mit
einem
Eifer gedient, den Schwierigkeiten und Gefahren nicht schrecken, und
dem Opfern Freude ist. In jahrzehntelangem
mühereichem
Arbeiten und Kämpfen hat sie sich ihm ganz gegeben, ohne nach
Anerkennung und Lohn zu fragen, ohne sich durch gehäufte
Pflichtbürde und manchen schmerzlichen Verzicht hemmen zu
lassen.
Denn diese Kämpferin und Führerin hat den ganzen Kreislauf der
Aufgaben und Sorgen einer Arbeiterfrau erlebt, In der Enge echt
proletarischer Verhältnisse, zur Erwerbsarbeit gezwungen, hat
sie acht
Kinder erzogen, und sie darf sich rühmen,
dass
sie alle überzeugt dem Sozialismus anhangen.
Genossin
Wengels' Sinnen war von Anfang an darauf gerichtet, die
Frauen
des arbeitenden Volkes dem Heer des sozialistischen Proletariats
zuzuführen.
Niemand hat mehr als sie getan, um die proletarische Frauenbewegung
Berlins zu schaffen, zu entwickeln und zu heben, sie mit
grundsätzlicher Klarheit und Festigkeit zu erfüllen, ihr eine
starke Aktionskraft zu verleihen. Wenn diese Bewegung vorbildlich für
Streben und Wirken der Genossinnen in ganz Deutschland werden konnte,
so ist das vor allem mit Margarete Wengels Verdienst. Es hieße die
Geschichte unserer Berliner Frauenbewegung schreiben, wollten wir
auch nur summarisch aufzählen, was
Genossin
Wengels mit Rat und Tat gewirkt hat. Auf verantwortlichem Posten und
schlicht in Reih' und Glied; vor der Öffentlichkeit
wie
im
Stillen,
denn Margarete Wengels gehört zu jenen, denen es
genügt,
dass
geschieht,
was ihrer Überzeugung nach geschehen muss,
auch
ohne dass ihr Name dabei genannt wird. Wie oft ist
sie
bescheiden im
Dunkeln
geblieben, wenn sie die fruchtbarsten Anregungen gegeben, wichtige
Entscheidungen herbeigeführt
hatte!
Bei
dem Erfassen der Frauenfrage als eines Teiles der sozialen Frage, wie
es Genossin Wengels auszeichnet, versteht es sich von selbst, dass
diese
jederzeit
einen ebenso verständnisvollen wie energischen
Anteil
an
der allgemeinen
sozialdemokratischen Bewegung in
Berlin genommen und ihrer ganzen zielklaren Überzeugung entsprechend
auf dem linken Flügel der Partei gekämpft hat. Was ihr Herzenssache
gewesen war und blieb, das hat ihr ein scharfer Verstand in
grundsätzlicher Durchsichtigkeit und Unerschütterlichkeit zu eigen
gemacht. Ein scharfer proletarischer Klasseninstinkt, der sich fast
nie in der Einschätzung der Dinge und Menschen täuscht, hat es ihr
erleichtert, sich auch in Zeiten der Wirrungen und Irrungen rasch und
sicher zu orientieren, die Tagesaufgaben des Proletariats richtig zu
sehen, ebenso die Mittel und Wege zu dem großen sozialistischen
Endziel. So trotzig und unerschrocken, wie sie den Kampf aufnahm, als
das Sozialistengesetz die deutsche Arbeiterklasse knebelte, hat sie
ihn weitergeführt, als noch das vormärzliche preußische
Vereinsrecht der Betätigung der Frauen im öffentlichen Leben harte
Fesseln anlegte. Und sie war unter den ersten und Entschiedensten,
die mit „Hier!“ antworteten, als es galt, sich in den Tagen des
großen „Umlernens" um das Banner des internationalen
Sozialismus zu sammeln und sich zu seinen Idealen durch die Tat zu
bekennen. Auch die Zukunft wird Margarete Wengels nie unter den
„Staatsweisen" finden, die mit bürgerlichen Zielen und
Parteien opportunistisch liebäugeln; nie unter den Rechnungsträgern,
die nach allen Richtungen ihre Kusshändchen werfen; nie unter den
Neunmalklugen, die sich erst entscheiden, wenn sie wissen, wo die
Mehrheit steht. Sie wird stets als revolutionäre Proletarierin auf
dem Boden des Klassenkampfes bleiben und den Mut ihrer Überzeugung
haben, unbekümmert darum, ob sie oben oder unten anstößt, ob sie
Zustimmung oder Widerspruch erntet. Wir wünschen Margarete Wengels,
die ebenso aufrecht und treu in der Freundschaft wie im Kampfe ist,
noch viele glückliche Jahre. Glückliche Jahre, das bedeutet für
sie nicht Jahre der Ruhe, vielmehr Jahre des Kampfes, des
erfolgreichen Kampfes für die Befreiung ihrer Klasse.