Clara Zetkin‎ > ‎1925 - 1928‎ > ‎

Clara Zetkin 19271111 Schützt den einzigen Friedensstaat!

Clara Zetkin: Schützt den einzigen Friedensstaat!

Rede auf dem I. Weltkongress der Freunde der Sowjetunion am 11. November 19271

[Protokoll. Der Kongress der Freunde der Sowjetunion (10.-12. November 1927 in Moskau), (Berlin) 1928, S. 43-46. Nach Für die Sowjetmacht. Artikel, Reden und Briefe 1917-1933, S. 435-440]

Genossinnen und Genossen! Dem Kongress die allerherzlichsten Grüße der Kommunistischen Internationale, all der Parteien, die in ihr zusammengefasst sind und insbesondere der Partei, der ich angehöre, der deutschen Kommunistischen Partei.

Was kommt in diesem Kongress zum Ausdruck? Der Wunsch, der Wille, von allen diesen Hunderten arbeitenden, kämpfenden Männern und Frauen, aus eigener Anschauung, aus eigener Erfahrung die Antwort zu finden auf die schicksalschwere Frage, die unser unsterblicher Lenin mit nicht zu überbietender Einfachheit in die Formel gefasst hat: Wird der Sozialismus den Kapitalismus überwinden oder der Kapitalismus den Sozialismus?

Ich glaube, dass die Einrichtungen, die Neuerungen, das grundlegende Aufbauwerk, das Ihr hier gesehen habt, eine sehr deutliche Antwort auf diese Fragen geben. Und der lebendige Anschauungsunterricht der Tatsachen, der Einrichtungen ist meiner Überzeugung nach gestern für Euch alle durch ein Erlebnis vermehrt worden. Ich denke an die ausführliche Berichterstattung, die Genosse Rykow2 vor diesem Kongress gegeben hat. Ich würdige dabei nicht nur das reiche Tatsachenmaterial, das er vor den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Kongresses aufgerollt hat, ich werte vor allem eine andere Tatsache: dass der oberste Vertreter der obersten Regierungsgewalt hier vor einen internationalen Kongress von arbeitenden, von kämpfenden Männern und Frauen aus verschiedenen sozialen Schichten, aus den verschiedensten Ländern, gekommen ist, um mit der größten Gründlichkeit, Sachlichkeit und Gewissenhaftigkeit Bericht zu erstatten. Da tritt hervor die Erkenntnis, das Bewusstsein der internationalen Notwendigkeit, die die Führer, die Träger der Sowjetunion empfinden.

Und noch etwas anderes. In dieser neuen Tatsache selbst zeigt sich, dass etwas grundlegend Neues in die Geschichte getreten ist. Hand aufs Herz! Ihr alle hier, wer es sei: Zeigt mir das kapitalistische Land, wo es möglich wäre, dass der oberste Vertreter der Regierungsgewalt vor einem Kongress wie diesem hier, einen so eingehenden Bericht erstatten würde! Hand aufs Herz! Würde nicht auch in dem sogenannten demokratischsten Lande der Vertreter der obersten Regierungsgewalt nur eine Stellung zu diesem Kongress nehmen: nämlich mit dem Polizeiminister und den Polizeiorganen zu beraten, wie ein solcher Kongress, wenn er überhaupt zu erlauben wäre, möglichst unschädlich und harmlos gemacht werden könnte? Ich glaube, Ihr Freunde des neuen Russland, die Ihr hier versammelt seid, ganz gleich, unter welcher Fahne Ihr marschiert, ganz gleich, welcher Organisation Ihr angehört, ganz gleich, aus welcher Schicht Ihr kommt, dass Ihr alle die Errungenschaften, die Ihr hier bewundert, denen Euer Herz zujauchzt, dass Ihr sie werten müsst im Zusammenhang mit dieser grundlegenden Tatsache, dass es nur durch die proletarische Diktatur möglich geworden ist, dass in dem kurzen Zeitraum von zehn Jahren ein Werk von Jahrhunderten, von vielen Jahrhunderten des Fortschritts und höherer Kultur aufgebaut werden konnte.

Aber diese Erkenntnis verpflichtet. Wir sehen nicht nur die den Sozialismus aufbauende Sowjetunion, wir sehen neben ihr als Resultat der gleichen weltwirtschaftlichen, weltpolitischen Entwicklung eine andere Erscheinung, den Weltimperialismus, und wir sehen, dass der Weltimperialismus sich rüstet gegen die Sowjetunion, dass er sinnt und trachtet nach ihrer Vernichtung. Gewiss, die Sowjetunion ist der erste und heute noch der einzige wahre Friedensstaat der Welt, getragen von der Erkenntnis, von dem Willen, alle vorhandenen Kräfte und Säfte des Landes zum Aufbau des Sozialismus zu verwenden. Aber, meine Freunde aus Deutschland, ihr kennt ja das Wort Schillers:

Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt-."3

Ein böser Nachbar, ein nicht zu erziehender, nicht zu verbessernder Nachbar ist der Kapitalismus, der Weltimperialismus. Gegen ihn gilt es zu rüsten. Alle die, denen die Zukunft einer befreiten Menschheit am Herzen liegt, müssen ihre volle Kraft rücksichtslos und mit allen Mitteln daransetzen, um den Frieden für die den Sozialismus aufbauende Sowjetunion zu bewahren. Gewiss, wertvoll dafür wird sein, dass durch eure Berichte der Wall von Lügen und Verleumdungen durchbrochen wird, der errichtet worden ist von den bürgerlichen Parteien, die verbürgerlichten reformistischen Arbeiterparteien und Arbeiterorganisationen einbegriffen, der errichtet wurde von den imperialistischen Regierungen, die nur ein Ziel haben: die Klassenherrschaft der Bourgeoisie und die kapitalistische Ausbeutungswirtschaft zu verewigen. Ihr Drängen nach diesem Ziel, der Drang zur Vernichtung der Sowjetunion steigt in dem Maße, als sich der Bolschewismus nicht nur als Gefahr erweckendes Beispiel für die Völker des Westens erweist, sondern auch an steigender revolutionärer Kraft für die Völker des Ostens gewinnt. Angesichts dieser Situation gilt es, alle Kräfte zu mobilisieren gegen die Einkreisungstendenzen, gegen die Kriegstendenzen des Weltimperialismus der Sowjetunion gegenüber. Es genügt nicht, dass der Wall der Lügen und Verleumdungen durch wahrheitsgetreue Darstellung des beispiellos glorreichen Werkes der proletarischen Revolution durchbrochen wird. Die Massen müssen mobilisiert werden, denen der Wille und die Kraft eignet, den Arm, der das Schwert gegen die Sowjetunion zücken will, so mächtig zu schlagen, dass das Schwert zu Boden fällt; und noch mehr, es gilt, die Macht zu nehmen, die Macht zu zerschmettern, die das Schwert führen will. Es gilt, in jedem imperialistischen Land, in jedem kapitalistischen Land die Klassenherrschaft der Bourgeoisie zu brechen, und wenn diese Mächte den Krieg aufnehmen wollen gegen die Sowjetunion, dann sollen, dann müssen ihnen die werktätigen Massen antworten durch die Zerschmetterung der kriegshetzerischen, kriegstreiberischen Macht der Klassenherrschaft der Bourgeoisie.

Genossen und Genossinnen! Ich sage das nicht allein im Hinblick darauf, um die Sowjetunion zu retten. Nein, die Sowjetunion ist stark, ist gerüstet genug, jedem Feinde zu widerstehen. Wer die glänzenden Demonstrationen erlebt hat, wer den Aufmarsch der Rotarmisten auf dem Roten Platz sah und vor allem das, was in dem Geist, in der Kampfentschlossenheit der Rotarmisten lebt, die klare Erkenntnis des Willens zur Freiheit in jenen Arbeitermassen, die in endlosen Zügen von Mittag bis zum späten Abend aufmarschiert sind, die ihren Willen, ihre Entschlossenheit für die Erhaltung des sozialistischen Aufbauwerkes bekundeten, der wird das bestätigen müssen. Aber eines können wir uns nicht verhehlen – die volle Sicherheit des ungestörten Fortganges und der weiteren Entwicklung des sozialistischen Aufbauwerkes in der Sowjetunion ist erst dann garantiert, wenn an Stelle der kapitalistischen, der imperialistischen Staaten ebenfalls Staaten der proletarischen Diktatur unter dem Banner der Sowjetrepublik stehen werden.

Deshalb sage ich: Ihr habt alle ein Interesse daran, dem Fortschritt der höchsten Entfaltung [des Sozialismus], dem Fortschritt der höchsten Kultur, als beginnender Macht die Bahn zu ebnen, indem Ihr in geschlossener Front die Kapitalsmacht, die Kapitalsherrschaft bekämpft.

Glückauf für die Arbeit der Freunde des neuen Sowjetrusslands! Nieder mit allen Feinden des neuen Sowjetrusslands, wie trügerisch die Uniform auch sei, die sie tragen und wie glänzend die Phraseologie ist, hinter der sie sich verbergen! Vorwärts, alle in geschlossener Front, vorwärts zur Überwindung der Unordnung des Kapitalismus durch die Weltordnung des Sozialismus! Und deshalb grüße ich Euch mit dem alten Schlachtruf der Komintern: Alles durch die Revolution, aber auch alles für die Revolution!

1 Der Kongress, dessen Präsidium Clara Zetkin angehörte, tagte vom 10. bis 12. November 1927 in Moskau. Im Verlauf des Kongresses, am 12. November, wurde Clara Zetkin vom Vorsitzenden des Revolutionären Kriegsrates der UdSSR K. J. Woroschilow der Rotbannerorden überreicht. Mit der vorliegenden Rede, die sie im Namen der Kommunistischen Internationale und der KPD hielt und die erstmalig wieder veröffentlicht wird, eröffnete sie die Diskussion zum Tagesordnungspunkt „Zehn Jahre Kampf und sozialistischer Aufbau".

2 A. I. Rykow war 1924-1930 Vorsitzender des Rates der Volkskommissare der UdSSR. Seit Ende der zwanziger Jahre gehörte er zu den Führern der rechten Opposition in der KPdSU(B).

3 Friedrich Schiller: Gesammelte Werke in acht Bänden, Vierter Bd., Berlin 1959, S. 537.

Kommentare