Clara Zetkin 19170619 An die sozialistischen Frauen aller Länder

Clara Zetkin: An die sozialistischen Frauen aller Länder!

(Juni 1917)

[Leipziger Volkszeitung”, 19. Juni 1917., Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. I, S. 756-59]

Der unvermeidliche Klärungsprozess innerhalb der deutschen Sozialdemokratie hat außer anderen üblen, schmerzlichen Begleiterscheinungen auch bewirkt, dass der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei mir die Redaktion der ”Gleichheit” entzogen hat, die ich im 27. Jahrgang leitete. Der wahre Grund seiner Maßregel ist die grundsätzliche Haltung der Zeitschrift. Sie der Auffassung der sozialdemokratischen Mehrheitler anzupassen, Kriegskreditbewilligung und burgfriedliche Regierungspolitik der Sozialdemokratie gutzuheißen, ja, als geschichtliche Großtat zu preisen, das dünkte mir ein Verrat an den Forderungen des internationalen Sozialismus. Zu dieser Politik zu schweigen, wäre unwürdige Feigheit gewesen.

Denn die Aufgabe, die Existenzberechtigung der ”Gleichheit” war es, den Zielen des internationalen Sozialismus zu dienen. Sie sollte die Frauen des arbeitenden Volkes mit der tatgebärenden Erkenntnis erfüllen, dass nur der Sozialismus der Heiland, der große weltgeschichtliche Erretter ist, der allen volles, freies Menschentum verbürgt. Sie sollte dazu beitragen, dem Sozialismus die reichen Springquellen geistiger und sittlicher Werte dienstbar zu machen, die in den breitesten Frauenmassen heute oft unterirdisch rauschen, ungekannt und ungenützt. Damit war die Verpflichtung gegeben, auch die auftauchenden Zeit- und Streitfragen an den Ideen sind Idealen des internationalen Sozialismus zu messen, unbekümmert um Tagesmeinungen, ohne Geizen nach Beifall, ohne Scheu vor Tadel, furchtlos und treu angesichts von Hass und Gefahren. Ich habe meine Kraft darangesetzt, dieser Verpflichtung in der ”Gleichheit” gerecht zu werden. Auch in den schweren Zeiten, die der Weltkrieg für die Sozialdemokratie, das Proletariat allerwärts gebracht hat, ja, gerade erst recht in diesen Zeiten, wo es scheint, dass der Imperialismus die Wirkung des Turmbaus zu Babel auf die Sozialisten, die Proletarier aller Länder ausgeübt hat. Meine Maßregelung ist die Folge dieser meiner betätigten Überzeugung.

Die Umgestaltung der ”Gleichheit” ist nicht bloß eine Angelegenheit der deutschen Genossinnen, sie berührt vielmehr die Interessen der organisierten Sozialistinnen aller Länder. ”Die Gleichheit” war das geistig führende und verknüpfende Organ der Sozialistischen Fraueninternationale. So hatten es die Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenzen zu Stuttgart und Kopenhagen beschlossen. Für ihren Beschluss ist aber keineswegs der Umstand bestimmend gewesen, dass ”Die Gleichheit” als ein Organ unter vielen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands erschien und dass der Vorstand dieser Partei als ihr Vertreter und Geschäftsführer nach bürgerlichem Eigentumsrecht Besitzer, nach Parteirecht Aufsichtsinstanz der Zeitschrift war. Ausschlaggebend war die internationale Verbreitung und das internationale Ansehen der ”Gleichheit”, war das Vertrauen, das die Genossinnen aller Länder ihr schenkten, weil das Blatt sich bemühte, den oben angeführten Grundsätzen entsprechend, die verschiedenen Seiten der Frauenfrage in ihren allgemeinen sozialen und geschichtlichen Zusammenhängen im Lichte des wissenschaftlichen Sozialismus zu erfassen und darzustellen. Ausschlaggebend war, dass ”Die Gleichheit” von mir geleitet wurde, der Internationalen Sekretärin, die das Blatt in Übereinstimmung mit den Richtlinien und Beschlüssen unserer internationalen Frauenkonferenzen und der großen allgemeinen internationalen Sozialistenkongresse redigierte, die durch langjähriges Studium und Zusammenarbeiten mit den führenden Genossinnen aller Länder einen Überblick über die gesamte sozialistische Frauenbewegung hatte, in deren Händen die verbindenden Fäden von überallher zusammenliefen, die aufklärenden Berichte, die vorwärts treibenden Anregungen sich sammelten.

Die sachlichen und persönlichen Vorbedingungen für das internationale Organ der sozialistischen Frauen können aber nicht auf Befehl des sozialdemokratischen Parteivorstandes von einer Redaktion auf die andere übertragen werden wie der Name der ”Gleichheit” auf ein Blatt, das ihr wesensfremd ist. Die ”gereinigte” ”Gleichheit” kann nicht das Organ der Sozialistischen Fraueninternationale sein. Sie ist für diese nicht mehr wie jedes andre Blatt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, eines ihrer Organe unter vielen. Die Genossinnen aller Länder stehen zu ihr in keinem anderen Verhältnis als zu den übrigen Blättern dieser Partei, nicht aber in einem besonderen Vertrauensverhältnis. Das um so weniger, als ”Die Gleichheit” fortan im Gegensatz zu ihrer früheren grundsätzlichen Haltung geleitet werden soll.

Die Berichte, Beiträge usw. der Genossinnen der einzelnen Länder sind infolge dieser Situation nach wie vor an mich als die Internationale Sekretärin zu senden. Für ihre Veröffentlichung und Verbreitung zu sorgen, ist auch weiterhin meine selbstverständliche Pflicht. Die Sozialistische Fraueninternationale ist trotz meiner Maßregelung in der sozialistischen Presse nicht obdachlos geworden. Ein Ersatzblatt für die ”alte” ”Gleichheit” wird demnächst erscheinen. Die Vorbereitungen dafür stehen vor ihrem Abschluss. Davon abgesehen, wird es den Tagesblättern der Unabhängigen Sozialistischen Partei eine selbstverständliche Pflicht und eine Ehre sein, zu veröffentlichen, was die Internationale Sekretärin ihnen einsendet. Ich werde Vorsorge treffen, dass diese Veröffentlichungen den korrespondierenden Genossinnen aller Länder regelmäßig zugehen. Besondere Zirkulare, Mitteilungen usw. meinerseits werden Berichte und Anregungen vermitteln und den Gedankenaustausch der Genossinnen, ihre Beziehungen zueinander lebendig erhalten.

Ich hoffe, dass unsere ausländischen Genossinnen mit dieser vorläufigen Regelung der Frage einverstanden sein werden, bis eine internationale Frauenkonferenz sie endgültig entscheidet. Ich vertraue darauf, dass sie Treue für Treue halten und einmütig zu den Grundsätzen stehen, für deren konsequente Verteidigung die ”alte ””Gleichheit” gefallen ist. Wir Frauen, die wir im internationalen Sozialismus das Land der Sehnsucht für unsere Seelen gefunden haben, das Menschheitsvaterland nachwachsender, freier Geschlechter, wir Frauen dürfen kein Paktieren mit grundsatzloser Halbheit und Schwäche kennen. Unser Platz ist dort, wo das reine rote Banner weht. Die ”alte” ”Gleichheit” ist tot. Es lebt der internationale Sozialismus. In seinem Zeichen grüße ich die sozialistischen Frauen aller Länder!

Clara Zetkin, Internationale Sekretärin

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