Clara Zetkin 19210409 Der internationale kommunistische Frauentag

Clara Zetkin: Der internationale kommunistische Frauentag

(1921)

[Die proletarische Frau. Beilage zum Kommunist. Organ der Vereinigten Kommunistischen Partei Württembergs, 9. April 1921]

Es geht ein gewaltiger Geisteshauch über die Erde,

Desgleichen auf Erden noch nie ist gespürt worden,

Er wühlet die Wellen auf vom Grunde.

Dem Amboss hat es einer gesagt,

Dass er aus dem gleichen Stoffe gemacht sei wie der Hammer,

Und siehe! Er wird nicht länger Amboss sein.”

Das zukunftssichere Prophetenwort des Dichters Jacoby ist Wirklichkeit geworden. Zu Fleisch und Blut verkörpert steht es in Millionen Ausgebeuteter und Unterdrückter vor uns, deren heiße Sehnsucht nach vollem, reinem Menschentum sich zu unerschütterlichem Kampfeswillen gegen die ausbeutenden und knechtenden Gewalten erhoben hat. Der Geisteshauch der Revolution geht über die Erde. Wo der ausbeutende und knechtende Kapitalismus, wo alte Auswucherungs- und Herrschaftsverhältnisse von Menschen über Menschen, Enterbte, Mühselige und Beladene, Verkümmerte und Zertretene schaffen, da füllt er das Herz mit Hoffnung, den Geist mit klarer Erkenntnis, da strafft er den Willen zum Kampf.

Der Weltkrieg war das im Wesen des Kapitalismus selbst begründete Verbrechen der herrschenden und ausbeutenden Klassen, ihrer führenden imperialistischen Schicht. Er war zugleich das Verhängnis des Kapitalismus, der bürgerlichen Ordnung. Die Imperialisten aller Länder konnten im Kampf um Geld und Macht die Völker nicht mordend, brennend, zerstörend gegeneinander treiben, ohne die Welt mit Trümmern und Leichenbergen zu bedecken; ohne die Reichtümer und Kulturschätze von Jahrhunderten zu vernichten; ohne die Schleier der Zivilisation zu zerreißen und die von ihnen verhüllte Bestie des Kapitalismus zu zeigen; ohne ihre eigene Ordnung in Stücke zu schlagen; ohne die Unfähigkeit und den bösen Willen der besitzenden Minderheit zu offenbaren, das in Profitgier heraus beschworene Chaos zu bannen.

Was alles aber bedeutet das für die breitesten Massen derer, die mit Hand oder Hirn dem Kapitalismus zinsen und fronden, seinen Fuß in ihrem Nacken fühlen? Mögen die Frauen dieser Massen einem Beruf nachgehen oder als Hausmütter schalten und walten, sie spüren es täglich, stündlich im Leben, am Leibe der Ihrigen. Geldentwertung, unaufhaltsame Wucherpreise des Lebensbedarfs, wachsende Kluft zwischen Einkommen und Existenzkosten; sinkender Verdienst und Arbeitslosigkeit oder äußerste, erbarmungslose Auspressung der Arbeitskraft; zunehmende Entbehrung und Unterernährung, schwindende Arbeitsfähigkeit und Gesundheit; kurz ein reißendes Anschwellen der Leiden und ein Versagen der Kraft, sich aus dem furchtbaren Strom zu retten.

So stellen die Auswirkung des imperialistischen Raubkrieges die Ausgebeuteten und Unterdrückten vor die Entscheidung: wagemutiger Kampf zum Sturze des Kapitalismus oder aber feige Ergebung und Vernichtung durch den Kapitalismus. Denn dieses tritt augenscheinlich hervor: keine Plage, unter der die schaffenden Massen stöhnen, die nicht auch ihr Erbteil schon im Frieden wäre, von der Verbannung aus den Gärten der Wissenschaft und Kunst bis zu dem Hinausgeworfenwerden aus dem armseligen Heim; von dem stillen Kummer, die Fähigkeit der Kinder verdorren zu sehen, bis zu dem lauten Jammer am Kranken- und Siechenbett, am Grabhügel der Lieblinge. Auch das andere wird klarer und klarer: alle Versuche der Nutznießer der bürgerlichen Ordnung, den Kapitalismus aus den Ruinen wieder aufzubauen, müssen von den Ausgebeuteten und Unterjochten mit einer Steigerung ihrer Knechtschaft und Auswucherung, mit verschärftem blutigen Elend bezahlt werden. Von dem Abbau der Löhne und Gehälter, der Verlängerung der Arbeitszeit, dem Raffinement der Ausbeutungsmethoden bis zu Kerker und tödlichem Blei für rebellierende Kapitalssklaven, bis zu den ungeheuerlichen Blut- und Gutopfern neuen imperialistischen Völkermordes. Die Ordnung des Kapitalismus kann nicht mehr reformiert, sie muss zerschmettert werden. Knechtschaft und Barbarei durch den Kapitalismus oder aber Befreiung durch den Sozialismus, den Kommunismus, das ist die Wahl, vor die die werktätigen Massen von der Geschichte gestellt werden. Und diese Massen würden wahrlich ihre Knechtschaft und ihr Ende in Barbarei verdienen, könnten sie sich nicht kühn und opferfreudig für den Kampf gegen den Kapitalismus, für den Kommunismus entschließen.

In allen Ländern, wo der Kapitalismus herrscht und ausbeutet, das gleiche Bild, das gleiche Geschehen. Nicht nur in den Reichen, die den Krieg führten, ihren Kolonien und ihren Ausbeutungsgebieten über See, auch in den neutralen Staaten. Die Wirtschaft des Kapitalismus hat sie alle durch tausend unzerreißbare Fäden miteinander verknüpft. Wie die Fabrikanten, Händler, Bankiers, Schieber und Wucherer der neutralen Staaten eifrigst bestrebt waren, mit ihren Brüdern in den kriegführenden Staaten die “glänzende Kriegskonjunktur” auszubeuten und aus Millionären zu Milliardären zu werden, so ist auch das Geschick ihrer Wirtschaft in das des Kapitalismus der Mächte verstrickt, die sich Weltmacht und Weltausbeutung streitig machen. Die große geschichtliche Generalabrechnung zwischen Arbeit und Kapital, zwischen dem toten Besitz und dem lebendigen Menschen hat begonnen. Überall, wo es Ausbeutung und Unterdrückung gibt, Herren und Knechte, Gebietende und Sklaven, stellen sich die Ausgesogenen und Unterdrückten zum Kampf für ihre Freiheit.

Dieser Kampf ist international, wie Ausbeutung und Knechtschaft international sind. Er erschüttert die alten wie die neuen Erdteile. Er lässt die Mächtigen und Genießenden an der Spree wie an der Seine, Themse und am Tiber zittern; er richtet die Gebeugten und Gepeinigten stolz auf in Irland wie in Indien, in Spanien wie in den Vereinigten Staaten; ihnen strömen Streiter zu von den Ufern des Schwarzen Meeres, von den ragenden Bergen des Kaukasus und aus Arabiens Wüsten. So uneinig, neidisch und kriegsgerüstet auch die Habsucht und Machtgier die Kapitalisten der einzelnen Länder untereinander macht, sie sind eines Sinnes und eines Willens im Kampfe gegen die Revolution, ihre Lohnsklavenwirtschaft zu festigen und zu verewigen., und sollte sie auf weiteren Leichenbergen neu aufgebaut werden. Aber auch den sich erhebenden ausgebeuteten und Beherrschten ist eine starke Macht entstanden: die Kommunistische Internationale.

Zielsetzend, wegweisend sammelt sie die Rebellen wider den blut- und schmutztriefenden Weltkapitalismus als kämpfendes Proletariat für die erlösende Weltrevolution. Ihr leuchtendes Banner weht siegreich über dem einzigen Lande, dessen Proletariat aus Willen und Opfermut die Kraft erwachsen ist, den Kapitalismus niederzuwerfen und die Bahn festzulegen für den Aufbau der kommunistischen Ordnung. Der freie Arbeiter- und Bauernstaat Sowjetrussland ist die eindringliche, lebendige Mahnung, an die Proletarier, an die Armen und Kleinen aller Länder, nicht länger kleingläubig und furchtsam die Kapitalsherrschaft zu dulden, vielmehr mit unerschütterlichem Vertrauen in die eigene Kraft die Kapitalsgewalt im revolutionären Kampfe zu brechen. Er ist die hoffnungsreiche Bürgschaft des Sieges, der solchen Kampfes Preis ist. Von den Gegenrevolutionären der Heimat und der ganzen Welt verleumdet, begeifert, überfallen und mit allen Mitteln der Tücke, der Gewalt bekämpft, hat Sowjetrussland sich behauptet, ein unerreichtes Vorbild und Wunder zielsicheren Willens, unbeugsamer Tatkraft, grenzenloser Opferbereitschaft. Als Vorkämpfer der Gegenrevolutionäre der ganzen Welt ist augenblicklich der Entente-Imperialismus drauf und dran, ein Schacher- und Würfelspiel mit den deutschen Kapitalisten zu treiben, um das schaffende Volk Deutschlands wie das der alliierten Staaten, ja aller Länder vernichtender Auspressung, drückender Versklavung zu unterwerfen. Im engsten Bunde mit ihrem aufrechten, selbstverleugnenden Preisfechter Sowjetrussland, müssen die Proletarier, die Schaffenden aller Länder, ihre Peiniger in der Heimat, allüberall auf dem Erdenrund niederzwingen.

Bei diesem befreienden Kampf dürfen die werktätigen Frauen nicht fehlen. Er ist es, der auch über Freiheit und Vollmenschentum für sie entscheidet. Für ihn und damit für die ureigenste Sache des Weibes soll der internationale kommunistische Frauentag wecken, werben, sammeln, wehrfreudig und wehrtüchtig machen. Von der zweiten internationalen Konferenz der Sozialistinnen in Kopenhagen 1910 wurde diese Alljahresveranstaltung in der Erkenntnis beschlossen, dass für die Frauen aller Länder Schillers Verse gelten:

Ein Feind nur ist es, den wir alle hassen,

Und eine Freiheit macht uns alle frei.”

Der eine Feind: der die Leiber und Geister knechtende und verderbende Kapitalismus. Die eine gemeinsame Freiheit: der Sozialismus, der Kommunismus, der die Wurzel jeder Versklavung eines Menschen durch einen anderen Menschen ausrottet, indem er der Herrschaft des Besitzes über den Menschen ein Ende macht. Schonungsloser, vernichtender den je lastet diese fluchwürdige Herrschaft heute auf den breitesten Frauenmassen, wo die Auswirkungen des Krieges alle wirtschaftlichen, alle sozialen Gegensätze und Übel der kapitalistischen Gesellschaft auf die Spitze treiben und weit über die Proletarierinnen hinaus auch zahllose bürgerliche Frauen mit härtesten Geißenhieben treffen, Millionen und aber Millionen müssen das Land des Kommunismus mit der Seele suchen, sofern sie nicht in der Not und Nacht dieser Zeit müde, zermürbt, verzweifelt zusammenbrechen sollen.

Und dieses Land grüßt nicht mehr durch Nebel und Dunst aus weiter Zukunftsferne. Es liegt vor uns, zum Greifen nahe, ein Gegenwartsziel, das Gegenwartsziel, wenn die Massen der Ausgebeuteten und Kleinen wollen, deren größere Hälfte die Frauen sind. Die unsterbliche Tat des jungen russischen Proletariats hat es gelehrt und sie hat gleichzeitig auch helles Licht auf den Weg geworfen, der zu dem Ziele führt. Ein Weg voller Opfer und Gefahren, ein Weg durch sumpfige Niederungen und über steile, zerklüftete Höhen und doch der einzige Weg zum leuchtenden winkenden Ziele. Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, Aufrichtung seiner Diktatur durch die Räteordnung, das ist die unerlässliche Vorbedingung dafür, dass die Werktätigen den Kapitalismus überwinden und den Kommunismus aufbauen.

Mit dieser Losung sammeln sich am internationalen kommunistischen Frauentag auch die befreiungssehnsüchtigen Kreuzesträgerinnen in allen Ländern. Dem schwarzen Elend der Zeit zum Trotz hoffnungsvoll, der “Schwäche” ihres Geschlechts, der Armut, der sozialen Gebundenheit spottend, willensstark, bereit zu Arbeit, Kampf, Opfer bis zum letzten Hauch. Die ungezählten Einzelnen empfinden es, wissen es: sie gleichen nicht mehr verlorenen, einsam dahinwirbelnden Blättern, mit denen die Wolken und Winde der kapitalistischen Gesellschaft spielen. Sie kämpfen sich vorwärts, stürmen vorwärts, dem Kommunismus entgegen, ein unabsehbares, millionenköpfiges Heer. Beginnt der scharfe Geisteshauch der Revolution nicht sogar die Frauen des Nahen und Fernen Orients empor zu scheuchen aus der erdrückenden Lage ihrer altersgrauen sozialen Verhältnisse? Zu Anfang dieses Jahres sind Vertreterinnen der Frauen der Ostvölker in Russland zum Kongress zusammengetreten, um unter Führung der kommunistischen Sowjetmacht für ihre Gleichberechtigung und Befreiung zu kämpfen. Welch ein geschichtliches Schauspiel und welch ein Beispiel!

Der heutige internationale Frauentag sieht eine gewaltigere Kämpferinnenschar als je einer seiner Vorgänger um das rote Banner vereinigt. Es ist der Herzschlag, der Wille, der Ruf von Millionen, der sich über die Grenzen, die Meere und Gebirge hinweg zu einer gewaltigen Macht zusammenballt. Der schwache Sehnsuchtsschrei jeder einzelnen Mühseligen und Beladenen ist in dieser Macht millionenfach verstärkt, lebendig, und das Bewusstsein dieser unwiderstehlichen Macht der internationalen Solidarität verleiht einer jeden einzelnen höchste Kraft, stärksten Kampfeswillen. Diese Erkenntnis, das Wissen von der internationalen Solidarität des kommunistischen Ideals, des kommunistischen Kampfes der Proletarier, der Schaffenden der ganzen Welt muss in jedem Frauenhaupt wohnen, “das hoch und ungebeugt sich trägt”, in jeder Frauenbrust, “die menschlich fühlt und menschlich schlägt”.

Die Not der Zeit schreit überall auf der ganzen Welt nach Kampf, nach Revolution. Frauen aller Länder, hört diesen Schrei. Er sei auch euer eigener Schrei. Kämpfen wir! Singen und sagen wir nicht von der Revolution, harren und hoffen wir nicht auf die Revolution. Dienen wir der Revolution! Sie muss auch Frauenwerk sein. Am Frauentag vorwärts für alle Forderungen, die die Lasten und Leiden der Frauen mindern, die ihrer Ausbeutung durch das Kapital Fesseln anlegen, die ihnen volle Gleichberechtigung verleihen. Denn, was ist dieser Forderungen Sinn? Sozialschwache für den revolutionären Kampf zu rüsten, Gedrückte, Zagende als aufrechte, tapfere Kämpferinnen dem proletarischen Freiheitsheer einzugliedern. Vorwärts am Frauentag für die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, für seine Diktatur, für die Räteordnung! Die Menschheit muss aus der Sklaverei des Besitzes erlöst werden. Die Internationale wird sie befreien. Vorwärts, gegen den Kapitalismus! Für den Kommunismus! Das rote Banner mit Hammer und Sichel des Sowjetstaates rauscht uns voran. Seien wir seiner würdig!

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