Clara Zetkin 19150319 Der internationale sozialistische Frauentag

Clara Zetkin: Der internationale sozialistische Frauentag

(Aus einem Artikel, März 1915)

[“Die Gleichheit”, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, Stuttgart. 19. März 1915. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band I, S. 665-667]

Was ist der tiefste Gehalt des internationalen sozialistischen Frauentages? Ein Aufschrei der erwachten und erwachenden Frauen des arbeitenden Volkes nach der Freiheit, ungefesselt durch äußere Umstände ihr Menschen- und Weibtum in Harmonie entfalten zu können und für die Allgemeinheit zur tätigen, bereichernden Kraft werden zu lassen. Daher die Forderung gleichen, vollen politischen Rechtes als eines Mittels unter anderen Mitteln zum Zweck. Darum das andere Verlangen, das soviel weiter fasst und höher trägt als diese Forderung: das inbrünstige Verlangen nach der sozialistischen Ordnung, die allein das freie Menschentum für Weib wie Mann verbürgt. In der Rechtsforderung und dem hehren Ziel, dem sie dienen soll, finden sich die arbeitenden, die sozialistischen Frauen der ganzen Welt zusammen. Von dem Bewusstsein beseelt, in diesem Zeichen kämpfend zu siegen, nehmen sie etwas von dem Reiche voraus, das nicht von dieser kapitalistischen Welt ist: vom zukünftigen Reiche der Völkervereinigung und Menschheitsverbrüderung.

Das innerste Wesen unseres Frauentages aber offenbart sich im blutroten Schein des Weltkrieges in seiner ganzen strahlenden Schönheit und Größe. Denn es zwingt dazu mit einer unwiderstehlichen Macht, ehe von dem furchtbaren Geschehen der Zeit und dem unnennbaren Leid der Frauen darüber genährt wird, neben die Rechtsforderung der Frauen, ja, noch über sie, ihre Friedensforderung zu stellen. In welchem Lande auch immer die Sozialistinnen dieses Jahr die mühseligen, beladenen Proletarierinnen im Namen des internationalen Sozialismus sammeln: Der Friedenswille prägt den Charakter der Kundgebungen. Überall wird der Frauentag eine Demonstration für den Frieden sein. Eine internationale Demonstration, trotz Völkerringen, Kriegsrecht und alledem! Was ändert es daran, dass zunächst nur in neutralen Ländern der verzehrende Friedenswille der Frauen in der Öffentlichkeit seine Stimme erhebt? Der Gedanke, die Sehnsucht ist frei, und die Tat kann frei werden, wenn ein Wille da ist. Auch die brutalsten Kriegszustände sind ohnmächtig zu verhindern, dass Hunderttausende proletarischer Frauen mit glühender Seele in einem Wissen und Wollen dabei sind, wenn die Genossinnen in neutralen Ländern politisches Recht und das Ende des brudermörderischen Waffenganges der Völker heischen. Die Not wird sie beten lehren, wie wir es verstehen.

An dem Frauentag muss sich in allen Ländern der Wille der Proletarierinnen entzünden und stärken, für den Frieden zu kämpfen. Dieser Kampf ist die große geschichtliche Tat, mit der die Frauen in unseren Tagen ihre politische Reife und ihren Anspruch auf politisches Recht erhärten können. Beweisen wir, dass die große Stunde kein kleines Geschlecht findet. Nicht das Lippenbekenntnis, nur das Leben und Handeln adelt und erhebt.

Es ist ein Trost und eine Hoffnung, dass in dem rasenden Ungewitter des Krieges der schüchterne Schimmer des Frauentages die Arbeitenden und Rechtlosen international geeint zeigt. Mahnt er uns nicht daran, dass dieses Ungewitter gewesen ist, sobald die Völker wollen? Mit dem schüchternen Schimmer des Frauentages grüßt uns eine andere, höhere Welt, das große sozialistische Friedensreich, das allein als Werk der gesammelten Kraft der Proletarier aller Länder erstehen kann und in dem unsere Träume von Menschenrecht und Menschenerhebung wandelnd gehen.

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