Clara Zetkin 18950124 Die frauenrechtlerische Petition, das Vereins- und Versammlungsrecht des weiblichen Geschlechts betreffend

Clara Zetkin: Die frauenrechtlerische Petition, das Vereins- und Versammlungsrecht des weiblichen Geschlechts betreffend

(Januar 1895)

[„Vorwärts”, Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, vom 24. Januar und 7. Februar 1895, nach Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. I, Berlin 1957, S. 53-68]

I1

Im letzten Sommer schlossen sich 22 frauenrechtlerische Organisationen zu einem Rütlibund zusammen, welcher in einer Petition an den Kaiser das gesetzliche Verbot der Prostitution und die strenge Bestrafung der Prostituierten, Kuppler usw. auf dem Wege einer Kabinettsordre des Kaisers und der verbündeten Fürsten „untertänigst” erflehte. Die Lakaienhaftigkeit des in der Petition beliebten Tones fand ihr würdiges Gegenstück in dem sozialpolitischen Unverstand, den die „Bitte” atmete, und in der Anmaßung, mit welcher die Organisationen zu bitten „wagten”, dass gerade ihre Vertreterinnen „als Sachverständige in Frauensachen” vernommen würden.

Jetzt haben sich ganze drei Frauen gefunden, welche in einer Petition das Vereins- und Versammlungsrecht für das weibliche Geschlecht erbitten. Drei ganze Frauen ergreifen seitens der bürgerlichen Frauenwelt die Initiative behufs Gewinnung eines Rechts, dessen Nichtbesitz gerade eins der kennzeichnendsten Merkmale für die soziale Unterbürtigkeit des weiblichen Geschlechts in Deutschland ist!

Die Petition wendet sich an die Frauen „aller Parteien und aller Klassen”. Auch die Unterschriften der proletarischen Frauen, der Sozialdemokratinnen, sind mithin willkommen.

Ich will nicht untersuchen, ob es nötig ist, dass proletarische Frauen eine Petition für das Vereins- und Versammlungsrecht in dem Augenblick unterzeichnen, wo die Partei, die ihre Interessen ebenso gut wie die des männlichen Proletariats vertritt, im Reichstag einen diesbezüglichen Initiativantrag gestellt hat. Bekanntlich verlangt die sozialdemokratische Reichstagsfraktion eine reichsgesetzliche Neugestaltung der jetzt einzelstaatlichen Vereins- und Versammlungsgesetze und mit dieser Neugestaltung gleiches Recht für beide Geschlechter, gleichzeitig aber auch gesetzliche Bürgschaft für die unbeschränkte Ausübung der Koalitionsfreiheit. Sie fordert also nicht bloß das, worum die Petition ersucht, sondern noch mehr.

Es mag nun dem einen oder anderen, vielleicht auch vielen „zweckmäßig” erscheinen — die Zweckmäßigkeit lächelt ja auch in unserer Partei manchen holder an als das Prinzip —‚ dass die Petition die Unterstützung der organisierten Arbeiter und die Unterschriften der proletarischen Frauen erhält. Eine derartig mit Massenunterschriften unterstützte Petition erscheint ihnen als eine treffliche Demonstration zugunsten des sozialdemokratischen Antrags, als ein Nachweis dafür, dass weiteste Kreise der Frauenwelt das dringende Bedürfnis nach dem Vereins- und Versammlungsrecht empfinden.

Meiner Ansicht nach ist auch ohne die Petition eine solche Demonstration in Permanenz vorhanden, der Nachweis für die Berechtigung der geforderten Reform wird seit langem, dauernd und nachdrücklich erbracht, und dies in Gestalt des zähen und erbitterten Kampfes, den Polizei und Juristerei, innig gesellt, seit Jahren gegen das Vereins- und Versammlungsleben der proletarischen Frauen führen.

Die Polizei betätigt in diesem Kampfe die volle Schneidigkeit, welche der Pflichttreue des deutschen Beamtentums in den Augen der Besitzenden zur höchsten Ehre gereicht. Die Juristen ihrerseits betätigen eine Auslegekunst, welche der simple Menschenverstand nicht immer zu würdigen vermag. Auflösung proletarischer Frauenorganisationen reiht sich an Auflösung, Verbot von Frauenversammlungen folgt auf Verbot, die Ausweisung von Frauen aus öffentlichen Versammlungen ist etwas Alltägliches, Strafen gegen Frauen wegen Übertretung des Vereinsgesetzes hageln nur so hernieder. Vom 1. Oktober 1893 bis 31. August 1894 mussten proletarische Frauen wegen derartiger Sünden 681 Mark Strafe zahlen, und dies nur in den Fällen, die zu meiner Kenntnis gelangt sind. Trotz alledem entstehen regelmäßig an Stelle der zerschmetterten Organisationen neue Vereine, wieder und wieder drängen sich die Frauen zu den Versammlungen, wieder und wieder organisieren sie solche.

Die in Dürftigkeit, wenn nicht in bitterer Armut lebende proletarische Frau, die mit Arbeitslasten überbürdete proletarische Frau bringt stets aufs neue die Opfer an Mitteln und Zeit, welche das Vereins- und Organisationsleben erheischt; sie setzt sich mutig allen behördlichen Verfolgungen aus, sie trägt die Strafen, die von „Rechts wegen” über sie verhängt werden. Diese Tatsache ist meines Erachtens die unzweideutigste Demonstration dafür, dass ein zwingendes Lebensinteresse und nicht die Lust zu politischen Spielereien oder Vereinsmeiereien den Besitz der Koalitionsfreiheit für die proletarische Frauenwelt nötig macht. Wenn Reichstag und Regierung die kräftige, eindringliche Sprache dieser Tatsache nicht verstehen, so werden sie noch ein weit weniger geneigtes Ohr besitzen für eine Petition.

Nun wird hier vielleicht eingewendet: „Ja, wenn die Petition auch nichts nützt, so schadet sie doch nichts. Es handelt sich um eine Erweiterung der Rechte des rechtlosen weiblichen Geschlechts, ergo unterzeichnen und unterstützen wir sie.” Sehr schön, sage ich darauf, aber wenn dieser Standpunkt gelten soll, so muss doch immerhin die Petition in ihrer Begründung unserer proletarischen Auffassung entsprechen, oder mindestens — ich will bescheiden sein — darf sie nicht in schroffem Gegensatz zu unserer Auffassung stehen. Dies ist keineswegs der Fall, im Gegenteil. Die Petition stammt aus bürgerlichen Kreisen, sie atmet durchweg bürgerlichen Geist, ja, in manchen Einzelheiten sogar einen beschränkt bürgerlichen Geist.

Es ist uns deshalb geradezu unerfindlich, weshalb sozialdemokratische Zeitungen sich für diese Petition ins Zeug legen, sie quasi offiziell den organisierten Arbeitern zur Unterstützung, den proletarischen Frauen zum Unterzeichnen empfehlen. Seit wann gehört es denn zu den Gepflogenheiten der Sozialdemokratischen Partei, Petitionen, die aus bürgerlichen Kreisen hervorgehen und das Kennzeichen bürgerlicher Auffassung an der Stirn tragen, nur deswegen zu unterstützen, weil sie etwas Richtiges erbitten, etwas, was die Sozialdemokratie auch und zwar seit langem fordert? Nehmen wir an, bürgerliche Demokraten hätten eine Petition veranlasst, der vorliegenden Frauenpetition dem Zweck nach gleich oder ähnlich, dem Charakter nach gleich. Die sozialdemokratische Presse hätte die Petition kritisiert, wäre aber keineswegs dafür eingetreten, dass die Genossen, dass klassenbewusste Arbeiter im Schlepptau bürgerlicher Elemente erscheinen. Warum unseren prinzipiellen Standpunkt der Politik der bürgerlichen Welt gegenüber ändern, weil zufälligerweise ein Akt dieser Politik von Frauen ausgeht, die nicht für die so genannte Gesamtheit eine Reform fordern, sondern für das weibliche Geschlecht? Wollen wir unsere prinzipielle Haltung deswegen preisgeben, so geben wir gleichzeitig unseren Standpunkt preis, die Frauenfrage nur im Zusammenhang der allgemeinen sozialen Frage zu erfassen und zu fördern.2

In Nummer 7 vom 9. Januar nahm der „Vorwärts” der Petition gegenüber eine durchaus korrekte Haltung ein. Er verzeichnete sie, kritisierte sie und wies darauf hin, dass sie eine alte sozialistische Forderung aufgreife. Leider und zu meinem großen Erstaunen hat der „Vorwärts” über Nacht seine Haltung geändert. Warum? Weil ihm mitgeteilt wurde, die Petition verdiene bezüglich ihrer Begründung die geübte Kritik nicht. Dass diese Versicherung und der Hinweis auf die Ausführungen eines „Anschreibens” den „Vorwärts” zu einem Frontwechsel bestimmte, muss ich entschieden bedauern. Außerdem bleibt trotz des „Anschreibens” der erhobene Vorwurf mangelhaftester Begründung gegen die Petition in voller Schärfe bestehen. Das „Anschreiben” hat nämlich mit der Petition selbst und ihrer Begründung nicht das Geringste zu tun. Es ist nichts als ein Begleitschreiben, ein Zirkular an die Personen, welche um Unterstützung beziehungsweise Unterzeichnung der Petition ersucht werden. Hier heißt es: „Unter den in der Petition der Kürze halber nicht im Einzelnen angeführten ‚eigenen Interessen‘ der Frauen verlangen auch im Besonderen die Erwerbsverhältnisse dieser eine Gesetzesvorlage im Sinne der Petition.”3

Soll der Passus eine Belehrung sein über den Wert der Vereins- und Versammlungsfreiheit für die proletarische Frauenwelt? Wir danken für diese Belehrung, aber wir brauchen sie nicht. Das Proletariat hat den Wert der Koalitionsfreiheit für alle seine Glieder, ohne Unterschied des Geschlechts, weit früher erkannt als die Verfasserinnen jener Petition. Und dieser Erkenntnis gemäß kämpft das Proletariat für die Eroberung des fraglichen Rechts. Soll der Passus eine Versicherung sein, dass die Mütter der Petition sich der Bedeutung des Rechtes und seiner Grundlage bewusst sind? Wir quittieren höflich dieses Zeichen einer sozialpolitischen Erkenntnis, welche den deutschen Frauenrechtlerinnen gemeiniglich abgeht. Aber eine Bedeutung für die Petition selbst hat der Passus nicht. Für die Petition und ihre eventuelle Berücksichtigung kommt nicht in Betracht, was ihre Veranstalterinnen und Unterzeichnerinnen zu ihrer Begründung dachten, sondern welche Gründe sie zu ihren Gunsten geltend machten. In der Begründung der Petition steht kein Wort davon, dass für die Lebensinteressen der selbständig erwerbenden Frauen der Besitz des Vereins- und Versammlungsrechts von unabweisbarer Notwendigkeit ist. Es fehlt in ihr gerade der Grund, kraft dessen das Proletariat für die Forderung eintritt. Es fehlt in ihr der Grund, der für eine diesbezügliche Reform der Gesetzgebung so maßgebend ist, dass — unwidersprochen gebliebenen Zeitungsnachrichten zufolge — in Bayern Zentrumsleute in der nächsten Session des Landtages einen Antrag einbringen wollen, welcher mit Rücksicht auf das Erwerbsleben der Frauen für das weibliche Geschlecht das Vereins- und Versammlungsrecht fordert.

Es klingt wie Verlegenheit, wenn es in dem Anschreiben heißt, der betreffende Grund wäre der Kürze wegen in der Begründung der Petition nicht angeführt. ja, weshalb hat denn die Rücksicht auf die rettende Kürze nicht gehindert, in der Begründung besonders geltend zu machen, dass ein durch die Vereinsfreiheit vermittelter Einfluss der Frauen auf die Gesetzgebung in Bezug auf die „Sittlichkeitsfrage” dringend geboten sei.4 Was die bürgerlichen Frauen im Punkte der „Sittlichkeitsfrage” von der Gesetzgebung wollen, das erhellt aber zur Genüge aus der eingangs erwähnten Anflehung des Kaisers.

Meines Erachtens können keine proletarischen Frauen, am wenigsten aber zielbewusste Genossinnen, eine Petition unterzeichnen, die mit Rücksicht auf die „Kürze” mit Stillschweigen über den wichtigsten Grund weggeht, welcher vom proletarischen Standpunkt aus für die geforderte Reform spricht, und der „Kürze” unbeschadet einen Grund hervorhebt, der von einer halbwegs klaren und geläuterten sozialpolitischen Auffassung als ein Ausfluss naivster Unkenntnis der sozialen Verhältnisse verlacht wird. Proletarische Kreise haben nicht den geringsten Anlass, durch Solidarisierung mit einer Petition solchen Inhalts ihrer sozialpolitischen Erkenntnis ein Armutszeugnis auszustellen.

Ein anderer Grund noch macht es unmöglich, dass die sozialistische Bewegung für diese Petition eintritt. Die Petition fordert nicht den Reichstag beziehungsweise eine Fraktion desselben zu einer Gesetzesvorlage im Sinne der fraglichen Reform auf, sie bittet ihn bloß, an die verbündeten Regierungen das Ersuchen um eine diesbezügliche Gesetzesvorlage zu richten. Die Petition geht also mit Ignorierung der Kompetenz des Reichstages bezüglich von Initiativanträgen über diesen selbst hinweg und weist ihm die bescheidene Rolle eines Portiers an, welcher den Petitionierenden den Zugang zu der hohen Regierung öffnet. Ein solches Vorgehen kann die Sozialdemokratie nicht unterstützen und mitmachen. Die Sozialdemokratie hat zu allen Zeiten angekämpft gegen den Dualismus der gesetzgebenden Gewalten, wie er sich in Deutschland infolge des Umstandes findet, dass unsere Bourgeoisie die Macht des Absolutismus nicht gebrochen hat, sondern feig mit ihr paktierte. Dass dieser Dualismus vorhanden ist, ja, dass die gesetzgebenden Gewalten — Volksvertretung und Regierung — einander nicht einmal als gleichwertige Machtfaktoren gegenüberstehen, dass vielmehr die erstere der letzteren untergeordnet ist, damit muss sich die Sozialdemokratie abfinden, aber sie hat jederzeit mit allen ihr zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln dafür gekämpft, dass der Volksvertretung werde, was der Volksvertretung gebührt. Zu den wenigen Rechten und Befugnissen, welche das Parlament im herrlichen Deutschen Reich besitzt, gehört das Recht, Initiativanträge zu stellen, im Namen des Volkes zu fordern, statt bei einer Regierung zu betteln. Die Petition meidet aber den einzig richtigen Weg an den Reichstag.5 Proletarische Frauen können und wollen da nicht mittun. Überhaupt nicht und am allerwenigsten gegenwärtig, wo die Regierungen den schärfsten Kampf gegen das Vereins- und Versammlungsleben der Proletarierinnen veranlassen, gegenwärtig, wo die verbündeten Regierungen die Umsturzvorlage eingebracht haben. Proletarierinnen, welche von unseren Regierungen eine ihren Interessen entsprechende Reform der Vereins- und Versammlungsgesetze erwarteten, würden Feigen von den Dornen und Trauben von den Disteln lesen wollen.

Wollten die bürgerlichen Frauen zu gemeinsamem Ziel anlässlich der Petition ein vorübergehendes Zusammenwirken mit den proletarischen Frauen, so war es doch selbstverständlich, dass die Petition derartig abgefasst wurde, dass Arbeiterinnen dieselbe unterzeichnen können, ohne dass sie sich und ihre Bestrebungen bloßstellen. Eine solche Fassung hätte eine vorausgehende Verständigung mit den Vertreterinnen der klassenbewussten Proletarierinnen zur Voraussetzung gehabt. Wie den Veranstalterinnen der Petition wohlbekannt ist, gibt es in Berlin eine Frauenagitationskommission. Warum sind die Veranstalterinnen der Petition an diese Kommission nicht mit den zwei Fragen herangetreten: t. Seid ihr eventuell bereit, die geplante Petition zu unterstützen, und 2. wie muss diese Petition gehalten sein, damit sie von den proletarischen Frauen ohne Preisgabe ihres Standpunktes unterstützt und unterzeichnet werden kann?

Ein derartiges Vorgehen hätte selbstverständlich sein sollen und wäre ein Gebot der Klugheit und Höflichkeit gewesen, wenn man die Unterschriften der proletarischen Frauen wollte. Die Fassung der Petition wie das Vorgehen ihrer Verfasserinnen ist kennzeichnend für die Auffassung bürgerlicher Frauen und ihr Verhältnis zur proletarischen Frauenwelt. Man ist humanitär genug, unter gewissen Umständen etwas für die „ärmeren Schwestern” zu tun, man ist klug genug, unter allen Umständen ihre Hand- und Spanndienste anzunehmen, aber mit ihnen als mit gleichberechtigten Machtfaktoren zusammenarbeiten, ja, Bauer, das ist ganz etwas anderes.

Die Veranstalterinnen der Petition werden auf ihre gute „Absicht” verweisen und geltend machen, dass ihnen ein bewusster Gegensatz zu der Auffassung der proletarischen Frauen durchaus fern lag. Aber das kann uns zu keiner anderen Auffassung ihres Vorgehens veranlassen. Im Namen guter Absichten hat man von jeher nicht bloß die größten Verbrechen, auch die größten Dummheiten begangen. Und dass der Gedankengang der Petitionsverfasserinnen instinktiv, unbewusst in einer der proletarischen Auffassung diametral entgegengesetzten Richtung gelaufen ist, das ist ja kennzeichnend für die Kluft, die uns von ihnen trennt.

Ich glaube, nicht nur in meinem persönlichen Namen zu sprechen, sondern in dem der Mehrzahl klassenbewusster proletarischer Frauen, wenn ich erkläre:

Dieser Petition keine proletarische Unterschrift!

Stuttgart, den 12. Januar 1895.6

II

Zur Erwiderung7

Auf die Anmerkungen des „Vorwärts” zu meinem Artikel, die frauenrechtlerische Petition betreffend, habe ich folgendes zu erwidern:

Ich habe durchaus nicht behauptet, dass die kritische Petition von frauenrechtlerischen Organisationen ausging, sondern ausdrücklich hervorgehoben, dass sie von drei bürgerlichen Frauen veranlasst wurde. Ich stellte gerade diese Tatsache der anderen gegenüber, dass der eingangs meiner Ausführungen gekennzeichneten Petition an den Kaiser, das Verbot der Prostitution durch Kabinettsordre betreffend, eine Massenunterstützung von bürgerlichen Frauenrechtlerinnen zuteil geworden war. Und dies zu dem Zwecke, die bürgerliche Frauenbewegung, als Ganzes genommen, in ihrer Halbheit und das vergleichsweise entschiedenere Vorgehen der drei Petitionsverfasserinnen zu beleuchten.

Dadurch, dass die Petition von einer Angehörigen unserer Partei mitverfasst und von einzelnen Genossinnen unterzeichnet worden ist, wird sie ebenso wenig besser als für die Kritik unantastbar. Wir haben das, was an die Öffentlichkeit und insbesondere an unsere Partei herantritt, nicht zu beurteilen nach Personen und ihren Absichten, sondern danach, ob es sich dem Wesen nach mit unserem grundsätzlichen Standpunkt deckt oder nicht. Dass Genossinnen die Petition unterzeichneten, ist mir erklärlich genug.

Die rechtlose Sonderstellung des weiblichen Geschlechts, die bei der proletarischen Frau mit der sozialen Unterbürtigkeit als Angehörige des Proletariats verquickt ist, legt es nur zu nahe, dass bei der einen oder anderen braven Genossin die Frau mit der klassenbewussten Proletarierin, der Sozialdemokratin, durchgegangen ist. Es liegt mir fern, deswegen einen Stein auf sie zu werfen, aber auch ebenso fern, ihr Verhalten zu billigen, am fernsten aber, dieses Verhalten zu einem Grund zu erheben, kraft dessen die Kritik der Petition auch nicht ein Härchen krümmen dürfe. Ich überlasse es getrost den Genossinnen und Genossen, die Schlussfolgerungen zu ziehen aus einer Verallgemeinerung des Standpunktes, auf den sich hier der „Vorwärts” der Petition und meinen Ausführungen gegenüber stellt.

Gewiss ist jeder Schritt nach Selbständigkeit der bürgerlichen Frauen ein Fortschritt. Allein, die Anerkennung dieser Tatsache darf meines Erachtens nicht dazu führen, dass die politisch entwickelte proletarische Frauenbewegung die unsicheren, ungeschickten und tastenden Schritte bürgerlicher Frauenrechtlerinnen mitmacht oder ihre Bedeutung auch nur überschätzt. Wenn Herr von Köller die Petition als Anzeichen für das Wachsen der Umsturzgefahr ansah und ihr eine große Bedeutung zuerkannte, so müssen wir das einem Minister zugute halten, der amtlich gezwungen Beweismaterial für die Zunahme „subversiver Tendenzen” im Schweiße seines Angesichts mühsam zusammenklauben muss. Sollte seine Wertschätzung der Erscheinungen und seine Gegnerschaft gegen dieselben ein Maßstab für unsere Beurteilung und Stellungnahme sein, so müssten wir auch dem polizeilichen Anarchistenwauwau eine große Bedeutung zuerkennen, so müssten uns die Anarchisten tabu sein wie alles, wogegen sich die Reaktion in augenblicklicher Stierwut wendet.8

Dass gegenüber der Petition der Vorwurf einer Begründung, die nicht bloß mangelhaft ist, sondern in vollem Gegensatz zu unserer Auffassung steht, durchaus gerechtfertigt ist, darin stimmen mir gewiss Genossen und Genossinnen bei. Der „Nachweis”, dass die Petenten die vom „Vorwärts” gerügten Fehler „doch nicht so gemacht haben, wie wir (der ‚Vorwärts‘) getadelt hatten”, ändert an der Tatsache nichts. Denn durch den „Nachweis”, das Zirkular, wird die Petition selbst nicht berührt, wird sie weder um den guten Grund reicher noch um den schlechten Grund ärmer.

Ich begreife, dass für die Verfasserinnen der Petition „taktische Rücksichten” auf die bürgerlichen Frauen vielfach maßgebend waren. Aber warum haben sie nicht die gleichen „taktischen Rücksichten” auf die proletarischen Frauen walten lassen? Warum machten sie den Vorurteilen bürgerlicher Frauen alle Konzessionen, und warum forderten sie von den proletarischen Frauen die Preisgabe ihrer Anschauungen? Was den einen recht war, musste doch den anderen billig sein, wenn man auch ihre Unterstützung wollte.9

Dass sich auch Arbeiter in vielen Fällen an den Bundesrat und den Reichskanzler gewendet haben, weiß ich wohl. Aber welche Veranlassung lag denn für die Petenten vor, die Reform der Vereins- und Versammlungsgesetze gerade von der Initiative der Regierung und nicht von der des Reichstages zu erbitten? Und kann man Proletarierinnen ansinnen, diesen Bittgang gegenwärtig mitzumachen, wo sich die Regierung zur vollständigsten Knebelung der Arbeiterklasse anschickt? Und konnte ein solcher Bittgang quasi offiziell von sozialistischer Seite empfohlen werden?

Der „Vorwärts” meint freilich, er habe nicht zur Unterzeichnung aufgefordert, sondern bemerkt, dass gegen die Unterzeichnung nichts einzuwenden sei. Ich glaube nachgewiesen zu haben, dass gegen die Unterzeichnung der Petition von unserem Standpunkte aus alles einzuwenden ist. Und der vom „Vorwärts” betonte feine Unterschied in seiner Stellungnahme zu ihr ist sehr vielen Genossinnen völlig entgangen. Der Beweis hierfür hat mir schwarz auf weiß in Dutzenden von Anfragen vorgelegen, in so vielen Anfragen, dass ich mich zur Stellungnahme in mehreren Parteiblättern veranlasst sah, die sich mit meiner Auffassung durchaus einverstanden erklären.

Was den von mir angeschlagenen und vom „Vorwärts” missbilligten scharfen Ton anbelangt, so erachtete ich denselben aus einem besonderen Grund für nötig. Das Auftreten der neuesten Richtung bürgerlicher Frauenrechtelei, welche ich als die „ethische” bezeichnen möchte,10 hat hier und da in den Reihen unserer Genossinnen verwirrend gewirkt. Die neue Richtung fordert im Punkte der Frauenrechte mehr und energischer als ihre Schwesterströmungen, sie steht im Punkte ihrer sozialen Erkenntnis, ihrer Anerkennung und Kritik sozialer Schäden, ihres Eintretens für gewisse soziale Reformen eine Stufe höher als diese. Und deswegen gab man sich im sozialistischen Lager vielfach Illusionen über den Charakter der Richtung und ihre Bedeutung für unsere proletarische Frauenbewegung hin. Wurde mir doch erst kürzlich aus Parteikreisen geschrieben, dass „diese Frauen im Wesentlichen das gleiche Ziel erstreben wie wir”!11 Angesichts der einreißenden Unsicherheit in der Beurteilung der erwähnten bürgerlichen Richtung schien mir die Schärfe des Tones geboten. Gegenwärtig ist ja nun, wie ich hoffe, allen diesbezüglichen Illusionen ein und für allemal ein Ende gemacht durch Frau von Gizyckis ausdrückliche Verwahrung dagegen, dass sie die sozialdemokratische Frauenbewegung zu unterstützen erklärt habe („Vorwärts” vom 23. vorigen Monats).

Da sich keine der Anmerkungen des „Vorwärts” gegen die wesentlichen, sachlichen Ausführungen meines Artikels wendet, sondern bloß gegen nebensächliche Punkte desselben, so glaube ich wohl annehmen zu dürfen, dass auch er mit dem Kern meiner Darlegungen einverstanden ist.12 Allerdings wäre es wohl angesichts der Sachlage am Platze, wenn er sich klipp und klar darüber aussprechen wollte, ob er die Petition den Genossinnen zur Unterzeichnung empfiehlt oder nicht.13 Damit wäre für mich die Angelegenheit erledigt, soweit es sich um die Petition handelt.

Zum Schlusse aber noch eine wichtige persönliche Bemerkung. Meine Ausführungen enthielten nichts als die Konstatierung des Frontwechsels des „Vorwärts” in Sachen der Petition und den Ausdruck meines Bedauerns hierüber. Keinen scharfen Angriff. Der einzige etwas schärfere Passus gegen den „Vorwärts”, den mein Artikel ursprünglich enthalten hatte, ist von der Redaktion gestrichen worden. Ich habe in meinen Darlegungen weder auf die „Gleichheit” verwiesen noch sie auch nur erwähnt; nirgends und niemals überhaupt habe ich die „Gleichheit” als besonders prinzipientreu gegen den „Vorwärts” ausgespielt. Wie kommt der „Vorwärts” dazu, die „Gleichheit” in die Debatte zu ziehen? Und wann und wo habe ich mir nach dem Muster des „Vorwärts” ein Selbstbelobigungszeugnis über meine besondere Prinzipientreue ausgestellt? Das Selbstattest, welches sich der „Vorwärts” über seine Haltung zuerkennt, habe ich zur Kenntnis genommen mit jener gebührenden Aufmerksamkeit, mit welcher ich aus Pflichtgefühl alle Äußerungen des „Vorwärts” verfolge.

Ob aber diese Kenntnisnahme etwas an meinem Urteil über den „Vorwärts” geändert hat, das steht auf einem anderen Blatt, welches aufzuschlagen gegenwärtig die allerungeeignetste Zeit und der „Vorwärts” der allerungeeignetste Ort ist.14

Stuttgart, den 25. Januar 1895

1 Wir geben nachfolgendem Artikel Raum, ohne mit demselben in allen Teilen einverstanden zu sein. Wir bemerken vor allem, dass wir ebenso gut über die Prinzipientreue in der Partei wachen wie Genossin Zetkin und die „Gleichheit”. Die scharfen Geschosse der Genossin Zetkin scheinen für den Kampf, den sie führt, nicht geeignet, sie sollten für erheblichere Angriffsobjekte aufgespart werden. Die angegriffene Petition ging nicht von Frauenvereinen oder einer frauenrechtlichen Organisation, sondern von drei Frauen aus, von denen eine Mitglied unserer Partei ist; die Petition wurde übrigens, bevor der „Vorwärts” Stellung genommen hatte, von der Partei angehörenden Frauen unterzeichnet. Die Redaktion des „Vorwärts”

2 Wir können das schwere Vergehen, das die Genossin Zetkin hier konstruiert, nicht anerkennen. Die Frauenwelt ist im Staat leider noch in einer ganz anderen Stellung als die Männerwelt, sie ist vollkommen rechtlos und, soweit es die bürgerlichen Frauenkreise anbetrifft, sogar politisch gänzlich ungeschult, da ist jeder Schritt nach Selbständigkeit ein Fortschritt. Wir erinnern auch, dass die Art, wie Herr von Köller letzte Woche die hier kritisierte Petition als ein Zeichen für das Wachsen der „Umsturzbestrebungen” zu werten versuchte, der Genossin Zetkin zeigen muss, dass es doch ein Unterschied ist, ob selbst eine Petition wie diese von Männern oder von Frauen ausgeht. Die Redaktion des „Vorwärts”.

3 Es wurde uns nachgewiesen, dass die Petenten den von uns gerügten Fehler doch nicht so gemacht haben, wie wir getadelt hatten. Wir forderten nicht zur Unterzeichnung auf, sondern bemerkten, dass gegen die Unterzeichnung nichts einzuwenden sei. Wir wussten, dass eine Anzahl zur Partei gehöriger Frauen die Petition schon unterzeichnet hatten. Die Redaktion des „Vorwärts”.

4 Auch wir tadelten dies, fanden aber eine, wenn auch nicht genügende Entschuldigung darin, dass die Urheberin der Petition aus taktischen Gründen auf die Unterschriften bürgerlicher Frauen nicht verzichten wollte, aber auf diese hätte verzichten müssen, wenn die sie leitenden Gründe in der Petition veröffentlicht worden wären. Die Redaktion des „Vorwärts”

5 Genossin Zetkin vergisst ganz, dass die Arbeiter sich in außerordentlich vielen Fällen an den Bundesrat und den Reichskanzler gewandt hatten. Wir gehören sicherlich nicht zu denen, die diese Formen befürworten, wir konnten aber hier nicht tadeln, wo unsere Genossen oft das gleiche getan haben und die Partei zur Frage der Petitionen noch nicht Stellung genommen hat. Die Redaktion des „Vorwärts”.

6 Friedrich Engels schrieb über diesen Artikel am 28. Januar 1895 an Victor Adler: „Louise freut sich besonders über die entschiedene Zurückweisung der Frauenvereinspetition — siehe Clara Zetkins Artikel in Donnerstags-”Vorwärts”-Beilage. Clara hat recht und hat die fest und lang bekämpfte Aufnahme des Artikels doch durchgesetzt. Bravo Clara!” (Marx Engels Werke, Band 39, S. 400)

7 Der Stoffandrang hat es uns leider unmöglich gemacht, die vorstehende Erwiderung der Genossin Zetkin früher zu veröffentlichen. Die Redaktion des „Vorwärts”.

8 Genossin Zetkin vergisst, dass wir zwar durch äußerliche Verhältnisse niemals unsere Taktik ändern lassen, dass aber unser Ton Gegnern gegenüber ein anderer werden muss, wenn sie von gemeinsamen Feinden ernsthaft angegriffen werden. Die Redaktion des „Vorwärts”.

9 Diese „taktischen Rücksichten” erklärten eben das Vorgehen der drei Frauen. Dass die Proletarierinnen das Vereinsrecht wollen, war ihnen klar, sagte das doch schon ein Blick in unser Programm und unzählige Resolutionen. Für die Genossinnen waren diese taktischen Rücksichten daher weniger nötig als für die politisch viel weiter zurückgebliebenen Frauen der Bourgeoisie. Hätten die Verfasserinnen der Petition dem Plane der Genossin Zetkin entsprechend gehandelt, so hätten sich die taktischen Rücksichten gegenseitig aufgehoben, und die Petition wäre nicht von Frauen der Bourgeoisie mit unterzeichnet worden. Dies zur Erklärung. Auch wir halten ein gemeinschaftliches Vorgehen der Bourgeoisie und des Proletariats in der Regel für unmöglich. Wird aber einmal ein solcher Versuch in loyaler Absicht unternommen, so heißt es doch zuerst klug abwägen, bevor man energisch verurteilt. Die Redaktion des „Vorwärts”.

10 Kein Blatt der Partei hat energischer als der „Vorwärts” die Grenzlinie gezogen zwischen der ethischen Bewegung und der auf dem Boden des Klassenkampfes stehenden Sozialdemokratie. Die Redaktion des „Vorwärts”.

11 Für die politische Unklarheit dieser oder jener Frau ist der ‚‚Vorwärts” füglich nicht verantwortlich zu machen. Die Redaktion des „Vorwärts”.

12 Wir stehen gar nicht an, im Prinzip der Genossin Zetkin Recht zu geben, glauben aber, dass sie allzu viel Lärm um ein Nichts macht. Die Redaktion des „Vorwärts”.

13 Es ist selbstverständlich, dass der „Vorwärts” nach den auch von ihm veröffentlichten Erklärungen der Frauenagitationskommission keinen Anlass hat, die Petition zur Unterzeichnung zu empfehlen. Die Redaktion des „Vorwärts”

14 Das müssen und können wir in Ruhe Genossin Zetkin überlassen. Die Redaktion des „Vorwärts”.

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