Clara Zetkin 19130915 Die ”Gleichheit” und Popularität

Clara Zetkin: Die ”Gleichheit” und Popularität

(15. September 1913)

[Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, abgehalten in Jena vom 14. bis 20. September 1913, S. 254-256]

Genossinnen und Genossen! Ich will einige Ausführungen machen zu den Anträgen, die sich auf die Ausgestaltung der ”Gleichheit” beziehen. Nicht nur in diesen Anträgen, sondern auch sonst ist der Wunsch laut geworden nach einer populären Ausgestaltung dieser Zeitschrift. In diesem Ruf vereinigen sich verschiedene Strömungen, von denen mit die eine volle Beachtung zu verdienen scheint. Niemand weiß besser als ich, dass der Ruf nach Popularität bei einigen auf ganz falscher Einschätzung des Populären, des Volkstümlichen beruht. Als volkstümlich stellt man sich verworrene, seichte Gedankengänge vor, die in einem mangelhaften Deutsch vorgetragen werden. (Lebhafter Widerspruch.) Waren Sie doch erst ab. Ich sage, es gibt einige, die sich Populärsein so vorstellen. Als Redaktrice habe ich die Beweise dafür und bekomme sie oft genug zugeschickt. Jeder Redakteur wird es mir bestätigen, dass die gekennzeichnete schiefe Auffassung vorhanden ist. Aber es liegt auch heutigentags bei dem Ruf nach Popularität ein sehr tief begründetes und wichtiges Bedürfnis vor. Die Verhältnisse haben sich gegen früher geändert. Früher war die ”Gleichheit” ausschließlich das Organ der Genossinnen, die zum Teil schon in der allgemeinen Bewegung eine größere Schulung erhalten hatte. Diese geschulte Elite zusammenzuhalten und noch weitere zu erziehen, war die vornehmste Aufgabe der ”Gleichheit”. Aber gerade das opferfreudige und verständnisvolle Wirken dieser Hunderte die zu Tausenden von Genossinnen geworden sind, hat dazu geführt, das unsere proletarische Frauenbewegung verhältnismäßig rasch einen Zustrom von proletarischen Frauen, die zwar mit ihrem ganzen Herzen instinktiv mit uns fühlen, die aber infolge ihrer ganzen Lebensumstände, infolge des Erbteils, das sie als Angehörige des weiblichen Geschlechts für ihre geistige Physiognomie mit sich bringen, und das durch soziale und politische Minderberechtigung erhalten wird, noch nicht das ABC unserer Auffassungen kennen und nun das ganz berechtigte Bedürfnis danach haben, dass ihnen dies ABC beigebracht wird. (Sehr richtig!) Man hätte vielleicht denken können, dass die Tagespresse der geeignete Platz wäre, um diesem täglichen Bedürfnis zu genügen. Es ist aber nicht so, und vielleicht kann es gar nicht so sein. In dem Maße, als das Gebiet der Beschäftigungen der Partei nach den verschiedenen Richtungen hin sich verbreitert und bereichert, wird unsere Tagespresse von den Tagesaufgaben in wachsendem Umfang in Anspruch genommen. Dazu kommt, dass unsere Tagespresse in erster Linie, wie Scheidemann ganz richtig betonte, vielleicht zu fiel das Organ der bereits geschulten Genossen ist und zu wenig werbendes Organ für die Ideen der Sozialdemokratie außerhalb dieses Kreises. Hier liegt meiner Ansicht nach eine Aufgabe vor, die die ”Gleichheit” künftig erfüllen muss. Sie muss sich in einem Teil wenden an die Genossinnen, die ganz ungeschult zu uns kommen, die zuerst die Elemente unserer Auffassungen, unserer Überzeugungen lernen müssen. Ich meine, die Genossinnen müssen zugunsten dieser Nachrückenden, die morgen oder übermorgen an unserem eigenen Platz stehen werden, auf einen Teil des Raumes der ”Gleichheit” verzichten, damit für entsprechende Artikel Raum geschaffen wird. An dem Gehalt und dem Charakter des übrigen Teiles wird nichts geändert. Übrigens will ich dieses bemerken: Was Sie an der ”Gleichheit” meinen tadeln zu müssen, die angeblich unpopuläre Schreibweise, unterscheidet sich im Allgemeinen in nichts von der Schreibweise unserer übrigen Parteipresse. Es sind die nämlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die auch dort das Wort führen, und ich kann hinzufügen, dass wir vielleicht kein Organ in unserer Partei haben, das daneben in so großer Zahl Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus den erwachenden Schichten des Proletariats zählt, wie gerade die ”Gleichheit”. Meinen Sie, ich würde in ausgesuchter Bosheit und Dummheit gute, populäre Artikel über unsere sozialistischen Ideen nicht annehmen, wenn ich sie bekäme? Nicht mit einer, nein mit zwei Kusshänden würde ich sie veröffentlichen. (Große Heiterkeit.) Aber das Pech ist eben, ich warte und warte, jedoch solche Artikel gehen mir äußerst selten einmal zu. Wenn wir die Genossinnen, die erst anfangen, sich für unsere Theorien zu begeistern und zu interessieren, unsere Ideen nahe bringen wollen, so darf das meines Erachtens zunächst gar nicht in Artikeln über die sozialistischen Theorien selbst geschehen. Nach langer Überlegung scheint es mit weit zweckmäßiger, mit einer Artikelserie über die Geschichte der Sozialdemokratie zu beginnen. Ich habe mich nämlich überzeugt — und gerade das 40-jährige Jubiläum unserer Partei vor einigen Monaten hat es mir bestätigt —, dass breitesten Schichten der jüngeren Genossen unsere Parteigeschichte noch ziemlich fremd ist und den Genossinnen erst recht. Ich habe mir gesagt, wenn ich in einzelnen Artikeln die Parteigeschichte behandele — selbstverständlich in einfacher Weise —, so gibt das Gelegenheit, in konkreter, leicht fasslicher Art gerade die lernbedürftigen Anfänger auch in wichtige Grundfragen unserer Ideenwelt einzuführen. Ich meine, durch eine Einführung in die Geschichte der Sozialdemokratie wird auch das Interesse an dem geistigen Leben, an dem Handeln unserer Partei gerade in den Kreisen von neuen Bekennerinnen erweckt werden. Das, was letzten Endes jenen einfachen proletarischen Frauen fremd ist, ist viel weniger die Schreibweise unserer Presse als die Dinge, um die es geht. Und ich glaube, dass sie durch eine geschichtliche Darstellung in konkreter Form ihnen zuerst nahe gebracht werden können. Wenn ich aber diesen Plan durchführen will, so werden sich die Genossinnen damit bescheiden müssen, dass der Raum, der ihnen jetzt für Agitationsberichte usw. zur Verfügung steht, ein wenig geschmälert wird. Ich meine die landläufigen Agitationsberichte, wie sie jetzt überall in unserer Tagespresse erscheinen. Ich begreife darunter nicht eine Einschränkung der Berichte, die von der Tätigkeit unserer Genossinnen in den Kinderschutzkommissionen, von ihrer Mitarbeit in Gemeindeinstitutionen usw. handeln, mit einem Worte, Berichte, die ein Bild geben von der ganzen großen praktischen Betätigung unserer Genossinnen auf so vielen Gebieten und Anregungen dafür. Es kann notwendig werden, dass ich gelegentlich den einen oder anderen Artikel ausfallen lasse, wie sie in der ”Gleichheit” jetzt erscheinen. Zumal Artikel sozialpolitischer Materie, da ja dieses Gebiet in umfangreicher Weise in unserer Tagespresse bearbeitet wird und das in einer Weise, die für die vorgeschrittenen Genossinnen durchaus verständlich ist, die als Lehrerinnen, Agitatorinnen unter die breiten Massen hinausgehen. Ich hoffe, dass sie mit dieser Art und Weise, dem Bedürfnis entgegenzukommen, wohl einverstanden sein werden. Ich habe für später auch andere Artikelserien in Aussicht genommen, die vielleicht zusammengefasst auch als Broschüren erscheinen können. Ich will in Verbindung mit meinen sonstigen Ausführungen sagen, dass unseren Genossen und Genossinnen die erste Schulung dadurch erschwert wird, dass wir im Allgemeinen keine in die breitesten Massen dringende Agitationsliteratur über unsre Grundsätze haben. Die alten Broschüren wie ”Unsere Ziele”, ”Nieder mit der Sozialdemokratie”, ”Zu Schutz und Trutz” usw. sind gewiss volkstümlich, knüpfen aber zum Teil an Verhältnisse und Fragen an, die heute längst für das Proletariat in den Hintergrund des Interesses getreten sind. Deshalb wirken diese Broschüren nicht mehr aktuell und packend.

Nun zu dem Wunsch, die Kinderbeilage der ”Gleichheit” möge als Buch erscheinen. Soweit es auf die Redaktion ankommt, die würde ihn sofort erfüllen. Die Redaktion der ”Gleichheit” kann sich das Zeugnis ausstellen, dass sie noch nie mit ihrer Arbeit gespart hat, wenn es das Interesse der Partei erforderte. Aber hinter mir steht der Verlag, und Genosse Dietz erklärt, er hätte mit der Herausgabe des früheren Kinderbuchs der ”Gleichheit” gar keine guten Erfahrungen gemacht. Es hätte so lange gedauert, bis er die Auflage abgesetzt hatte, dass ihm die Lust nach einer neuen Auflage vergangen sei, auf die ich — ich bin ja nun einmal ein unruhiger Drängler seit Jahren hingedrängt habe. Genosse Dietz meint, der Wunsch sei dadurch erfüllt, dass Einbanddecken für die Kinderbeilage — wie für das Hauptblatt — zu einem ganz mäßigen Preise vom Verlag herausgegeben werden. Jede Mutter kann sich die Blätter sammeln, in den Einband legen und at auf diese Weise ein hübsches Buch für ihre Kinder. Ich muss mich mit diesen Ausführungen begnügen, so gern ich noch auf einiges hingewiesen hätte. Nämlich auf die Notwendigkeit, auf unsere Frauenbewegung mehr und mehr unsere Jugendbewegung anzugliedern. Das ist die beste Lösung der Wünsche, die heute Morgen hier laut geworden sind. (Großer Beifall)

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