Clara Zetkin 18951008 Gegen Frauendiskriminierung im bürgerlichen Gesetzbuch

Clara Zetkin: Gegen Frauendiskriminierung im bürgerlichen Gesetzbuch

(8. Oktober 1895, Begründung des Antrags 921 auf dem Parteitag der sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu Breslau

[„Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Breslau vom 6 bis 12. Oktober 1895”, Berlin 1895, S. 89f.]

Wie in politischer so wird auch in privatrechtlicher Beziehung die Frau als unmündig betrachtet. Die bürgerlichen Frauen haben keine Erklärung hierfür, wohl aber die Sozialisten, die auf dem Boden der materialistischen Geschichtsauffassung stehen. Sie betrachten die Rechtsbestimmungen nicht als etwas abstraktes, das als Geist über den Wassern schwebt. Millionen von Frauen sind heute wirtschaftliche nicht mehr abhängig von der Familie und vom Manne, rechtlich aber sind sie abhängig. Das ist ein Anachronismus, der von dem Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzentwurfs nicht beseitigt ist. Zwei Jahrzehnte lang hat die Kommission an dem Entwurfe gearbeitet, aber es hieße Trauben von den Dornen und Feigen von den Disteln ernten wollen, wenn man von ihr eine freiheitliche und fortschrittliche Regelung des Rechtswesens im verpreußten Deutschland erwartete. Im verpreußten Deutschland, das heißt in einem kapitalistischen Staat, der durch Militarismus und Bürokratie verbösert ist. Auch das neue bürgerliche Gesetzbuch trägt den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen keine Rechnung. Die Eheschließung, die Ehescheidung, die Stellung der Frau im Güterrecht, die rechtliche Stellung der Mutter zu ihren Kindern, alle die Bestimmungen darüber sind zugeschnitten nach dem Grundsatze: Er soll dein Herr sein! (Heiterkeit.) Dieser Standpunkt verträgt sich nicht mehr mit unseren heutigen wirtschaftlichen Zuständen, in denen Hunderttausende von Frauen ihr eigenes Brot essen. Was die Ausdehnung der Frauenarbeit betrifft, so will ich nur an die Tatsache erinnern, die ich den Berichten der Fabrikinspektoren für 1893 entnehme. Hiernach hat sich die Zahl der in der Großindustrie beschäftigten erwachsenen Frauen um 40.187 vermehrt. Tausende von Frauen sind außerdem in der Hausindustrie, im Kleingewerbe, im Handel tätig. Die Loslösung der Frau von der Familie vollzieht sich im immer größeren Umfange, und deshalb muss die Frau auch in privatrechtlicher Beziehung von der Vormundschaft des Mannes losgelöst werden. Eine Reihe von Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuchs, die sich auf die Stellung der Frau im Güterrecht beziehen, sind für die Proletarierin praktisch von geringer Bedeutung, weil sie nichts besitzt. Daher ist denn auch beim Proletariat die Gefahr für die Frau nicht so groß, dass der Mann ihr Hunderte und Tausende verhammersteinern kann (Beifall und Heiterkeit), beim Proletariat besteht eine andere Gefahr, die Gefahr, dass das Elend den Mann dem Schnapsteufel überliefert, und darunter hat die Frau zu leiden. Deshalb müssen wir auch bei der rechtlichen Regelung der Besitzverhältnisse für die Proletarierfrau eintreten. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist nicht eine spezifisch sozialdemokratische Forderung, sondern nur eine Konsequenz aus dem bürgerlichen Liberalismus, der sich aus Furcht vor dem klassenbewussten Proletariat in Deutschland besonders reaktionär gegenüber der so genannten Frauenfrage verhält. Während in anderen Ländern Vertreter der verschiedenen Parteien für die Gleichberechtigung der Geschlechter eintreten, ist in Deutschland diese von unserer feigen Bourgeoisie nicht gelöste Aufgabe ebenfalls dem Proletariat zugefallen. Dazu werden wir schon aus eigenem Interesse getrieben, denn die Gleichstellung der Frau auf privatrechtliche Gebiete ist der erste Schritt zur Gleichstellung auf öffentlichem Gebiete. Sind erst die Fesseln in dieser Beziehung gelöst, so ist die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts nur noch eine Frage der Zeit. Dann wird die Frau widerstandsfähiger sein im Kampf gegen die kapitalistische Raubgier, die Kampftüchtigkeit der Arbeiterin wird erhöht.

Was den zweiten Antrag betrifft, so kommt auch in der Stellung der unehelichen Kinder sehr deutlich der Charakter der Klassengesetzgebung zum Ausdruck. In der Bestimmung, dass die Unterhaltspflicht nach den Vermögensverhältnissen der Mutter und nicht denen des Vaters geregelt wird, haben wir eine Begünstigung der reichen Wüstlinge, die gelegentlich geruhen, zum Volke herunterzusteigen, wenn das Volk rote Wangen, hübsche Augen hat und schön gewachsen ist. (Sehr gut!) Darunter leiden dann am meisten die Töchter des Proletariats, nicht etwa, weil sie die Geliebten der Männer geworden sind, sondern weil sie sich den Unterdrückern und Verführern haben preisgeben müssen. Wie viel Elend entsteht aus diesen Verhältnissen! Man braucht nur an die vielen Kindesmorde zu denken. Denken sie ferner an die hohe Sterblichkeit der außerehelichen Kinder, an die Engelmacherei usw.! Wie sehr unter diesen Zuständen gerade die Proletarierfrau leidet, zeigt unter anderem die Tatsache, dass oft die gefallenen Dienstmädchen, an denen oft der Herr oder der Sohn des Hauses das Recht der ersten Nacht geübt hat, in das Lumpenproletariat gestürzt und der Prostitution überliefert werden. Wenn es nun auch selbstverständlich ist, dass die sozialdemokratische Reichstagsfraktion bei der Beratung des bürgerlichen Gesetzbuchs in dem Sinne für unsere Anträge eintritt, so ist es doch ein Unterschied, ob sie dies aus eigner Initiative tut oder in Folge des ausdrücklichen Willens der stärksten Partei des deutschen Reiches. Nehmen sie also, schon um der Reichstagsfraktion den nötigen Nachdruck zu verleihen, beide Anträge an! (Lebhafter Beifall)


1 „1. Die Reichstags-Fraktion wird beauftragt, bei den bevorstehenden Beratungen über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs mit aller Energie die Initiative zu ergreifen für die Beseitigung aller gesetzlichen Bestimmungen, welche die Frau dem Manne gegenüber benachteiligen.

2. Bei den bevorstehenden Beratungen über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs mit aller Energie eintreten für die Rechte der unverheirateten Frauen als Mütter sowie für die Rechte ihrer Kinder.”

Gerndt (Berlin), Zetkin (Stuttgart)

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