Clara Zetkin 19210400 Geleitwort

Clara Zetkin: Geleitwort

[„Die Kommunistische Fraueninternationale“, 1. Jahrgang, Heft 1, April 1921, S. 3-7]

Ein kommunistisches Frauenblatt mehr, angesichts der Tatsache, dass die kommunistische Frauenbewegung wohl bei allen der Dritten Internationale angeschlossenen Parteien über Frauenseiten und „Frauenbeilagen“ der Tagespresse, ja über ein selbständiges Organ verfügt! Wird mit der Kommunistischen Fraueninternationale nicht ein Organ geschaffen, das überflüssig ist und wie jedes überflüssige Organ die Tendenz in sich trägt, im Gesamtorganismus zersetzend, schädlich zu wirken?

Solche besorgte Frage kann nur von jemand aufgeworfen werden, der den Titel der vorliegenden Frauenzeitschrift nicht richtig gelesen oder nicht richtig bedacht hat. Denn dieser Titel schließt die sachliche Rechtfertigung des neuen Frauenorgans in sich. Es ist nicht das Organ der kommunistischen Frauenbewegung eines einzelnen Landes, es ist das internationale gemeinsame Organ der kommunistischen Frauenbewegung aller Länder. Und dieses gibt der „Kommunistischen Fraueninternationale" eine besondere Bedeutung: Sie ist zur Zeit das einzige internationale Frauenorgan, das die Probleme der so genannten Frauenfrage nicht vom brüchigen Boden der bürgerlichen Gesellschaftsauffassung und in frauenrechtlerischer Perspektive betrachtet, sondern das mit seiner Wertung der Dinge auf dem wetterharten Granit der sozialistischen, der kommunistischen Weltanschauung steht, den Blick unverwandt der Menschheitsbefreiung durch den Kommunismus zugewendet. Sie ist deshalb eine Schöpfung der revolutionären Arbeiterbewegung selbst und zwar ihres fortgeschrittensten, zielklarsten, wegsichersten und tatkräftigsten Teils: der Kommunistischen Internationale.

Seitdem die sozialistischen, die proletarischen Frauen der einzelnen Länder ihr Emanzipationsringen in reinlicher Scheidung von der bürgerlichen Frauenrechtelei national trennten und innerhalb der allgemeinen sozialistischen Arbeiterbewegung internationale Verbindungen untereinander knüpften, danach trachteten, in einheitlicher Front für ihre volle menschliche Befreiung zu arbeiten und zu kämpfen, empfanden sie dringend und dringender das Bedürfnis nach einem internationalen Organ. Gewiss, die international gerichtete und international verbreitete ‚Gleichheit‘, das Frauenorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, suchte die proletarische Frauenbewegung der einzelnen Länder auf einen gemeinsamen grundsätzlichen Boden zu stellen und ihre Kraft zu einheitlichern Zusammenwirken zu dem gleichen Ziel zusammenzuballen. Allein die Zeitschrift musste doch in der Hauptsache das Frauenblatt der deutschen Sozialdemokratie bleiben, sie konnte nur im "Nebenamt" internationales Organ sein, ein "Ersatzorgan".

Der Zweiten Internationale lag nichts ferner als der Gedanke, ein internationales Frauenorgan zu schaffen, selbst im bescheidensten Maßstab. Trotz ihres grundsätzlichen Bekenntnisse, zur Gleichberechtigung der Geschlechter wurde von ihr die proletarische Frauenbewegung im tiefsten Grunde mehr als eine unumgängliche Nebensächlichkeit, wenn nicht als unvermeidliches Übel geduldet, denn ihrer geschichtlichen Bedeutung gemäß geschätzt. Zu ihren Kongressen wurden die Vertreterinnen der Fraueninternationale zwar mehr oder minder wohlwollend zugelassen, hatten aber keinen Rechtsanspruch auf ihre Beteiligung daran. Die Fraueninternationale hatte keine Vertretung im Büro der Zweiten Internationale. Der Weltkrieg musste mit seinen Auswirkungen die Wirtschaft des Kapitalismus, die bürgerliche Gesellschaft in ihren Tiefen erschüttern und zerrütten; die Weltrevolution musste ihren gewaltigen Siegesmarsch über die Erde beginnen, mit ehernen Sandalen Morsches, Altes zertretend und mit segensschweren Händen Neues. Lebensverlangendes hervorlockend; mit Sowjetrusslands Räteordnung musste der erste Staat freier schaffender Arbeit errichtet werden; die Kommunistische Internationale musste sich unter dem geschichtlichen Geschehen im tosenden Kampfe gegen die bürgerlichen Todfeinde und in leidenschaftlichen, schmerzlichen Auseinandersetzungen mit einsichtslosen, erkenntnisschwachen und irregeleiteten Proletariern aus dem Chaos verratener Grundsätze und neuer Erkenntnisse emporringen, damit wenigstens von dieser revolutionären Vorhut und Kerntruppe der Arbeiterklasse die proletarische Frauenbewegung nach ihrer vollen Wichtigkeit gewertet wurde.

Als Organisation der Tat musste die Kommunistische Internationale zu einer gesteigerten Würdigung der Anteilnahme von Frauenmassen am revolutionären Kampf, am revolutionären Aufbau kommen. Als Organisation der Tat schöpfte sie Erkenntnis und Kraft sowohl aus den Lehren der Vergangenheit wie aus den Erfahrungen der Gegenwart namentlich dort, wo die Revolution zu Fleisch und Blut verkörpert am Werke ist, die Gesellschaft umzuwälzen, in Sowjetrussland. Dort erwies und erweist sich praktisch die ganze Tragweite der Wahrheit, die die Sozialisten aller Länder und Richtungen wohl plärren, aber nicht genügend achten, dass ohne die verständnisvolle, freudige, opferwillige Mitwirkung breiter Frauenmassen weder der Kapitalismus niedergerungen und ausgerottet, noch der Kommunismus verwirklicht werden kann. Sowjetrusslands Walten mit Schwert und Kelle konnte nur die nie dagewesene Höhe des Opfermuts und Heldentums und damit der siegreichen Behauptung erreichen, weil Frauenmassen ihren vollen Anteil daran nahmen. Zwingendes Notgebot rief die russischen Frauen auf alle Kampfespositionen, jedes Feld wirtschaftlicher und kultureller Betätigung. Sie dienten um so zahlreicher und hingebungsvoller der Revolution als sie dabei auf geringere Vorurteile stießen, als die Frauen irgend eines Landes. In Russland ist der Kampf Für die volle Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts wie die Revolution stets die große gemeinsame Sache von Männern und Frauen gewesen.

Unter der geschichtlich gegebenen Führung der Kommunistischen Partei Sowjetrusslands, das grandiose Beispiel dort vor Augen musste die Dritte Internationale tun, was die Zweite Internationale unterlassen hatte. Auf Grund eines einheitlichen, konsequent durchgeführten Organisationsplanes gliederte sie die Kommunistinnen national jeder einzelnen Kommunistischen Partei und zusammen mit ihr international sich selbst, dem großen revolutionären Kampforgan des Weltproletariats etc. National und international schweißt sie die Kommunistinnen die revolutionären Proletarierinnen mit ihren Klassen- und Bekenntnisgenossen als Gleichberechtigte, Gleichverpflichtete und Gleichgewertete fest zusammen. Gleichzeitig sichert sie der Kommunistischen Frauenbewegung national und international die Bewegungsfreiheit, die Organe, die Anwendung der Methoden und Mittel, kurz jene wichtigen Vorbedingungen. deren Erfüllung die Rücksicht auf die soziale und psychologische Gebundenheit des Weibes fordert, wenn entscheidende Frauenmassen Kampf und Schöpfungstage der Revolution teilen sollen. Die Kommunistische Internationale hat das Arbeitsfeld und die Rechte der ihr angeschlossenen Frauen nicht ängstlich und mit süßsäuerlicher Herrgottsmiene an der Kleinkrämerelle einer mechanischen Gleichheit abgemessen. Sie kennt nur einen Maßstab dafür: das geschichtliche Muss zum bewussten Willen geworden, aus den breitesten Frauenmassen jeder einzelnen Frau darin, die Höchstsumme geistiger und sittlicher Kräfte zu lösen und in revolutionärem Empfinden, Denken und Handeln als unwiderstehliche Macht des proletarischen Befreiungskampfes fruchtbar und schöpferisch werden zu lassen, national und international. Von diesem Willen beseelt, hat die Kommunistische Internationale den proletarischen, den revolutionären Frauen ihr erstes internationales Frauenorgan geschaffen, ein notwendiges Organ, von den Kämpferinnen für eine höhere Gesellschaftsordnung seit langem heiß begehrt.

Das Programm des internationalen Frauenorgans ? Es ist in seinem Namen gegeben: „Die Kommunistische Fraueninternationale“. Er soll hinaus klingen ans Ohr, in das Herz der Frauen eine schmetternde, herausfordernde Fanfare zur weltgeschichtlichen Schlacht zwischen Mensch und Besitz, zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern, zu jener letzten großen Schlacht um Vollmenschentum von Weib und Mann, in der ein Hüben und Drüben nur gilt. Mit freudigem Stolz bekennt sich die Zeitschrift zum Kommunismus, zu den Grundsätzen, der Taktik der Dritten Internationale. Sie müssen maßgebend für die Arbeit, den Kampf der Kommunistinnen aller Länder sein, deren Willen es international auf das eine, gleiche erhabene Ziel zu richten gilt. Die „Kommunistische Fraueninternationale“ soll die organisatorisch miteinander verbundenen Genossinnen geistig immer fester zusammenschließen, ihre Erkenntnis zu einer gewaltigen Flamme zusammenlohen machen, ihr Handeln zu einer starken, unbezwinglichen Macht zusammenschmieden.

Die Zeitschrift wird zu diesem Behufe eine Stätte des Austausches, der Anregungen und Erfahrungen der Kommunistinnen aller Länder sein, eines wechselseitigen Lernen, aus der Praxis, wie es durch Berichte vermittelt wird über die kommunistische Frauenbewegung, das Weben und Wirken der Genossinnen bei den unentbehrlichen, unscheinbaren Alltagsarbeit, wie in dem großen heroischen Kampf zur Überwindung des Kapitalismus. Und sie wird über die Grenzen unserer eigenen Bewegung hinausgreifen müssen. Auch die Entwicklung der nichtkommunistischen proletarischen Frauenbewegung, ja auch der bürgerlichen Frauenbewegung fällt in den Kreis ihrer Betrachtung. Vergessen wir nicht, dass die ungeheure Mehrzahl der Proletarierinnen — von Russlands Frauen abgesehen — den Weg zum erlösenden Kommunismus noch nicht gefunden haben, dass sie den revolutionären Kampf dafür scheuen, ja ihm fluchen; dass das Nämliche von Millionen bürgerlicher Frauen gilt, deren Existenz der Weltkrieg mit seinen Folgen entwurzelt hat, und denen die bürgerliche Gesellschaft weder gesicherten Lebensunterhalt noch befriedigenden, kulturwürdigen Lebensinhalt zu bieten vermag. Die Einen wie die Andern lassen sich noch zu Millionen von den tanzenden Irrwischen mehrheitssozialdemokratischer, unabhängiger und bürgerlicher Auffassungen und Losungen narren. Wir müssen diesen Auffassungen und Losungen die Frauenseele entreißen. Das vermögen wir nur mit Erfolg zu tun, wenn wir die Gegner, ihre Stärke, ihre Kampfeswaffen und Kampfesmethoden kennen.

Die Kommunistische Fraueninternationale hat eine weitere wichtige Aufgabe zu erfüllen. Sie ist das Organ für die Erforschung, Durchleuchtung und Klärung der vielgestaltigen Fragen und Erscheinungen. die das Frauenleben besonders berühren. Diese Übergangszeit, wo eine alte verfallende und eine junge sich emporhebende Gesellschaftswelt miteinander ringen. lässt geradezu täglich solche Fragen und Erscheinungen erstehen. Im stürmischen Wirbel treiben Tatsachen, Erkenntnisse an uns vorüber. Gesellschaftliche Zustände, die gestern noch gleich eisernen Ketten die Lebensentfaltung und Lebensbetätigung des Weibes zu fesseln schienen, zerstieben heute wie mürber Zunder. Groß, nackt, gebieterisch heischend richten sich in den Frauenmassen Sehnsüchte, Wünsche, Willen, Bedürfnisse auf, die bisher klein, schüchtern, versteckt, kaum leise atmend unter der Schwelle des Bewusstseins lagen Die sich umwälzenden sozialen Verhältnisse revolutionieren die Psyche der Frau., und die revolutionierte Psyche der Frau fordert Gesellschaftszustände, die auch ihr nährenden Boden, frische Luft. wärmende Sonne gewähren nach ihren eigenen Massen zu wachsen, zu werden und zu wirken. Auf allen Gebieten beginnt die Frau das Recht ihres lebendigen Seins gegen die Macht der überkommenen, abgestorbenen oder absterbenden gesellschaftlichen Formen und Bedingungen zu stellen. Die "Kommunistische Fraueninternationale“ muss die damit auftauchenden Fragen von der sicheren Ausblickwarte des historischen Materialismus aus verfolgen und zu beantworten suchen. Denn es ist Pflicht der Genossinnen in allen Ländern mit geklärter Erkenntnis und zielgewissem Willen die kleinen, schwachen Rinnsale neuen, revolutionierten Lebens der Frauen in den machtvollen Strom der proletarischen Weltrevolution zu leiten.

Im Zusammenhang mit den kurz umrissenen Aufgaben wird die neue Zeitschrift aus allen Ländern Material sammeln, das für die theoretische Einsicht wie die praktische Betätigung von Nutzen ist. Muss noch gesagt werden, dass die Beiträge aus Sowjetrussland und über den einzigen Proletarierstaat besondere Bedeutung haben? Die Revolution hat Russland zu einer Fundgrube von Erkenntnissen für den sozialen und menschlichen Aufstieg der Frau werden lassen. In allen Ländern lauschen die Genossinnen mit leidenschaftlichem Interesse auf jede Nachricht aus dem Reiche der siegreichen Revolution. Es liegt ferner in der Natur der Dinge, dass die Genossinnen bald des einen bald des anderen Landes Bekanntes und Verwertetes finden werden Das lässt sich bei internationaler Vermittlung von Berichten und Material nicht vermeiden. Unsere Leserinnen müssen sich damit in Hinblick auf den internationalen Charakter dieses Organs abfinden. Das Unvermeidliche wird auf ein Mindestmass zusammenschrumpfen, je reger die Genossinnen aller Länder an der „Kommunistischen Fraueninternationale“ mitarbeiten, je rascher ihre Berichterstattung erfolgt, je eifriger und verständnisvoller ihre Materialsammlung ist. Die „Kommunistische Fraueninternationale“ kann nie sein, was sie sein muss, wenn nur das Werk, die Arbeit der Herausgeberin allein ist. Für die Erfüllung ihrer Aufgaben ist unerlässlich, dass sie zum gemeinsamen Werk von Kommunistinnen aller Länder wird, die das helle Flammen ihres Geistes, die heiße Glut ihres Herzens, die starke Kraft ihres Willens auf ihr internationales Organ übertragen. Nur so wird die „Kommunistische Fraueninternationale“ die echte Schöpfung der Weltrevolution sein und ihre kraftstrotzende Kämpferin. Nur so kann es emporreißend international aus ihren Seiten klingen: Alles durch die Revolution! Alles für die Revolution!

Clara Zetkin.

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