Clara Zetkin 19020914 Schlusswort zur zweiten Frauenkonferenz

Clara Zetkin: Schlusswort zur zweiten Frauenkonferenz

(14. September 1902, Redebeitrag auf der Frauenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in München)

[Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu München vom 14. bis 20. September 1902. Mit einem Anhang: ”Bericht über die 2. Frauenkonferenz am 13. und 14. September in München”, Berlin 1902, S. 307f..]

Wir sind am Schlusse unserer Beratungen angekommen. Unsere Arbeit kann nicht gemessen werden an der Arbeitsleistung der großen deutschen Parteitage. Unsere proletarische Frauenbewegung ist noch jung und muss durch Erfahrung lernen. So muss auch betreffs der Organisierung und der Vorbereitung der Frauenkonferenzen noch Manches besser werden. Aber die hervorgetretenen Fehler gehören zu denen, von den Auer einmal sagte: sie seien dazu da, um gemacht zu werden. (Heiterkeit.) Die praktische Erfahrung birgt die zukünftige Besserung in sich. Wir können mit den Ergebnissen der Münchener Konferenz zufrieden sein. Unsere Verhandlungen über die Heranbildung von Agitatorinnen und über die praktische Reformarbeit werden von Bedeutung sein für die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung. Es ist der Vorwurf erhoben worden, dass die Genossinnen nicht genügend auf diese Debatten vorbereitet gewesen seien. Dieser Vorwurf muss zurückgewiesen werden. Allerdings haben nicht alle Genossinnen ihre Rede damit eingeleitet, dass sie auf Grund eingehender Studien sprächen. Trotzdem haben alle Genossinnen mit großer Sachkenntnis gesprochen, die ihrer praktischen Reformtätigkeit entsprang. Sie mussten sich ja kurz fassen wegen der Knappheit der Zeit und konnten es tun, weil es sich nur um innerhalb der Arbeiterbewegung schon seit langem diskutierte Fragen handelte. Wir mussten Stellung nehmen zu den Fragen, die durch die politische Situation in den Vordergrund des nächsten praktischen Tageskampfes geschoben sind. Diese Stellungnahme war besonders notwendig angesichts des Getues und Gehabes der bürgerlichen Sozialreformer. Die Frauenkonferenz musste bekräftigen, dass sie nicht die Ansicht jener bürgerlichen Auchsozialreformer teilt, die mit gleicher Inbrunst dem reaktionären Reichsamt des Innern, das sich mit 12.000 Mark subventionieren ließ, zugetan sind und nebenbei manchmal auch wenig den Bruder Arbeiter oder die Schwester Arbeiterin an ihr professorales Herz zu drücken geruhen. Wir mussten Stellung nehmen gegenüber jene Sozialreformern, die ihr soziales Herz erst dann entdecken, wenn sie in Folge des Waltens jener Schicksalsschläge, die in Herrn von Lukanus verkörpert sind, ihr Ministerportefeuille verloren haben. (Heiterkeit und Beifall.) Wir haben uns begnügt mit der Forderung solcher Reformen, die geeignet sind, das Proletariat geistig, sittlich und wirtschaftlich im Klassenkampfe zu kräftigen. Wir haben uns nicht auf solche Reformforderungen eingelassen, die aus der utopistischen Auffassung hervorgehen, als könne man in den Klassenstaat der Gegenwart ein kleines Stückchen des sozialistischen Zukunftsstaates einschmuggeln. Unsere Konferenz hat damit bewiesen, dass sie Fleisch vom Fleische der gesamten deutschen Sozialdemokratie ist. In der proletarischen Frauenbewegung ist der Odem des proletarischen Befreiungskampfes lebendig. Wir dürfen die stolze Überzeugung hegen, dass heute am Webstuhl der Zeit nicht nur tätig sind jene objektiv wirkenden Kräfte, die die Vorbedingungen schaffen für die Befreiung alles Lebendigen, sondern auch jene geistigen lebendigen Kräfte, die eines Tages befähigt sind, die heutige Gesellschaftsordnung abzulösen und zu ersetzen durch eine Gesellschaft der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für alle. In der Zuversicht, die uns diese Überzeugung gibt, wollen wir Alle gestärkt und gekräftigt mit neuem Mut, mit frischer Begeisterung an die Arbeit gehen, die uns in der Zukunft erwartet. Das bekunden wir aufs Neue durch den Ruf: die proletarische Frauenbewegung, die nur ein Teil der allgemeinen sozialistischen Bewegung ist, die sozialdemokratische, internationale, revolutionäre Bewegung, sie lebe hoch! (Die Anwesenden stimmen dreimal begeistert in den Ruf ein und nehmen die Ausführungen der Rednerin mit stürmisch anhaltendem Beifall auf.)

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