Clara Zetkin 18961209 Zur Antwort

Clara Zetkin: Zur Antwort

(Dezember 1896)

[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, Stuttgart. Nr. 25, 9. 12. 1896, S. 198-200]

Frau Henriette Fürth zog aus mit Stangen, um den von mir vertretenen Standpunkt in der Frauenfrage zu vernichten. Dabei ist ihr das Pech widerfahren, dass keiner ihrer Möchtegern-Streiche diesen Standpunkt auch nur berührt. Wer ihre Ausführungen liest, der muss wähnen, ich hätte meine Verwahrung gegen eine Harmonieduselei zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung begründet: mit einem Lobgesang auf die „Fülle frischer Tatkraft und ungebrochenem Idealismus” und andere treffliche Eigenschaften mehr der „zielbewussten Proletarierin”; mit einer Aufzählung der „positiven Leistungen” der proletarischen Frauenbewegung; mit einem Register der Nichttaten der bürgerlichen Frauenrechtelei. Wie fern mir eine solche Argumentation lag, beweist mein Referat.

Den grundsätzlichen Charakter der proletarischen und der bürgerlichen Frauenbewegung, die Stellung der einen zur andern leitete ich ab aus einer Summe von wirtschaftlichen und sozialen Tatsachen, denen der Klassengegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie zu Gunde liegt. Von diesem Klassengegensatz ausgehend — einer sehr realen geschichtlichen Größe und nicht dem X der Empfindungen, Ansichten und Wünsche einzelner Personen — zeigte ich die Verschiedenheit der Klassenlage der bürgerlichen und der proletarischen Frauen auf. Ich wies nach, dass diese Klassenlage bei den einen und den anderen im Kampfe für ihre Befreiung verschiedene Ziele setzt, dass sie für die Proletarierin den Kampf für die Gleichberechtigung ihres Geschlechts in die zweite Linie schiebt, und das Ringen für die Befreiung ihrer Klasse in den Vordergrund rückt. Aus dem Vorhandensein des Klassengegensatzes, seiner wirtschaftlichen und sozialen Folgeerscheinungen zog ich den Schluss, dass die Frauen der ausgebeuteten Masse für ihr Befreiungsringen zur Beseitigung der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht auf die Unterstützung der bürgerlichen Frauen als Klasse rechnen können. Und wenn ich bezüglich der Reformen, in welchen bürgerliche und proletarische Frauenbewegung sich berühren, im allgemeinen ein Vereintmarschieren ablehne, so weil ich — immer vom Standpunkte des Klassengegensatzes und Klassenkampfes aus — fand, dass das grundsätzlich und hautsächlich Trennende über praktisch und nebensächlich Gemeinsame überwiegt.

Wie man sieht, steht und fällt mein Standpunkt in der Frauenfrage mit meiner Auffassung von der geschichtlichen Rolle der Klassengegensätze und des Klassenkampfes. Wollte Frau Henriette Fürth das Unberechtigte desselben beweisen, so musste sie eins tun: die Prämissen umstoßen, auf denen meine Schlussfolgerungen sich aufbauten. Sie musste den Beweis erbringen, dass in der Frauenwelt der Klassengegensatz weniger ausschlaggebend ist als die Geschlechtslage. Sie musste dartun, dass die bürgerlichen Frauen dem Einfluss ihrer Klassenlage entzogen, unberührt von ihm, als verkörperte Genien der sozialen Gerechtigkeit über den „engen Schranken des Klassenstandpunktes und der Klasseninteressen” schweben und von den Höhen ihres ungebrochenen „Idealismus” aus mit „einer Fülle frischer Tatkraft” Schulter an Schulter mit den proletarischen Frauen den Kampf führen für die Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaft, d.h. gegen ihre eigenen Ausbeutungs- und Herrschaftsprivilegien und die ihrer männlichen Anverwandten. Sie musste den Nachweis liefern, dass ein Handinhandgehen zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung behufs Erringung bestimmter Reformen für das Proletariat praktisch möglich und ersprießlich ist, * weil die bürgerliche Frauenbewegung mit Hintansetzung der bürgerlichen Klasseninteressen: 1. Diese Reform genau wie die Sozialdemokratie als Mittel zum Zweck fordert, die Arbeiterklasse wehrtüchtiger und „begehrlicher” zu machen in ihrem Befreiungskampf gegen die bürgerliche Gesellschaft; 2. Genau für das gleiche Maß von Reformen eintritt, welches der zielbewusste Teil des Proletariats verlangt. Frau Henriette Fürth hat diese Kernfragen nicht einmal gestreift. Der ihr missfallenden sozialdemokratischen Auffassung stellt sie dreierlei entgegen. Das sittlich-entrüstete Jammergetön einer zarten Seele über die bösen misstrauischen proletarischen Frauen, welche in zwanzig Jahren nicht genug lernen, um jede sich Sozialdemokratin nennende Bourgeoisdame mit Zimbeln und Posaunen zu empfangen, und welche deren eventuell unklare und unfertige Anschauung meist sehr richtig aus dem sozialen Milieu erklären, aus welchem sie sich entwickelte. Eine Leporelloliste der Sünden der nichts lernenden „zielbewussten Proletarierin” und der nichts leistenden proletarischen Frauenbewegung; ein Hohelied auf die bürgerliche Frau, die „dazu getan hat” und auf die viel leistende bürgerliche Frauenbewegung. Wären die zu diesen Kapiteln gemachten Ausführungen der Frau Fürth so zutreffend als sie irrig oder übertrieben sind, was wäre damit bewiesen? Dass die proletarischen Frauen die und jene Frau Fürth unsympathische Eigenschaft besitzen. Dass die „zielbewussten Proletarierinnen” lernen müssen und dass die proletarische Frauenbewegung energischer als bis jetzt an der Erfüllung ihrer Aufgaben zu arbeiten hat. ** Dass die bürgerlichen Frauen Muster von Bildungsdrang, Tätigkeit und Idealismus sind und dass die bürgerliche Frauenbewegung etwas besser ist — als wie sie im Spiegel ihrer Geschichte erscheint. Aber durch all‘ das wäre meine prinzipielle Auffassung der Frauenfrage in nichts erschüttert. Sie müsste die nämliche bleiben, so lange das Vorhandensein des Klassengegensatzes und der von ihm in Deutschland gezeitigten Begleiterscheinungen innerhalb der Frauenwelt nicht wegbewiesen worden ist. Frau H. Fürths Art und Weise der Polemik erinnert an das Verfahren eines Mannes, der einen Baum fällen will und die Arbeit des Ausrodens damit beginnt, dass er eifrigst aus einem Pusterohr auf einzelne Blätter schießt. Frau Fürth, welche so freigiebig mit dem Vorwurf des Nicht-gelernt-Habens um sich wirft, sollte mindestens eins lernen, ehe sie wieder auf dem Kriegspfad wandelt: das Wesentliche von dem Unwesentlichen zu unterscheiden. Ihre Kritik erhebt sich in nichts über das Niveau seichten Weibergeredes und ermangelt der Beweiskraft gegenüber dem, was sie bekämpfen und dem was sie befürworten will.

Aber Frau Fürth beschränkt sich nicht darauf, munter in Nebensächlichem zu plätschern. Eingestreut zwischen ihrem ausgiebigem Lob und ihrem ausgiebigem Tadel sind einige wenige Sätze, aus denen ihre grundsätzliche Auffassung erhellt. Frau Fürth brandmarkt als den Ausdruck des „Nicht-gelernt-Habens” den Standpunkt, „die Befreiung der Proletarierin kann nur das Werk des gesamten Proletariats sein”. Sie ist vielmehr der Überzeugung, „Es ist nicht einzusehen, warum der Sozialismus such gegen alle Klassen durchsetzen, warum er nicht versuchen soll, alle Klassen zu erobern, zu durchdringen, über sie emporzusteigen!” Sie fordert in der Folge, dass die proletarische Frauenbewegung sich ihres „revolutionären” Charakters entäußere und durch „Selbst- und Massenerziehung” … „über die engen Schranken des Klassenstandpunkts und des Klasseninteresses hinwegkomme”. Aus diesen Sätzen lächeln mir alte vertraute Bekannte zu: Die „Liebessabbeleien” der „Wahren Sozialisten”, der vierziger Jahre, welche Marx mit so grausamer Ironie verspottete, und welche heute von den „Auch-Sozialisten”, den Ethikern und andren bürgerlichen Ideologen in etwas modernisierter Form aufgenommen worden sind. Ihnen liegt die Auffassung zu Grunde, dass nicht der Klassenkampf die sozialistische Gesellschaft herbeiführt, sondern das Attentat auf die Tränendrüsen der Besitzenden, der Appell an deren Einsicht, Gerechtigkeitsgefühl und andre schöne Eigenschaften, welche wohl die Haltung einzelner Personen bestimmen, aber allein nicht für die Haltung ganzer Klassen ausschlaggebend sind. Die Geschichte beweist das. Diese Auffassung steht im Gegensatz zu dem sozialdemokratischen Programm, das auf dem Prinzip des Klassenkampfs fußt. Wenn Frau Fürth die sozialdemokratische Auffassung in einer so fundamentalen Frage über Bord wirft, um die bürgerliche Ideologie dafür einzutauschen, so hat sie sicher ihre geschichtlichen Gründe dafür. Sie gehört ja zu den Frauen, „die dazu getan haben”. Allerdings motiviert sie ihren Standpunkt nur in vier — sage und schreibe vier — Worten, aber diese sind dafür umso inhaltsreicher: sie reden ganze Bände. Niemand frage wovon. Man höre und staune: „Es ist nicht einzusehen.” Ich gestehe, dies Argument gegen den „engherzigen” Klassenstandpunkt war für mich von verblüffender Wirkung. Ich gebe gern zu, das es eins für sich hat, sogar sehr viel: die Bequemlichkeit. Wie leicht konnte ich mir „nach berühmten Mustern” meine Antwort machen: „Es ist nicht einzusehen, dass Frau Fürth nicht einsieht etc. etc.” Punktum. Dese Art zu begründen ist sicher so vorzüglich, dass sie Schule zu machen verdient. Mit ihr kann man alles beweisen und obendrein noch mit „Fixigkeit”. Ich exempliziere: „Schwarz ist nicht schwarz sondern weiß, denn es ist nicht einzusehen, warum schwarz nicht weiß sein soll.” Ich finde es ja menschlich sehr begreiflich, dass in Frau Fürths Augen die Wucht des Arguments vom Nichteinsehen alle geschichtlichen Gründe für den Standpunkt des Klassenkampfs siegreich zu Boden schlägt. Aber sie darf es wirklich niemand übel nehmen, wenn er bezüglich der geforderten Gründe etwas — anspruchsvoller ist.

Die Geschichte zeigt, das jede sozial beherrschte Klasse ihre Befreiung gegen den Willen, weil gegen die Interessen der herrschenden Klassen erkämpfen musste. Die sozialistische Gesellschaftsordnung bedeutet die Befreiung des Proletariats, die nur möglich ist durch die Beseitigung der Klassenherrschaft und des Ausbeutungsrechts der Kapitalisten. Die Verwirklichung der sozialistischen Ziele steht mithin im Gegensatz zu den nächstliegenden Interessen der Kapitalisten und vollzieht sich im Gegensatz zu ihrem Willen. Ehe der Sozialismus über diese Klassen „emporsteigen” kann, muss sie das Proletariat durch die Enteignung von der politischen Macht und von dem Besitz der großen Produktionsmittel unterworfen haben. Und dass die Kapitalistenklasse sich nicht freiwillig ihrer politischen und wirtschaftlichen Herrschaftsstellung entäußert, dafür liefert die Gegenwart Beweis an Beweis. Die Wahlentrechtung des Volks in Sachsen und anderwärts, die erzreaktionäre Haltung der Reichstagsmajorität allen politischen und wirtschaftlichen Reformforderungen gegenüber: illustrieren recht herzerquickend die erfolgreichen Versuche der Ethiker, „Auch-Sozialisten” und anderer, freundlicher, persönlich sehr achtungswerter Leute, die Kapitalistenklassen auch nur mit einem Tröpfchen sozialistischen Öls zu „durchdringen”. Soweit Fortschritte vorliegen, kommen sie mittelbar oder unmittelbar auf Rechnung des proletarischen Klassenkampfs. Doch Frau Henriette Fürth kann sich ja, von ihrer Überzeugung getrieben, an dem Versuch ergötzen, die Welt der Kapitalisten für den Sozialismus zu „erobern”. An dem Tage, wo wir im deutschen Parlament eine Neuauflage der Nacht des 4. August 1789 erleben, wo die Herren Stumm, v. Mirbach und Konsorten als Vertreter und im Auftrage ihrer Klassen die Vergesellschaftung aller großen Produktionsmittel beantragen — doch ich will bescheidener sein: nur die Einführung des Achtstundentags, die Sicherung der Koalitionsfreiheit und die Änderung des Wahlrechts — an dem Tage schwöre ich meinen Irrtum feierlich zu den Füßen der Frau Fürth ab.

Geht aber die Auffassung vom Klassenkampf etwa dahin, dass der Sozialismus sich gegen alle nichtproletarischen Klassen durchsetzen müsse? Mit Nichten. Das Proletariat rechnet vielmehr auf den Mitkampf der Kleinbürger, Handwerker, Kleinbauern, kurz aller Gesellschaftsklassen, deren wirtschaftliche und soziale Interessen in Gegensatz zu den Interessen der Kapitalistenklasse geraten. Aber nicht in dem Maße, als es selbst sich der rückständigen Auffassung dieser Klasse anpasst, sondern in dem Umfange, als diese Klassen nach und nach zum klaren Erfassen des sozialistischen Standpunktes sich durcharbeiten. Und dass einzelne Elemente aller Klassen — die der Hochbourgeoisie nicht ausgeschlossen — für den Sozialismus gewonnen werden können, das hat noch nie ein Sozialist bestritten. Was ich bestreite ist nur, dass der Einfluss dieser Elemente ihre Klasse je so weit „durchdringt”, dass der Sozialismus über sie „emporsteigt”. Aber um diese Elemente zu gewinnen, haben die Sozialisten nicht nötig, Kompromisswasser in ihren „revolutionären” Wein zu schütten. Paart sich ihr „ungebrochener Idealismus” mit dem klaren Erfassen „der allgemeinen Zusammenhänge und Entwicklungen”, ferner mit der „Fülle frischer Tatkraft”, welche einen offenen Bruch mit der bürgerlichen Welt und seine Folgen, den Aufbau einer neuen Existenz inklusive, kurz, welche die Opfer nicht scheuen lässt: so kommen diese Elemente zur Sozialdemokratie, auch wenn sie „revolutionär zum ersten, revolutionär zum zweiten und revolutionär zum dritten Mal” ist. Ich habe Frau Braun-Gizycki genannt. Leute, bei denen die eine oder andere Voraussetzung mangelt, oder für welche besondere Verhältnisse vorliegen, welche das Nichtziehen der letzen Konsequenzen begreiflich machen, bleiben als sozialistenfreundliche Eingänger in der bürgerlichen Welt, entwickeln sich zu „Auch- und Salonsozialisten”, zu Sozialreformern, treten der „Gesellschaft für Ethische Kultur” bei oder den National-Sozialen. Und wie die Zahl dieser Elemente mit der Zersetzung der bürgerlichen Welt wächst, so schlagen sie ihrerseits zur Beschleunigung dieser Zersetzung bei. So entschieden ich es zurückweise, dass die sozialdemokratische Bewegung ihnen Einfluss zu gewähren, auf sie Rücksicht zu nehmen hat: so aufrichtig freue ich mich über die Rolle, welche sie als Zersetzungsbazillen in der kapitalistischen Gesellschaft spielen. Was ich im Allgemeinen gesagt, gilt auch für die Beurteilung der bürgerlichen Frauen, welche wohl Mitgefühl mit dem leidenden, aber kein Verständnis für das kämpfende Proletariat haben. Als Freunde sozialistischer Auffassung in der bürgerlichen Welt sind sie mir angenehm, als Verbündete im Kampfe danke ich für sie. Ich bin deshalb auch nicht so „töricht”, wie mir Frau Fürth unterstellt, „von einer bloßen Duldung bürgerlichen Frauenrechtelei” nichts wissen zu wollen. Es fragt sich nur wo, Frau Fürth! Innerhalb der Sozialdemokratie allerdings nicht, weil da die bloße Frauenrechtelei das Klassenbewusstsein der Proletarierinnen trübt und für die sozialistische Arbeiterbewegung Quertreibereien, also Kräftezersplitterung zeitigt. In der bürgerlichen Welt sehe ich die Frauenrechtelei mit Vergnügen. Und wenn ich den deutschen Frauenrechtlerinnen einen Vorwurf mache, so ist es gerade der, nicht bestimmt und nachdrücklich genug für die Ziele einer ernsten Frauenrechtsbewegung einzutreten.

Ungemein charakteristisch für Frau Fürths Standpunkt und ihren Gegensatz zu der sozialdemokratischen Auffassung ist die Aufgabe, welche sie der proletarischen Frauenbewegung zuweist. Nach ihr soll diese „durch Selbst- und Massenerziehung sich Mühe geben, über die engen Schranken des Klassenstandpunkts und des Klasseninteresses hinauszukommen.” Die Sozialdemokratie hat es bis jetzt als ihre vornehmste Aufgabe betrachtet — und damit als solche auch für die proletarische Frauenbewegung — die werktätige Masse gerade zum Bewusstsein des Klassenstandpunkts zu wecken und zum Eintreten für das Klasseninteresse zu erziehen. Das mag Frau Fürth „eng” und „beschränkt” erscheinen, jedenfalls ist es unvermeidlich und notwendig angesichts der gegebenen geschichtlichen Verhältnisse, unter denen das Proletariat in einer Gesellschaft der Klassengegensätze leidet und kämpft. Die Sozialdemokratie ist kein Verein von Menschheits-Schulmeistern, welche an der Masse ihre Pädagogik erproben, vielmehr eine Partei von politischen Kämpfern, welche „Geschichte macht”.

Frau Fürth zählt sich mit offenbar richtiger Selbsteinschätzung zu den „Kennern der Verhältnisse”. Aber jedenfalls waren ihre Gedanken von dem Amt des „Von-vornherein-Voraussagens” derart hypnotisiert, dass sie des Rückblicks auf die Vergangenheit vergaß. Aus der Geschichte der proletarischen und der bürgerlichen Frauenbewegung hätte sie etwas anderes geschöpft als bloß Tadel für die eine und bloß Lob für die zweite. Ich lasse Beides auf sich beruhen, da ich an dieser Stelle die proletarische Frauenbewegung nicht loben wollte, die bürgerliche aber oft charakterisiert habe. Aber zu einem Vers des Fürthschen Hohenliedes auf die Frauenrechtelei muss ich doch eine etwas andere Melodie geigen. Frau Fürth behauptet: Arbeiterinnenschutz und volle politische Gleichberechtigung seien nachdrücklich von den Frauenrechtlerinnen — wenigstens von deren „radikalen” Flügel — vertretene Programmforderungen. Bis jetzt hat noch kein bürgerlicher Frauentag diese Programmforderungen formuliert, keine frauenrechtlerische Aktion sie vertreten. Der Berliner Kongress hat bekanntlich keine Beschlüsse gefasst, nur persönliche Meinungen gehört. Die betreffenden Programmforderungen sind also zur Zeit noch unformuliert, unbeschlossen und unvertreten. Frau Fürth liebt artigen Scherz: sie serviert mir ein Omelette von — ungelegten Eiern. Dass die Frauenrechtlerinnen erst für die Anstellung von Fabrikinspektorinnen eintraten, nachdem die proletarische Frauenbewegung zehn Jahre lang dafür gekämpft, ist Frau Fürth doch sicher bekannt.

Ich fühle mich nicht bemüßigt, Frau Fürths Behauptung zurückzuweisen, ich habe in zwanzig Jahren nichts gelernt. Aber unmöglich kann ich ihr Lob auf mir sitzen lassen, dass ich in einer Beziehung doch etwas gelernt, nämlich: „die Familie zu schätzen”. Ich hätte Frau Fürth gern gegönnt, dass in ihrem Himmel mehr Freude gewesen, über mich einen bekehrten „revolutionären” Sünder als über neunundneunzig frauenrechtlerische und ethische Gerechte. Aber es ginge auf Kosten der Wahrheit. Vor allem muss ich jedoch ihren Irrtum berichtigen. Nie bin ich in meinen „zahlreichen” (?) früheren Schriften, wie mir Frau Fürth unterstellt, für die Vernichtung und Ausrottung der Familie als einer überlebten Institution eingetreten. Dagegen habe ich dargelegt: 1. dass die wirtschaftliche und geschichtliche Entwicklung die gegenwärtige bürgerliche Form der Familie zersetzt und eine andere Form der Familie zeitigt; 2. dass dieses geschichtliche Vergehen und Werden nicht zu beheulmeiern, sondern zu begrüßen ist, denn es setzt an die Stelle der Familie als wirtschaftliche Einheit die Familie als sittliche Einheit. Auf diesem Standpunkt stehe ich noch jetzt. Wenn Frau Fürth aus meiner Würdigung der Leistungen der Gattin und Mutter schließt, dass die bürgerliche Familie mir schätzenswert und „tabu” geworden, so müsste sie auch aus meiner Anerkennung der Leistungen der Sozialdemokratie in der bürgerlichen Gesellschaft schließen, dass ich diese für die besten aller Welten halte. Nach wie vor verabscheue und verachte ich die bürgerliche Familie der Gegenwart, die in neunzig von hundert Fällen von Schadchen aus Profession oder aus Neigung zusammengemogelt wird; in der Brutalität und Heuchelei herrschen; in welcher die Gatten einander aus Gewohnheit „ehelich genießen” wie sie nach Tisch Kaffee schlürfen oder Zigarren rauchen. Nach wie vor bin ich der Überzeugung, dass künftighin gesellschaftlichen Einrichtungen eine ausgedehntere Rolle für die Kindererziehung zufällt. Aber auch, dass Mutter und Vater derselben sich mehr widmen als gegenwärtig. Außerdem ist es meine Ansicht, dass die sozialistische Gesellschaft in Sachen der Kindererziehung wie der Konsumtion dem individuellen Ermessen einen großen Spielraum gewähren kann. Familien von „verfeinerten” Individualitäten, in denen für die Wahlverwandtschaft der Seelen die Wahlverwandtschaft der Magen beim Konsum von wesentlicher Bedeutung ist … können sicher im eigenen Heim, am eigenen Tische, vom eigenen Teller von der Hausfrau eigenhändig zubereiteten Braten von jenem braven „mageren hochrückigen” Schwein genießen, das nicht in dem gräulichen kommunalen Großbetrieb gemästet wurde, sondern das der Mann in seinen Mußestunden eigenhändig und mit liebevollem Verständnis in dem idyllischen Einzel-Säue-Pavillon züchtete. Auch nach dieser Richtung hin habe ich also nichts gelernt und bin „revolutionär zum ersten, zweiten und dritten Mal”. Aber: „ein jedes Tierchen hat sein Pläsierchen”. Ich begreife ganz gut, dass es Leute gibt, die Sozialisten werden, aber ihrer Natur und Auffassung nach Spießbürger bleiben zum ersten, zweiten und dritten Mal. Der biedere Meister Schnock in der Löwenhaut … bleibt Meister Schnock — auch wenn er gut brüllt und besser als es Frau Fürth getan.

* Ich verweise zu dieser Seite der Frage auf den trefflichen Artikel von Frau Braun-Gizycki in Nr. 23. Er enthebt mich weiterer Ausführungen dazu.

** Es fällt mir nicht ein, die proletarische Frauenbewegung als vollkommen hinzustellen, sie hat ihre Schwächen, sogar ihre sehr großen Schwächen, aber sie liegen in anderer Richtung als wo sie die entdeckungsliebende Frau Fürth erblickt.

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