Clara Zetkin 19210201 Zur Arbeit unter den Frauen

Clara Zetkin: Zur Arbeit unter den Frauen

(1. Februar 1921)

Brief an Alexandra Michailowna Kollontai

[Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin, Archiv. Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. II, Berlin 1957, S. 326-334]

Berlin, den 1. Februar 1921

Meine liebe Freundin Alexandra!

Sie werden hoffentlich schon mündlichen Bericht durch unsere gemeinsame Freundin erhalten haben. Ihren eigenen ausführlichen Brief erhielt ich erst vor acht Tagen. Ich konnte nicht früher schreiben. Die Inanspruchnahme war zu groß. Zuerst der Einigungsparteitag mit den Übelstreifen von Sitzungen, Besprechungen, Zusammenkünften von früh bis in die Nacht. Dazu der Reichstag. Dann die Reise nach Tours. Nun wieder Sitzungen etc. ohne Ende. Verzeihen Sie also.

Die “Einführung” für die russischen Leserinnen der internationalen Richtlinien haben Sie wohl erhalten. Ich wäre Ihnen dankbar, wollten Sie mir mitteilen, ob und was Sie daran geändert haben. Ich lerne dadurch. Die Broschüre über die Erziehungsfragen muss ich nochmals durchsehen, ehe ich sie absende. Ich habe darin einige Gedankengänge und Zusammenhänge ausführlicher dargelegt, die ich beim Vortrag notgedrungen nur summarisch skizzieren konnte. So namentlich das Verhältnis der Intellektuellen zur Erziehungsarbeit. Ich hoffe, dass gerade dadurch die Broschüre für Russland nützlich sein wird. Ich sprach im Reichstag fast zwei Stunden für ein Schutz- und Trutzbündnis Deutschlands mit Sowjetrussland. Die Rede soll als Agitationsbroschüre erscheinen. Ebenso der Vortrag, den ich auf der Frauenkonferenz über das Thema hielt: Die Frau bei der Verteidigung und beim Aufbau Sowjetrusslands. Er musste kurz sein. Ich hoffe, dass Sie und die Freunde aus beiden Arbeiten ersehen, dass ich aus meinem Aufenthalt unter Euch gelernt habe.

Nun zu der geplanten internationalen Frauenkonferenz. Liebe Freundin, diese Tagung kann nicht so rasch stattfinden, als wir alle wünschen. Sie muss sehr gut vorbereitet werden, und das kostet viel Zeit und Arbeit. Sie müssen bedenken, dass die internationale Verbindung zwischen den Frauen sehr gelockert ist und dass dem Verkehr noch immer große Schwierigkeiten entgegenstehen. Ich habe bereits Fühler ausgestreckt in Österreich, der Tschechoslowakei, Frankreich, England und natürlich Deutschland. Ohne die Reise nach Tours wäre ich auch in Vorbesprechung mit Genossinnen der übrigen Länder. Ich werde sie nun beginnen. Bis jetzt weiß ich noch nicht, wie zu dem Plane sich die Genossinnen der Länder stellen, an die ich geschrieben habe. Für Frankreich wollte Genossin R. die ersten einleitenden Schritte tun. Ich erwarte, demnächst auf der Durchreise nach M. mit ihr zusammenzukommen.

Unterdessen habe ich mir den Plan der Vorbereitung und Durchführung der Konferenz überlegt, und er hat greifbare Formen angenommen. Es handelt sich darum, zuerst in den einzelnen Ländern ein Frauenkomitee zusammenzubringen, das die Vorarbeiten in die Hand nimmt und die Agitation für die Konferenz betreibt. In diesem Komitee müssen geschulte und energische Kommunistinnen die Führung haben, aber ich halte es für nützlich, wenn auch die eine oder andere Vertreterin berufstätiger Frauen etc. darin sitzt. Die Marschroute dieser nationalen Vertretungskomitees muss durch unsere Einladung und die Tagesordnung gegeben sein. Die Konferenz soll allen Frauen offen stehen, die der Überzeugung sind: 1. dass die volle soziale und menschliche Befreiung des weiblichen Geschlechts eine von Grund aus umgestaltete Gesellschaftsordnung zur Voraussetzung hat; 2. dass eine solche Gesellschaftsordnung nicht ohne die bewusste und aktivste Mitwirkung der Frauen aufgebaut werden kann.

Die Einladung zu der Konferenz muss ausgehen von einem internationalen Frauenkomitee, dem führende Genossinnen aus verschiedenen Ländern angehören, die als Vorkämpferinnen für die Befreiung der Frauen bekannt sind. Das internationale Komitee wird in der Hauptsache aus Kommunistinnen bestehen, doch meine ich, auch da brauchen sie die Zugehörigkeit der einen oder anderen Parteilosen nicht zu fürchten, so zum Beispiel einer Genossenschafterin, einer Ärztin, einer Pädagogin von Ruf. Ich hoffe, einige angesehene Spezialistinnen aus England, Amerika, Italien, zunächst wahrscheinlich auch aus Deutschland, zu bekommen, aus Russland können Sie selbstverständlich erst recht dem Komitee einige solche Kämpferinnen stellen. Ich bin mir noch nicht einig, ob das internationale Komitee die Einladung zur Konferenz erst verschickt, nachdem sich in den einzelnen Ländern schon die vorbereitenden Ausschüsse gebildet haben, so dass es gleich diese Tatsache und die Adresse der Vorsitzenden bzw. Schriftführerin mitteilt, oder schon ehe sich diese nationalen Ausschüsse gebildet haben, so dass erst zu deren Einsetzung in Verbindung mit der Vertreterin des Landes aufgefordert wird, die dem internationalen Komitee angehört. Kürzer ist der zweite Weg, sicherer der erste. Was meinen Sie?

Das internationale Komitee muss zur Beteiligung an der Konferenz die Frauen aller politischen, gewerkschaftlichen, beruflichen und genossenschaftlichen Organisationen auffordern, ebenso die Hausfrauen. Es muss in Bezug auf die Zulassungsbedingungen so weitherzig als nur möglich sein. Zur Konferenz sind zugelassen sowohl die beglaubigten Vertreterinnen der verschiedenen Organisationen wie auch Delegierte, die in öffentlichen Frauenversammlungen oder in Volksversammlungen gewählt worden sind. Die nationalen Komitees sind verpflichtet: 1. Die Agitation über Charakter und Zweck der Konferenz, ihre Tagesordnung, die Beschickung etc. zu betreiben. 2. Material, Forderungen und Anregungen der Frauen zu den Punkten der Tagesordnung zu sammeln. 3. In ständiger Verbindung mit dem internationalen Hauptausschuss zu stehen und diesem Berichte zu senden über Umfang und Erfolg der Agitation, die Wahl von Delegierten etc. wie Material, Anregungen und Forderungen zur Tagesordnung. Der internationale Hauptausschuss hat die nationalen Komitees mit Rat und Tat zu unterstützen, ihre Berichte und Materialsammlungen zusammenzustellen und den einzelnen Ländern zu vermitteln. Er hat die Konferenz in Verbindung mit dem Komitee des Landes vorzubereiten, in dem die Konferenz tagen wird. Er hat die ihm zugehenden Vorschläge, die provisorische Tagesordnung wie Material und Anträge etc. betreffend, zu veröffentlichen bzw. zur Kenntnis aller nationalen Komitees zu bringen. Er hat in Verbindung mit den nationalen Komitees Referentinnen und eventuell Korreferentinnen für die Punkte der Tagesordnung zu bestimmen.

Natürlich müssen wir Kommunistinnen bestrebt sein, bei der Voragitation für die Konferenz wie bei den Beratungen und Beschlussfassungen der Konferenz führend zu sein, alledem das Gepräge unserer Auffassung zu geben. Für den Erfolg können wir uns nicht auf organisatorische Tricks verlassen, sondern müssen auf die siegreiche Überlegenheit unserer gesellschaftshistorischen Auffassung bauen und auf die reife Schulung wie die Energie einzelner führender Genossinnen.

Ich baue darauf bin aber trotzdem nicht dafür, dass wir den Verlauf dem Zufall überlassen. Nicht bloß “der kluge Mann baut vor”, auch die kluge Frau. Darum müssen wir in jedem einzelnen Lande einige tüchtige Genossinnen haben, die der Voragitation Ziel und Weg weisen und sie in die richtigen Bahnen lenken können. Weiter müssen wir Kommunistinnen etwa zwei Tage vor der Konferenz eine besondere Zusammenkunft haben, auf der wir uns über unser Vorgehen und über unsere Haltung auf der Konferenz verständigen, eventuelle Debattenrednerinnen etc. aus den einzelnen Ländern bestimmen und Stellung zu den Richtlinien für die einzelnen Punkte der Tagesordnung nehmen. Diese Richtlinien müssen wir gleich bei Eröffnung der Konferenz zusammen mit dem vorliegenden Material vor die Konferenz bringen, sei es im Namen des Hauptausschusses oder einzelner Genossinnen. Diese Richtlinien müssen grundsätzlich durchaus unserer Auffassung entsprechen und deshalb das Schibboleth [Losungswort] der Beratungen sein.

Es ist möglich, dass wir damit unterliegen. Trotzdem würde der Gewinn der Konferenz für uns sehr groß sein. Zunächst durch die umfassende, aufrüttelnde Agitation in allen Ländern. Sie müsste nicht bloß die Frauen des Proletariats erfassen, auch die Kleinbäuerinnen, Beamten im Staats-, Gemeinde- und Privatdienst. Wir können durch eine kluge Agitation außerordentlich viel Elemente der Gärung in die Frauenwelt der klein- und mittelbürgerlichen Kreise, ja aller Klassen tragen. Die Konferenz wird die agitatorische Wirkung zusammenfassen und vertiefen‚ gleichzeitig einen Stamm von Frauen zusammenführen, die für bestimmte Fragen international einheitlich und geschlossen in der Richtung unserer Auffassung, unserer Forderungen aktiv und aggressiv gegen die bürgerliche Gesellschaft arbeiten werden und dadurch unseren Kampf unterstützen. Alle diese Momente können zumal für die beschleunigte Aufklärung des Klein- und Mittelbürgertums, der Beamten- und Lehrerschaft, der Intelligenz überhaupt wirksam werden. Hier arbeitet die sich verschärfende wirtschaftliche und soziale Konkurrenz zwischen Mann und Frau uns erheblich vor. Wir müssen diese Situation ausnützen.

Die Vorteile unserer geplanten Aktion liegen so klar zutage, dass wir nicht überrascht sein dürfen, wenn die nicht- kommunistischen Parteien und Gewerkschaftsorganisationen beschließen, ihre weiblichen Mitglieder dürften sich nicht an der Konferenz beteiligen. Ich rechne jedoch darauf, dass manche Organisationen berufstätiger Frauen und Frauenrechtlerinnen trotzdem an der Konferenz teilnehmen werden. Doch sei‘s denn, dass auch sie fernbleiben. Wir führen dann die Tagung als internationale Konferenz der Kommunistinnen allein durch. Bei gut organisierter und kraftvoll durchgeführter Voragitation und einer Behandlung der Tagesordnungsfragen, die Kenntnis und Beherrschung des Tatsachenmaterials mit geschichtlicher Durchleuchtung und grundsätzlicher Schärfe verbindet, wird unsere Aktion trotz des Fernbleibens der Nichtkommunistinnen weit über die Kreise unserer Partei hinaus die Frauen aufrütteln, mobilisieren, in Bewegung setzen.

Voraussetzung für die Wirkung der Konferenz ist aber, dass wir unsere Genossinnen in den einzelnen Ländern gut für die Veranstaltung mit ihrem Drum und Dran ausrüsten. Das muss geschehen: 1. Durch Herstellung regelmäßigerer Verbindung Zwischen ihnen, als jetzt besteht. Die Genossinnen jedes Landes müssen durch Berichte etc. an Arbeit und Kampf der Genossinnen anderer Länder international teilnehmen‚ gut über Charakter und Stand der Bewegung in den einzelnen Ländern unterrichtet sein. 2. Durch Zugänglichmachung des Tatsachenmaterials, das international zu den Fragen der Tagesordnung vorliegt. 3. Durch theoretische vertiefte Schulung der Genossinnen, zunächst wenigstens, soweit es sich um die grundsätzliche Stellung zu diesen Fragen handelt.

Um diese dreifache Aufgabe zu erfüllen, bedürfen wir eines internationalen Organs. Darüber können wir nicht im Zweifel sein. Wir können ein solches Organ überhaupt auf die Dauer nicht entbehren, es ist ebenso unerlässlich wie die Jugend-Internationale. Ich habe daher schon in den “Richtlinien” die Gründung eines Organs vorgesehen. Unter normalen Verhältnissen wäre es selbstverständlich, dass das internationale Frauensekretariat der Exekutive in Moskau das Blatt herausgeben würde. Aber unsere Freundin, die Sie dieser Tage aufsuchte, sagte mir, dass Sie alle überzeugt seien, das Organ könne infolge der Verkehrs- und Verbindungsschwierigkeiten nicht in Moskau redigiert und veröffentlicht werden. Ich habe mich daher entschlossen, Eurem Wunsche gemäß die Redaktion des Organs zu übernehmen. Schweren Herzens, denn die Arbeit erdrückt mich jetzt schon, und es heißt mit der Internationalität unserer Frauenbewegung fast von vorn anfangen. Die notwendigen Spaltungen haben auch die alte Fraueninternationale auseinander gerissen, und die neue besteht einstweilen mehr auf dem Papier als in Wirklichkeit. Dazu die getrennten Verkehrsverbindungen! Stellen Sie sich vor: Einen wichtigen Brief unserer österreichischen Genossin von Anfang Dezember erhielt ich Mitte Januar, beantwortete ihn sofort eingeschrieben mit der Bitte um sofortige Rückäußerung, habe aber bis heute keine solche empfangen. Doch sei‘s drum! Das Organ muss geschaffen werden, ergo muss man der Hindernisse Herr werden, und ich stelle mich Euch zur Verfügung.

Das zu schaffende internationale Frauenorgan darf meiner Meinung materiell nicht von der VKPD abhängig sein. Es muss materiell und moralisch unmittelbar der Exekutive der III. Internationale unterstehen bzw. deren internationalem Frauensekretariat. Mit Exekutive und Sekretariat sind die Kosten zu verrechnen. Für Druck, Verlag habe ich freie Hand, ich würde diese Fragen natürlich in Beratung mit Thomas regeln. Es müssen mir die nötigen Hilfskräfte gestellt, d. h. besoldet werden. Ich müsste mindestens zwei Genossinnen anstellen für die Büro- und Sekretariatsarbeiten, Genossinnen, die mehrere Sprachen verstehen und unter meiner Leitung arbeiten; ferner Genossinnen oder Genossen, die das Blatt ins Französische und Englische übersetzen. Ich bin der Ansicht, dass das internationale Organ deutsch, russisch, französisch und englisch erscheinen soll. Einmal im Monat, im Umfange von mindestens 8 Seiten, Format der “Kommunistin”, unter Umständen aber um 2 bis 4 Seiten vergrößert, wenn Material vorliegt, dessen Veröffentlichung drängt. Ich suche seit Tagen nach einem Titel, habe bis jetzt aber keinen bessern gefunden als “Die Kommunistische Fraueninternationale”. Vielleicht sind Sie, liebe Alexandra, und unsere anderen Freundinnen im Sekretariat fantasiereicher. Den Inhalt des Blattes denke ich mir dreifach: Berichte, Materialsammlung, theoretische Klärung und Schulung. Ich glaube, auf dieser Grundlage erhält das Blatt die Mitarbeiterinnen aus den einzelnen Ländern, die das Organ haben muss.

Ich bitte um Ihre rasche Rückäußerung, ferner um Zusendung des Wortlauts der vereinbarten provisorischen Tagesordnung. Für den zweiten Punkt habe ich noch immer keine bessere Formulierung gefunden als: “Das Recht der Frau auf Berufsarbeit”. Die Grundgedanken des Referats und der Resolution müssen klarstellen, dass uns jede bürgerliche Auffassung fern liegt. Ich würde die erste Nummer des internationalen Blattes am liebsten schon am 1. März erscheinen lassen. Aber es geht nicht. Erstens wird Ihre Antwort bzw. die Zustimmung der Exekutive zu spät eintreffen. Zweitens haben wir am 20. Februar Landtagswahlen in Preußen, die in der gegebenen Situation von außerordentlicher Wichtigkeit sind. Ich muss also in den Wahlkampf. Ihr könnt daraus wie aus dem Ganzen meiner Darlegungen ersehen, dass die internationale Konferenz nicht so bald stattfinden kann, als wir dachten und wünschen. Soll die Veranstaltung Erfolg haben, so muss sie sorgfältig vorbereitet werden, und das fordert Zeit. Geldmittel können die Vorbereitungsarbeit unterstützen und erleichtern, aber nicht ersetzen. Ich würde es für sehr nützlich halten, wenn Sie, liebe Alexandra, einige Wochen vor der Konferenz nach hier kämen, um mit mir zusammenzuarbeiten. Die Entsendung russischer Genossinnen zur Voragitation in die verschiedenen Länder halte ich für unzweckmäßig. Die Genossinnen, die der Aufgabe gewachsen wären, könnt Ihr nicht entbehren, und andere Genossinnen sind außerstande erfolgreich einzugreifen. Es handelt sich eben um mehr als um technische Aufgaben allein. Suchen Sie Angelica soviel als möglich zur Mitarbeit heranzuziehen.1

Liebe Alexandra, ich grüße und umarme unsere Freundinnen herzlich und Sie im Besonderen.

In Treue Ihre Clara Zetkin

1 Die Konferenz kam nicht zustande.

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