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Clara Zetkin 19200805 Erneut gegen das Gesetz zur Niederhaltung des Proletariats

Clara Zetkin: Erneut gegen das Gesetz zur Niederhaltung des Proletariats

(Rede im Reichstag, 5. August 1920)

[“Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920”, Bd. 344, 19. Sitzung Berlin 1921, S. 701.]

Meine Damen und Herren! Man brauchte nicht Prophet in Israel zu sein, um zu wissen, dass dieses Gesetz auch durch die Ausschussberatung und durch die Beschlüsse in zweiter Lesung für Vertreter der proletarischen Klasseninteressen nicht irgendwie annehmbar gemacht werden konnte. Es gibt einen Grad des Schlechten, der jede Verbesserungsmöglichkeit ausschließt. Und dieser Grad des Schlechten ist, gemessen an den Interessen des Proletariats, in diesem Entwaffnungsgesetz verkörpert. Die Regierung beruft sich für dieses Gesetz auf den Vertrag von Spaa. Gewiss, dieser Vertrag fordert die Entwaffnung. Aber die Art und Weise, wie sie nach dem vorliegenden Gesetz durchgeführt werden soll, ist und bleibt das ureigenste Werk der deutschen Regierung. Allerdings befindet sie sich damit im holdesten Einverständnis mit den Gegenrevolutionären der ganzen Welt. Wollten Sie wirklich, wie Sie erklären, eine Entwaffnung zur Beruhigung der Bevölkerung durchführen, so gab es nur ein Mittel dazu: sie war durch die politischen Arbeiterräte und unter ihrer Kontrolle als der Vertretung der Arbeiterklasse durchzuführen, aber nicht durch einen Sicherheitskommissar mit unbeschränkten Vollmachten.

Trotz der Beschlüsse in zweiter Lesung, trotz der Einsetzung eines Beirats ist und bleibt dieses Gesetz ein Ausnahmegesetz schmachvollster Art gegen die Arbeiterklasse. Die Arbeiter können sich schon auf Grund der Wohnungsverhältnisse nicht die “historischen Erinnerungssammlungen von Waffen anlegen wie die Bourgeoisie.

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die Arbeiter sind auch nicht Mitglieder von Jagdgesellschaften, die ihre Jagdgewehre behalten, usw. Wir wollen abwarten, ob das Gesetz mit voller Konsequenz gegen die Organisation “Orgesch” des Forstmeisters Eschrich in Bayern angewendet wird, oder ob auch da das Reservatrecht Bayerns gilt, das in Sachen der Amnestie der deutschen Arbeiterklasse wieder recht fühlbar ins Bewusstsein gerufen worden ist. Die Einsetzung des Beirats und die Bestimmungen, die zur so genannten Verbesserung des Gesetzes in zweiter Lesung beschlossen worden sind, sind nur eins, Spinnweben, die über schwer bewaffnete Fäuste geworfen werden, sie sind dünne Zwirnsfäden, die die Fäuste binden wollen und sofort zerreißen.

Wir weisen dieses Gesetz zurück. Trotz aller Änderungen, die daran vorgenommen sind, bleibt es ein Gesetz der Militärdiktatur gegen das Proletariat. In Gestalt des Sicherheitskommissars setzt es einen zivilen Militärdiktator ein

Aber nicht nur wegen der Willkür, der Allmacht dieses Kommissars ist für uns das Gesetz unannehmbar. Es ist auch eine Brutstätte der schlimmsten Korruption. Indem es Anzeigen über Waffenvorräte belohnt, indem Organisationen geschaffen werden sollen zum Entdecken von Vorräten usw., duldet es nicht nur Denunzianten, Spitzel, Lockspitzel, nein, es begünstigt und züchtet sie, es ist ein Nährboden der allergefährlichsten Art für diese Versuchung des politischen Lebens.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Der Herr Außenminister hat gesagt, das Gesetz sei nicht so schlimm, seine Ausführung unterstehe ja dem Parlament. Wir sind der umgekehrten Meinung. Dieses Gesetz besiegelt die Abdankung des Parlamentarismus, der bürgerlichen Demokratie vor dem Militarismus. Gewiss, diese Abdankung hat nicht heute begonnen. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des deutschen Bürgertums. Sie trat augenscheinlich zutage, als am Vorabend des Krieges die Bourgeoisie kapitulierte vor dem Säbel des kleinen Leutnant Förstner in Zabern. Sie kam recht sichtbar in Escheinung, als in den Tagen des Kapp-Putsches die Regierung der Demokratie mit den militaristischen Putschisten verhandelte und sich mit echt Falstaffschem Mut rückwärts nach Stuttgart konzentrierte; als sie die streikenden Arbeiter wohl auf den Plan rief, um die Minister- und Regierungsherrlichkeit zu sichern, aber sich gegen die bewaffneten Arbeiter wandte, die den Militarismus wirklich überwinden wollten.

Wir quittieren anerkennend darüber, dass sie dem Proletariat diesen Anschauungsunterricht der Tatsachen erteilen, dass Sie zeigen, wie Sie den Boden der bürgerlichen Gesetzlichkeit verlassen, um sich gegen das Proletariat auf den Boden der nachten Gewalt zu stellen. Sie zeigen dem Proletariat, wie es eines Tages handeln muss. Auch das Proletariat wird dazu kommen, dass es erklärt: ich verlasse den Boden dieser Gesetzlichkeit und stelle mich auf den festen Granit meiner Macht in den Betrieben und auf der Straße. Sie wollen mit diesem Gesetz — das ist offen ausgesprochen worden — die Revolution entwaffnen, die Revolution aufhalten. Ach, meine Damen und Herren, dem Meere und dem Winde der geschichtlichen Entwicklung können Sie nicht gebieten. Der Perserkönig Xerxes ließ durch seine Sklaven mit eisernen Ketten das wütende Meer peitschen. Es war vergebens. Siegen Sie jetzt, siegen Sie weiter, Sie werden sich zu Tode siegen. Hoch die Weltrevolution!

(Bravo! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

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