Clara Zetkin‎ > ‎Gegen die Reaktion‎ > ‎

Clara Zetkin 19200803 Gegen das Gesetz zur Niederhaltung des Proletariats

Clara Zetkin: Gegen das Gesetz zur Niederhaltung des Proletariats

(Rede im Reichstag, 3. August 1920)

[“Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920”, Bd. 344, 17. Sitzung Berlin 1921, S. 604f., vgl. Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. II, Berlin 1957, S. 243-248]

Meine Damen und Herren! Die Regierung beruft sich für das Einbringen dieser Gesetzesvorlage auf das Abkommen zu Spa. Sehr zu Unrecht oder nur zum Teil mit Recht. Sehr zu Unrecht, soweit es sich um die außerordentlich verdächtige und unwürdige Eile handelt, mit der dieses Gesetz durchgepeitscht werden soll.

(“Sehr richtig!” bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Denn die Entwaffnungsfrage steht nicht erst seit dem Abkommen in Spa auf der Tagesordnung. Sie ist festgelegt worden in dem Friedensvertrag von Versailles, der meines Wissens bereits vor mehr als Jahresfrist abgeschlossen worden ist. Wenn die deutsche Regierung bis jetzt davon abgesehen hat, ihre vertragsmäßig übernommene Verpflichtung zu erfüllen, so dass sie neuerlich durch das Abkommen von Spa daran erinnert werden musste, so aus einem ganz bestimmten Grunde. Sie wollte nicht in dem vorgeschriebenen Umfange entwaffnen, nicht etwa um gerüstet zu sein gegen einen äußeren Feind, sondern weil sie die Reichswehr, weil sie eine starke bewaffnete Macht erhalten wollte gegen den inneren Feind, gegen die vorwärts drängende Arbeiterklasse.

Auch die Nücken und Tücken des Gesetzes sind nicht durch das Abkommen von Spa festgelegt worden. Da ist nur eine Bekanntgabe der Bestimmungen über die Entwaffnung vorgesehen und nicht ein Gesetz, zumal nicht ein Gesetz von diesem bösartigen Ausnahmecharakter, wie ihn der vorliegende Entwurf trägt. Tatsächlich ist die Überschrift dieses Gesetzes vollständig irreführend. Sie heißt: Gesetz zur Entwaffnung der Bevölkerung. Sie sollte aber heißen: Gesetz zur Niederhaltung des Proletariats. Damit wäre sein Zweck, damit wäre sein wirklicher Inhalt richtig und erschöpfend genug charakterisiert.

Ich wiederhole, was ich bereits bei der ersten Lesung gesagt habe: Es kommt nicht bloß darauf an, was in einem Gesetz steht, sondern von wem und wie das Gesetz durchgeführt wird. Der Herr Abgeordnete Lübbring ist allerdings, was die Durchführung des Gesetzes anbelangt, schützend vor die Regierung getreten und hat erklärt: “Dies Kind, kein Engel ist so rein!” Er ist überzeugt von der gerechten unparteiischen Durchführung des Gesetzes. Ich muss bekennen, ich teile solche Illusionen der politischen Unschuld vom Lande nicht. Wir haben nicht erst seit den Tagen des Kapp-Putsches den Beweis, wie die Maßregeln zur Entwaffnung der Bevölkerung durchgeführt werden. Der Herr Abgeordnete Lübbring meinte, man werde nicht unter irgendwelchen Vorwänden den Kriegervereinen, Militärorganisationen usw. ihre Waffen belassen.

Ich bin dagegen in der Lage, Ihnen in der Abschrift ein Dokument als Beweis dafür vorzutragen, dass das schon jetzt geschieht, und zwar seit dem Abkommen von Spa geschieht.

(“Hört! Hört!” bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ich habe hier die Abschrift eines Dokuments, das an die Eisenbahndirektion zu Händen des Herrn Regierungsrates Arnold (Berlin) gerichtet ist. Es hat folgenden Wortlaut:

Die vom Reichswehrministerium durch die zuständige Stelle angeordnete Untersuchung der vom Güterbahnhof Spandau aus abgesandten Waffen- und Munitionstransporte die die Bedenken der Arbeiterschaft erregt hatten, hat ergeben, dass die Transporte auf ordnungsgemäße behördliche Anweisung erfolgt sind.

Die ersten 14 Fälle betreffen bereits abgegangene Transporte, die zur Versorgung der Truppen dienten und auf Grund ordnungsgemäßer Anträge der in Frage kommenden militärischen Stellen erfolgten.

Bei den Sendungen an die verschiedenen Militär- und Kriegervereine handelt es sich um die vertragsmäßige Rückgabe von Gewehren des veralteten Modells 1871 mit etwas Übungsmunition an die Kriegervereine

(“Hört! Hört!” bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.),

welche die Waffen seinerzeit der Heeresverwaltung zur Verfügung gestellt haben.

Die Versendung der zwei Kasten Metallpatronen an die Oberförsterei Weilburg an der Lahn geht von der Reichs- Treuhand-Gesellschaft aus, welcher die Verwaltung und Vernichtung der nicht zu Reichswehrbeständen gehörenden Munition obliegt. Es ist anzunehmen, dass es sich in diesem Falle um Überlassung von besonders für Jagdzwecke geeigneten Metallpatronen handelt.

Zur restlosen Aufklärung auch dieses Falles ist die Reichs-Treuhand-Gesellschaft um Mitteilung ersucht worden.

i. V.: gez. Kalle.”

Dieses Dokument bekommt seine besondere Bedeutung dadurch, dass es datiert ist: “Berlin Wilhelmstraße 63-64”, und dass es ausgeht vom “Staatskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung, Aktenzeichen J, Nr. 8771/20”.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, aus diesem Schriftstück geht unzweideutig hervor, wie die Entwaffnung durchgeführt wird und auch künftig durchgeführt werden soll. Denn beachten Sie: Das Schreiben datiert nach dem Abkommen zu Spa, vom 23. Juli, und ob die “ordnungsgemäßen Stellen”, die die Belieferung der Truppen mit neuer Munition anordneten, streng in Übereinstimmung mit dem Abkommen von Spa gehandelt haben, davon steht kein Wort in diesem Schriftstück. Andererseits frage ich Sie: Wo gehen die Behörden derart vor, wie in diesem Falle? Nämlich, dass sie, wenn Stellen unter dem Verdacht stehen, “ordnungs- und gesetzwidrig” Munition oder Waffenteile geliefert zu haben freundnachbarlich um Aufklärung bitten, wie bei der Reichs-Treuhand-Gesellschaft. Gemeiniglich gehen die Behörden ganz anders vor, sie wenden andere Mittel an als das Ersuchen um Mitteilung.

Ich glaube, dass gerade die Arbeiterklasse damit rechnen muss, dass die Bestimmungen des Entwaffnungsgesetzes in der einseitigsten Weise gegen sie angewendet werden. Nicht etwa, weil man wirklich überzeugt ist dass sich unter den Arbeitermassen jene ungeheuren Mengen von Munition und Waffen finden, die nur in der Räuberphantasie der Spitzel existieren, sondern aus einem anderen Grunde: Nämlich, weil man bei den Arbeitern Waffen finden will, um einen Vorwand zu haben, mit allen Zwangsmaßregeln gegen den Kampf des Proletariats für seine Befreiung aus den Fesseln des Kapitalismus vorzugehen.

Der Durchführung dieser Absicht soll die Einsetzung eines Reichskommissars dienen, dessen Befugnisse in den Paragraphen 1 und 2 festgelegt sind. Meine Herren und Damen! Es ist bestritten worden, dass diese Bestimmungen den Charakter eines Ausnahmerechts haben. Ausnahmerecht werden sie insofern nicht sein, als das Ausnahmerecht gesetzlich geheiligt werden soll, also ein Ausnahmegesetz wie es das deutsche Proletariat noch nie getroffen hat. Das kommt am klarsten in der Stellung zum Ausdruck, die dem Reichskommissar durch die Bestimmungen des Gesetzes zuerkannt wird. Alle diese Bestimmungen ließen sich sehr kurz also zusammenfassen: Der Reichskommissar für die Entwaffnung ist allmächtig, er steht über allen Gesetzen, er ist nicht durch die Verfassung gebunden, er ist niemandem Rechenschaft schuldig. Der Reichskommissar, der eingesetzt werden soll, kann mit ganz anderem Recht als seinerzeit Ludwig XIV. sagen: “Der Staat bin ich”, er kann auch sagen: “Die Pressefreiheit bin ich, das Versammlungsrecht bin ich, das Persönlichkeitsrecht bin ich, das Hausrecht bin ich.” (Zuruf von den Deutschen Demokraten: “Er steht unter der Regierung.”)

Ach, kommen Sie mir doch nicht mit der Regierung! Der Reichskommissar steht unter der Regierung, jawohl! — Unter welcher Regierung denn?

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Unter derselben Regierung, die ihn eingesetzt hat, weil sie sich als Regierung des Ausnahmezustandes gegen die Arbeiterklasse fühlt. Der Reichskommissar soll weiter nichts sein als die gepanzerte Faust der Reichsregierung gegen die Arbeiterklasse. Aber Sie täuschen sich, wenn Sie meinen, dass Sie die Arbeiterklasse wehrlos machen, wenn Sie durch das Entwaffnungsgesetz in dieser einseitigen Weise gegen sie vorgehen. Die Arbeiterklasse hat noch andere Waffen in ihrer Hand! Sie ist stark und machtvoll durch ihre Leistungen in der Wirtschaft. Sie verfügt über die Waffe des Massenstreiks, und ihr bleiben das Gewicht und die Macht ihrer Zahl. Glauben Sie nicht, dass Sie die Arbeiter mit Maschinengewehren in die Gruben und Betriebe zurücktreiben können. Sie können mit allen Zwangsmitteln den Arbeitern nicht die Arbeitsfreudigkeit und Arbeitslust einbläuen. Die kann den Proletariern nur kommen aus der Überzeugung, dass sie freie Arbeiter sind, dass sie nicht mehr schuften und schanzen im Dienste der ausbeutenden Minderheit, sondern in ihrem eigenen Interesse, im Interesse der ganzen Gesellschaft arbeiten.

(Sehr richtig bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die Idee des Willens zu einer neuen, ausbeutungslosen Ordnung wird mächtig befeuernd hinter dem Bewusstsein der Arbeiterklasse von ihrer wirtschaftlichen Macht und der Macht ihrer Zahl stehen. Diese Idee zieht Kraft aus dem Auflösungsprozess der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, den wir jetzt erleben. Die gegenwärtige Wirtschaftskrise ist der Beweis dafür, dass die besitzende Minderheit unfähig und unwillig geworden ist, die großen Produktionsmittel der Gesellschaft zu verwalten und auszunutzen. Ihrem Profit zuliebe lässt sie den Wirtschaftsapparat verfallen. Die Gesellschaft des Kapitalismus nähert sich unter dem Druck dieses Zustandes mit Riesenschritten jenem Augenblick, von dem Marx gesagt hat, dass eine Gesellschaft verloren ist, weil sie ihre Sklaven nicht mehr zu ernähren, nicht mehr zu erhalten vermag.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die kapitalistische Ordnung steht am Vorabend dieser Tatsache. Sie mag sich dagegen sträuben, die Konsequenzen der Entwicklung zu ziehen, die Arbeiter werden das tun! Sie können die Proletarier mit Ausnahmegesetzen knebeln, wie Sie wollen, Sie können sie niederkartätschen, wie Sie wollen, es wird sich allem Zwang, allen Machtmitteln gegenüber eines erweisen: dass auch die Idee eine Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift. Und die Idee des Sozialismus, des Kommunismus ist auf dem Vormarsch, die siegreiche Gewalt zu werden trotz Ihrer Gesetze.

(Bravo! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

Kommentare