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Clara Zetkin 19200731 Gegen die Wehrloshaltung der deutschen Arbeiterklasse

Clara Zetkin: Gegen die Wehrloshaltung der deutschen Arbeiterklasse

(Rede im Reichstag, 31. Juli 1920)

[“Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920”, Bd. 344, 15. Sitzung, Berlin 1921, S. 484, vgl. Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. II, Berlin 1957, S. 236-239]

Meine Damen und Herren! Für uns Kommunisten ist dieser Gesetzesvorschlag vollständig unannehmbar. Unseres Dafürhaltens bringt er nicht eine Entwaffnung jenes preußisch-deutschen Militarismus, den das Ausland, den vor allem Frankreich fürchtet und dessen Wiederaufleben für niemanden eine größere Gefahr bedeuten würde als für die werktätigen Massen Deutschlands selbst.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Dieser Entwurf will letzten Endes nichts anderes als die Wehrloshaltung der deutschen Arbeiterklasse.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ich sage absichtlich: die Wehrloshaltung und nicht: die Entwaffnung, weil es eine Legende ist, dass die deutsche Arbeiterklasse bereits bewaffnet sei. Leider wagte die deutsche Arbeiterklasse bis jetzt an ihre Bewaffnung zur Entwaffnung des Militarismus und des Kapitalismus noch gar nicht zu denken, sie ist nicht im Besitz der Waffen, mittels derer sie ihr Recht durchsetzen könnte.

Ich gehe nicht ein auf Einzelheiten des Entwurfes. Er charakterisiert sich für uns im Großen und Ganzen als nichts anderes als die Einsetzung einer zivilen Militärdiktatur gegen die breiten Massen der Arbeiter.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Er legt eine unbeschränkte Gewalt in die Hand eines Militärdiktators. Ob der nun eine Uniform trägt oder ob er im schwarzen Gehrock sich vor dem Volke präsentiert, ist ganz gleich. Es ist in dem Entwurf keine bestimmte und einigermaßen vorurteilslos zusammengesetzte Instanz vorgesehen, die gegen die Entscheidungen, gegen die Handlungen dieses Militärdiktators angerufen werden könnte. Denn unseres Dafürhaltens ist die Reichsregierung keine solche Instanz.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Es hieße den Teufel bei seiner Großmutter verklagen, wenn die Arbeiter gegen die Entscheidungen des künftigen Diktators an die Reichsregierung appellieren würden. Dazu eine andere Tatsache. Es kommt bei einem Gesetz nicht bloß auf das an, was schwarz auf weiß auf dem geduldigen Papier steht, sondern wer das Gesetz durchführt

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

und wie das Gesetz durchgeführt wird. Die Spuren schrecken das deutsche Proletariat! Wer das Gesetz durchführen wird und wie es durchgeführt wird, das wissen die deutschen Arbeiter seit jenem 6. Dezember 1918, an dem die Gegenrevolution ihre Visitenkarte hier in Berlin abgab, indem sie auf einen friedlichen Zug von Kriegsbeschädigten und Arbeitslosen schießen ließ.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Und das ist ja erst in der letzten Zeit wieder bestätigt worden durch die Ereignisse und ihren Charakter, die sich seit dem Tage des Kapp-Lüttwitz-Putsches abgespielt haben, ganz besonders durch die rücksichtslose Niederwerfung und Knebelung des Proletariats im Ruhrrevier, trotz der Abkommen von Bielefeld und Münster. Gegen die Arbeiter der Bruch dieser feierlichen Abkommen, während die Elemente, die den Kapp-Lüttwitz-Putsch durchgeführt haben oder die ihn tragen helfen wollten, bis heute noch im allgemeinen straffrei ausgegangen sind.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Während man jeden Arbeiter zu finden weiß, der meinethalben einen Karabiner oder sonst eine Waffe in seiner Wohnung aus der Zeit des Krieges hat, sind die pommerschen und mecklenburgischen Granden unbehelligt geblieben, die auf ihren Gütern große Waffenlager angelegt haben.

Wie Waffenlager zustande kommen, dafür ein Beispiel. In Stuttgart wurde in einem Prozess gegen so genannte Spartakisten folgendes festgestellt: Ein Spitzel sagte unter Eid aus, er habe den Arbeitern Waffen angeboten. Gefragt, warum er das getan habe, erklärte er: “Ich wollte ein Waffenlager finden, deshalb musste ich doch erst ein Waffenlager schaffen!”

(Hört! Hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Allen solchen Machenschaften von Lockspitzeln wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf Tür und Tor geöffnet.

Es wird hier gesagt, es komme darauf an, in welchen Händen sich die abzuliefernden Waffen befänden. Diese müssten in die Hände von Berufenen der Staatsgewalt kommen. Wir sagen, dass die Staatsgewalten keine Bürgschaft dafür bieten, dass sich die Entwaffnung nicht gegen die Arbeiterklasse richtet, solange diese Regierung, solange eine kapitalistische Regierung besteht, solange das Deutsche Reich ein kapitalistischer Staat ist, trotz der demokratischen Firma, die er trägt.

Obgleich wir das Gesetz als Ganzes verwerfen, sind wir dafür, dass es einer Kommissionsberatung unterzogen wird. Wir versprechen uns davon nichts, kein Resultat, aber wir möchten doch vor den Massen draußen festgestellt wissen, was hier den so genannten Volksvertretern zugemutet wird, nämlich, die Vorlage zu einem weit reichenden und tief wirkenden Gesetz in einem Tempo zu erledigen, als ob wir ein Klub von Automobilwettfahrern seien und nicht eine Körperschaft von Leuten, die auf Grund bestimmter Ereignisse und bestimmten Tatsachenmaterials wichtige Entscheidungen zu treffen haben. Ich mache von Anfang an kein Hehl aus unserer Haltung. Für dieses Gesetz gilt: Gewogen und zu leicht befunden! Es ist eine Frucht der internationalen Gegenrevolution und nicht, wie behauptet wird, der nationalen Verteidigung!

(Beifall bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

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