Clara Zetkin 19080914 Den wissenschaftlichen Sozialismus den Massen

Clara Zetkin: Den wissenschaftlichen Sozialismus den Massen

(Aus der Rede auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu Nürnberg, 14. September 1908)

[“Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Nürnberg vom 13. bis 19. September 1908 sowie Bericht über die 5. Frauenkonferenz am 11. und 12. September 1908 in Nürnberg”, Berlin 1908, S. 237f. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band I, S. 442-444]

Ich möchte einige Ergänzungen zu dem anführen, was unsere Genossin Luxemburg betreffs der Notwendigkeit gesagt hat, die Geschichte des Sozialismus sowohl dem Bildungsstoff der Parteischule hinzuzufügen wie auch dem Bildungsstoff, der durch die Wanderkurse des Bildungsausschusses vermittelt wird. Der Bildungsausschuss stimmt durchaus dem Gedankengange zu, den Genossin Luxemburg in dieser Beziehung entwickelt hat. Er hat auch bereits alle einleitenden Schritte getan, damit die Wanderkurse nach dieser Richtung hin ausgebaut werden. Das kann aber nicht eher geschehen, als die Kräfte vorhanden sind, die dem Bildungsausschuss eine gewisse Garantie dafür bieten, dass die Geschichte des Sozialismus auch in einem wirklich gründlichen und befruchtenden Sinne vorgetragen wird. Es handelt sich um Kurse, die vorbereitet werden müssen. Ich bin aber überzeugt, es wird gar nicht lange anstehen, bis durch die Wanderkurse die sehr berechtigten Anforderungen unserer Genossin Luxemburg erfüllt werden.

Ich möchte dann einiges erwidern auf die Ausführungen Eisners. Eisner hat für die Bildungsbestrebungen die Losung ausgegeben: Zurück zu den Methoden, zu der Art und Weise der theoretischen Bildung, wie sie in den Anfängen der sozialistischen Arbeiterbewegung praktiziert worden ist, und er hat als mustergültig auf den Entwicklungsgang Molkenbuhrs hingewiesen.

Genossen, wenn wir auf die als Muster aufgestellten Bildungsmethoden und den entsprechenden Bildungsinhalt zurückgreifen wollten, so würden wir die 40 Jahre der theoretischen Entwicklung, die seitdem verflossen sind, aus der Geschichte der Partei streichen. Wir haben aber nicht 40 Jahre umsonst gearbeitet, sind nicht 40 Jahre lang umsonst mit der sozialistischen Erkenntnis unter die Massen gegangen.

Es ist jetzt eine ganz andere geistige und sittliche Atmosphäre, ein ganz anderer Boden der Auffassung bei den Arbeitern vorhanden als vor 40 Jahren, und wir können deshalb auch einen weit höheren, theoretisch geklärten Bildungsstoff durchdringen, zusammenfassen und den Massen übermitteln, als es in jenen Zeiten geschehen ist. Die Massen bringen heutzutage für die sozialistische Erkenntnis und Theorie eine ganz andere psychologische Disposition mit als in den Zeiten, wo es galt, in geistiger Beziehung die Arbeiterbewegung von der bürgerlichen Ideologie überhaupt erst loszutrennen.

Genosse Eisner hat sich entschieden dagegen verwahrt, dass die Parteischüler hinausgehen unter die Masse, um zu lehren, nachdem sie durchaus nicht fertig gelernt, sondern erst die tiefste, nachhaltigste Anregung erhalten hätten, um weiterzulernen. Aber wie liegen die Verhältnisse in der Partei, in den Gewerkschaften? Die Proletarier können nur arbeitend, können nur wirkend etwas werden, nach dem pädagogischen Grundsatz, dass lehrend gelernt werden muss. Das gilt auch für die Parteischüler. Um diesen Grundsatz in seiner ganzen Tragweite verwirklichen zu können, müssen sie meiner Ansieht nach ein Wirkungsfeld haben, sich arbeitend, lehrend betätigen, nachdem sie die Parteischule verlassen haben.

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