Clara Zetkin 19220700 Rosa Bloch

Clara Zetkin: Rosa Bloch

[„Die Kommunistische Fraueninternationale“, 2. Jahrgang, Heft 5/6, Juli/August 1922, S. 603-608]

Rosa Bloch ist tot! Sie ist unerwartet am 13. Juli in Zürich gestorben, wenig mehr als 42 Jahre alt. Mit ihr ist eine der besten Führerinnen der kommunistischen, der berufstätigen Frauen der Schweiz, der Kommunistischen Fraueninternationale dahingegangen, eine der treuesten Verteidigerinnen des Rechts, der Freiheit der Ausgebeuteten aller Länder. Diese Nachricht mag vielen ins Ohr klingen wie ein klatschender Steinwurf ins Wasser, der murmelnde Kreise zieht, und dann wird alles still und die Flussfläche glatt, als wäre nichts gewesen. Unsere Zeit ist raschlebig und raschvergesslich, sie spielt in jeder Minute mit dem Los von Millionen. Was ist der einzelne und sein Schicksal. Im nu versinkt die Erinnerung an ihn, auch wenn er Vieles und für Viele wirkte. So kann es nicht mit Rosa Bloch sein. Uns, die wir diese Tapfere und Gütige gekannt und geliebt haben — und wer sie wirklich kannte, musste sie lieben —‚ uns ist die Kunde ihres Todes nicht bloß ins Ohr, sondern in die Seele gedrungen. Wir empfinden es tief, und diese Empfindung wird in vielen Stunden und bei gar manchen Gelegenheiten immer wieder aufs Neue emportauchen: Rosa Bloch ist nicht mehr, wir haben Unersetzliches verloren. Denn dieser Verlust lässt sich nicht in dem zusammenfassen, was Rosa Bloch tat und leistete. Er besteht auch darin, wie sie es tat, in dem, was sie war, in ihrer edlen, schlichten Menschlichkeit, die ganz in den Dienst der Befreiung der Unterdrückten und Ausgebeuteten einging.

Rosa Bloch entstammte bürgerlichen Kreisen und hatte erhalten, was man in ihnen „die bessere Erziehung der höheren Töchter“ zu nennen pflegt. Sie war belesen, sprach gut französisch und italienisch und verstand etwas englisch. Sie erhob sich jedoch schon jung geistig hoch über den Horizont bürgerlicher Frauen durch die Vielseitigkeit und Stärke ihrer geistigen Interessen. Sie wollte wissen, und sie lernte unermüdlich, um sich mit den vielgestaltigen Erscheinungen des Lebens verstehend auseinanderzusetzen. Es waren nicht bittere Daseinsnöte, die den Sinn Rosa Blochs für die Unabweisbarkeit der sozialen Revolution öffneten, die eine neue, höhere Gesellschaftsordnung schaffen muss. Allein sie kam auch nicht auf dem Weg tiefgründigen, umfassenden Studiums sozialer Wissenschaften zu ihrer revolutionären Weltanschauung. Heißes Mitgefühl mit fremden Leiden und ein sicheres, starkes Gerechtigkeitsgefühl führten sie ins Lager des kämpfenden Proletariats. Das Studium der „sozialen Frage“ begann erst dann, bruchstückweise, wie es der Tageskampf forderte und erlaubte. Rosa Bloch war und blieb Idealistin in der besten Bedeutung des Wortes. Ihre energische Natur, die auf Tätigkeit, Wandeln gerichtet war, stellte sie im Verein mit ihrer vielseitigen Begabung bald in die vordersten Reihen der Schweizerischen Sozialdemokratie und namentlich der sozialdemokratischen Frauenbewegung des Landes. Sie wurde eine der wirksamsten Agitatorinnen und Organisatorinnen, die die Frauen der Schweiz für den Klassenkampf des Proletariats gegen den Kapitalismus sammelten und schulten. Die Leiden der Armen und Kleinen zitterten in ihrem Herzen nach, und diese empfanden, wie wahr und innig die Rednerin mit ihnen fühlte. So zündete ihr Wort und wurde fruchtbar in den Seelen Ungezählter.

Ich lernte Rosa Bloch in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des imperialistischen Weltkriegs kennen, der zum Wendepunkt in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung geworden ist. Gelegentlich von Frauentagsversammlungen, die ich in der Schweiz abhielt. Rosa Bloch war damals noch eine „Neue“ und „Junge“, in mancher Beziehung noch unklar und mit den Eierschalen bürgerlicher Auffassung behaftet, aber voll brennenden Eifers, sie abzustreifen und eine streng marxistische Einstellung zu den auftauchenden Fragen zu gewinnen. Sie stand schon in bewusster, lebhafter Opposition zu allen Strömungen in der Schweizerischen Sozialdemokratie, die den reformistischen Sumpfniederungen zustrebten. Sie kämpfte mit großer Energie dagegen an, dass solche Strömungen in den Arbeiterinnenverband hinüber schlugen, in dem sie bereits führend zu werden begann. Und sie hatte damit Erfolg, denn sie verband mit der „radikalen“, revolutionären Auffassung einen scharfen Sinn für die gegebenen Tatsächlichkeiten und das praktisch Zweckmäßige. Ich sah Rosa Bloch dann in den schmerzlichen Tagen wieder, da der Tod des großen Führers und Freundes Bebel Rosa Luxemburg und mich nach Zürich führte. Der offizielle und konventionelle Charakter der Totenfeier traf uns in unserer tiefen Trauer auf das empfindlichste; die Feier dünkte uns kalt und des Dahingegangenen unwürdig; sie war uns symptomatisch für den Geist der Sozialdemokratie, der Zweiten Internationale. Wir empfanden um so dankbarer das feine, verständnisvolle Mitgefühl, mit dem Rosa Bloch sich unserer annahm. Ganz einfach, ohne Pose, selbst eine Erschütterte und Trauernde.

Jedoch in ihrer ganzen Wesenheit und nach ihrem vollen Wert lernte ich sie erst in den harten Jahren des Kriegs und der Nachkriegszeit kennen. Nun, da Bruderblut von so manchem politischen Antlitz die sozialistische Schminke fort wusch; nun, da die meisten und angesehensten Führer des Weltproletariats den Arbeitern statt ins Lager der Revolution in die Zelte der macht- und beutegierigen Bourgeoisie vorangingen: erwies sich, wie echt und fest verwurzelt ihre Überzeugung war, dass die Mühseligen und Beladenen ihre ganze Kraft an den Umsturz der bürgerlichen Gesellschaft setzen müssten. Mit wachsender Klarheit und Entschiedenheit stellte sie sich auf den Boden des internationalen revolutionären Sozialismus und nahm freudig die Kämpfe, Beschimpfungen und Verfolgungen auf sich, die das damals bedeutete, und zwischen den engen nationalen Wänden der Schweiz erst recht bedeutete. Sie hatte nie den Kugelregen des Kampfes, der Verfolgungen und „die Pfeil‘ und Schleudern“ der Verdächtigungen und Verleumdungen gefürchtet. Hatte sie doch ihren Anschluss an die Sozialdemokratie in einem Augenblick vollzogen, als diese von den „gutgesinnten Bürgern“ mit besonders tückischer Wut gesteinigt wurde. Nämlich in den Zeiten der Erregung und Gärung, die 1912 in Zürich im Generalstreik gipfelte. Es war wahrscheinlich Rosa Blochs erste selbständige praktische Hilfeleistung für die Arbeiterbewegung, dass sie am Tage nach der Erklärung des Generalstreiks, als die Reaktion triumphierte, alle „Umstürzler“ und „Aufhetzer“ Haussuchung und Verhaftung zu erwarten hatten, das Protokoll der „Arbeiterunion“ in Empfang nahm und an sicherem Ort unterbrachte: in dem „Safe“ eines Geschäftshauses.

Wie oft hat sie während des Kriegs und seither ähnliche, aber viel schwerere, verantwortungsvollste Dienste geleistet, als es galt, die Proletarier und Proletarierinnen der Schweiz zu Arbeit und Kampf um das Banner des revolutionären Sozialismus, des Kommunismus zu scharen, das sich über den blutüberströmten Schlachtfeldern des Imperialismus und dem schimpflichen Verrat der reformistischen Führer erhob; als es galt, die internationalen Verbindungen zwischen den revolutionären Stosstruppen der Arbeiter aller Länder herzustellen und den Aufbau der Kommunistischen Internationale vorzubereiten und durchzuführen. Ihre Sprachkenntnisse, wie ihre persönlichen Beziehungen waren dabei von großem Nutzen, wertvoller als alles aber waren absolute Hingabe und Vertrauenswürdigkeit. Haussuchungen und Verhaftung blieben nicht aus, schmutzige Schmähungen aller Art. Sie legte das zu dem übrigen, was sie ihrer Überzeugung halber standhaft erduldete, und worunter das Qualvollste nicht fehlte: persönliche Treibereien und Verdächtigungen im eigenen Lager. Solche trafen sie ins Herz, denn sie lernte dadurch Niedrigkeit und Selbstsucht dort kennen, wo sie Vertrauen und feste, treue Kampfesgemeinschaft gab und suchte.

Rosa Bloch hatte jederzeit entschlossen und überzeugt dafür gewirkt, die Schweizerische Arbeiterinnenbewegung zu „radikalisieren“. Es versteht sich daher, dass sie nach Kriegsausbruch mit aller Kraft mithalf bei dem ersten Versuch, die proletarischen, die sozialistischen Frauen international, als geschlossene Vorhut des revolutionären Proletariats in den Kampf für den Frieden zu werfen, nicht etwa im Sinne des Pazifismus, vielmehr als Einleitung der sozialen Revolution. Sie nahm tätigen Anteil an der Vorbereitung und Durchführung der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz zu Bern im März 1915, der ersten internationalen Veranstaltung nach Kriegsausbruch, in der die Stimme des Sozialismus die Enterbten aller Länder zur Revolution rief. Tatkräftig arbeitete und kämpfte Rosa Bloch in dieser Beziehung weiter und stand von da an in regelmäßiger, sich immer fester und inniger gestaltenden Verbindung mit denen, die die Grundlage für die Kommunistischen Parteien und die Dritte Internationale zu schaffen begannen. Sie alle haben nicht bloß ihre selbstlose Hingabe an die Sache und ihre verzehrende Arbeitsfreudigkeit kennen gelernt, sondern nicht minder auch die Güte und Treue ihres Wesens. Wer ihre Freundschaft gewann, der durfte stets und unter allen Umständen auf sie zählen. Sie hatte das Talent liebevoller Fürsorge, die Mütterlichkeit der Kinderlosen wärmte Groß und Klein, wer in den Kreis ihres Lebens trat.

Rosa Bloch empfand die russische Revolution, das Entstehen des ersten Arbeiter- und Bauernstaats der Welt, als das größte Ereignis ihres Lebens. Dass sie das erleben durfte, schätzte sie als höchstes Glück. Sie fühlte, dass dieses gewaltige Geschehen von entscheidender welthistorischer Bedeutung war, und dass es ihrem Geist neue, lichtvolle Erkenntnisse gab, in ihrer Seele starke Quellen der Begeisterung, des Wollens, der Kraft erschloss. Freudigst begrüßte sie die Gründung der Dritten Internationale und die Entwicklung der internationalen kommunistischen Frauenbewegung, die ideologisch wie organisatorisch mit ihr verbunden ist.

Als der Reformismus in der Schweizer Sozialdemokratie so üppig emporwucherte, dass die Abspaltung des kommunistischen Flügels notwendig wurde, sah sich Rosa Bloch vor eine schwere Entscheidung gestellt. Sie musste Antwort auf die Frage suchen, ob sie der Sache des Kommunismus, der Revolution durch ihr Ausscheiden aus der Partei oder ihr Verbleiben in ihr mehr dienen könne. Sie ging mit der Linken aus der Sozialdemokratie, weil sie sich sagen musste, dass diese nicht von innen heraus gesunden könne, vielmehr zunehmendem Opportunismus verfalle. Mit größter Opferwilligkeit arbeitete und kämpfte sie für das Erstarken, die Ausdehnung der jungen Kommunistischen Partei der Schweiz, für die Ausgestaltung ihrer Einrichtungen, die Klarheit ihrer Ziele. Außerordentlich schwer empfand sie es in der Zeit der leidenschaftlichen Meinungskämpfe, dass ihre theoretische Schulung nicht systematischer und weit fassender war, und trotz Überbürdung mit Tagesarbeit und Tagesplage bemühte sie sich eifrigst, Kenntnisse und grundsätzliche Erkenntnis zu erwerben. In ihrem Bildungsdrang wie in ihrer Begeisterung für ihr Ideal blieb sie immer jung.

Jahrelang hatte Rosa Bloch im Vorstand des Schweizerischen Arbeiterinnenverbandes gesessen und war Leiterin seines Organs, „Die Vorkämpferin“, das Dank ihr zu den tapfersten und klarsten Blättern der internationalen proletarischen Frauenbewegung gehörte, voller Frische, Entschlossenheit und Wärme war, wie die Herausgeberin selbst. Nun wirkte Rosa Bloch unermüdlich dafür, dass die schweizerischen Frauen sich der Kommunistischen Partei anschlossen, und dass diese unter ihnen regste, planmäßige Aufklärungs- und Erziehungsarbeit leistete.

Sie organisierte Frauenagitationskomitees und Frauengruppen mit anregenden, bildenden Diskussionsabenden. Sie war die Leiterin der zentralen Agitationskommission in Zürich und vertrat die Forderungen der kommunistischen Frauenbewegung im Parteivorstand, dem sie als Mitglied angehörte. Ihre Wohnung war der Sitz des Frauensekretariats, dessen Büroarbeit sie allein leistete und dessen Ausgaben sie aus ihrer eigenen Tasche bestritt. Dass die Partei in Zürich ein eigenes Organ gründen konnte: „Der Kämpfer“, war mit Rosa Blochs persönlicher Verdienst. Mit Rat und Tat war sie bemüht, materielle Grundlage dafür schaffen zu helfen und dem Blatt eine gute Verbreitung zu sichern. Nach der Parteispaltung musste „Die Vorkämpferin“ eingehen. Rosa Bloch schuf dafür Im „Kämpfer“ und im Basler „Vorwärts“ Frauenseiten, in denen sie für den Kommunismus warb und schulte. Obgleich die materiellen Mittel äußerst knapp und die Zahl der verfügbaren literarischen Kräfte klein war, brachte sie es fertig, dass 1921 und 1922 zum Internationalen Frauentag ein besonderes Frauenblatt erschien, das Geist, Willen, Tatfreude atmete. Rosa Bloch war die Seele, die nie ermüdende Tatkraft der brüderlichen Hilfsaktion für Sowjetrussland. Durch Lichtbildervorträge, Nähabende, Haussammlungen mobilisierte sie die Frauen in der Schweiz zu aktivster Solidarität.

Als Vertreterin der Kommunistischen Partei der Schweiz nahm sie 1921 am Dritten Weltkongress der Kommunistischen Internationale teil, wie der Zweiten Internationalen Konferenz der Kommunistinnen zu Moskau. Es waren das Tage für sie, in denen sie zehnfach zu leben glaubte, in denen sich für sie alles zusammendrängte, Verantwortungsgefühl, Tätigkeitseifer wurde, was sie Höchstes ersehnt und erstrebt hatte. Sie gehörte zu den Teilnehmerinnen der Konferenz der internationalen Korrespondentinnen der Kommunistischen Parteien, die Ende Januar dieses Jahres in Berlin stattfand. Die Arbeiten der drei Tagungen hat sie als Übersetzerin und Vermittlerin wie durch ihre Erfahrung und ihren klaren Blick wirksam gefördert. Wie werden wir sie bei künftigen internationalen Beratungen vermissen! Wer hätte gedacht, als wir in Berlin zusammen waren, zusammen wirkten, dass dieser kluge, warme Blick nie wieder auf unseren Kampfesreihen ruhen würde, dass wir nie mehr den Rat und die Ermutigung dieser Treuen Stimme hören sollten! Die Basedowsche Krankheit zehrte seit Jahren an Rosa Blochs Lebenskraft und schuf steigende Beschwerden und Behinderung bei ihrer Betätigung. Rosa Bloch entschloss sich zu einer Operation. Eine halbe Stunde danach ist sie verschieden. Rosa Bloch war am 30. Juni 1880 geboren.

Es ist in dieser Stunde und an dieser Stelle unmöglich, alle wichtigen Etappen und Daten von Rosa Blochs Lebensarbeit zusammenzustellen, alle verantwortlichen Posten und Ämter zu nennen, die sie bekleidet hat. Sie würden auch nicht mehr sein als ein Gerippe, als Aktenzeichen. Sie könnten nicht wiedergeben das heilige, glühende Leben, das in Rosa Bloch pulsierte, und das ganz von der Sache des Proletariats erfüllt war. In jeder Stunde und bis zum letzten Atemzug. Das revolutionäre Proletariat hat eine seiner zuverlässigsten und opferwilligsten Kämpferinnen verloren, und mit ihr ein reiches, ein großes Herz. Was uns persönlich genommen worden ist, die wir uns ihrer Freundschaft rühmen durften, darüber ziemt Schweigen. Worte tun weh, wenn die Seele getroffen ist. Es gibt nur einen Ausdruck für solches Leid: Kampf für die größte Sache, die je Menschenwillen und Menschenkraft eingefordert hat, Kampf für die proletarische Weltrevolution. Senken wir einen Augenblick die roten Fahnen vor Rosa Blochs Totenbahre. Lassen wir sie dann stolz und siegesgewiss dem Kampf voranwehen, den zu teilen Rosa Blochs höchster Lebenswille und höchstes Lebensglück gewesen ist.

Clara Zetkin.

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