Clara Zetkin 19190203 Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht

Clara Zetkin: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht

Aus einem Artikel, Februar 1919

[”Leipziger Volkszeitung” vom 3. Februar 1919. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. II, Berlin 1957 S. 75-92]

Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme.

Ich habe euch erleuchtet in der Dunkelheit,

und als die Schlacht begann, focht ich voran,

in der ersten Reihe…

Wir haben keine Zeit zur Trauer.

Aufs Neue erklingen die Drommeten,

es gilt neuen Kampf

Heinrich Heine

Die von Ebert, Scheidemann und ihren Spießgesellen gesegnete und unterstützte Gegenrevolution hat den Gipfel des Verbrechens erreicht. Sie ist in Berlin von dem Massenmord revolutionärer Proletarier zum Meuchelmord der besten Führer vorgeschritten. Genosse Liebknecht, Genossin Luxemburg sind nach ihrer Verhaftung in feig-tückischer Weise gemordet worden. Rosa Luxemburg unter so grauenvollen, barbarischen Umständen, dass sie eine untilgbare Schmach für die Deutschen bleiben, die so ruhmredig von ihrer überlegenen Kultur und Gesittung sprechen.

Die Gemeuchelten waren bis in den letzten Nerv ihres Wesens revolutionäre Kämpfer, überzeugte, glühende revolutionäre Kämpfer. Ihr Dasein ging völlig in dem gewaltigen Ziel auf, das die Geschichte dem Klassenkampf des Proletariats gesetzt hat: der Befreiung der Ausgebeuteten durch die Überwindung des Kapitalismus und die Aufrichtung des Sozialismus. Mit Leib und Seele, großmütig-verschwenderisch warfen sie sich stets in das dichteste Getümmel des Klassenkampfes. Tief von der Überzeugung durchdrungen, dass dessen entscheidende Schlachten nicht in parlamentarischen Körperschaften geschlagen werden, sondern auf den Blachfeldern der Revolution, würde ihre Wahl zwischen einem Tode auf dem Krankenpfühl und dem Erschlagenwerden vor dem Feind in unabwendbarer Stunde nicht zweifelhaft gewesen sein. Aber diese Revolutionäre des Geistes und der Tat haben stets mit offenem Visier, mit ehrlichen, ritterlichen Waffen gekämpft. Und es ist die bittere Tragik ihres Endes, dass sie nicht im offenen Kampfe gefallen, dass sie nach dem Kampfe als Waffenlose, Wehrlose von vertierten Marodeuren und Bravi, von gemeinen Verbrechern, gemeuchelt worden sind. Wir stehen auf unserem Golgatha. Uns deucht, die Sonne habe ihren Schein verloren und sich verfinstert, die Erde müsse bersten und sich auf tun. Ob wohl der mit sozialistischen Redeblumen geschmückte Vorhang im Tempel zerreißt, der den Blicken der proletarischen Massen das Allerheiligste der Ebert-Scheidemannschen gegenrevolutionären Politik enthüllt: das kapitalistische Eigentum, die bürgerliche Ordnung?

Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht nicht mehr! Der revolutionäre Vortrupp der deutschen Arbeiterklasse hat seine viel entschlossensten, kühnsten, kraftvollsten Führer verloren. Das Proletariat aller Länder, der internationale Sozialismus sind durch diesen Verlust aufs schwerste getroffen. Denn seit im August 1914 die Mehrheit der Sozialisten- und Arbeiterparteien in Deutschland, Österreich, Frankreich und England vor dem Imperialismus schimpflich kapituliert hatte, ja, die Arbeitermassen an dessen blutigen Kriegswagen spannte, waren Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die Hoffnung, die Zuversicht aller, die nicht nur selbst glaubensstark am internationalen Sozialismus festhielten, sondern im Einklang mit ihrer Überzeugung danach trachteten, die Massen zum Kampf für ihn zu mobilisieren Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, die Namen waren ein Programm, das Programm des internationalen Sozialismus, ein Programm nicht welken, müden Lippenbekenntnisses, sondern kraftstrotzenden, opferbereiten Tatwillens. Wie das tote Banner der Internationale selbst leuchteten sie über den feigen Verrat, den ängstlichen Verzicht, den zerfleischenden Zweifel, kurz, alle Wirrungen und Irrungen, die der Weltkrieg aus seiner Pandorabüchse über das Weltproletariat und seine sozialistische Vorhut ausschüttete.

Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gehörten zu den ganz wenigen führenden Sozialisten in Deutschland man braucht nicht die Finger einer Hand, um sie aufzuzählen —‚ über deren Stellung zu den Ereignissen vom Ausbruch des imperialistischen Völkerringens bis zu seinem letzten Tage nie der Hauch eines Zweifels ging. Wie die beiden zu den Dingen standen, wusste jedermann, und das wurde auch im Ausland von den Genossen gewürdigt, denen der internationale Sozialismus nicht zu Schall und Rauch geworden war, wurde dort stark von den Teilen des Proletariats empfunden, deren Klassengefühl und Klassenbewusstsein sich lebendig regte. Der Mut, die Zähigkeit, die Selbstverleugnung, womit sie sich immer wieder dem hoch einher rauschenden Strom des triumphierenden Imperialismus entgegen warfen, über seine trüben Fluten das unbefleckte rote Banner des internationalen Sozialismus emporhoben, ließen die Achtung und Sympathie für die sozialistische Bewegung Deutschlands, den Glauben an ihre Erneuerung nicht sterben. In allen Ländern beriefen sich die dem Imperialismus dienenden Sozialpatrioten auf die Scheidemann und David; die schwankenden Gestalten der zahmen, grundsatzunsicheren Opposition schworen auf Kautsky. Wenn aber in Frankreich, England, Italien, Russland Proletarier dem Gefühl ihrer Solidarität mit den Brüdern der ganzen Welt und namentlich mit den Brüdern in Deutschland Ausdruck geben, wenn sie sich als internationale Sozialisten bekennen wollten so ertönte der Ruf: Hoch Karl Liebknecht!

Wer darf es vergessen, dass Karl Liebknecht in Deutschland der erste und lange der einzige Sozialdemokrat war, der den verderblichen Bann jener Parteidisziplin zu brechen wagte, die aus einem untergeordneten Mittel zum Zweck wirksamer Aktion zum beherrschenden Götzen Vitzliputzli geworden war, dem jede Aktion geopfert wurde? Dass er der erste und lange der einzige war, der im Deutschen Reichstag als internationaler Sozialist sprach und handelte und damit wirklich die ”deutsche Ehre”, die Ehre des deutschen Sozialismus‚ geschirmt hat? Die Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion bewilligte Kriegskredite für den Brudermord, sie trübte und vergiftete das Urteil der Massen, indem sie sich mit Verleugnung der sozialistischen Ideale die bürgerlichen Schlagworte und Losungen zu Eigen machte.

Die opponierende Minderheit unterwarf sich löblich und schwieg. Der einzige Karl Liebknecht hatte den Mut allein zu stehen, als ganzer Mann zu handeln, sein unbeugsames ”Nein” in das Parlament, in die Welt hinauszuschleudern!

Umbrandet von der Raserei der bürgerlichen Parteien, von der sozialdemokratischen Mehrheit beschimpft und verleumdet, von der Minderheit allein gelassen, machte er den Reichstag zum Kampfplatz gegen den Imperialismus und Kapitalismus, jede Gelegenheit nutzend, diese Todfeinde des Proletariats zu demaskieren, die Ausgebeuteten zur Erhebung wider sie zu rufen — bis zu dem Tage, an dem der Reichstag sich selbst schändete und sein eigenes Recht preisgab, indem er Liebknechts Unverletzlichkeit als Abgeordneter aufhob und den angeblichen Landes- und Hochverräter der hasserfüllten bürgerlichen Klassenjustiz auslieferte. Erweckendes Leben ging von dem tapferen, ungestümen Kampf aus. Er ließ in Proletarierherzen das Vertrauen zum Sozialismus hell aufflammen und Proletarierfäuste sich kampfbereit ballen. Und Karl Liebknecht trug den Kampf dorthin, wo er ausgefochten werden musste, unter die Massen selbst. In Wort und Schrift hat er um ihre Seelen mit dem Imperialismus gerungen bis zu dem Tage, wo die bürgerliche Gesellschaft ihre Rache an dem gefürchteten und gehassten Feind nahm und ihn das Zuchthaus verschlang. Warum? Weil er, der Armierungssoldat, auf der Straße die Proletarier aufgefordert hatte, die Maifeier zu einer gewaltigen Willenskundgebung zu machen, die im Zeichen des internationalen Sozialismus den korrumpierenden ”Burgfrieden” zerschlagen, dem Völkernorden ein Ziel setzen, die verbrecherische Regierung fortfegen sollte. Jedoch weder Gefahr noch Verfolgung hat Karl Liebknechts Überzeugung erschüttert und seine Kampffreudigkeit gelähmt. Davon legt seine wundervoll stolze Rede vor dem Militärgericht, ein klassisches Muster der Verteidigung eines politischen Kämpfers, Zeugnis ab, und seine weitere Betätigung hat es überzeugend bestätigt.

Vom Geiste des internationalen Sozialismus erfüllt, die geschichtliche Situation und ihre Gefahren mit tiefem, scharfem Blick wertend, hatte Rosa Luxemburg einen glänzenden Kampf gegen den Militarismus hinter sich, als der Weltkrieg ausbrach. Der Bankrott der sozialdemokratischen Führer am 4. August war für sie keine zerschmetternde Überraschung. Ohne auch nur eine Minute zu verlieren‚ ging sie mit höchster Energie daran, alle in der Sozialdemokratie aufrecht und unerschüttert gebliebenen Kräfte für die zielbewusste Aktion zu sammeln, die fortgerissenen proletarischen Massen zur Selbstbesinnung. Und vom verderbenden Völkerkrieg zum befreienden Klassenkampf zurückzuführen.

Als es sich um den ersten Protest dagegen handelte, dass Reichstagsfraktion und Parteivorstand die sozialistischen Ideale und Grundsätze mit Füßen getreten hatten, um die erste Kampfansage des internationalen Sozialismus gegen Imperialismus und Sozialpatriotismus, da schmolz die Zahl der Parlamentarier, die im kleinen Kreise die wortgewaltigste Kritik an der Haltung der Mehrheit geübt hatten, wie Märzschnee in der Sonne. Von etwa 20 schrieb nur der eine Karl Liebknecht zusammen mit Rosa Luxemburg, Franz Mehring und mir seinen Namen unter die entsprechende Erklärung. Schwerer, unendlich schwerer als diese Enttäuschung traf Rosa Luxemburg das Schweigen, das Versagen der Massen. Mit verzehrenden, Feuereifer ging sie daran, diese mit klarer Erkenntnis, männlichem Selbstvertrauen in ihre Kraft und tatbereitem Willen zu beseelen. Ungeachtet ihrer Kränklichkeit zu dieser Zeit und der Hindernisse des Belagerungszustandes nahm sie jede Gelegenheit wahr, in Versammlungen als Vortragende oder Diskussionsrednerin zu wirken, durch persönliche Fühlungnahme mit tätigen Genossen und Genossinnen in den sozialdemokratischen Organisationen den sozialistischen Geist stark zu halten und zu lebendiger Tat zu treiben.

Die Mehrheitspresse verseuchte geistig und moralisch das Proletariat. Ihrem Treiben musste entgegengearbeitet werden. Diesem Zweck sollte eine Korrespondenz für Zeitungen1 dienen, die Rosa Luxemburg zusammen mit Franz Mehring und dem Genossen Karski2 gründete. Die Korrespondenz brachte wertvolle, glänzende Beiträge, viele davon aus Rosas Feder, sie musste aber trotzdem oder richtiger gerade wegen ihres Wertes, ihrer Bedeutung bald wieder eingehen. Die meisten Zeitungen druckten aus ihr nicht nach, weil sie durch Veröffentlichung dieser Artikel die eigene Haltung gebrandmarkt hätten. Die Minderheitsblätter fürchteten, dass der Gedankeninhalt der Beiträge, scharf geschliffen wie Stahlklingen, dass die von sozialistischer Kampfleidenschaft getragenen Worte die Zensur reizen würden. Und tatsächlich leistete diese das Mögliche und Unmögliche, um Artikel der Korrespondenz zu verbieten, die veröffentlicht werden sollten, um die zu verhunzen, die erscheinen durften. Die Demut, mit der sich der größte Teil der Presse ihrer Knebelung unterwarf, machte die Zensur frech und frecher.

Die sich in den Reihen der Sozialdemokratie stärker ankündende Opposition bedurfte eines leitenden Organs, das für die voranstürmende, führende Kerntruppe bestimmt war. Es sollte schmetternder, weckender Kampfruf und klärendes, vertiefendes theoretisches Schulungsmittel sein. Es sollte die Opposition auf den granitnen Boden einer festen grundsätzlichen Auffassung des internationalen Sozialismus stellen und ihr damit scharfe, sichere Richtlinien der praktischen Betätigung ziehen. Es sollte zusammenschweißen, was zusammengehörte, und scheiden, was getrennt sein musste, weil Klarheit der Auffassung und Festigkeit des Handelns sich nicht mit nebelhaften Ideen und Halbheit verträgt.

In Gemeinschaft mit den oben genannten und anderen Freunden entwarf Rosa Luxemburg den Plan zur Herausgabe der ”Internationale” und bereitete die erste Nummer vor. Jedoch noch ehe sie die redaktionelle Arbeit zum Abschluss bringen konnte, legten die klassenstaatlichen Gewalten die Hand auf sie. Rosa Luxemburg wurde plötzlich verhaftet und musste, obgleich unter den Nachwehen schwerer Krankheit leidend, das Jahr Gefängnis verbüßen, das sie für den eingangs erwähnten Kampf gegen den Militarismus strafen sollte. Genosse Mehring, der Greis mit der Jünglingskraft, sprang ohne Rücksicht auf Mühe und drohende Verfolgung für die Verhaftete ein. Das erste und einzige Heft der ”Internationale”, ein geschichtliches Dokument des internationalen Sozialismus, konnte erscheinen nicht ohne dass es Mehring, Genossin Luxemburg, den Genossen Bertens und Pfeiffer in Düsseldorf und mir eine Anklage wegen schwerster Verbrechen wider die bürgerliche Ordnung und ihren Staat brachte.

Die herrschenden Gewalten wussten, was sie taten, als sie Rosa Luxemburg für ein Jahr hinter Schloss und Riegel setzten. Sie wussten, was sie taten, als sie nach Ablauf dieses Jahres und einer ”Atempause” von wenigen Monaten keine Ruhezeit, sondern eine Zeit fieberhaften Kämpfens — die ”staatsgefährliche Person” in Schutzhaft nahmen und zweieinhalb Jahre von Gefängnis zu Gefängnis schleppten, zeitweilig unter Verhältnissen — wie in dem Polizeigefängnis am Alexanderplatz zu Berlin —‚ die geradezu mörderisch waren und selbst eine starke Gesundheit und Energie brechen konnten. Allein, die Träger der herrschenden Gewalten hatten sich verrechnet, wenn sie wähnten, die unversöhnliche Feindin der bürgerlichen Ordnung mattgesetzt zu haben. Was sie nicht begriffen, was sie ihrem Wesen nach nicht begreifen konnten, das war die unbezähmbare siegreiche Kraft der revolutionären Seele einer Rosa Luxemburg.

Die Glut ihres Herzens, dessen große Leidenschaft der Sozialismus war, schmolz die Schlösser und Riegel, und ihr stählerner Wille riss die Mauern ihrer Kerker nieder. Ihr kühner, stolzer, phantasiereicher, genialer Geist spottete der Ketten und der Schergen. Er bannte die Weite der draußen flutenden Welt in die Enge der dumpfigen Zelle, die Einsamkeit belebte er mit den Erscheinungen des geschichtlichen Zeitgeschehens in das er forschend, durchleuchtend untertauchte, und er fand den Weg, richtungweisend, beispielgebend ins Freie zu treten. Neben der ihr erlaubten wissenschaftlichen und literarischen Betätigung leistete Rosa Luxemburg eine erstaunliche Fülle politischer, revolutionärer Kampfarbeit — heimlich, vor strengen Durchsuchungen ihres unfreiwilligen ”Heims”, ihrer Habe und Person bangend, ungezählte Male am Tage durch Späheraugen gestört, im Halbdunkel, frierend, unter anderen äußeren Schwierigkeiten und stets von der Gefahr bedroht, entdeckt und hart gestraft zu werden. Es war Tag für Tag ein Ringen des revolutionären Geistes und Temperamentes mit gehäuften außerordentlichen Hemmungen; aber Geist und Temperament gingen als Sieger daraus hervor. Das Martyrium wurde Heldentum, das Opfer wurde Tat.

Hinter Gefängnismauern verfasste Rosa Luxemburg die Junius-Broschüre. Hier legte sie in tief schürfender, lichtvoller Weise und glänzender Darstellung die Wurzeln und das Wesen des Imperialismus bloß und zeigte die treibenden Kräfte, die äußeren Anstöße des Weltkrieges. Mit unbarmherziger Schärfe, alle berauschend schillernden, patriotischen Losungen im Scheidewasser der Tatsächlichkeit auflösend, enthüllte sie seinen wahren Charakter und seine wirklichen Ziele. Sie erfasste ihn endlich als unfreiwilligen Wegbereiter der Weltrevolution und wies den Proletariern aller Länder ihre große geschichtliche Aufgabe: international vereint die von der Entwicklung der Dinge vorbereitete Umwälzung zu bewusster Befreiungstat zu machen, den Kapitalismus in die Grube zu stoßen und den Sozialismus zur Herrschaft zu führen. Dem eigenen Wesen der Verfasserin getreu, sollte die Junius-Broschüre klärende Theorie für die Wissenshungrigen geben als unerlässliche Voraussetzung für die zielgerichtete Praxis der Tatverlangenden. Sie schloss daher mit Leitsätzen, die die vollste Internationalität als oberstes Gesetz des proletarischen Klassenkampfes proklamierten

Geist vom Geist der Junius-Broschüre und unter den gleichen Umständen wie sie entstanden die Artikel, die Rosa Luxemburg für Organe der äußersten sozialistischen Linken schrieb, entstanden ihre Beiträge und Anregungen für die ”Spartakusbriefe”, ihre Flugblätter usw. Ihre geheime Korrespondenz mit vertrauten Freunden war ein frischer, unerschöpflich sprudelnder Springquell geschichtlicher Einsichten in die Situation und Rat heischender Energie, eine einzige fortreißende Mahnung zu Arbeit und Kampf.

Der 9. November öffnete endlich für Rosa Luxemburg das Gefängnistor, gab ihr die volle Kampffreiheit zurück, und zwar in der leidenschaftlich ersehnten Zeit einer Revolution. Kurz vorher hatte eine Amnestie den Zuchthäusler Karl Liebknecht befreit. In dem Feuerbrand der Revolution wurde die treue Waffenbrüderschaft der beiden fest geschmiedet. Die Revolution bedurfte einer Stimme, die die Massen weckte, ihnen die Richtung und das Ziel ihres Kampfes zeigte und das gefährliche Treiben der Gegenrevolution unter sozialistischer Flagge enthüllte; sie bedurfte einer Stimme, die sie vor Halbheit und Flauheit warnte und lehrte, kämpfend auf die eigene Kraft zu bauen. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg riefen zusammen ”Die Rote Fahne” ins Leben.

Es ist jetzt nicht die Stunde, die Haltung dieses Tageblattes und die ihr zugrunde liegende Auffassung im Einzelnen zu werten. Ihren Charakter, ihr Wirken betrachtet, war ”Die Rote Fahne” wirklich als Organ der Revolution ein Stück Revolution selbst. Überschäumend von Kraft und Energie, scharf in Blick und Wort, volkstümlich in der Darstellung, setzte sie sich mit den auftauchenden Fragen und Erscheinungen auseinander. In der ”Roten Fahne” spürte man den leidenschaftlichen Pulsschlag der Revolution, aus der ”Roten Fahne” wehte uns der glühende Odem entgegen. ”Die Rote Fahne” war Rosa Luxemburg. Der Stab ihrer Mitarbeiter war klein, ein jeder von ihnen stand noch auf anderem Posten im revolutionären Kampfe. So ruhte die Hauptlast der Arbeit auf Rosa Luxemburg, und die wohl gerüstete, leidenschaftliche Revolutionsstreiterin gab dem Blatt das Gepräge.

Karl Liebknecht wirkte mehr durch das gesprochene Wort. Er lebte und webte in Versammlungen und Demonstrationen. Was die Massen empfinden, was sie als Leid und Wunsch bewegt, dem verlieh er Ausdruck und zeigte es als Willensziel. Ohne zu ermüden und zu erlahmen, trug er das Banner der Revolution, des internationalen Sozialismus voran. Es ist schier Unglaubliches, Unmögliches, was die beiden Gemeuchelten in den zwei Monaten der Revolution geleistet haben. Zu den Redaktionsarbeiten, der Abfassung von Flugblättern, dem Halten von Vorträgen, der Mitwirkung an Demonstrationen kamen fast unausgesetzt Konferenzen, Sitzungen von Organisationen und Körperschaften, Besprechungen mit Einzelpersonen, geschäftliche Angelegenheiten und anderes mehr. Ein fieberhaftes, verzehrendes Hasten, das auch die Nacht als Arbeitstag einforderte, denn es stand unter dem Gebot des Wirbelsturmes der Ereignisse, der sich blitzschnell entfaltenden revolutionären Situation. Kein Ruhen und Rasten in dem behaglichen Heim, das treueste Freundschaft Rosa Luxemburg, das die hoch gesinnte Gattin Karl Liebknecht bereitete. Der Weg dorthin wurde den Kämpfern nicht bloß durch ihre Pflichtbürde verwehrt, sondern auch noch durch den tödlichen Hass von Feinden. Lange ehe sich die Situation im blutigen Bürgerkrieg entlud, beinahe vom ersten Tag der Revolution an, lauerten Fanatiker auf sie, die ihnen den Tod geschworen. Unstet und flüchtig mussten sie den Aufenthaltsort fast täglich wechseln. Dass sie nicht zusammenbrachen, bevor der Meuchelmord sie fällte, dass umgekehrt ihre Kraft mit den Anforderungen wuchs, ist eines jener ”Wunder”, die die stärkste, reinste revolutionäre Leidenschaft, die höchste Überzeugungstreue in der aufpeitschenden Atmosphäre der Revolution wirken.

Der gedrängte und unvollständige Rückblick auf das, was Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg während des Weltkrieges und der zwei Monate Revolution für die Befreiung des Proletariats geleistet haben, deuchte mir Pflicht gegen die teuren Toten und Lebenden. Viel von ihrem Wirken ist leider viel zu vielen unbekannt geblieben, und es offenbart leuchtend, beispielgebend die Macht kernfester Überzeugung und hingebungsvollen, Tat suchenden Willens. Nur andeutungsweise sei von der schweren Zeit gesprochen, die mit Kriegsausbruch für die kämpfenden internationalen Sozialisten anhob.

Karl Liebknecht war einer der eifrigsten und geschätztesten Redner und Agitatoren der Sozialdemokratie. Als Abgeordneter im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus blieb er sich der Grenzen des Parlamentarismus bewusst und erblickte seine Hauptaufgabe darin, zum Fenster der ”hohen Häuser” hinaus zu den Massen zu sprechen. Bei dem Meinungsstreit, der im Lager der Sozialdemokratie während der letzten 15 Jahre um Grundsätze, Taktik und Kampfmittel ausgefochten wurde, trat er als Anhänger des linken Flügels hervor. Die deutsche und internationale sozialistische Jugendbewegung verdankt ihm reiche Anregungen und tatkräftige Förderung. Klarer und schärfer als die meisten sozialdemokratischen Führer erkannte er die Gefahren des Militarismus für den proletarischen Klassenkampf und forderte, dass ihnen durch eine planmäßige antimilitaristische Propaganda unter der Jugend ein Damm entgegengesetzt würde. Seine eigene antimilitaristische Agitation zog ihm einen Prozess wegen Hochverrats zu, der ein Blatt der Schmach in der Geschichte der deutschen Klassenjustiz ist und mit der Verurteilung Liebknechts zu anderthalb Jahren Festungshaft endete. In den Jahren vor 1914 stand er mit im Vordertreffen des Kampfes gegen den Imperialismus, um die Massen gegen die aufziehende Gefahr eines Weltkrieges auf die Schanzen zu rufen.

Und Rosa Luxemburg? Kaum achtzehnjährig, musste sie wegen ihrer revolutionären Gesinnung aus der Heimat, Russisch-Polen, nach der Schweiz flüchten. Neben einem ebenso gründlichen wie weit fassenden Studium der Gesellschaftswissenschaften und namentlich der besten wissenschaftlichen sozialistischen Literatur aller Länder beteiligte sie sich mit Feuereifer an der jungen sozialistischen Bewegung Polens, die in mehrere Richtungen gespalten war. Rosa Luxemburg kämpfte mit der ihr eigenen Energie und Klarheit darum, die kleinbürgerlichen, nationalistischen und halbanarchistischen Strömungen durch den internationalen Sozialismus zu überwinden. Dank ihrer überlegenen Geistes- und Charakterkraft zählte sie bald zu den einflussreichsten Führenden, von den einen verehrt und den anderen verschmäht und gehasst. Ihrer geschichtlichen Auffassung nach war es das deutsche Proletariat, das die nächste große entscheidende Schlacht für den Sozialismus schlagen würde. Ihr heißes revolutionäres Herz trieb sie, diese Schlacht vorbereiten und schlagen zu helfen. Durch eine fiktive, sobald als möglich gelöste Ehe erwarb sie die deutsche Reichszugehörigkeit und konnte nun Deutschland als Arbeitsstätte und Kampfplatz wählen. Mit Leib und Seele gab sie sich hier der Sache des Proletariats hin.

So ist es nur ein umfangreiches wissenschaftliches Werk, das von Rosa Luxemburg gedruckt vorliegt: ”Die Akkumulation des Kapitals”. Das Manuskript zur Fortsetzung dieses hoch bedeutenden Buches wurde von Rosa Luxemburg im Gefängnis abgeschlossen. Wenn wir nicht irren, hat sie hinter Mauern auch eine Reihe wissenschaftlicher Vorträge für den Druck vorbereitet. Vom echtesten wissenschaftlichen Leben erfüllt ist die Doktorarbeit über ”Die industrielle Entwicklung Polens”, ferner die Broschüre ”Massenstreik”‘ in der die Leidenschaft eines revolutionären Temperaments pulst. Die gleiche Vereinigung von Wissenschaftlichkeit und Kampfgeist kennzeichnet auch die vielen Beiträge, mit denen Rosa Luxemburg in früheren Jahren ”Die Neue Zeit” bereichert und belebt hat. Sie nimmt vielen ihrer Artikel in der alten Dresdner ”Sächsischen Arbeiter-Zeitung”, der ”Leipziger Volkszeitung”, der ”Gleichheit”, im ”Vorwärts” die rasche Vergänglichkeit, die so leicht das Schicksal der Erzeugnisse vom Tag für den Tag ist. Als wissenschaftliche Lehrerin an der Parteischule in Berlin wurde Rosa Luxemburg auch von denen aufs höchste geschätzt, die ihre Auffassung bekämpften.

Seit sie den Fuß auf deutschen Boden gesetzt, warf sie sich ungestüm und ausdauernd allen opportunistischen und revisionistischen Strömungen entgegen. Für das revolutionäre Wesen und die ihm entsprechende Taktik kämpfte sie in der Presse, in Versammlungen, auf den Parteitagen. Keine große Streitfrage, bei deren Austrag Rosa Luxemburg nicht im dichtesten Schlachtgewühl gefochten hätte. Sie hatte das Ohr der Parteitage wie das der großen Massen im Lande, unter die sie als Agitatorin trat.

Die Riesenarbeit der Revolutionierung der deutschen Proletarier genügte dem Pflichtgefühl einer Rosa Luxemburg nicht. Sie blieb das geistige Haupt der Sozialdemokratischen Partei Polens, die den Internationalismus des proletarischen Klassenkampfes hochhielt. Ihre Stellung begriff eine Fülle von Arbeit, Sorgen und Verantwortlichkeit in sich. Nachdem sich 1905 die Proletarier im russischen Reich zum Kampfe wider Zarismus und Kapitalismus erhoben hatten, empfand es Rosa Luxemburg als inneres Gebot und Glück, diesen Kampf zu teilen. Unter Schwierigkeiten und Gefahren eilte sie nach Warschau und wanderte dort nach einigen Monaten verzehrenden Wirkens als Opfer der triumphierenden Gegenrevolution in die scheußliche Kasemattenhaft. Vor einem schlimmeren Los wurde sie durch die Flucht bewahrt. An der finnisch-russischen Grenze, in der Nähe Petersburgs, verborgen, setzte sie ihre Tätigkeit fort, bis ihr die Rückkehr nach Deutschland möglich wurde, wo sie sich sofort wieder in den alten, guten Kampf stürzte. International wie ihre Lebensarbeit, war ihr Einfluss. Rosa Luxemburg war in der II. Internationale eine Führende, deren Stimme schwer in die Waagschale fiel.

Wie ohnmächtig sind diese trockenen Angaben, um Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs reiche, schöne Menschlichkeit zu zeigen. Aus dieser Menschlichkeit aber zogen die beiden Vorkämpfer des Sozialismus ihre beste Kraft, sie war es, die ihrem Leben und Weben Glanz, Farbe und Wärme verlieh. Karl Liebknecht war der würdige Sohn seines großen Vaters, der nach keinem anderen Ruhm verlangte, als voranstürmend ”ein Soldat der Revolution” zu sein. Karl war ein heldenhaft voranstürmender Soldat der Revolution. Er hatte das prachtvoll ungestüme, überschäumende Temperament des geborenen Kämpfers, seinen frisch-fröhlichen Wagemut und seine trotzige Ausdauer. In ihm pulsierte altes Bekennerblut, war der Glaube, der Berge versetzt. Ihm eignete die stolze Tapferkeit, sich allein gegen eine Welt von Feinden zu stellen. Gefahren und Opfer schreckten ihn nicht, Verleumdungen und Beschimpfungen glitten an ihm ab. Er empfand es als schlichte Selbstverständlichkeit, für seine Überzeugung seine Stellung und sein Leben einzusetzen. Gleich seinem Vater war er von spartanischer Anspruchslosigkeit und Einfachheit, dabei voller Güte für andere. Wenn er kämpfte, so kannte Karl Liebknecht überhaupt keine Bedürfnisse, der Kampf war ihm Lebenslust, Götterspeise.

Eine durch und durch ritterliche Natur ließ gegen jede Ungerechtigkeit seinen Zorn empor flammen und er war stets bereit, die Sache Schwacher, Benachteiligter, Getretener als Seine eigene Sache zu führen.

Rosa Luxemburg war ein Willensmensch, wie es deren nur Wenige gibt. Strenge Selbstbeherrschung drängte die lodernde Glut ihres Wesens nach innen zurück, unter die Decke äußerer Gelassenheit und Ruhe. Sich selbst meisternd, konnte sie andere formen und lenken. Ihre empfindsame Natur bedurfte der schützenden Abwehr nach außen. Der Schein kühlen, abgeschlossenen Fürsichseins verhüllte ein ebenso zartes wie tiefes und reiches Gefühlsleben, das nicht bei den Menschen Halt machte, vielmehr alles Lebende, das Weltganze als fest verknüpfte Einheit erfasste. Die ”blutige Rosa” konnte müde und mit Arbeit überhäuft auf ihrem Wege umkehren, um ein verirrtes Räuplein zu seinem meistzusagenden Nahrungsquell zu tragen. Nie wurde sie abgestumpft gegen menschliche Nöte, sie hatte stets Zeit und Geduld, Rat- und Hilfsbedürftige zu hören, sie entbehrte freudig, um anderen zu spenden. So streng sie gegen sich selbst war, so groß war ihre verstehende Nachsicht für ihre Freunde, deren Sorgen und Kümmernisse sie härter drückten als die eigenen Leiden. In ihrer Freundschaft war sie die Treue, Hingebung, Aufopferung und zarte Fürsorge selbst. Und welche bezaubernde Gesellschafterin konnte die ”unnahbare Fanatikerin” im Freundeskreise sein, sprühend von Leben und Geist; Selbstzucht und edler Stolz hatten ihre Fähigkeiten gesteigert zu leiden und zu dulden, die Lippen fest geschlossen. Im wesenlosen Scheine lag alles Gemeine hinter ihr. Die kleine, gebrechliche Rosa war die Verkörperung beispielloser Energie. Sie forderte jeden Augenblick das Höchste von sich und erhielt es. Wenn sie unter einer Überanstrengung zusammenzubrechen drohte, so ”erholte” sie sich bei einer noch größeren Leistung. Bei Arbeit und Kampf wuchsen ihr Flügel. Nur selten sagte sie: ”Ich kann nicht”, um so häufiger: ”Ich muss”. Schwache Gesundheit und die Ungunst äußerer Umstände hatten keine Gewalt über sie. Von Schwierigkeiten und Gefahren umringt, blieb sie stets sie selbst. Innere Freiheit trug sie über beengende Schranken empor.

Die Klage um die Gemeuchelten wird zur Anklage: Wir klagen die Gegenrevolutionäre an, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg nach wohl vorbereitetem Plan gemordet zu haben. wir klagen an; das Blut der furchtbar Gemordeten klebt an den Seelen der Ebert, Scheidemann, Landsberg und Noske. Durch ihre Tat- und Unterlassungssünden haben sie den Bürgerkrieg heraufbeschworen. Sie haben die Atmosphäre geschaffen und schaffen lassen, in der es zum Meuchelmord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg kommen musste. Sie haben es begönnert, dass die Stampfer und Konsorten täglich die Spartakisten als gemeine Verbrecher beschimpften, dass die Wut der sich bedroht fühlenden Besitzenden auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gelenkt wurde als auf die gemeingefährlichen Führer von Räubern und Mördern. Sie haben es geduldet, dass Hunderttausende von Zetteln mit der Aufforderung verbreitet wurden: Schlagt Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg tot! Hängt Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg an die Laternen! Sie boten Kanonen, Minenwerfer und Zehntausende von Soldaten zum Schutz der Papierrollen, der Druckereien usw. der Herren Mosse, Scherl und Ullstein auf. Sie hatten nur die ausgebreiteten Arme eines Offiziers, nicht aber genügend Begleitmannschaften, um das Leben der beiden Verhafteten zu sichern. Die Ebert, Scheidemann mögen ihre Unschuld an dem Meuchelmord mit allen juristischen Formeln beschwören. Sie mögen die gewissenhafte Untersuchung der schmachvollen Vorgänge anordnen und strengste Bestrafung der Schuldigen versprechen. Sie sind und bleiben für den grausigen Meuchelmord verantwortlich. Wie keine Wohlgerüche Arabiens Banquos Blut von Lady Macbeths kleiner Hand abwaschen konnten, so wird an der gegenrevolutionären Faust dieser Männer für immer das Blut der Gemeuchelten haften. Und die Zeit wird kommen, wo ihre Regierungsherrlichkeit in diesem Blut erstickt

Die Mörderhände konnten nur den Leib der feurigen Kämpfer erschlagen. Die Gemeuchelten sind nicht tot. Ihr Herz schlägt in der Geschichte fort, und ihr Geist leuchtet weit über diese düsteren und doch nicht hoffnungslosen Tage hinaus. Das Proletariat wird das reiche Erbe antreten, das ihm Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Wort und Tat, in Lebenswerk und Beispiel hinterlassen. Die Gemeuchelten leben, sie werden die Sieger der Zukunft sein. Aus ihren Gebeinen werden ihnen die Rächer erstehen, die Träger und Vollender der Revolution.

1 ”Sozialdemokratische Korrespondenz” erschien vom Dezember 1913 bis Mai 1915.


2 Julian Marchlewski


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