Clara Zetkin 19170202 Die Konferenz der Parteiopposition

Clara Zetkin: Die Konferenz der Parteiopposition

(Februar 1917)

[”Die Gleichheit, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, Stuttgart, 2. Februar 1917, Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. I, S. 742-748.]

In Berlin hat am 7. Januar eine Konferenz der Parteiopposition getagt, die mit den gegensätzlichsten Empfindungen und Auffassungen begrüßt und gewertet worden ist. Ein Spiegelbild der Gegensätze, deren Entwicklung innerhalb der deutschen Sozialdemokratie, der sozialistischen Parteien der ganzen Welt in den Zeiten des imperialistischen Weltkrieges wie in Treibhaushitze rasch vorangeschritten ist.

Die Tagung war von dem Vorstand der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft einberufen worden und hat alle Gruppen der Opposition gegen die Politik der Fraktionsmehrheit und des Parteivorstandes vereinigt. Die Anhänger dieser Politik — an ihrer Spitze das Organ des Parteivorstandes — haben die Zusammenkunft von vornherein in Acht und Bann erklärt und als das Werk von ”Parteizerrüttern” und ”Parteizerstörern”, von Herostraten der Arbeiterbewegung, gebrandmarkt, die lediglich von Krakeelsucht und Positionshunger bewegt werden. Hätte es noch des Beweises bedurft, wie grundfalsch diese Meinung ist, so wäre er durch den Charakter und den Verlauf der Konferenz gegeben worden. Denn gerade die Sorge um die Gegenwart und Zukunft der Sozialdemokratie, des Klassen- und Emanzipationskampfes des Proletariats hat die Tagung von der ersten bis zur letzten Minute getragen und beherrscht. Sie ist es gewesen, die trotz scharfer Meinungsgegensätze die verschiedenen Richtungen der Parteiopposition zu gemeinsamen Verhandlungen zusammengeführt und in der Auffassung vereinigt hat, bei dem unvermeidlichen Getrenntmarschieren von Fall zu Fall vereint zu schlagen.

Wenn. diese Sorge die Tagenden und den hinter ihnen stehenden Teil der Parteigenossenschaft in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu den Vertretern der so genannten Mehrheitspolitik zeigt, so ist das in der Natur dieser Politik und ihren Folgen begründet. Aufhören, die Politik der Fraktionsmehrheit zu bekämpfen, das würde für die Parteiopposition nicht mehr und nicht weniger bedeuten, als auf ihre sozialistische Überzeugung zu verzichten, die Grundsätze preiszugeben, die all die Jahre hindurch Kern und Stern der politischen Betätigung gewesen sind.

Um was es in den Auseinandersetzungen innerhalb der Sozialdemokratie geht und für die Konferenz ging, das ist denn doch ein anderes als ”die üblen Reste eines aufgeregten Meinungsstreites und die Quisquilien des Kampfes der Parteikompetenzen”, wie der ”Vorwärts” sich so schön wie tiefsinnig ausgedrückt hat. Es ist — mit den sozialistischen Grundsätzen der Sozialismus selbst, der durch die Politik des 4. August dem Nationalismus geopfert wird, und zu dem die proletarischen Massen zurückzuführen das Ziel des Gärungs- und Klärungsprozesses ist, der sich in der Parteiopposition äußert. So musste es zur Konferenz der Opponierenden kommen — früher oder später.

Wie die Dinge liegen, trat auf der Tagung jedoch der Kampf um das hohe Ziel der Parteiopposition zurück hinter den Auseinandersetzungen um Mittel und Wege, in der Partei die Meinungs- und Bewegungsfreiheit zu erringen, die es ermöglicht, Überzeugungsgegensätze auszufechten, dem Ziel zu dienen. Der Parteivorstand braucht und missbraucht die ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel, um die ”Gesamtpartei auf die Politik der Reichstagsfraktion vom 4. August 1914 festzulegen und sie dieser Politik dienstbar zu machen. Den wachsenden Widerspruch versucht er durch planmäßige Gewaltmaßregeln unter Verletzung des Organisationsstatuts niederzuhalten”. Der Kampf gegen diese Gewaltmaßregeln des Parteivorstandes bildete in der Folge den Mittelpunkt der Verhandlungen.

Genossen Haases einleitendes Referat enthielt in der Hauptsache eine wuchtige, scharfe Abrechnung mit dem Verhalten des Parteivorstandes und der Fraktionsmehrheit. Mit Recht hob Haase dabei hervor, dass die von der Regierung aufgerollte Friedensfrage die Gegensätze in der Partei noch mehr zugespitzt habe. Die Mehrheitsfraktion habe sich dabei durchaus als Werkzeug Bethmann Hollwegs behandeln lassen, der nicht daran denke, die Friedensziele der Sozialdemokratie zu vertreten. Es sei nicht nur Recht, sondern Pflicht der auf dem Boden der Opposition stehenden Parteigenossen, sich im Rahmen des Parteistatuts zusammenzuschließen, nicht isoliert zu bleiben. Die Massen müssten für die Opposition gewonnen werden. Die Arbeiterbewegung könne nur als Massenbewegung existieren, die nicht zum alten Trade-Unionismus hinabsinken dürfe, sondern erfüllt sein müsse von sozialdemokratischem Geist.

Genosse Lipinski zog die praktischen Schlussfolgerungen der Verhältnisse für den Zusammenschluss, das planmäßige Zusammenwirken der Opposition im Rahmen der Partei. Er verwarf die Beitragssperre die praktisch keinen Erfolg verspreche, die Macht des Parteivorstandes nicht berühre, ihm aber ein formelles Recht gebe, gegen die Organisationen vorzugehen. Auch wir vermögen der Beitragssperre nicht die überragende Bedeutung beizumessen, die ihr ein Teil der äußersten Linken zuerkennt, deren grundsätzlicher Auffassung wir im Allgemeinen zustimmen. Die Beitragssperre ist nur eine Zweckmäßigkeitsfrage, als solche kühl und nüchtern zu erwägen und — wie uns scheint — zu verneinen. Die Arbeitsgemeinschaft hatte zur Organisierung der Opposition eine Resolution eingebracht, die die Gedankengänge der beiden Referenten zusammenfasste. Eine Sammlung der Opposition auf dieser Grundlage oder einer anderen war jedoch zur Zeit unmöglich. Es fehlte die wichtigste Voraussetzung dafür: die Auseinandersetzung und Verständigung über die grundsätzlichen Fragen, um deren Klärung die Opposition ringt.

Gewiss: Die Arbeitsgemeinschaft hat sich seit dem ersten Nein gegen die Kriegskredite und seiner recht opportunistischen Begründung entschieden weiter nach links entwickelt. Der überwältigende Anschauungsunterricht der Tatsachen und die Kritik der äußersten Linken haben ihre vorwärts treibende Wirkung nicht verfehlt, aber die Fraktion hat sich noch nicht allen vom Kriege aufgeworfenen Erscheinungen und Fragen gegenüber stets mit der nötigen Schärfe und Festigkeit auf den Boden des internationalen Sozialismus gestellt; noch ist ihr grundsätzliches Bekenntnis hier und da unklar und kompromisselnd, ihr taktisches Verhalten schüchtern und zaghaft, es welkt unter dem Reif einer Überschätzung des Parlamentarismus; noch lässt sie sich durch hundert Rück-, Vor- und Nachsichten daran hindern, jederzeit unzweideutig auszusprechen, was ist, und handelnd die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Deshalb stellten die Vertreter der Genossinnen und Genossen, die auf dem Boden der Zeitschrift ‚‚Internationale” stehen, eine eigene Resolution derjenigen der Arbeitsgemeinschaft entgegen. Ihr Wortführer musste mit Recht erklären, dass die äußerste Linke mit der Arbeitsgemeinschaft nicht durch dick und dünn gehen könne. Ein Bündnis mit ihr stoße schon von vornherein auf die Schwierigkeit, dass die Fraktion keinen einheitlichen Standpunkt habe. Das zeige sich zumal bei der Frage der Landesverteidigung. Seine Freunde halten dazu nach wie vor die Grundsätze fest, die Genossin Duncker auf der Reichskonferenz dargelegt hat. Sie treten trotz der Befürwortung der Beitragssperre nicht für die Spaltung der Partei ein, denn unter dem Belagerungszustand betrachten sie die Organisation als das gegebene Feld des Klassenkampfes. Es gelte, die Partei auf andere Wege zu bringen, damit sie schlagkräftiger werde, als sie sich am 4. August 1914 erwiesen habe. Auch Genosse Julian Borchardt wendete sich im Namen der Internationalen Sozialisten Deutschlands gegen die Auffassung und Haltung der Arbeitsgemeinschaft und empfahl die Beitragssperre.

So konnte es zu keiner einheitlichen Beschlussfassung über die Wege zur Organisierung der Opposition kommen. Die Meinungsgegensätze traten erneut zutage bei der Stellungnahme zu der von Genossen Kautsky eingebrachten und begründeten Friedenskundgebung. So hoch die äußerste Linke der Opposition die sozialistische Friedensaktion wertet, ja gerade weil sie sie unter den gegebenen Umständen als geschichtliche Kraft so hoch wertet, musste es ihren Vertretern eine Gewissenspflicht sein, dieser Kundgebung ihre Stimme zu versagen. Sie ist ein typisches Beispiel der Mängel, die wir weiter oben gekennzeichnet haben, und lässt die programmatische grundsätzliche Schärfe vermissen, die sie unter den gegebenen Verhältnissen als Überzeugungs- und Willensausdruck der Konferenz haben müsste.

So wenig wie den Schimpf verdient die Konferenz den billigen Spott und Hohn, mit dem sie von der Presse der Mehrheitspolitiker überschüttet worden ist. Ein Spott und Hohn, der an die Lieder erinnert, mit denen die Kinder sich im Dunklen Mut anzusingen pflegen. Gewiss, die Opposition ist gespalten und gespalten geblieben. Aber wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Ist etwa die Führer- und Gefolgschaft der Politiker des 4. August einheitlich und fest geschlossen, sie, die von den Fanatikern des Umlernens wie Lensch und Haenisch bis zu den ”schwankenden Gestalten” reicht, die in den Fraktionssitzungen ”nein” sagen, sich aber in der Öffentlichkeit ”löblich unterwerfen”? Gewiss, noch ist es zu keinem dauernden Schutz- und Trutzbündnis zwischen den verschiedenen Gruppen der Opposition gekommen. Der Selbstbesinnungsprozess im Lager der Sozialdemokratie kann nicht das Werk eines Tages sein. Es bedarf der Zeit, in der gesichtet, gewogen, gelernt werden muss, der Zeit, um alte Irrtümer gegen neue Erkenntnisse auszutauschen.

Die Konferenz hat beleuchtet, dass der Selbstbesinnungsprozess voranschreitet. Die Rechte der Opposition beginnt die Scheu vor ihrem eigenen Vorgehen, ihrem eigenen Mute zu verlieren. Sie entschuldigt sich nicht mehr, sie klagt an, sie weicht nicht mehr aus, sie stellt sich zum Kampfe. Offener, unverklausulierter als bisher hat sie ausgesprochen, was ist. Sie ist innerlich und äußerlich der äußersten Linken näher gekommen, und auch ohne Beschlüsse wird bei einigem gutem Willen von hüben und drüben, ohne Hinopferung grundsätzlicher Überzeugung, ein nötiges Zusammenwirken von Fall zu Fall möglich sein. Die Konferenz hat ihm vorgearbeitet, und die bei aller Schärfe streng sachlichen Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen lassen es hoffen.

Würde übrigens die Zusammenkunft der Opposition tatsächlich das lächerliche Hornberger Schießen sein, als das sie manche Mehrheitspolitiker gern behandeln möchten, so wäre das wilde Geschrei ganz unverständlich, mit dem einige Parteiblätter vom Parteivorstand den Bütteldienst fordern, die Oppositionellen oder wenigstens die Teilnehmer der Tagung aus der Partei hinauszuwerfen. Ein Ansinnen, das, von dem rein formalen Rechtsstandpunkt abgesehen, zweimal überlegt sein will. Die Konferenz hat das Anwachsen, die Stärke der Opposition gezeigt. 157 Genossen und Genossinnen nahmen an ihr teil, außer den 18 Reichstagsabgeordneten der Arbeitsgemeinschaft 139 Delegierte; vertreten waren 72 Wahlkreise, und nicht wenige andere hatten aus Mangel an Mitteln von einer Beschickung abgesehen. Wenn die Führer der Mehrheitspolitik ein Tänzchen wagen wollen, die Opposition ist bereit. Nach der Konferenz kann es für sie kein Zurück mehr geben, nur ein Vorwärts.

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