Clara Zetkin 19110919 Gegen die Kriegshetzer

Clara Zetkin: Gegen die Kriegshetzer

(Aus der Rede auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu Nürnberg, 19. September 1908)

[“Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Nürnberg vom 13. bis 19. September 1908 sowie Bericht über die 5. Frauenkonferenz am 11. und 12. September 1908 in Nürnberg”, Berlin 1908, S. 459f. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band I, S. 445-447]

Im Auftrage des Vorstandes und der Kontrollkommission habe ich Ihre Aufmerksamkeit auf die vorliegende Resolution1 betreffend die Kriegshetze zu richten. Wir sind der Überzeugung, dass der Parteitag die Resolution einstimmig und ohne Debatte annehmen und dadurch den unerschütterlichen Willen des deutschen klassenbewussten Proletariats bekunden wird, seinen vollen Einfluss gegen die verderbliche Kriegshetze geltend zu machen. Sie alle wissen, welches die Ereignisse sind, die die in der kapitalistischen Ordnung unserer Tage stets bestehende Kriegsgefahr augenblicklich vergrößern. Es ist das skrupellose Treiben bestimmter kapitalistischer Kreise Englands und Deutschlands, das jetzt zum Kriege zwischen den beiden Nationen hetzt. Es ist das Treiben jener Kreise, für welche Kriegsrüstungen und Kriege ein lohnendes Geschäft sind, ein Treiben, das gefördert wird durch die schamlose Tätigkeit literarischer und wissenschaftlicher Zuhälter. Dadurch wird die Aufmerksamkeit der Massen auf die Tatsache gelenkt, dass die Kriege nicht das Werk jener diplomatisierenden “Staatsmänner” sind, jener Marionetten der Geschichte, welche die Regierung in der Hand halten, sondern dass es im letzten Grunde die ausbeutenden herrschenden Klassen sind, deren Interessen zum Kriege drängen. Die so genannten nationalen Gegensätze sind nicht Gegensätze zwischen den Massen der Nationen, sondern lediglich Gegensätze zwischen den ausbeutenden und herrschenden Klassen innerhalb jeder einzelnen Nation. Die so genannten nationalen Gegensätze sind nichts anderes als die eine Seite jener geschichtlichen Erscheinung, deren andere Seite der große historische Gegensatz zwischen den ausbeutenden und den ausgebeuteten Klassen ist. (“Sehr wahr!”)

Die fortschreitende Entwicklung des Kapitalismus ist es, die heute die stärkste Wurzel jeder Kriegsgefahr bildet. Wie die Dinge liegen, kann daher der bedrohte Frieden nun und nimmermehr gesichert werden durch die wohlmeinenden papiernen Beteuerungen der bürgerlichen Friedensfreunde, die selbst durch die Bewilligung von Mitteln für die Rüstungen wie durch ihr Eintreten für die Interessen der besitzenden Klassen, ihr Bemühen, die Gesellschaft der Klassengegensätze zu erhalten und zu festigen, dazu beitragen, dass die Kriegsgefahr bestehen bleibt. Ihr Treiben gleicht dem Tun der Menschen, die wohl die Flamme glimmen sehen, die sich aber erst zum Löschen entschließen, wenn die lohende Glut das Haus zu verschlingen droht. Nicht in papiernen Beteuerungen dieser guten Menschen und schlechten Musikanten, sondern in dem festen Willen der Masse des Proletariats ruht die Bürgschaft für die Aufrechterhaltung des Friedens. (Beifall.) Genauso wie die nationalen Gegensätze und die Klassengegensätze innerhalb der Nationen zwei Seiten ein und derselben geschichtlichen Erscheinung sind, so ist auch die internationale Solidarität der Ausgebeuteten nur eine Seite des Klassenkampfes zwischen Besitzenden und Ausgebeuteten innerhalb jeder einzelnen Nation. Gegenüber der schamlosen Kriegshetze gilt es mit aller Entschiedenheit zu betonen, dass das deutsche Proletariat dem englischen Proletariat, dem französischen Proletariat, dem Proletariat der ganzen Welt brüderlich die Hand zum gemeinsamen Werk für die Erhaltung des Friedens entgegenstreckt, dass das deutsche klassenbewusste Proletariat fest entschlossen ist, den Richtlinien des Internationalen Sozialistenkongresses von Stuttgart entsprechend, Gebrauch zu machen von allen seinen Machtmitteln, die unter den jeweiligen geschichtlichen Verhältnissen in Betracht kommen können, um den Krieg gegen den Krieg, den Kampf gegen den Militarismus und seine Begleiterscheinungen aufzunehmen, um den Frieden mit allem Nachdruck zu sichern. (Beifall.) Der proletarische Klassenkampf ist die Arbeiterverbrüderung, der Sozialismus wird der Völkerfriede sein. (Lebhafter Beifall.)

1 Die vom Parteitag einstimmig angenommene Resolution lautet:

‚‚Das gemeingefährliche und verbrecherische Treiben bestimmter Kreise, zwei Kulturvölker wie das englische und deutsche gegenseitig zu verhetzen und zum Kriege aufzustacheln, dient nur den engherzigsten und kurzsichtigsten Interessen der ausbeutenden und herrschenden Klassen.

Es steht im schroffsten Gegensatz zu der Gesinnung internationaler Brüderlichkeit der ausgebeuteten Massen aller Nationalitäten. welche durch die engste Solidarität der Interessen miteinander verbunden sind.

Angesichts der Opfer an Gut und Blut, welche jeder Krieg gerade in erster Linie den werktätigen Massen auferlegt, und der ungeheuren materiellen wie kulturellen Schädigungen, welche er für die Gesamtheit des Volkes mit sich bringt; angesichts der weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Zusammenhänge, denen zufolge jeder Konflikt zwischen zwei Kulturnationen die Gefahr eines Weltkrieges in sich birgt: macht es der Parteitag dem Proletariat Deutschlands zur besonderen Pflicht, gemäß der Resolution des Internationalen Kongresses in Stuttgart mit allen in Betracht kommenden Mitteln für die Überwindung des chauvinistischen Geistes und die Sicherung des Friedens einzutreten.

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