Clara Zetkin 19121125 Wir erheben uns gegen den imperialistischen Krieg

Clara Zetkin: Wir erheben uns gegen den imperialistischen Krieg

(Rede auf dem Internationalen Sozialistenkongress zu Basel, 25. November 1912)

[“Außerordentlicher Internationaler Sozialisten-Kongress zu Basel am 24. und 25. November 1912”, Berlin 1912, S. 34-36. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band I, S. 564-569]

Im Namen der sozialistischen Frauen aller Länder habe ich dieses zu erklären: In einer unzerstörbaren Einheit des Zieles mit der großen Sozialistischen Internationale verbunden, haben wir es jederzeit als unsere Pflicht, unsere Ehre und unser Glück empfunden, alle eure Arbeiten und Kämpfe zu teilen. Wenn wir aber jemals besonders freudig mit euch zusammengewirkt haben, so in diesem Augenblick, wo ihr das Weltproletariat zum heiligen Kreuzzug gegen den Krieg führen wollt. Wir sind dabei mit euch mit allem, was wir sind, mit allem, was wir fühlen! Gerade weil wir Frauen, weil wir Mütter sind! Wie immer sich die sozialen Verhältnisse im Laufe der Zeiten gewandelt haben, ist durch die Jahrhunderttausende mit unserem Geschlecht die Aufgabe gegangen, neues menschliches Leben zu tragen, zu hegen und zu pflegen. Diese Aufgabe ist unsere Bürde gewesen und unsere Glückseligkeit auch. Alles, was in uns lebt als persönlicher Ausdruck allgemeiner Menschheitsentwicklung, allgemeiner Kulturideale, empört sich, wendet sich schaudernd ab von dem Gedanken an die drohende Massenzerstörung, Massenvernichtung menschlicher Leben im modernen Kriege. Haben nicht alle diese Leben einst unter dem Herzen einer Mutter gelegen, sind sie nicht von einer Mutter in Leid und Freud betreut worden? Und das Grausen vor dem aufziehenden Unheil legt uns die Frage auf die Lippen: Wer ist der Verbrecher, der es auch nur wagt, an solches Werk des Todes zu denken? Auf der Suche nach dem Schuldigen finden wir unter den verwickelten gesellschaftlichen Zusammenhängen als Hauptschuldigen der neuzeitlichen Kriege, des drohenden Weltkrieges den Kapitalismus.

In unseren Tagen ist die kapitalistische Ordnung die große Menschenfresserin.

Der Krieg ist nichts als die Erweiterung und Ausdehnung des Massenmordes, dessen sich der Kapitalismus auch im so genannten Frieden zu jeder Stunde am Proletariat schuldig macht. (Stürmischer Beifall.) Jahraus, Jahrein fallen auf den Schlachtfeldern der Arbeit in jeder kapitalistisch entwickelten Nation Hunderttausende von Opfern, mehr Opfer in einer kurzen Spanne Zeit, als der blutigste Krieg verschlingt. Und wir Frauen selbst stellen solche Opfer in steigender Zahl; auch unsere Bürgerrechtsurkunde wird mit Blut geschrieben. Aber noch ein anderes erkennen wir. Die furchtbare Schändlichkeit des Massenmordes der Völker untereinander ist die verbrecherischste, die verrückteste Form der Massenausbeutung des Volkes der Enterbten durch den Kapitalismus. Sind es nicht die Söhne der werktätigen Massen, die getäuscht, verhetzt, verblendet gegeneinander geführt werden, um einander abzuschlachten? Sie, die Brüder, Genossen sein sollten im Kampfe für die gleiche Freiheit! (Stürmischer Beifall.)

Gegen dieses Verbrechen wehren wir uns als Frauen und Mütter. Wir denken nicht bloß an die zerschmetterten, zerfetzten Leiber unserer Angehörigen, wir denken nicht weniger an den Massenmord der Seelen, der eine unausbleibliche Folge des Krieges ist. Er bedroht, was wir als Mütter in die Seele unserer Kinder gesät, was wir ihnen übergeben haben als das kostbarste Erbe der Kultur, der Menschheitsentwicklung. Es ist das Bewusstsein der internationalen Solidarität, der Völkerverbrüderung. Dieses Ideal wird im Kriege verhöhnt und beschmutzt, ja ertötet. Dagegen kämpfen wir an, kämpfen wir mit der Kraft einer felsenfest gegründeten Überzeugung. Und in diesem Kampfe gehören wir Seite an Seite mit euch. Ja, mehr noch: Ihr, Genossen, könnt die Hilfe der Frauen im Kampfe gegen den Krieg gar nicht missen. (“Sehr wahr!”) Wir führen euch die Zukunft zu und den Sieg. Wenn wir Mütter unsere Kinder mit dem tiefsten Abscheu gegen den Krieg erfüllen, wenn wir von frühester Jugend an das Gefühl, das Bewusstsein der sozialistischen Brüderlichkeit in ihre Seelen pflanzen, so wird die Zeit kommen, wo auch in der Stunde schwerster Gefahr keine Macht der Welt mehr imstande ist, dieses Ideal aus ihren Herzen zu reißen. Denn unsere Töchter, unsere Söhne werden dann nicht nur die Kinder unseres Leibes sein, sie werden als Kinder unserer Seele heranwachsen, unser hehres Ideal wird in ihnen unsterblich leben. Darum werden sie sich in den Stunden höchster Konflikte und Gefahren vor allem ihrer proletarischen und menschlichen Pflichten erinnern. Diese werden ihnen oberstes Gesetz sein. (“Sehr richtig!”)

Wenn wir Frauen und Mütter uns gegen den Massenmord erheben, so geschieht das nicht, weil wir in Selbstsucht und Kleinmut unfähig wären, um großer Ziele und Ideale willen große Opfer zu bringen. Wir sind durch die harte Schule des Lebens in der kapitalistischen Ordnung gegangen, und wir sind in ihr zu Kämpferinnen geworden. Uns ist die Stärke zu Opfern gekommen, die viel schwerer fallen als die Hingabe unseres eigenen Blutes. Darum können wir die Unsrigen kämpfen und fallen sehen, wenn es die Sache der Freiheit gilt. Für diesen Kampf wollen wir dafür sorgen, dass die Frauen der Massen erfüllt werden von dem Geiste jener sagenhaften antiken Mütter, die ihren Söhnen den Schild reichten mit den Worten: Entweder mit ihm oder auf ihm! Unsere brennende Sorge soll eine geistige Entwicklung des heranwachsenden Geschlechts sein, die unsere Söhne davor bewahrt, zum Brudermord für kapitalistische und dynastische Interessen, für die kulturwidrigen Zwecke des Profits, der Herrschsucht, des Ehrgeizes einer Minderheit gezwungen zu werden, die sie aber gleichzeitig stark und reif macht, in freiem, zielbewusstem Wollen ihre ganze Existenz im Freiheitskampf einzusetzen. (Stürmischer Beifall.)

Ihr braucht uns auch um unserer selbst willen, weil wir ein Teil der Massen sind, die als Macht hinter euch stehen müssen. Für den entfalteten Kapitalismus sind Kriegsrüstungen und Kriege Lebensnotwendigkeiten, durch sie sucht er seine Herrschaft aufrechtzuerhalten. Er macht daher die gewaltigsten Machtmittel dem Kriege verschwenderisch dienstbar: die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung, Wunder der Technik, ungezählte Reichtümer, Millionen Menschen. Daher kann das internationale Proletariat in seinem Kriege gegen den Krieg nur erfolgreich sein, wenn auch von seiner Seite in gewaltigen Massenaktionen alle verfügbaren Machtmittel aufgeboten, alle Kräfte mobilisiert werden. Eine Massenbewegung im weitesten Umfang ist ohne die proletarischen Frauen undenkbar. Sie sind ein Teil, die Hälfte der Masse, und als Frauen haben wir wie bei der Arbeit des Alltags, so auch in den Stunden schwerster, gefahrdrohender Kämpfe unsere eigenen geistigen und sittlichen Werte darzubringen. Genossen, diese Wette könnt ihr gerade dann nicht missen, wenn die Massen mit den größten persönlichen Opfern unsere Ideale schützen müssen. Erst wenn auch die große Mehrheit der Frauen aus tiefer Überzeugung hinter die Losung tritt: Krieg dem Kriege, erst dann kann den Völkern der Friede gesichert werden, aber an dem Tage, wo die große Mehrheit der Frauen hinter diese Losung tritt, muss sie auch unwiderstehlich sein.

Die sozialistischen Frauen aller Länder scharen sich mit leidenschaftlicher Begeisterung um unser Banner zum Kriege gegen den Krieg. Sie wissen es, je mehr der Imperialismus zur bestimmenden Politik der kapitalistischen Staaten wird, um so mehr wird dieser Kampf zum Mittelpunkt, zu Höhepunkten des gesamten proletarischen Befreiungswerkes. In hervorragender Weise wird er dazu beitragen, nicht bloß die Massen zu sammeln, sondern auch immer besser zu schulen. Das Proletariat tritt nicht als eine fertige, mess- und wägbare Macht in seine großen Aktionen ein. Seine Macht entsteht und wächst mit seinen Kämpfen. Daher wird sein Krieg gegen den Krieg ein lebendiger Quell wachsender Reife und Machtentfaltung sein und das Nahen der Stunde beschleunigen, wo der die Völker aussaugende, knechtende und mordende Kapitalismus dem Sozialismus weichen muss. Gerade weil in dem Kampfe gegen den Krieg der Zukunftssieg des Sozialismus vorbereitet wird, sind wir Frauen mit glühender Seele dabei. Noch weniger als für die Proletarier können ja für uns Frauen die kapitalistischen Nationalstaaten das wahre Vaterland sein. Das müssen wir uns in der sozialistischen Gesellschaft schaffen, die allein uns die Vorbedingungen voller menschlicher Befreiung verbürgt. Ungeduldig und leidenschaftlich rufen wir: Sozialismus, dein Reich komme! Deshalb werden wir auch im Kriege gegen den Krieg zu den Vorwärtsdrängenden, zu den Stürmenden gehören und eure Entscheidungen um so freudiger begrüßen, je entschlossener, je selbstvertrauender sie sind. Wir sind jedoch nicht umsonst durch die Schule der gemeinsamen Bewegung gegangen. Wir sind dabei, wenn ihr klug und weise wägt. Wir sind dabei, wenn ihr kühn wagt. Wir werden nicht fehlen, wenn es gilt, bis zum letzten Atemzug alles, was wir können, alles, was wir sind, für die Sache des Friedens, der Freiheit, des Glückes der Menschheit einzusetzen.

Das große Ideal, dem wir dienen, kann nur verwirklicht werden, wenn wir der vollen Tragweite des Wortes eingedenk sind:

Und setzet ihr nicht das Leben ein,

Nie wird euch das Leben gewonnen sein!

Kommentare