Clara Zetkin 19080912 Die Jugendorganisation

Clara Zetkin: Die Jugendorganisation

(Leitsätze, Resolution und Rede auf der 5. Frauenkonferenz in Nürnberg, 12. September 1908)

[“Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Nürnberg vom 13. bis 19. September 1908 sowie Bericht über die 5. Frauenkonferenz am 11. und 12. September 1908 in Nürnberg”, Berlin 1908, S. 518—543. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band I, S. 396-441]

I

Leitsätze

1. Die sozialistische Jugendbewegung entsteht notwendig in allen Ländern mit kapitalistischer Wirtschaft. Sie ist das Ergebnis einerseits der durch die kapitalistische Produktionsweise erzeugten wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen in ihrer Rückwirkung auf die materielle und geistige Lage sowie auf das Familienleben des Proletariats, damit auf seine Fähigkeit zum Unterhalt und zur Erziehung des Nachwuchses, wie auch andererseits der Rückwirkung dieser Umstände zusammen auf die Revolutionierung der Stellung und des Bewusstseins der proletarischen Jugend selbst.

2. Begünstigt durch die Not des Proletariats und die technischen Fortschritte der Produktion verwandelt das Ausbeutungsbedürfnis des Kapitals die jugendlichen Proletarier aus schutz- und erziehungsbedürftigen Angehörigen der Familie in selbständig erwerbende Lohnarbeiter in der Gesellschaft. Damit wird die Basis ihrer wirtschaftlichen Existenz aus der Familie in die Gesellschaft verlegt und das alte Verhältnis zwischen Eltern und Kindern von Grund aus umgewälzt, das auf dem absoluten Befehlsrecht der ersteren als wirtschaftlich Erhaltende und ebenso der absoluten Gehorsamspflicht der letzteren als wirtschaftlich Erhaltene beruhte. Die frühe wirtschaftliche Selbständigkeit der jugendlichen Proletarier hat ihre frühe geistige, moralische und soziale Selbständigkeit zur Folge, die Pflicht, ja, der Zwang zur Selbsterhaltung zieht das Recht der Selbstbestimmung nach sich, das seinerseits die Möglichkeit zu freier, gesunder Entfaltung aller körperlichen und geistigen Kräfte des einzelnen in sich begreifen sollte.

3. Im Triebwerk der kapitalistischen Produktion der kapitalistischen Ausbeutung unterworfen, losgelöst von der alten sozialen Gemeinschaft der Familie, lernen sich die jungen Proletarier als eigenverpflichtete und eigenberechtigte Persönlichkeiten erkennen. Im Triebwerk der Produktion der kapitalistischen Ausbeutung unterworfen, werden sie aber auch gleichzeitig der neuen sozialen Gemeinschaft ihrer Klasse fest eingegliedert und begreifen sich als gleiche unter gleichen, als Lohnarbeiter unter der Masse der Lohnarbeiter, den gleichen sozialen Gesetzen der Lebensentwicklung und Lebensbetätigung unterworfen wie diese. Das Bedürfnis der jugendlichen Persönlichkeiten nach Schutz und Erziehung als Voraussetzungen für die Entwicklung der sich regenden leiblichen und seelischen Kräfte stößt an die sozialen Schranken der proletarischen Klassenlage und kann von dem bürgerlichen Klassenstaat als dem politischen Herrschaftsorgan der kapitalistischen Ausbeutungswirtschaft nicht befriedigt werden. Es enthüllt sich den jugendlichen Proletariern als das Recht ihrer Klasse auf jene vollmenschliche Entwicklungs- und Wirkungsmöglichkeit, welche dem Stande der heutigen Kultur entspricht. Dieses Recht wurzelt in der ökonomischen und sozialen Bedeutung des Proletariats, muss sich gegen die ausbeutende Minderheit und ihren Staat im bewusst geführten proletarischen Klassenkampfe langsam durchsetzen und findet erst mit der Überwindung der kapitalistischen Ordnung und der Aufrichtung der sozialistischen Gesellschaft freier, gleichberechtigter Arbeiter seine volle Anerkennung und Verwirklichungsmöglichkeit.

Für die jugendlichen Proletarier fällt daher das Lebensinteresse ihrer Jugend mit dem Lebensinteresse ihrer Klasse zusammen und führt sie mit zwingender Logik zum Sozialismus.

4. Die Erziehung der jugendlichen Proletariermassen im Geiste des Sozialismus und für die Ziele des Sozialismus ist daher die Aufgabe der sozialistischen Jugendbewegung. Diese Aufgabe sucht sie auf dem Wege der proletarischen Selbsthilfe zu lösen, und zwar dadurch, dass sie erstens planmäßig der Verkümmerung und Vernichtung körperlichen und geistig-sittlichen Lebens entgegenwirkt, welche der proletarischen Jugend als Folge der kapitalistischen Ausbeutung ihrer Arbeitskraft, der Mängel ihrer Erziehung in der Kindheit durch Haus und Schule und bestimmter verwahrlosender Einflüsse der kapitalistischen Gesellschaft droht; zweitens ebenso planmäßig die normale Entwicklung dieses Lebens durch die Vermittlung materieller und ideeller Bildungselemente fördert. Die Durchtränkung der proletarischen Jugendmassen mit der sozialistischen Erkenntnis als der Vorstufe zum Wollen und Handeln, welche die sozialistische Jugendbewegung erstrebt, muss das Schlussergebnis eines normalen geistig-sittlichen Entwicklungsprozesses sein. Zu diesem Zwecke muss sich die sozialistische Jugendbewegung vor allem die wissenschaftliche Erkenntnis der eigengesetzlichen Entwicklung der Natur und Gesellschaft nutzbar machen wie auch der persönlich hebenden Bildungselemente des Natur- und Kunstgenusses. Zu diesem Zwecke muss sie aber auch bei Vermittlung des Bildungsstoffes wie der Prägung ihres gesamten inneren und äußeren Lebens berücksichtigen, was die moderne Pädagogik betreffs der gesunden Entwicklung der leiblichen und geistigen Kräfte festgestellt hat.

5. Die sozialistische Jugendbewegung kann die ihr gestellte Aufgabe nur erfüllen als spezifisches Organ beziehungsweise Glied des allgemeinen proletarischen Emanzipationskampfes, von dem sie Ziel und Inhalt empfängt. Sie muss daher im engsten geistigen und, soweit das möglich ist, auch organisatorischen Zusammenhang mit den reifen Trägern dieses Kampfes bleiben, auf deren Unterstützung durch Rat und Tat sie als eine Bewegung reifender Kräfte angewiesen ist. Gleichzeitig bedarf sie aber zur erfolgreichen Erfüllung ihrer spezifischen Aufgabe der eigenen Organisation. Diese muss entsprechend dem Ziel — der Erziehung der proletarischen Jugend zum bewussten und organisierten Handeln als Masse im modernen Klassenkampf — volles Selbstbestimmungsrecht besitzen. Die Schranke ihres Selbstbestimmungsrechts bildet nicht die Autorität der Organisationen Erwachsener, welche das alte Familienverhältnis zwischen Eltern und Kindern sozial reproduzieren würde, sondern lediglich das Interesse der Gesamtbewegung.

6. Die sozialistische Jugendbewegung bedeutet eine der wichtigsten geschichtlichen Lebensäußerungen, deren Tendenz darauf hinausgeht, den von der kapitalistischen Produktionsweise erzeugten, von der bürgerlichen Ordnung entwickelten Individualismus als Prinzip der persönlichen Entwicklung und gesellschaftlichen Betätigung des Menschen bereits im Rahmen der bestehenden Ordnung bewusst zu überwinden und damit geschichtlich der sozialistischen Gesellschaft vorzuarbeiten, die nicht bloß in politischer und ökonomischer, sondern auch in geistig-sittlicher Beziehung eine neue, einheitliche Weltanschauung verwirklichen wird. Praktisch stellt sich die sozialistische Jugendbewegung dar als ein Teil des allgemeinen proletarischen Emanzipationskampfes, und zwar als ein solcher Teil, der mit dem Fortschritt der kapitalistischen Produktion, der Verschärfung der Klassengegensätze und der Zuspitzung der Klassenkämpfe an Bedeutung gewinnt. Die reife, kämpfende Generation des klassenbewussten Proletariats darf nicht tatenlos zusehen, dass dessen jugendliche Glieder in dem kapitalistischen Wirtschaftsbetrieb zu Lohndrückern und Streikbrechern, in der Kaserne zu Werkzeugen der brutalen Gewalt herabgewürdigt werden, welche die kapitalistische Klassenherrschaft schützen und verewigen sollen; dass bürgerliche Bewegungen Geist und Herz der proletarischen Jugend ihrer eigenen Klasse und deren historischen Aufgaben entfremden und mit bürgerlicher Ideologie vergiften. Sie muss, je mehr ihr zielbewusster Kampf das Gebiet ihrer Betätigung erweitert und die vorliegenden Aufgaben spezialisiert, um so eifriger darauf bedacht sein, Träger der proletarischen Emanzipationsbestrebungen zu erziehen, die eine gründliche und feste theoretische Erkenntnis mit praktischer Wirkungsfähigkeit und tatkräftigem, zukunftsfrohem Idealismus verbinden. Sie bedarf der vorwärts treibenden, geistigen und sittlichen Vorzüge der Jugend als eines wesentlichen Faktors, der ihre eigene Bewegung jugendfrisch und jugendkräftig erhält. Sie ist im Hinblick auf das Endziel des Proletariats verpflichtet, für das Heranwachsen eines Geschlechts zu sorgen, das ihr eigenes Werk im besten geschichtlichen Sinne weiterführt, das heißt überflügelt. Das gesamte kämpfende Proletariat muss daher Mitträger der sozialistischen Jugendbewegung sein.

7. Um in diesem Sinne seinen Verpflichtungen gerecht zu werden, muss es der sozialistischen Jugendbewegung die Bewegungsfreiheit sichern, deren sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben bedarf. Es muss ihr gleichzeitig moralisch und materiell alle Beihilfe gewähren, die zur Erringung ihrer Ziele erforderlich ist und den großen grundsätzlichen Richtlinien des sozialdemokratischen Bildungsprogramms entspricht. Als Aufgabe des gesamten kämpfenden Proletariats erfasst und vom gesamten kämpfenden Proletariat getragen, wird die sozialistische Jugendbewegung zum gewaltigsten Stück sozialpädagogischer Praxis, das die Geschichte kennt.

II

Resolution

Die Konferenz sozialdemokratischer Frauen zu Nürnberg stimmt den ihr vorliegenden Leitsätzen zur Frage der sozialistischen Jugendorganisation und den sich aus ihnen ergebenden praktischen Konsequenzen zu.

Sie begrüßt aufs freudigste die internationale sozialistische Jugendbewegung als ein wichtiges, ja, unentbehrliches Glied der proletarischen Emanzipationsbestrebungen.

Dem Ziel und dem Wesen der sozialistischen Jugendbewegung entsprechend, können ihre Aufgaben am erfolgreichsten in besonderen Jugendorganisationen erfüllt werden, welche die schulentlassenen jugendlichen Proletarier beider Geschlechter aufnehmen und volles Recht der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung besitzen, deren Leitungen jedoch Vertreter des gewerkschaftlich und politisch organisierten Proletariats mit beratender Stimme zur Seite stehen.

Wo die Gründung solcher Organisationen nicht möglich ist, sind zweckentsprechende Jugendbildungskommissionen zu konstituieren.

Die Vereine und Kommissionen haben in engster innerer Fühlung und, wo es das Gesetz erlaubt, auch in organisatorischer Verbindung mit den übrigen Organisationen des Proletariats zu stehen. Ihre Hauptaufgabe ist, im Geiste der Resolution über die Bildung der arbeitenden Jugend, welche die Internationale Sozialistische Jugendkonferenz zu Stuttgart angenommen hat, die körperliche und geistig-sittliche Entwicklung der jungen Proletarier zu fördern. Sie sind daher organisch besonders mit den Bildungsinstitutionen zu verbinden, welche das klassenbewusste Proletariat in immer größerer Zahl und Vollkommenheit zu schaffen beginnt. Inwieweit sie sich neben dem hervorgehobenen Hauptziel im Interesse der proletarischen Jugend oder des gesamten Proletariats der Erfüllung von Sonderaufgaben zuwenden (Schutz der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter, Agitation für den gesetzlichen Arbeiterschutz, Verbreitung von Aufklärung über das Wesen des Militarismus usw.), können sie nicht allein entscheiden, sondern nur gemeinsam mit den in Betracht kommenden Organisationen des Proletariats.

Wo es die Verhältnisse irgendwie gestatten, sind die Institutionen zur Jugendbildung in zwei Sektionen zu gliedern, von denen die eine für die jungen Proletarier bis zum Alter von 16 Jahren, die andere für die über 16 Jahre bestimmt ist.

Die Bestrebungen zur sozialistischen Erziehung der Jugend erhalten einen festen geistigen Mittelpunkt durch ein eigenes periodisches Organ, das methodisch in die Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus einführt und neben der allgemeinen geistigen Entwicklung die Charakterbildung fördert.

Die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats sind verpflichtet, die sozialistische Jugendbewegung moralisch und materiell in weitgehender Weise zu unterstützen.

Neben der direkten Förderung, die sie ihr zuteil werden lassen müssen, können sie ihren Bestrebungen im besonderen noch förderlich sein durch die Errichtung von Bibliotheken und Lesezimmern, durch die Beschaffung von Lokalitäten ohne Trinkzwang, von Gärten und Spielplätzen, durch eine zweckentsprechende Gestaltung ihrer Feste und Ausflüge und auf andere geeignete Weise.

Es ist des weiteren ihre Pflicht, ihre Mitglieder unablässig daran zu erinnern, was sie als Eltern, Arbeitskameraden und Freunde den jungen Proletariern schuldig sind: das Beispiel eines Lebens, welches die geistig und sittlich hebende Macht der sozialistischen Ideen verkörpert; ein Verhalten, das von jener Achtung und Sympathie durchdrungen ist, auf welches die Leidensgenossen von heute, die heranreifenden, gleich verpflichteten und gleichberechtigten Kampfgenossen von morgen ein Recht haben; das ernstliche Bemühen, der sozialistischen Jugendbewegung neue Mitglieder zu werben und ihr Wirken zu unterstützen.

Die Konferenz sozialistischer Frauen zu Nürnberg beauftragt ihr Büro, ihre Beschlüsse wie die vorliegenden Leitsätze dem sozialdemokratischen Parteitag zu überweisen und vor ihm vertreten zu lassen. Sie verpflichtet alle Genossinnen, mit regstem Eifer für die praktische Durchführung der gefassten Beschlüsse zu wirken.

III

Rede zur Begründung der Resolution

Die Frage der Jugendorganisation steht im innigen logischen und sachlichen Zusammenhange mit der Frage der sozialistischen Erziehung im Hause. Sie ist geeignet, im höchsten Maße das Interesse der Proletarierinnen, insbesondere aber der proletarischen Mütter, zu erregen, ihren Willen, ihre Energie, ihre Arbeitsfreudigkeit wachzurufen. Mittels des Verständnisses, der Tatkraft, die wir Genossinnen entfalten, um die sozialistische Jugendbewegung zu dem zu machen, was sie ihrem Wesen nach sein muss, vollenden wir nur, was wir im Hause als Mütter zu beginnen haben. Unser Wirken im Dienste der Jugendbewegung bildet ein Mittelglied zwischen unserem Walten als Mütter daheim und unserer Betätigung draußen im öffentlichen Leben als Glieder der Gesellschaft, als kämpfende Proletarierinnen. Aber wollen wir die proletarische Jugendbewegung im Interesse unseres Nachwuchses und unseres Endziels fördern, so müssen wir sie als das auffassen, was sie meiner Überzeugung nach ihrem tiefsten Wesen nach ist: ein Stück, und ich sage unter Hinweis auf das geschichtliche Leben unserer Tage, das bedeutsamste Stück der Volkserziehung. In der Tat: Sie bezweckt die Erziehung des schulentlassenen proletarischen Nachwuchses, also der ungeheuren Mehrzahl des heranwachsenden Geschlechts. Und sie will diese Erziehung, soweit dies im Rahmen der heutigen sozialen Ordnung möglich ist, auf gesellschaftlichem Wege sichern, indem sie sie der sozialen Macht überträgt, die dank ihrer historischen Mission und ihrem Endziel, ihrem Ideal in der Gesellschaft der Klassengegensätze sowohl in Betreff der Gestaltung der Gegenwart wie vor allem in Betreff der Gestaltung der Zukunft das weitestreichende, das allgemeine Gesellschaftsinteresse repräsentiert. Diese soziale Macht ist das kämpfende, das organisierte Proletariat. Nur wenn man die proletarische Jugendbewegung so auffasst, wie hier kurz skizziert ist, kann sie zu ihrem Recht kommen. Stellen wir uns aber auf den Boden der Auffassung, dass sie Volkserziehung im weitesten und höchsten Sinne des Wortes ist, so dürfen wir die Bedingungen für die Entwicklung der sozialistischen Jugendbewegung nicht zuschneiden nach dem, was den Virtuosen des gewerkschaftlichen und politischen Kampfes jeweilig im Hinblick auf ihre Forderungen und die Formen ihrer eigenen Betätigung als zweckmäßig erscheint. Gewiss: Es ist eine banale Selbstverständlichkeit, dass die proletarische Jugendbewegung auch der praktischen Zweckmäßigkeit ihr Recht werden lassen muss. Dazu wird sie schon durch die realen Umstände gezwungen, durch das lebendige Leben mit seinen Machtgeboten. Es ist ebenso selbstverständlich, dass die proletarische Jugendbewegung die schulentlassenen jungen Proletarier ohne Unterschied des Geschlechts auf ihre bewusste Betätigung im Klassenkampf, also in Sozialdemokratie und Gewerkschaft, vorbereiten soll. Eine Vorschule, eine Rekrutenschule für das politisch, für das gewerkschaftlich kämpfende Proletariat ist sie genannt worden. Aber wenn man dieses Ziel so eng fasst, wie es in dem heiß und leidenschaftlich entbrannten Streit um die Frage der selbständigen Jugendorganisation sowohl von deren Befürwortern wie auch von ihren Gegnern gefasst worden ist, so erschöpft man keineswegs, was der Inhalt des Lebens und Strebens der proletarischen Jugendbewegung sein muss. Ja, noch mehr: Das Ziel, proletarische Befreiungskämpfer zu schulen, kann die proletarische Jugendbewegung in möglichst vollkommener Weise nur erreichen, wenn sie mehr ist als eine bloße Vorschule der politischen und gewerkschaftlichen Organisation. Sie muss sich darüber hinaus erweitern und ein wichtiges, unentbehrliches Glied in der Kette der Einrichtungen zu einer planmäßigen Volkserziehung werden, wie wir sie unserem sozialdemokratischen Bildungsprogramm entsprechend fordern. Fassen wir in diesem Sinne die proletarische Jugendbewegung auf und an, so ist es nur das normale Ergebnis eines inneren Entwicklungsprozesses, dass die jugendlichen Proletarier ihrerseits eines Tages als gereifte Mitträger des proletarischen und gewerkschaftlichen Kampfes in die Arena treten.

Wollen wir die proletarische Jugendbewegung verstehen und fördern, so müssen wir uns zunächst klar darüber werden, welches die geschichtlich treibenden Kräfte sind, die hinter ihr stehen. Eine klare Antwort auf die Frage nach diesen lässt uns auch Ziel, Aufgaben, Inhalt und Charakter der sozialistischen Jugendbewegung erkennen, sie lehrt uns, diese Bewegung selbst als ein bedeutendes Stück der geschichtlichen Entwicklung aufzufassen. Die letzte treibende Kraft der sozialistischen Jugendbewegung ist die kapitalistische Produktionsweise. Die kapitalistische Produktion und die auf ihr beruhende bürgerliche Gesellschaft schaffen die Erziehungsbedürftigkeit der proletarischen schulentlassenen Jugend. Das Ausbeutungsbedürfnis des Kapitals, das von den Fortschritten der Technik und der Produktionsverfahren angereizt wird, dem die Notlage des Proletariats als Klasse ebenso entgegenkommt wie die Emanzipation der Frau vom Haushalt, wälzt das proletarische Familienleben gründlich um. So eignet der kapitalistischen Produktion die Tendenz, die proletarische Familie gleichsam in ihre Atome aufzulösen und alle Glieder derselben als unmittelbare Ausbeutungsobjekte der kapitalistischen Mehrwertpresserei zu überantworten: nach dem Manne das Weib, nach dem Weib die Kinder. Das allein schon bedeutet eine Einengung, ja, in Zehntausenden von Fällen die Aufhebung der Möglichkeit für die proletarische Familie, ihren Nachwuchs bis zur Reife zu erziehen. Die proletarische Klassenlage als Ganzes, nicht zum mindesten auch die geistige Armut und Not, die ihr Erbteil ist, tut das ihrige, um die Voraussetzungen für ein ersprießliches erzieherisches Walten der proletarischen Eltern herabzumindern. Für unsere Frage kommt an erster Stelle die Rückwirkung der revolutionierten Verhältnisse auf die schulentwachsene Jugend in Betracht. Dank der hervorgehobenen Umstände wächst stetig und rasch die Zahl der jungen Proletarier, die als Erwerbstätige den Kampf ums Dasein aufnehmen müssen, lange ehe eine sorgfältige Pflege und Erziehung ihre körperlichen und geistig-sittlichen Kräfte zu einem gewissen Grad der Kraft und Reife hätte führen können. Die Berufs- und Gewerbezählungen, die Berichte der Fabrikinspektoren spiegeln diesen Tatbestand in Zahlen wider, sie bestätigen überdies, dass er einem Vorgang entspricht, welcher sich international in allen Ländern vollzieht, wo die kapitalistische Produktion ihre Herrschaft aufrichtet. Die Zahl der jugendlichen Arbeitskräfte steigt überall in weit stärkerem Verhältnis als die Zahl der erwachsenen Arbeiter und Arbeiterinnen.

Aber die kapitalistische Produktion kann mit den alten Formen des Wirtschaftslebens nicht aufräumen, ohne auch die überkommenen Formen der sozialen Beziehungen zwischen den Menschen zu zersetzen und umzugestalten. Das ausbeutende Kapital kann die jugendlichen Proletarier nicht als selbständige “freie Lohnarbeiter” auf den Arbeitsmarkt schleppen und treiben, ohne dass sich auch eine tief greifende Umwälzung in ihrer Stellung zur Familie und in ihrem Bewusstsein vollzieht. Die Erwerbstätigkeit emanzipiert die jugendlichen Proletarier und Proletarierinnen wirtschaftlich von der Familie und verleiht ihnen ihr gegenüber Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Ähnlich wie durch die Berufsarbeit die Frau wirtschaftlich von der Familie losgelöst und verselbständigt wird und einen neuen Bewusstseinsinhalt bekommt, so wird durch die Erwerbsarbeit die Lage und die Psyche der jugendlichen Proletarier revolutioniert. Die Familie hört auf für sie eine Stätte des Schutzes und der Erziehung zu sein, an die ihre wirtschaftliche Existenzmöglichkeit geknüpft ist. Sie essen ihr eigenes Brot. Die Eltern sind nicht länger die Erhalter ihres Nachwuchses. Damit setzt eine Umwälzung des alten Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern ein. Es bewahrheitet sich, was das “Kommbumstische Manifest” sagt, dass das Verhältnis des Proletariers zu Weib und Kind nichts mehr gemein hat mit dem alten bürgerlichen Familienverhältnis. Dem gesellschaftlichen Wirtschaftsleben eingegliedert, erwachen Weib und Kind im Proletariat zu dem Bewusstsein ihrer eigenen Persönlichkeit. Das alte Familienverhältnis baute sich auf dem absoluten Befehlsrechte der Eltern als der wirtschaftlich Erhaltenden und auf der ebenso absoluten Gehorsamspflicht der Kinder als den wirtschaftlich Erhaltenen auf. In dem Maße aber, als die schulentlassenen jungen Proletarier im Kampfe um die Existenz selbständig ihren Unterhalt suchen müssen, wird dies rohe, brutale Machtverhältnis revolutioniert. Soweit die Autorität der Eltern über die Kinder sich nur auf den Beutel, den Brotkorb stützt, geht sie in die Brüche. Nicht mehr als Ausfluss wirtschaftlicher Macht, nur noch als Ausdruck geistiger und sittlicher Überlegenheit vermag sie sich zu behaupten. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern steht nicht mehr im Zeichen des rücksichtslosen Befehlens und blinden Unterwerfens, sein Leitmotiv ist, Kameradschaft, Freundschaft zwischen beiden heranblühen zu lassen. Die Pflicht, ja, der Zwang, dass die jungen Proletarier für ihre Existenz selbst sorgen, lässt sie geistig und sittlich früher älter werden, als ihre Jahre das ausweisen, weckt in ihnen Selbständigkeitsgefühl und Unabhängigkeitssinn. Die Bedingungen dieser Lebenslage nähren diese Eigenschaften. Auch wenn die jungen Proletarierkinder es nicht wollen, werden sie durch das Ringen um ihr Brot, die Eingliederung in das Getriebe des sozialen Lebens täglich gezwungen, selbständig zu entscheiden und zu handeln. In vielen Fällen bringen das schon die äußeren Umstände mit sich. Das Arbeitsverhältnis führt sie vielleicht weit vom elterlichen Heim weg, bringt ihnen dadurch die Unabhängigkeit von diesem scharf zum Bewusstsein und zwingt sie früh zu selbständiger Lebensführung. Das revolutionierte Verhältnis zu Eltern und Familie wirkt naturgemäß auf die ganze psychische Disposition der jugendlichen Proletarier zurück. Dem gesellschaftlichen Produktionsprozess eingegliedert, erkennen sie ihre soziale Bedeutung als Arbeiter. Nicht bloß von den Eltern, von allen Erwachsenen wollen sie als Mitberechtigte und Mitentscheidende in allen Fragen gewertet sein, die ihr eigenes Leben berühren, das Wort Leben in seinem weitesten Sinne genommen. Kurz, das Pochen der Dampfhämmer und das Sausen des Räderwerks in den kapitalistischen Betrieben weckt die jungen Proletarier zu dem Bewusstsein, dass sie eigenverpflichtete und eigenberechtigte Persönlichkeiten sind.

Wie kommt es nun, dass das Gefühl des Aufsichselbstgestelltseins, dass die geistige und sittliche Frühreife in der proletarischen Jugend nicht jene Strömung des Individualismus auslöst, welche heutzutage die weitesten Kreise der bürgerlichen Jugend beherrscht? Der Gegensatz ist augenscheinlich.

Die proletarische Jugend erhebt nicht den Individualismus zum Prinzip der persönlichen Entwicklung und gesellschaftlichen Betätigung. Ihr Polarstern ist ein anderes Prinzip. Das kommt schon im Namen Sozialistische Jugendbewegung zum Ausdruck. Es ist das Prinzip des Sozialismus, des Genossenschaftstums in seiner edelsten Bedeutung, das zielsetzend und richtunggebend für die Entwicklung der jugendlichen Proletarier ist. Der Grund dafür liegt in ihren Existenzbedingungen selbst, ist in der proletarischen Klassenlage gegeben. Im Triebwerk der kapitalistischen Produktion erwacht der junge Proletarier nicht nur zur Erkenntnis seiner eigenberechtigten Persönlichkeit. Vom ersten Tage an, wo er in die Tretmühle des Erwerbslebens eingespannt wird, empfindet er auch, dass er in der kapitalistischen Gesellschaft nichts ist als ein Blatt, mit dem die Wolken und Winde der wirtschaftlichen, der sozialen Verhältnisse spielen. Er fühlt, dass er als einzelner ein Schwacher, ein Besiegter im Kampfe mit dem feindlichen Leben ist. Erstarken zur Kraft, zum Siege, so predigen ihm die Tatsachen, kann er nur in der Solidarität, in der Gemeinsamkeit des Wollens und Handelns aller, deren Leiden seine Leiden, deren Wünsche seine Wünsche, mit einem Wort, deren Los auch sein Los ist. So lernt er sich nicht bloß als Persönlichkeit kennen, sondern auch gleichzeitig als gleicher unter gleichen, als ein Glied seiner Klasse. Nicht zum mindesten ist es das Recht seiner Jugend auf Entfaltung, auf Entwicklung, das ihm seine Zugehörigkeit zu der Klasse der Habenichtse, der Ausgebeuteten, mit aller Deutlichkeit zum Bewusstsein kommen lässt.

Der Kampf um die Existenz, deren letztes soziales Wort Ausgebeutetwerden heißt, heischt Entfaltung der schlummernden Kräfte. Das Recht auf Selbstbestimmung sollte normalerweise das Recht auf gesunde Entwicklung aller Gaben des Leibes und der Seele zur Voraussetzung haben. Und glühende Sehnsucht regt sich in den jungen Proletariern nach Erblühen ihrer körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte. Erziehungs-, Entwicklungsmöglichkeit für die junge Individualität innerhalb der Grenzen, welche durch das Interesse der Aligemeinheit, welche durch das Interesse der Klasse gezogen werden: das rufen Stimmen des inneren und äußeren Lebens. Hunderterlei Bedingungen ihrer Existenz aber antworten den jungen Proletariern: Ihr könnt diese Entwicklungsmöglichkeit nicht haben, ihr sollt sie nicht haben! Es wird den Proletariersöhnen und -töchtern klar, dass ihrem Erblühen zu schönem, vollem Menschentum in der Hauptsache nicht individuelle Umstände Schranken ziehen — weder persönliche Begabung und mangelnder Wille noch Unlust und Unverständnis der Eltern. Ihr Schutz- und Erziehungsbedürfnis stößt vielmehr an soziale Schranken. Es ist die proletarische Klassenlage, welche sie setzt. Was die Entwicklung der jugendlichen Proletarier lähmt, die Last der “Kette, die den Leib umstrickt, die dem Geist die Flügel knickt”, wie Herwegh sagt,1 lernen sie als Erbteil ihrer Klassenlage bewerten. Diese Erkenntnis verweist sie auf den Weg, an dessen Ende die soziale Sicherung der Bildungsmöglichkeit für alle steht. Dieser Weg beginnt in der kapitalistischen Ordnung, aber er führt aus ihr hinaus. Was die kapitalistische Klassengesellschaft der proletarischen Jugend nicht geben kann, das muss diese sich auf dem Wege organisierter Selbsthilfe mit Unterstützung ihrer Klasse, in engster Fühlung mit deren historischem Leben erringen.

Wie liegen denn die Dinge? Die bürgerliche Ordnung schränkt in hohem Maße die Möglichkeit eines erzieherischen Einflusses der Familie auf die Jugend ein, ja, sie hebt diese Möglichkeit zum Teil ganz auf. Die sozialen Mächte, Staat und Gemeinde, tun jedoch so gut wie nichts, um die Erziehungspflichten der Familie zu übernehmen. Am allerwenigsten tun sie in dieser Hinsicht für die jungen Proletarier, nachdem sie in das Erwerbsleben hinausgetreten sind. Schon in der Volksschule haben diese erfahren, was der Armeleuteschule tiefster Sinn ist: ein Werkzeug zur Herandrillung einträglicher Ausbeutungsobjekte und zur geistigen Darniederhaltung und Knebelung des Proletariats zu sein. Die verschiedenen Bildungsgelegenheiten, welche die bürgerliche Gesellschaft den schulentlassenen Söhnen und Töchtern der arbeitenden Massen bietet, sollen — von Ausnahmen abgesehen — vollenden, was die Schule des Klassenstaates begonnen. Das gilt in hohem Maße auch von dem Fortbildungsunterricht, der alle Gebrechen einer Klassenbildung für Ausgebeutete, Beherrschte trägt und obendrein noch das Stigma einer sozialen Ungerechtigkeit gegen das weibliche Geschlecht, da er für die jungen Proletarierinnen nicht obligatorisch ist. Wie könnte dem auch anders sein! Der Staat ist das Herrschaftsorgan der ausbeutenden Klassen. Die Gemeinde ist nicht nur von ihm abhängig, sondern bringt wie er die Klassengegensätze und die Klassenherrschaft zum Ausdruck. Obgleich eine allseitige, planmäßige Fortbildung der schulentlassenen proletarischen Jugend im Interesse der sozialen Entwicklung, im Interesse der Hebung der materiellen und geistigen Kultur liegt, erhebt sich unser Fortbildungswesen nicht über das Ziel, eine gewisse elementare technische Abrichtung der Arbeitermassen zu sichern und dadurch den kapitalistischen Profit zu fördern. Und Schlimmeres noch: Es wird wie die Volksschule zum Herrschaftsinstrument für die politischen Interessen der ausbeutenden Klassen herabgewürdigt. Es soll das gefälschte Bild der Natur, der Gesellschaft, der geschichtlichen Entwicklung vertiefen und befestigen, durch das die Volksschule den Geist der proletarischen Kinder täuschte und betrog; es ist nicht geeignet, die Seele der jugendlichen Proletarier durch Wissen, durch Erkenntnis zu befreien, es vergiftet und verdummt sie. (Beifall.)

Was die private Initiative von bürgerlicher Seite schafft, ist schon der Quantität nach unzulänglich, der Qualität nach meist sehr fragwürdig. Zum Teil seinem Umfang wie seinem Wesen nach außerstande, den schreienden Gebresten des offiziellen Fortbildungsunterrichtes abzuhelfen, bezweckt es zum anderen Teil, bewusst jene so genannte Arbeiterbildung zu fördern, welche im Interesse des Profits und der Herrschaft der besitzenden Klassen liegt, weil sie das berufliche, das technische Können der jungen Proletarier erhöht und ihnen eine bürgerliche Auffassung der Geschichte, der Gesellschaft einimpft.

In unseren Tagen spricht aber die Logik der Tatsachen nicht mehr allein zu den jugendlichen Proletariern von diesem Stand der Dinge. Die geistige Atmosphäre, in der ihre Klasse lebt, atmet, ist erfüllt von den sozialistischen Ideen. Es offenbart sich schon der proletarischen Jugend, dass ihr Recht auf Bildung und Erziehung nur das Recht ihrer ganzen Klasse ist auf soziale Zustände, welche jedem einzelnen Glied der Gesellschaft in deren ureigensten Interesse die Möglichkeit verbürgen, alle körperlichen und geistigen Fähigkeiten zu hoher Vollendung zu entfalten, alle sich regenden, reifenden und reifen Kräfte zur inneren Befriedigung, zum Wohle der Allgemeinheit zu betätigen. Dieses Recht ist nicht im Sinne jenes Naturrechts zu verstehen, auf das sich die wissenschaftlichen Vorkämpfer der politischen Emanzipation der Bourgeoisie beriefen. Nein, es ist ein soziales Recht, das in der wirtschaftlichen und sozialen Rolle fest verankert liegt, welche dem Proletariat in der heutigen Gesellschaft zugefallen ist. Sie erschöpft sich keineswegs in dem, was dieses im Produktionsprozess leistet. So ungeheuer wertvoll das ist, es wird ergänzt und übergipfelt durch die historische Bedeutung des Klassenkampfes, den die Ausgebeuteten gegen die Barbarei der kapitalistischen Gesellschaft in der Gegenwart, für die Aufhebung und Überwindung dieser Gesellschaft in der Zukunft führen. In unseren Tagen ist das klassenbewusst kämpfende Proletariat das geschichtliche Salz der sozialen Erde, es ist der mächtigste Faktor, der die gesellschaftliche Entwicklung bewusst vorwärts treibt. Dem sozial fest verwurzelten Recht der Arbeiterklasse auf Bildungs- und Betätigungsmöglichkeit steht jedoch das Vorrecht der besitzenden und ausbeutenden Klassen entgegen. Nur im Kampfe gegen diese vermag es sich daher durchzusetzen, und nur durch die Niederzwingung der Gesellschaft der Klassengegensätze und der Massenausbeutung kann es ganz triumphieren. Das Proletariat bedarf für seinen Emanzipationskampf des Wissens, der Erkenntnis, aber erst sein Sieg über die ausbeutenden Klassen, erst die sozialistische Ordnung freier, gleichberechtigter Arbeiter wird ihm, wird allen Gliedern der Gesellschaft Bildungs- und Wirkungsfreiheit sichern, die alle schlummernden Kräfte zum Leben erweckt, zur Blüte bringt und in sozialer Gesinnung Früchte tragen lässt. Angesichts des aufgezeigten Zusammenhanges der Dinge fällt für die jugendlichen Proletarier das Lebensinteresse ihrer Jugend mit dem Lebensinteresse ihrer Klasse zusammen. Sie lernen den Klassenkampf als die Macht würdigen, welche Bahn für ihre Entwicklung schafft. Sie werden der Erkenntnis voll, dass auch für ihr knospendes Menschentum der Sozialismus allein der große Befreier ist. Sie wissen, ihre Zukunft ist unlösbar verknüpft mit dem geschichtlichen Lebensinteresse des gesamten Proletariats. (Beifall.)

An diesem Punkte muss meiner Ansicht nach die sozialistische Jugendbewegung einsetzen. Die sozialistische Jugendbewegung ist ein Stück jener proletarischen praktischen Selbsthilfe, zu der das Proletariat durch seine Klassenlage gedrängt wird und die sich als Klassenkampf durchsetzt. Es entspricht nur dem Wesen der proletarischen Emanzipationsbewegung, dass die proletarische Jugend im Geiste des Sozialismus und für den Sozialismus erzogen werden muss. Die Lösung dieser Aufgabe muss aber in hohem Maße das Werk der Jugend selbst sein. Das politisch, gewerkschaftlich und genossenschaftlich organisierte Proletariat, das von der Überzeugung der Gleichberechtigung der Geschlechter tief durchdrungen ist, ruft die Frauen zur Mitarbeit in seine Reihen, damit sie sich lernend, arbeitend zu selbständigen Persönlichkeiten, zu Mitträgerinnen der Bewegung entwickeln, durch ihre Betätigung ihre Gleichwertigkeit erweisen und mit eigenen Kräften für ihre Befreiung wirken. Gerade so muss das jugendliche Proletariat durch Selbsterziehung vorwärts und aufwärts dringen. Die sozialistische Jugendbewegung ist der Weg dazu. In ihr muss daher der Initiative, der Betätigung der Jugend selbst der größte Spielraum gelassen werden. Es entspricht dies nur unserem Grundsatz von der Gleichberechtigung aller Menschen, demzufolge wir in den jugendlichen Proletariern die werdenden Glieder der Gesellschaft, die künftigen Träger des proletarischen Befreiungskampfes sehen. Es entspricht das dem Prinzip der Selbstbetätigung, das im Sozialismus lebendig ist, der die Emanzipation der Arbeiterklasse als Werk der Arbeiterklasse selbst erstrebt, also ganz auf die Erweckung des Willens zur eigenen Tat gestellt ist. Durch richtige Erkenntnis diesen Willen schon in den jugendlichen Proletariern zu wecken, zu stählen und auf das eine Ziel zu richten: das ist es, was die sozialistische Jugendbewegung erstrebt. Sie muss sich an die Massen des jugendlichen Proletariats wenden, muss sie mit dem lebendigen Geiste des Sozialismus durchdringen und der Fähigkeit reifen Handelns entgegenführen. Ihr Ziel ist nicht etwa, einzelne frühreife Persönlichkeiten mit Formeln auszurüsten, die es ihnen ermöglichen, abzugucken, wie die Wissenschaft sich räuspert und wie sie spuckt, und für die auch der Sozialismus zu einer solchen Formel zusammenschrumpft. Die proletarische Jugendbewegung soll im lebendigen Geiste des Sozialismus das Wollen vorbereiten und mit dem Wollen zugleich zur Tat bereitmachen. Von einer Erkenntnis durchdrungen, von einem Wollen beseelt, werden die Massen der jugendlichen Proletarier, wenn ihre Kräfte aus reifenden zu reifen geworden sind, zukunftsfroh und begeistert im Interesse ihrer Klasse handeln. (Lebhafter Beifall.)

Wenn die sozialistische Jugendbewegung im Dienste dieses Zieles wirken will, so muss sie zunächst dem körperlichen, geistigen und sittlichen Verfall entgegenarbeiten, welcher der proletarischen Jugend infolge der kapitalistischen Ausbeutung ihrer Arbeitskräfte droht. Körper und Geist sind eine Einheit. Ruin der körperlichen Gesundheit und Kraft bedeutet in der Regel auch eine Abnahme der geistigen Kräfte, eine Schwächung der sittlichen Stärke. Es ist ein Wahnsinn, gepaart mit einem Verbrechen, dass unsere Gesetzgebung den jugendlichen Arbeiter und die jugendliche Arbeiterin im Alter von 16 Jahren als erwachsen erklärt, als reif für die fast schrankenlose kapitalistische Ausbeutung. Sie alle, die Sie durch die Hölle dieser Ausbeutung gegangen sind oder die erleben mussten, dass junge Angehörige und Freunde in ihr litten, wissen, welche Leiden, welche schweren Schädigungen der leiblichen und geistigen Kräfte die skrupellose kapitalistische Auswucherung über die arbeitende Jugend verhängt. Die sozialistische Jugendbewegung muss den Kampf dagegen mit aller Energie aufnehmen. Das kann sie dadurch tun, dass sie vor allem unter den Massen der jungen Proletarier selbst die Erkenntnis des blutigen Unrechts verbreitet, das ihr geschieht. Sie muss hier, anknüpfend an die kapitalistische Ausbeutung der kindlichen und jugendlichen Arbeitskräfte, Aufklärung verbreiten über das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung selbst wie über ihre Ordnung und ihren Staat. Sie muss den Jugendlichen die Gefahren für Leib und Seele zum Bewusstsein bringen, denen diese Ausbeutung sie preisgibt, muss durch Sammlung von Material darüber eine Künderin ihrer Leiden, eine Anregerin von Besserungen in ihrer Lage, eine Ruferin im Kampfe für Reformen zu ihren Gunsten sein. Ihr fällt gleichzeitig die Aufgabe zu, durch Verbreitung von Wissen über die Forderungen, welche die Hygiene, die Wissenschaft überhaupt im Interesse gesunder körperlicher und geistig-sittlicher Entwicklung erhebt, den jugendlichen Proletariern sowohl zu zeigen, was das Kapital und die bürgerliche Ordnung an ihnen verbrechen, wie sie zu befähigen, soweit der enge Rahmen der Klassenlage es gestattet, den verwüstenden Einflüssen der Erwerbsarbeit bewusst entgegenzuwirken. Es liegt auf der Hand, dass die Jugendbewegung diesen Komplex von Aufgaben nicht allein, sondern nur zusammen mit dem reifen, politisch und gewerkschaftlich kämpfenden Proletariat in Angriff nehmen kann. Des Weiteren ist es Ziel der proletarischen Jugendbewegung, nach Möglichkeit gutzumachen, was die Volksschule, was die anderen Bildungsinstitute des Klassenstaates an der proletarischen Jugend sündigen. Nicht bloß gegen ihren Geist, nein, auch gegen ihre Sittlichkeit. Die bürgerliche Gesellschaft ist bestrebt, wie die geistigen, so auch die sittlichen Ideale der Massen zu verfälschen. Ihr Ideal für die Bildung der Massen ist nicht die Freiheit, sondern Unterwerfung und Knechtschaft. In der proletarischen Familie fehlen jedoch oft genug die materiellen und kulturellen Vorbedingungen, um dem allen entgegenzuarbeiten. War sie schon ohnmächtig, dem Anrecht der Kindheit auf Erziehung zu genügen, so kann sie erst recht nicht den vorliegenden Bedürfnissen der heranreifenden Jugend gerecht werden. Damit nicht genug: An die proletarische Jugend treten verschiedenartige verwahrlosende und verderbende Einflüsse heran, welche Produkte der kapitalistischen Gesellschaft sind. In erster Linie der Alkoholismus. Die Alkoholpest zu verbreiten, ist für bestimmte Kreise der besitzenden Klassen ein Geschäft, und zwar ein sehr einträgliches Geschäft. Ebenso, entsprechend dem Grundsatz der kapitalistischen Welt: non olet — Geld stinkt nicht —‚ die Verseuchung der Massen, der jugendlichen Massen insbesondere, mit Schundliteratur wie mit allen Werken und Äußerungen jener Afterkunst, die an die schlechtesten Instinkte appelliert. Die kapitalistische Gesellschaft erzeugt die Produzenten und Konsumenten solcher Afterkunst, sie erzeugt vor allem Unternehmer, die beide gründlich ausbeuten und aus ihrem sittlichen Ruin Gold münzen. Die pornographischen Reproduktionen, die mit Kunst nichts gemein haben, die Tingeltangel, Variete usw. sind Mittel der kapitalistischen Plusmacherei auf Kosten der leiblichen und seelischen Volksgesundheit. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der sozialistischen Jugendbewegung, diesen verwahrlosenden, verrohenden, Körper und Geist verderbenden Einflüssen entgegenzutreten.

Aber sie hat nicht nur eine negative, sondern auch eine positive Aufgabe. Sie darf nicht nur abwehren, sie muss auch aufbauen, planmäßig dafür sorgen, dass an die jugendlichen Proletarier Bildungselemente körperlicher, geistiger und sittlicher Art herantreten, die geeignet sind, eine harmonische, vollmenschliche Entfaltung der jungen Proletarier zu fördern. Die Richtlinien für diese Wirksamkeit hat in vorzüglicher Weise Genossin Roland-Holst auf der Internationalen Konferenz der sozialistischen Jugendorganisationen in Stuttgart aufgezeigt. Lesen Sie den Bericht! Er orientiert lichtvoll darüber, welcher Art die Bildungselemente sein sollen, die die sozialistische Jugendbewegung dem proletarischen Nachwuchs vermittelt. Zugleich lässt er erkennen, was die sozialistische Jugendbewegung ist und was sie will. Niemand wird sich dem Eindruck entziehen können, dass sie von den höchsten sittlichen, sozialen Idealen unserer Zeit getragen wird — sittlich selbstverständlich im sozialistischen Sinne und dass sie nicht auf kleinliche Vereinsmeierei ausgeht. Nur kurz sei auf positive erzieherische Aufgaben hingewiesen, welche die sozialistische Jugendbewegung erfüllen soll. Weil nur in einem gesunden Körper eine gesunde Seele wohnen kann, muss sie zunächst den Schädigungen entgegenwirken, welche der normalen, kraftvollen körperlichen Entwicklung der jungen Proletarier drohen. In erster Linie als Ausbeutungsobjekten, dann aber auch sonst reichlich genug in der kapitalistischen Gesellschaft. Es sei nur daran erinnert, dass durch die Erwerbsarbeit im kapitalistischen Betrieb bestimmte Gruppen von Muskeln und Nerven entarten müssen, weil die einen einseitig in Tätigkeit gesetzt und überanstrengt werden, während andere zur Untätigkeit verdammt sind. Turnen, Märsche, Sport, Ausflüge, kurz, systematisch betriebene Leibesübungen aller Art sind Mittel, das physische Verkümmern der proletarischen Jugend aufzuhalten. Solche Übungen sollen auch den Zweck haben, den jugendlichen Arbeitern und Arbeiterinnen die Freude an der Kraft, an der Gesundheit und Schönheit des menschlichen Körpers wiederzugeben. Die kapitalistisch ausgebeutete Arbeit raubt ihnen diese Freude. Für sie kommt Körper und Geist vielfach nur noch als “Hand” in Betracht. Der englische Unternehmer spricht bezeichnend genug von den Arbeitern nur als von “Händen”. Auch die christlich-spiritualistische Auffassung, dass der Körper etwas Niedrigeres als die Seele, dass er ein “Gefäß der Sünde” sei, hat die Freude am Leibe genommen, hat diesen gleichsam beschmutzt und entwürdigt. Hygienische und ästhetische Körperübungen können den jugendlichen Proletariern das Bewusstsein der Würde, der Schönheit, der Kraft des Körpers vermitteln. Sie sind dazu angetan, diese auch in innigen Zusammenhang mit der Natur zu bringen und mit dem Verständnis für sie die Freude an ihr, die gesteigerte Fähigkeit zum Genuss ihrer Herrlichkeiten zu entwickeln. Selbstverständlich dürfen körperliche Übungen in der sozialistischen Jugendbewegung nicht überwuchern, nicht Selbstzweck werden. Unserer Auffassung entsprechend, dass Körper und Geist untrennbar zu einem verbunden sind, müssen sie stets auch als grundlegend für die normale Entwicklung geistiger und sittlicher Eigenschaften betrachtet werden. Dabei kommen gerade Geistes- und Charakterzüge in Betracht, die der reife kämpfende Proletarier später betätigen muss.

Ohne einer leeren, gedankenlosen Vielwisserei Vorschub zu leisten, muss ferner die sozialistische Jugendbewegung auch — wie schon in anderem Zusammenhange erwähnt — hygienisches Wissen verbreiten. Unter dem, was sie in dieser Hinsicht zu leisten hat, sei an erster Stelle an die Aufklärung über den Alkoholismus und über sexuelle Fragen erinnert. Eine vernünftige, streng wissenschaftliche und dabei zartfühlende taktvolle Belehrung über die Fragen des sexuellen Lebens ist das beste Mittel, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern auf eine gesunde sittliche Basis zu stellen. Gerade in dieser Hinsicht hat die sozialistische Jugendbewegung ein ungeheuer großes Wirkungsfeld vor sich. Was das proletarische Heim nicht leisten kann oder vernachlässigt. was die Schule heute noch nicht gibt, das kann sie dem proletarischen Nachwuchs ohne Unterschied des Geschlechts vermitteln: die Einsicht in die natürlichen Gesetze und Bedingungen, welche das Walten des mächtigsten, des stärksten Naturtriebes neben dem Hunger, des Geschlechtstriebes, regeln; die Würdigung der Tatsache, dass seine Befriedigung über das physisch-psychische Gefühl der Individuen hinaus der Erhaltung der Art dient, die nicht bloß existieren, die vervollkommnet werden soll; das Bewusstsein der ungeheuren Verantwortlichkeit, die daher dem geschlechtlichen Leben jedes einzelnen zukommt. Die jungen Proletarier müssen dazu erzogen werden, das rohe, blinde sexuelle Triebleben geistig und sittlich zu zügeln, es mit dem Gehalt unserer Kultur zu durchdringen, zu vergeistigen.

Die hygienische Aufklärung leitet hinüber zu einem Bildungsgebiet, dem die Jugendbewegung besonders hervorragende Aufmerksamkeit zuwenden muss. Sie hat die Aufgabe, die jungen Proletarier in die Naturwissenschaften einzuführen, sie mit ihren wichtigsten Ergebnissen bekannt zu machen, ihrem Verständnis das Naturganze, das Weltall, den Kosmos zu erschließen. Selbstverständlich kann es sich dabei nicht um die Anhäufung von Einzeltatsachen handeln. Nicht verwirrende Vielwisserei, sondern geistig klare Beherrschung des Bekannten und Gelernten, Anregung zum selbständigen Beobachten und Denken muss die Parole sein. Worauf es ankommt, ist, den jungen Proletariern die gesetzmäßige Einheit alles natürlichen Seins zum Bewusstsein zu bringen, ihnen die großen inneren Zusammenhänge zwischen seinen verschiedenen Formen und Erscheinungen aufzuzeigen wie seinen unaufhörlichen eigengesetzlichen Entwicklungsprozess. So lernen sie das Weltall in seiner reichen Mannigfaltigkeit wie in seiner Einheit begreifen, in seinem Wandel wie in seiner Gesetzmäßigkeit, und empfinden sich selbst als eines seiner Teilchen. In der gleichen Weise muss das Bildungsgebiet behandelt werden, das meines Erachtens die Achse, den Zentralpunkt, der Bildungsbestrebungen darstellt, deren Trägerin die sozialistische Jugendbewegung ist. Es ist das Gebiet der sozialen Wissenschaften. Auch hier darf das Schwergewicht nicht auf das Ansammeln einer Überfülle geschichtlicher und sozialer Daten gelegt werden. Das vermittelte Wissen muss vielmehr vor allem zu klarer Erkenntnis der eigengesetzlichen Entwicklung der Gesellschaft führen. Es muss die Triebkräfte des geschichtlichen, des gesellschaftlichen Werdens und Vergehens aufzeigen, die ehernen Gesetze, weiche es regieren; es muss einen klaren Einblick in den Mechanismus der kapitalistischen Produktion und die auf ihr beruhende bürgerliche Gesellschaftsordnung geben und in die treibenden Faktoren, welche in ihr wirksam sind. Geschieht das, so wurzelt in den jungen Proletariern die Überzeugung fest, dass die geschichtliche Entwicklung mit Naturnotwendigkeit, unabwendbar und unaufhaltsam, zur sozialistischen Gesellschaft führt. Sie lernen die Kräfte kennen, welche die kapitalistische Ordnung revolutionieren, die sozialistische vorbereiten, und so erwachen sie zum Bewusstsein der gewaltigen Rolle, welche der zielklare Wille des Proletariats in der geschichtlichen Entwicklung unserer Zeit spielt, und der ungeheuren Verantwortlichkeit, welche in der Folge allen seinen Gliedern auferlegt wird. Erkenntnis der eigengesetzlichen Entwicklung der Natur und der Gesellschaft ist das wirksamste Gegengift gegen den religiösen Aberglauben und Mystizismus, der nur zu oft auch zum sozialen Mystizismus führt, das heißt im letzten Grunde zum Verzicht auf die kraftvolle Tat, zum Verzicht auf das bewusste Eingreifen in den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung. Es versteht sich, dass die gepflegte Erkenntnis zur fruchtbaren Wurzel der Charakterbildung werden muss. Die sozialistische Jugendbewegung muss bewusst alle Eigenschaften, alle Tugenden fördern, deren der reife Proletarier für den Emanzipationskampf seiner Klasse bedarf, sie muss eine Pflanzschule sozialistischer Charaktere sein.

Das gedrängt Skizzierte über die Bildungsaufgaben der sozialistischen Jugendbewegung weist mit greifbarer Deutlichkeit darauf hin, dass den jungen Söhnen und Töchtern des Proletariats das nötige erzieherische Wissen nicht mit den Methoden und nach der Art der politischen und gewerkschaftlichen Massenagitation übermittelt werden kann. Nicht der Agitator und Organisator hat dabei das entscheidende Wort zu sprechen, sondern der Erzieher — was allerdings keineswegs gleichbedeutend ist mit Schulmeister in der landläufigen bürgerlichen Bedeutung des Wortes. Die reiche Fülle der Bildungselemente, deren Vermittlerin die sozialistische Jugendbewegung sein soll, so zu. gestalten und sie den jugendlichen Proletariern in der Weise nahe zu bringen, wie es den Gesetzen der leiblichen und geistigen Entwicklung entspricht: das ist Sache einer Pädagogik, die ihrem Wesen nach selbst von der theoretisch wohl befestigten und geklärten sozialistischen Erkenntnis durchdrungen sein, die ihrer Form und ihrem Gebaren nach frei von jeder beschränkten fachgelehrten Zünftelei bleiben muss. Wirkt die sozialistische Jugendbewegung als Bildungs-, als Erziehungsbewegung im Sinne der angedeuteten Richtlinien, so führt sie zu einer festen, klaren sozialistischen Erkenntnis, die der Schlusspunkt einer natürlichen geistigen und sittlichen Entwicklungsreihe und Entwicklungsreife ist. Darauf aber kommt es an. Es kann nicht ihre Aufgabe sein, als eine Art Schnellbleiche oder “Presse” für einzelne besonders begabte proletarische Persönlichkeiten zu funktionieren, welche ihrer Eigenart nach für eine frühzeitige öffentliche Betätigung disponiert sind. Sie muss die breitesten Massen der proletarischen Jugend erfassen und im sozialistischen Sinne erziehen, so dass ihre festgewurzelte, unausrottbare sozialistische Überzeugung der Abschluss eines normalen inneren Werdeganges ist. Ist das der Fall, so wird der Sozialismus im persönlichen Leben der einzelnen zu einer lebendigen, einer wirksamen Kraft. Er versteinert nie zu einer toten Formel, er macht nie vor der Schwelle des Privatlebens halt. Zwischen Theorie und Praxis, zwischen Bekenntnis und Handeln wird sich dann nicht — wie heute leider so oft — ein klaffender Gegensatz zeigen. Erfährt man nicht gelegentlich, dass die bravsten Genossen, die besten Gewerkschaftler in ihrem Privatleben noch tief in bürgerlichen Ideen stecken, eine durch und durch bürgerliche Weltanschauung betätigen? Unsere Jugendbewegung muss ein Innenleben schaffen, weiches von der sozialistischen Weltanschauung durchdrungen, welches in ihr so fest verankert und verwurzelt ist, dass kein Gesetzesparagraph und keine Bajonette, dass kein persönlicher Vorteil den einzelnen davon abzuhalten vermag, sozialistisch zu handeln. Sie muss Bekenner des Sozialismus erziehen, die in ihrer Überzeugung leben, weben und sind. (Zustimmung.)

Die sozialistische Jugendbewegung wendet sich an den Nachwuchs der ausgebeuteten Massen und bemüht sich, ihn für die spätere bewusste, zukunftsfreudige Betätigung im Dienste seiner Klasse vorzubereiten. Sie übernimmt damit eine ganz spezifische Aufgabe innerhalb der allgemeinen proletarischen Emanzipationsbewegung, eine Aufgabe, die unseres Dafürhaltens weder die politische noch die gewerkschaftliche Organisation allein zu erfüllen vermag, weil beide reife Proletarier zum Kampfe mit bestimmten Losungen sammeln und nicht reifende Kräfte erziehen wollen, soviel bedeutsame Erziehungsarbeit sie auch an den Erwachsenen leisten. Wenngleich die sozialistische Jugendbewegung ihr Ziel und ihren Inhalt von dem allgemeinen Befreiungskampf des Proletariats erhält, so ist sie doch ihrem Wesen, ihrem Pflichtkreis nach ein besonderer, ein eigener Spross der modernen Arbeiterbewegung. In dieser ihrer Eigenschaft bedarf sie aber auch eigener, selbständiger Organe, bedarf sie der Organisation. Ohne Organisation werden ihre Versuche, ihren Inhalt in die Tat umzusetzen, mangelhaft bleiben.

Soweit die sozialistische Jugendbewegung Bildungsbewegung, Erziehungsbewegung ist — also durchaus unpolitisch, und das nicht bloß der Auffassung des Gesetzes, sondern ihrem ganzen inneren Wesen nach —‚ kann sie der eigenen, selbständigen Organisation nicht entraten. Was sie in dieser Hinsicht erstreben muss, das kann weder im Rahmen der gewerkschaftlichen noch der politischen Organisation geleistet werden. (“Sehr richtig!”) Ich sage das wahrhaftig ohne Rücksicht auf die Bestimmungen des neuen Reichsvereinsgesetzes, dieser Spottgehurt von konservativem Feuer und liberalem Dreck. (“Sehr gut!” und lebhafter Beifall.) Die Aufgaben der sozialistischen Jugendbewegung als einer Erziehungsbewegung sind so speziell, so reich, heischen eine so eigene Behandlung, dass sie die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der reifen Träger des proletarischen Klassenkampfes gar nicht erfüllen können. Diese haben ihr eigenes, weitschichtiges, scharf umgrenztes Pflichtgebiet, das sie vollauf in Anspruch nimmt, sie können ihrem Wesen nach nicht mit dem komplizierten neuen Wirkungskreis belastet werden, den die Jugendbewegung eröffnet. Die energische Vertretung wirtschaftlicher Berufsinteressen einer bestimmten Arbeiterkategorie, wie sie Pflicht jeder Gewerkschaft ist, die treue Erfüllung der politischen Tagesarbeit, die den Wahl- und Kreisorganisationen zufällt, ziehen dem Wirken für die Entfaltung sozialistischen Geistes in den proletarischen Jugendmassen bestimmte Schranken. In den Anfängen der modernen Arbeiterbewegung diente bei uns in Deutschland ein und die nämliche Organisation den verschiedensten Aufgaben, sie war der Rahmen für die politische, gewerkschaftliche, genossenschaftliche Betätigung, für die Bildungsbestrebungen, die Unterstützungseinrichtungen des Proletariats. Sie war gleichsam die Schale, die im Kern alle Institutionen umschloss, die sich die Arbeiter aus eigener Kraft zur Hilfe des leidenden, zur Wehrtüchtigkeit des kämpfenden Proletariats schaffen mussten. Aber die Erfolge des proletarischen Klassenkampfes selbst haben die Abgrenzung der Wirkungsgebiete und damit die Spezialisierung der Betätigung seitens der Organisation notwendig gemacht. Und je weiter sich das Tätigkeitsbereich dehnt, das jeder einzelnen Art der proletarischen Organisation zufällt, je absorbierender, verantwortungsreicher die Zwecke sind, denen eine jede dient, um so weniger kann sie sich im Nebenamt der methodischen — ich betone das Wort —‚ der planmäßigen Arbeit widmen, um die proletarische Jugend mit der sozialistischen Gedankenwelt zu erfüllen. Die Gründung von Bildungsausschüssen, Bildungskomitees usw. seitens der politisch und gewerkschaftlich organisierten Arbeiter ist in dieser Beziehung lehrreich. Sie ist der Nachweis dafür, dass die Spezialisierung der Arbeitsgebiete des proletarischen Emanzipationskampfes so weit fortgeschritten ist, dass Gewerkschaften und Wahlvereine von ihren Sonderpflichten derart in Anspruch genommen sind, dass die grundlegende Aufgabe der theoretischen Schulung und Vertiefung eigenen Organen überwiesen werden muss. Jedoch Bildungsinstitutionen für die reifen Träger des Klassenkampfes und für die erst reifenden sind zweierlei. Gewiss besteht zwischen beiden ein logischer Zusammenhang, aber trotzdem können die allgemeinen Bildungsorgane des klassenbewussten Proletariats nicht ohne weiteres die Erziehungsaufgaben der sozialistischen Jugendbewegung übernehmen. Immerhin sind sie es, an die sich die aus der eigenen Initiative der proletarischen Jugend hervorgehenden Bildungsvereine anlehnen, mit denen sie sich unter Umständen verbinden können. Das ist auch insofern empfehlenswert, als in den Institutionen zur theoretischen Schulung der Proletarier das geistige Leben der Gewerkschaften und der Parteiorganisationen zu einem Strom zusammenfließt.

Aber ich gehe einen Schritt weiter. Die sozialistische Jugendbewegung bedarf als Erziehungsbewegung nicht bloß eigener Organisationen. Die Bildungsvereine der proletarischen Jugend müssen auch Selbstbestimmungsrecht und Selbstverwaltungsrecht haben. Es versteht sich von selbst, dass die sozialistische Jugendbewegung in ihrer Gesamtheit sich in engster innerer Fühlung mit dem politisch und gewerkschaftlich kämpfenden, dem genossenschaftlich wirkenden Proletariat halten muss. Wo es die realen Bedingungen erlauben, einen organisatorischen Zusammenhang zwischen ihr und jenen zu schaffen, sollte er geschaffen werden. Es ist ebenso selbstverständlich, dass die sozialistische Jugendbewegung in allen ihren Betätigungsformen nicht bloß der Unterstützung, sondern auch des Rates der reifen Träger des Klassenkampfes im weitesten Umfange bedarf. Das besagt jedoch keineswegs, dass sie unter der gestrengen Vormundschaft und Oberhoheit der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen stehen darf. Die unpolitischen, nichtgewerkschaftlichen Bildungsvereine, welche die proletarische Jugend sich selbst schafft, müssen auch von dieser selbst verwaltet und geleitet werden. Ein Abhängigkeitsverhältnis ihrerseits, das sich eventuell auf gewährte materielle Unterstützung beriefe, würde nur sozial dem alten Machtverhältnis der Eltern über die Kinder entsprechen, es verträgt sich nicht mit dem revolutionierten Bewusstsein der jungen Proletarier, das bereits eingangs charakterisiert worden ist. Doch nicht bloß das. Selbständigkeit, Selbstbestimmungs- und Selbstentscheidungsrecht sind pädagogische Faktoren von höchster Bedeutung. Genossin Duncker hat in ihren vortrefflichen Ausführungen mit vollem Recht besonders darauf hingewiesen, wie wichtig es für die Entwicklung von Geist und Charakter ist, dass in der Familie schon das kleine Kind eine bestimmte, weitgehende Bewegungsfreiheit erhält, zur Selbstentscheidung und Selbständigkeit gewöhnt wird. Was in dieser Beziehung die Familie beginnt, muss die selbständige Jugendorganisation fortsetzen.

Alle moderne Pädagogik, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, stellt die Selbständigkeit des Urteils und der Betätigung in den Mittelpunkt der Erziehung. Sie ist Sonne und Regen, kräftigender Wind und linde Wärme, unter deren fruchtbaren Einflüssen die Gaben des Geistes und Charakters erblühen. Durch die Freiheit muss für die Freiheit erzogen werden! Gewöhnung zur Selbständigkeit im Denken und Entscheiden bereitet bewusstes, kraftvolles Tun vor. Selbständigkeit heißt auch Selbstbesinnung, Selbstzucht, Selbstbezwingung und Selbstverantwortlichkeit. Das Recht zur Selbstentscheidung hat die Pflicht zu höchster Selbstbetätigung, zu opferwilligster Hingabe zur Voraussetzung. Gerade die Selbständigkeit der Leitung und Verwaltung, welche in den Bildungsvereinen der Jugend selbst zufallen muss, macht diese Organisation zur Schule der Bürgertugenden, welche die reifen Proletarier im Klassenkampfe zu betätigen haben. Indem sie die jungen Proletarier vor die Notwendigkeit stellt, selbst zu prüfen, zu wählen, sachlich zu erwägen, fleißig zu arbeiten und begeistert zu opfern, entwickelt sie Einsicht, Konzentration des Willens, Tatkraft und jenen reinen Idealismus, der zum Einsatz der ganzen Persönlichkeit in den Dienst der erkorenen Sache treibt. Daneben fördert sie nicht minder die praktische Arbeitstüchtigkeit. Des Weiteren wird die selbständige Betätigung der Jugend in ihren Vereinen den größten Eifer, den höchsten Ehrgeiz im besten Sinne des Wortes —‚ die unermüdlichste Arbeitsfreudigkeit auslösen. Vor allem aber wird durch die selbständige Betätigung der Jugend in ihren eigenen Organisationen jenes ernste, besonnene Verantwortlichkeitsgefühl der Gemeinschaft gegenüber entwickelt, welches die Wurzel treuester sozialer Pflichterfüllung ist. Kurz, die Pflicht der Selbstbetätigung und das Recht der Selbstentscheidung sind wichtige pädagogische Voraussetzungen dafür, dass die proletarische Jugend zum bewussten und organisierten Handeln als Masse im Klassenkampf heranwächst, das eines Tages ihre geschichtliche Aufgabe ist. (Beifall!)

Den hohen erzieherischen Wert der Selbständigkeit und Selbstbetätigung erkennen z. B. sogar die Leiter der katholischen Jugendorganisationen an, wie streng sie auch diese sonst — wie ja die Vereine der erwachsenen Arbeiter und Arbeiterinnen auch — unter ihrer geistigen Vormundschaft halten. G. Hessdörfer - M. Gladbach, der die Frage der inneren Organisation der katholischen Jugendvereinigungen behandelt (siehe Dr. August Pieper, Jugendfürsorge und Jugendvereine, unter Mitarbeiter des Vereinspräsides herausgegeben. Soziale Tagesfragen. Zwanglose Hefte, herausgeben vom Volksverein für das katholische Deutschland. 20. Heft, M.-Gladbach, Volksvereinsverlag) empfiehlt, den Mitgliedern selbst soviel wie möglich Mitarbeit und Betätigung zu überlassen. Die Mitglieder der Vereinigungen wählen ihren Vorstand selbst und der Vereinspräses ist auf die eifrigste Mitarbeit seines Vorstands angewiesen, damit er nicht durch Kleinarbeit überlastet wird. Der preußische Handelsminister hat kürzlich ebenfalls einer weitgehenden Selbstbetätigung der Jugendlichen das Wort geredet.. In einem Erlass, der Fürsorgeeinrichtungen für die Fortbildungsschüler gilt, heißt es: “Ich würde kein Bedenken darin sehen, sondern es vielmehr willkommen heißen, wenn die Fürsorgeeinrichtungen sogar auf Vereine gestützt werden, die sich zum Zweck der gemeinschaftlichen Verwaltung der zu ihrem Besten bestimmten Einrichtungen unter den Schülern bilden.” Die pädagogische Wertung der Selbstbetätigung und Selbstentscheidung als Selbsterziehung findet ihren Ausdruck in der Praxis der Landerziehungsheime. Diese stellen meiner Ansicht nach die reifste, höchste Form der bürgerlichen Pädagogik dar, zugleich aber enthalten sie bedeutende Keine zur sozialistischen Erziehung, Keime, die allerdings in der bürgerlichen Gesellschaft nicht Wachstum, Entwicklungsmöglichkeit für all die Kraft, Schönheit und schöpferische Fruchtbarkeit finden können, die in ihnen steckt. Die gut geleiteten Landerziehungsheime haben — um diesen Ausdruck zu gebrauchen — eine demokratische Verfassung, und den Zöglingen steht vom frühen Alter an und in steigendem Maße das Recht der Mitwirkung und der Mitbestimmung in allen Angelegenheiten zu, die sie angehen. Das ganze Leben der Landerziehungsheime untersteht mit im weitesten Umfange der Entscheidung der Zöglinge, wie auch der Unterricht vor allem auf Selbstbetätigung gestellt ist. Das kämpferische Proletariat hat das stolze Wort auf seine Fahnen geschrieben: “Die Wissenschaft und die Arbeit.” Ich glaube, es wird, es darf sich bei Anerkennung und Anwendung der wichtigsten Grundsätze wissenschaftlicher Pädagogik nicht übertreffen lassen von bürgerlichen Erziehungsinstitutionen, von Leitern katholischer Jugendvereinigungen, von preußischen Handelsministern. (Sehr gut!)

Eines ist natürlich selbstverständlich und wurde auch schon nachdrücklich hervorgehoben. Die selbständigen Jugendorganisationen bedürfen in hohem Maße der Erfahrung, des Rates der reifen Träger des proletarischen Klassenkampfes. Es wäre unverantwortlich, wollte man sie sich ohne diese wertvollen Faktoren für gedeihliches Leben und Wirken entwickeln lassen. Jedoch nicht dank ihrer materiellen Mittel, gestützt auf den Zwang von Paragraphen, sollen die Vertreter des erwachsenen Proletariats die Bildungsvereine der jugendlichen Proletarier bevormunden und beherrschen. Ihr Verhältnis zu diesen wird vielmehr das einsichtsvoller Eltern zu ihren Kindern sein. Kraft größeren Wissens und Könnens und reicherer Erfahrungen sind sie die berufenen und nicht zu missenden Berater, Helfer und Förderer der Jugendvereine; geistige und sittliche Überlegenheit wird dort ihrer Stimme ganz von selbst ein großes Gewicht, einen entscheidenden Einfluss sichern, vorausgesetzt natürlich — und das ist von ausschlaggebender Bedeutung —‚ dass sie geborene Erzieher sind, denen Verständnis und Sympathie für die Jugend wie pädagogischer Takt eigen ist. Meiner Ansicht nach muss also auch den selbständigen Jugendorganisationen der beratende Einfluss Erwachsener zur Seite stehen. Eine Nebenfrage ist es, in welcher Form das der Fall ist, ob in Gestalt von erwachsenen Mitgliedern mit beratender Stimme in der Leitung, ob in Gestalt eines besonderen Beirats usw. Gewicht ist nur auf den Hauptpunkt zu legen: Die Beratung darf nicht zur Diktatur werden, um mich drastisch auszudrücken. Mit aller Entschiedenheit müssen Versuche abgewehrt werden, die Selbständigkeit der Jugendorganisationen aufzuheben, die das Werk der Jugend selbst sind. Dass die Dinge anders liegen, sobald die proletarische Jugend wohlgemerkt die proletarische Jugend und nicht etwa die unpolitischen, nichtgewerkschaftlichen Jugendorganisationen an Aufgaben mitarbeiten, an Kämpfen teilnehmen will, die in der Hauptsache den reifen Proletariern zufallen, werde ich später erörtern.

Die Jugendvereine sollten meiner Überzeugung nach die jungen Proletarier beider Geschlechter aufnehmen. Manche Genossinnen und Genossen sehen in der gemeinschaftlichen Organisierung der jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen allerhand Gefahren für die gesunde Entwicklung der einzelnen, für das Leben und die Arbeit der Bildungsvereine selbst. Ich stehe auf dem entgegengesetzten Standpunkt und erblicke in ihr eine Quelle der Förderung der Geistes- und Charakterentwicklung der Mitglieder wie des Gedeihens der Organisationen. Die Jugendvereine sind der gegebene Boden, um einen Anfang mit der Verwirklichung unserer grundsätzlichen Forderung der gemeinsamen Erziehung beider Geschlechter zu machen. Die gemeinsame Erziehung wirkt als Korrektur gegen Fehler, als Anreiz zur Entwicklung von Vorzügen ausgleichend auf beide Geschlechter. Je mehr in puncto dieser Forderung noch in den Schulen und hie und da auch in der proletarischen Familie gesündigt wird, um so notwendiger ist es, dass die proletarische Jugendorganisation darangeht, die schweren Schädigungen der getrennten Erziehung zu überwinden. Sie kann darauf hinwirken, dass der Jüngling in der Jungfrau, dass der heranwachsende Mann im Weibe mehr sieht als bloß das Geschlecht, den weiblichen Menschen, nämlich die Leidensgefährtin, die Kampfgenossin, die Miterbauerin und Mitträgerin des gesamten Lebenswerkes. Je zielbewusster die proletarische Jugendorganisation sich bemüht, die zweierlei soziale Wertung und die zweierlei Moral für das männliche und das weibliche Geschlecht zu besiegen, um so fester, reiner, sittlicher wird die Grundlage für das Zusammenwirken der beiden Geschlechter, nicht allein draußen, im proletarischen Klassenkampf, nein, auch drinnen, in der Familie.

Es mag sein, dass es infolge des Zusammenfassens beider Geschlechter in einer Organisation vielleicht zu mancher kleinen Liebelei kommt. (Heiterkeit.) Aber meinen Sie, dass das, was in den Jahren, was in der Natur selbst begründet ist, nicht auch ohne Jugendorganisation geschieht? (“Sehr richtig!”) Ich behaupte sogar, dass Liebeleien zwischen den jungen Proletariern und Proletarierinnen außerhalb der Jugendorganisationen meist unter weit ungesünderen, ungünstigeren Verhältnissen auftreten werden als innerhalb dieser. Im ersteren Falle werden sie nur zu oft ausschließlich auf das Sexuell-Sinnliche gestimmt sein, in dem letzteren Falle aber wirkt das Sexuell-Psychische, wirken geistige und sittliche Umstände mit, weil die jungen Leute als gleich verpflichtete und gleichberechtigte Kameraden zusammenarbeiten und einen gemeinsamen höheren Lebensinhalt haben. Also keine Trennung der Geschlechter, die doch später in Partei und Gewerkschaften gemeinsam organisiert werden und kameradschaftlich zusammenarbeiten sollen.

Dagegen befürworte ich eine andere Trennung. Wo es praktisch durchführbar ist, sollten meines Dafürhaltens zwei verschiedene Sektionen der Jugendvereine geschaffen werden, und zwar die eine für die Altersstufe von 13 beziehungsweise 14 bis 16 Jahren, die andere für die Altersstufe von 16 bis 18 Jahren. Ich weiß, dass ich mit dieser Forderung ziemlich allein dastehe und mich mit ihr sogar im Gegensatz zu meinem Freunde Heinrich Schulz befinde, mit dessen Anschauungen — zumal auch in pädagogischen Fragen ich sonst in der Hauptsache übereinstimme. Nichtsdestoweniger halte ich an ihr fest. Der junge Proletarier wird zur Erwerbsarbeit, zum Kampf ums Dasein hinaus gestoßen. In der harten Schule der kapitalistischen Ausbeutung altert, reift er sehr rasch. Zwischen dem jungen Proletarier von 14 bzw. gar nur 13 Jahren — in Bayern endet bekanntlich die Schulpflicht mit diesem Jahre — und denen von 16 Jahren existiert daher betreffs der Geistes- und Charaktereigenschaften ein größerer Unterschied als zwischen dem gleichaltrigen Bourgeoisnachwuchs. (Sehr richtig!) Dieser Unterschied muss meines Erachtens bei der Wahl und Ausgestaltung des Bildungsstoffes, bei den Methoden des Unterrichts usw. in den Jugendorganisationen beachtet werden. Daher meine Forderung nach zwei Sektionen. Selbstverständlich dürfen junge Proletarier lediglich ihrer Altersstufe halber nicht zwangsweise in der unteren Sektion festgehalten werden, wenn der Reifegrad ihrer persönlichen Entwicklung zum Übertritt in die obere Sektion drängt. Worauf es mir ankommt, ist das Vorhandensein einer Bildungs- und Erziehungsinstitution innerhalb der Jugendbewegung, die ihrem ganzen Wesen und Inhalt nach geeignet ist, die Massen der ganz Jugendlichen Proletarier aufzunehmen und ihre Bedürfnisse nach leiblicher und geistiger Entfaltung zu befriedigen. Zur Beurteilung der strittigen Frage kann für uns der Hinweis darauf nicht maßgebend sein, dass unsere Jugendorganisationen Mitglieder von 14 und 15 Jahren haben, die es an geistiger und sittlicher Reife, an Rührigkeit, Arbeitstüchtigkeit und Opferwilligkeit mit den älteren Kameraden aufnehmen, ja vielleicht sogar mit 30 Jahre alten Erwachsenen. (Heiterkeit.) Nicht einzelne frühreife Persönlichkeiten geben den Maßstab für das, was es zu schaffen gilt, sondern die Entwicklung, die Bedürfnisse der proletarischen Jugendmassen Die vorzeitige persönliche Reife, welche das Produkt — und bis zu einem gewissen grade unstreitig ein ungesundes Produkt — der proletarischen Existenzbedingungen ist, sollte meines Dafürhaltens nicht noch durch die Jugendorganisationen gesteigert und beschleunigt werden. Für den Durchschnitt der Jugend könnte das nur auf Kosten der späteren Kraftbetätigung und Leistungstüchtigkeit geschehen. Die Zusammenfassung der jugendlichen Proletarier von 13-18 Jahre in einer Organisation trägt meines Erachtens die Gefahr in sich, die halben Kinder einer gewissen Frühreife entgegenzuführen oder aber — wenn ihre psychische Eigenart gebührend berücksichtigt wird — hemmend als eine Art Bleigewicht auf den Bildungsgang der älteren Mitglieder zurückzuwirken. Dazu kommt noch eine Erwägung. Die jungen Proletarier verlassen die Schule und werden Objekte der kapitalistischen Ausbeutung, ohne dass sie in Zehntausenden von Fällen eine Kindheit im eigentlichen Sinne des Wortes gekannt haben, ihnen blieb die sorglose Freude, das Spiel, der Sonnenschein der Kinderjahre vorenthalten. Es ist eine der Aufgaben der Jugendbewegung, den halben Kindern nach Möglichkeit zu ersetzen, was sie früher daheim entbehren mussten. Daher muss in den unteren Sektionen der Vereine einem erzieherischen Spiel, der Geselligkeit und Freude, kurz, Veranstaltungen ein großer Raum gewährt werden, welche die Gemüts- und Charakterbildung im sozialistischen Sinne des Wortes fördern und das geistige Leben anregen und befruchten, ohne dass sie selbst in das Gebiet des strengen wissenschaftlichen Lernens und Arbeitens fallen. Das Schwergewicht hätte meiner Meinung nach darauf zu liegen, in dem Gemütsleben der ganz jungen Proletarier das Gefühl, das Bewusstsein der proletarischen Solidarität fest, unausrottbar einzuwurzeln und die ersten geistigen Elemente zu geben, auf denen sich die sozialistische Erkenntnis aufbaut. Sache der oberen Sektion wird es sein, durch planmäßige theoretische Schulung die Gefühle und primitiven Erkenntnisse zu klarer, wissenschaftlich wohlbegründeter Einsicht und Überzeugung zu vertiefen.

Es liegt auf der Hand, dass die sozialistische Jugendbewegung sich nicht in der Wirksamkeit der reinen Bildungs- und Erziehungsorganisationen erschöpfen kann. Ihr fallen unstreitig auch andere Aufgaben zu, Aufgaben, die auf dem Feld des politischen und gewerkschaftlichen Klassenkampfes liegen. Solche Aufgaben in Angriff zu nehmen, dazu wird die sozialistische Jugendbewegung gedrängt durch die Existenzbedingungen der jungen Proletarier, an die sie sich wendet, wie durch die Interessen des gesamten Proletariats, von dessen geschichtlichem Leben sie Ziel und Inhalt empfängt. Außerdem spricht auch dafür, dass der Kampf selbst eine der stärksten und wertvollsten erzieherischen Kräfte ist. In seiner heißen Atmosphäre reifen rasch die Einsichten, Talente, Charaktereigenschaften. Es hieße daher der Entwicklung des proletarischen Nachwuchses zu Klassenkämpfern künstlich unheilvolle Schranken setzen, wollte die sozialistische Jugendbewegung ihn von praktischen Arbeiten und Kämpfen zurückhalten. Nein, die aufgeklärten jungen Proletarier können nicht bloß, sie müssen an solchen Arbeiten und Kämpfen teilnehmen. Ich denke dabei besonders an den Kampf für den Schutz der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter, für den Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung, der Fabrikinspektion, des Fortbildungswesens, des Bildungswesens überhaupt, an den Kampf gegen den Geist des Mordspatriotismus, gegen den Militarismus usw.

Jedoch ist in dieser Beziehung Mehreres festzuhalten. Zunächst, dass die Jugendvereine ihrer Natur nach nicht Träger der einschlägigen Arbeiten und Kämpfe sein können. Die Jugendbewegung muss sich für derartige Aufgaben ihre besonderen Organe schaffen, und sie kann sich dieselben trotz der ungünstigen Rechtslage schaffen, wie das Beispiel der sozialistischen Frauenbewegung — allerdings unter etwas anderen Umständen — bewiesen hat. Nicht minder wichtig ist es, dass man sich in der sozialistischen Jugendbewegung über ein anderes klar ist: Arbeiten und Kämpfe, die auf das gewerkschaftliche und politische Gebiet hinüber greifen, können nun und nimmermehr Sache der selbständigen Entscheidung und Aktion der jungen Proletarier allein sein. Sie dürfen nur in Übereinstimmung mit den Vertretern des gewerkschaftlich und politisch kämpfenden reifen Proletariats und unter deren Führung in Angriff genommen werden. Wie in den Bildungsvereinen, welche der Initiative der jugendlichen Proletarier selbst ihr Entstehen verdanken, der Jugend werden muss, was der Jugend gebührt, so muss den Gewerkschaften bleiben, was den Gewerkschaften zukommt, so muss den Parteiorganisationen gegeben werden, was der Parteiorganisationen ist. Wenn die verschiedenen Formen und Organe der Jugendbewegung in einem Geiste und einem Willen wirken, so werden sie auch ohne festen organisatorischen Zusammenhang untereinander zu dem einen Ergebnis beitragen: die proletarische Jugend mit jener Einsicht und Entschlossenheit zu erfüllen, welche sie befähigt, eines Tages als bewusste und organisierte Masse im Klassenkampf zu handeln.

Vielleicht wird mancher einwenden, dass es unvorsichtig sei, offen auszusprechen, welchem Ziel die sozialistische Jugendbewegung zustrebt. Angesichts der vereinsrechtlichen Bestimmungen würde sie dadurch ans Messer geliefert. Ich teile diese Ängste nicht und habe meine Ausführungen mit dem vollen Bewusstsein ihrer Tragweite gemacht. Wie liegen die Dinge? Unsere Jugendorganisationen, die ihrem Zweck nach Bildungsvereine sein müssen, stellen sich selbstverständlich auf den Boden, der durch die vereinsrechtlichen Bestimmungen umgrenzt ist. Wir wissen jedoch, dass sie durch die strengste Beobachtung des Gesetzes noch nicht vor Auflösung und Schikanen durch die Behörden gefeit sind. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass nicht bloß entscheidet, was in dem Text des Gesetzes steht, sondern wie das Gesetz gehandhabt und der Text ausgelegt wird. Wir kennen jene Praxis der Gerichte, die im Zeichen der Goetheschen Verse steht: “Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr‘s nicht aus, so legt was unter.” (“Sehr gut!”) Meiner Ansicht nach schützt auch die größte Vorsicht und Zagheit nicht davor, dass alle Äußerungen klassenbewussten Lebens in den ausgebeuteten Massen ausgelegt und gedeutet werden. (“Sehr richtig!”) Diesem Los werden auch die Bestrebungen der sozialistischen Jugendorganisationen nicht entgehen. Der Klassenkampf hat in Deutschland eine solche Schärfe und Bitterkeit angenommen, dass wir die besitzenden Klassen auch durch die allerzahmsten und nichts sagenden Erklärungen nicht über das täuschen können, was das Proletariat geschichtlich will und wollen muss. Sie wittern es, ahnen es mit dem feinen, geschärften Instinkt von Klassen, die herrschaftsgewohnt sind, sich aber in ihrer Herrschaft ernstlich bedroht fühlen. Wir können erklären, was wir wollen, sie glauben nicht an die Harmlosigkeit des emporstrebenden Proletariats. (“Sehr gut!”) Auch wenn wir darauf verzichten auszusprechen, was das Ziel der sozialistischen Jugendbewegung sein soll, so sind die herrschenden Klassen nicht in Ungewissheit und Dunkel darüber, was ihr geschichtlich bedingtes Ziel sein muss. Durch unsere ausweichenden Worte machen wir uns nur den Gegnern verächtlich als Leute, die feig und verlogen sind. (“Sehr wahr!”) Und eine noch schlimmere Folge tritt ein. Wenn wir nicht offen sprechen, so wird in den Massen nicht die Erkenntnis dessen geweckt, was sie tun müssen. Durch Überängstlichkeit gewinnen wir also nichts bei den Gegnern und verlieren bei den proletarischen Massen. (“Sehr richtig!”) Wir dürfen im Proletariat überhaupt nicht jenen Geist der Untertänigkeit und Polizeifrömmigkeit aufkommen lassen, dem aus jedem Gesetzesparagraphen, aus jeder Pickelhaube gleichsam das Haupt der Medusa entgegenstarrt und der sich bei diesem Anblick nicht mehr zu bewegen wagt. (“Sehr gut!”) Das Proletariat darf seine Tatkraft nicht durch den Blick auf die Gewalten der kapitalistischen Ordnung, Gesetzestexte, Büttelschneidigkeit, Juristenweisheit lähmen lassen. Umgekehrt: Ihr Weben und Wirken muss uns zur Entfaltung unserer höchsten Energie, des Maximums unserer geistigen Kraft aufpeitschen. Dass das vorwärts drängende proletarische Klassenleben sich ungeachtet aller Gesetzesparagraphen, die wir als Ausdruck der Macht der herrschenden Klassen verachten, die wir aber nichtsdestoweniger als konkrete Dinge, mit denen wir rechnen müssen, zu beachten gezwungen sind, kraftvoll durchzusetzen vermag, dafür ist die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung ein Beispiel. Sie ist auch unter den alten Vereinsgesetzen aufgeblüht und gediehen und hat einen Grad der Stärke erreicht, vor dem die Gegner die Waffen strecken mussten, weil sie das emporsprossende geschichtliche Leben nicht zu erdrosseln vermochten. Die Gewährung des politischen Vereinsrechts an die Frauen ist im letzten Grunde die Kapitulation, ist der Ausdruck der Unmöglichkeit, mit dem Löschhütchen von Paragraphen und Polizeimaßregeln die hoch lodernde Flamme der Lebensäußerungen auszublasen, die ihre Kraft aus den revolutionierten Verhältnissen saugen. Auch die sozialistische Jugendbewegung wird allen zu erwartenden Drangsalierungen zum Trotz gedeihen, denn hinter ihr stehen — wie wir gesehen haben — treibende geschichtliche Kräfte, die mit dem ehernen Zwang von Naturgesetzen wirken.

Die kämpfende, die reife Generation des Proletariats hat aber alle Ursache, mit Rat und Tat schützend und fördernd der sozialistischen Jugendbewegung zur Seite zu stehen. Diese gehört ihrem Inhalt nach zu den bedeutsamsten geschichtlichen Erscheinungen. Indem sie die Massen der proletarischen Jugend ergreifen, im Geiste der sozialistischen Weltanschauung und für die Ziele des Sozialismus erziehen will, ist sie ein hervorragender Träger der Tendenz, welche darauf abzielt, bewusst den Individualismus als Prinzip der persönlichen Entwicklung und gesellschaftlichen Betätigung zu überwinden. Die kapitalistische Produktionsweise erzeugt den Individualismus, die bürgerliche Ordnung entwickelt ihn, und bürgerliche Philosophen und Pädagogen — deren glänzendster Vertreter Rousseau war — haben ihn als Lebensprinzip zum Mittelpunkt der Erziehung gemacht, noch ehe er sich dank der Auflösung der alten sozialen Bindungen zwischen den Menschen, insbesondere aber des Verfalls der alten Familienform, in der Praxis in dem Umfange durchsetzte, wie dies später der Fall war, nachdem die Bourgeoisie ihre politische Herrschaft angetreten hatte. Der Individualismus ist das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft. Ihn im Fühlen und Denken der Massen zu überwinden, ist eine der wichtigsten ideellen Vorbedingungen für die Verwirklichung des sozialistischen Endziels. Indem die sozialistische Jugendbewegung dafür wirkt, indem sie jugendliche Massen durch die Gemeinschaft und für die Gemeinschaft ihrer Klasse erzieht, leistet sie ein gewaltiges Stück jener Arbeit zur Revolutionierung der Köpfe, welche der Revolutionierung der ökonomischen, der sozialen Ordnung vorangehen muss. So steckt in ihr ein inhaltschweres Stück Zukunftsarbeit für die Befreiung des gesamten Proletariats.

Jedoch schon für die Gegenwart gewinnt die systematische Aufklärung der proletarischen Jugend in unserem Sinne für das kämpfende Proletariat steigende praktische Bedeutung. Die Zahl der Jugendlichen schwillt an, welche im wirtschaftlichen Leben als Lohndrücker, wohl gar als Streikbrecher gegen die erwachsenen Arbeiter und Arbeiterinnen ausgespielt werden können. Die sozialistische Jugendbewegung muss durch ihr Erziehungswerk dieser Möglichkeit entgegenarbeiten, sie muss bestrebt sein, die jugendlichen Ausgebeuteten zu Kampfgenossen der erwachsenen Proletarier zu schulen.

Je mehr die Klassenkämpfe sich zuspitzen, desto mehr wächst auch die Gefahr, dass die Proletarier in Uniform gegen die Proletarier ohne Uniform ausgespielt werden, dass die proletarische Jugend zum Werkzeug der brutalen Gewalt entwürdigt wird, welche als letztes Bollwerk der Klassengesellschaft die Ausbeutung und Unterdrückung des Proletariats verewigen soll. Dieser Gefahr gilt es im Sinne der Resolution des Internationalen Sozialistenkongresses zu Stuttgart über den Kampf gegen den Militarismus durch die Aufklärung der proletarischen Jugend zu begegnen. (“Sehr gut!”) Die Aufklärung über das Wesen des Militarismus muss schon im Heim beginnen, sie muss später durch Vermittlung der sozialistischen Jugendbewegung fortgesetzt werden. Ich bemerke ausdrücklich, dass sie jedoch keineswegs die Aufgabe der Jugendorganisationen sein kann, das Proletariat wird andere Mittel und Wege dazu finden. Wird von allen Seiten, die in Betracht kommen können, mit Ernst und Besonnenheit gewirkt, so werden auch wir mit der Zeit erreichen, was die “Junge Garde” in Belgien erreicht hat. Durch entsprechende Aufklärung der Jugend wird ohne besondere Kasernenagitation das Militär als Werkzeug der Klassenherrschaft zur Niederhaltung des Proletariats unbrauchbar. Revolutionierung der Köpfe höhlt den Militarismus von innen aus. Die Gegner der Befreiung des Proletariats suchen der Aufklärung der proletarischen Jugend über das Wesen des Militarismus planmäßig entgegenzuarbeiten. Es sei nicht nur an die bekannten Maßnahmen der bürgerlichen und militärischen Behörden erinnert, sondern auch an die entsprechenden Bestrebungen bürgerlicher Jugendorganisationen. Dr. Pieper befürwortet in seiner Schrift ausdrücklich, dass die katholischen Jugendvereinigungen ihr Wirken auch auf die zum Militär einberufenen jungen Leute erstrecken müssen. Natürlich zum Zweck der “patriotischen Erziehung”, der auch eine Militärsparkasse, “Weihnachtspaketchen” usw. dienen sollen. Das Proletariat kennt die “patriotische Erziehung”, die die herrschenden Klassen meinen. Überhaupt darf das kämpfende Proletariat nicht mit in den Schoß gelegten Händen zusehen, dass bürgerliche Bewegungen Geist und Herz seines Nachwuchses mit bürgerlichen Ideen erfüllen und ihm damit den Weg zum Heerlager des proletarischen Befreiungskampfes versperren. Zahlen müssen zur eifrigsten Förderung der sozialistischen Jugendbewegung anspornen. Nach der Statistik der konfessionellen Jugendvereine, die Dr. Pieper mitteilt, weisen die etwa 2.000 katholischen Jugendorganisationen 240.000 Mitglieder auf, die “Nationalvereinigung der evangelischen Jünglingsbündnisse Deutschlands” umfasst rund 115.000 junge Leute, sie verfügt über 34 freigestellte Verbandssekretäre und 120 freigestellte Vereinssekretäre.

Doch noch andere Gründe sprechen dafür, dass die sozialistische Jugendbewegung eine ihrer Bedeutung entsprechende Unterstützung erfährt. Der erfolgreiche proletarische Klassenkampf erweitert ständig das Wirkungsgebiet der kämpfenden Arbeiterklasse und spezialisiert immer mehr die ihr zufallenden Aufgaben. Die Fülle der verantwortungsreichen Tagesarbeit, die der einzelne auf den verschiedensten Gebieten des öffentlichen, des proletarischen Klassenlebens leisten muss, macht es gar manchem unmöglich, mit ihr die weitere Pflege gründlicher theoretischer Bildung zu verbinden. Daher ist es nötig, dass ein Geschlecht heranwächst, welches, mit klarer und fester theoretischer Erkenntnis ausgerüstet, eines Tages an die praktische Arbeit herantritt. Erreichen wir dank der sozialistischen Jugendbewegung dies, so wird das Proletariat auf allen Gebieten seiner Betätigung über Persönlichkeiten verfügen, welche die tägliche Kleinarbeit mit der Begeisterung und Opferwilligkeit, mit dem Verständnis leisten, als ob es der Aufrichtung der sozialistischen Zukunftsgesellschaft gälte, welche aber auch für das große sozialistische Endziel jederzeit mit jener Tatkraft, jenem Idealismus wirken, als könne es heute schon verwirklicht werden, Persönlichkeiten, welche die Kleinarbeit durch das Bewusstsein ihres Zusammenhanges mit dem sozialistischen Ideal adeln und daher nie über der mühseligen Tageslast das herrliche Endziel vergessen. (“Sehr gut!”)

Doch weiter! Die sozialistische Jugendbewegung muss im Interesse des proletarischen Befreiungskampfes gefördert werden, weil die politische wie die gewerkschaftliche Bewegung nicht bloß der Jugend als des nötigen Nachwuchses bedarf, nein, weil beide der Jugend um der geistigen und sittlichen Vorzüge der Jugend halber nicht entraten können. (“Sehr gut!”) Die Jugend ist der ewig lebendige Jungbrunnen der Frische und Kraft für die Erwachsenen. Sie ist der beste Faktor, um uns in fortwährender geistiger und sittlicher Weiterentwicklung zu halten, um das Rasten und Rosten zu verhüten. Unser Nachwuchs ist Fleisch von unserem Fleisch, er hat unser Herzblut getrunken, er hat sich von unserem Geist genährt, und doch ist er nicht wir. Er ist er selbst, ein neues, anderes. Er sieht mit seinen eigenen Augen und hört mit seinen eigenen Ohren; er fühlt, denkt, urteilt selbst, hat sein eigenes geistiges Leben. Und wir dürfen nicht vergessen, dass, wenn seine Anfänge und Äußerungen auch vielleicht kindlich sind, es doch über das unsere hinausstrebt, hinausstreben muss. Nach Nietzsches schönem Wort soll die Menschheit nicht bloß fortgepflanzt, sondern hinaufgepflanzt werden. Jedes Geschlecht steigt auf den Schultern der voraufgegangenen Generation über diese empor. Daher ist die Jugend ein vorwärts treibendes Element für den einzelnen sowohl wie für den Kampf, die Bewegung des Proletariats. (“Sehr gut!”) Außerdem brauchen wir die spezifischen Eigenschaften der Jugend im Klassenkampf: die Begeisterungsfähigkeit, die Hingabe, das Feuer, die Kühnheit usw. Neben den erwachsenen Kämpfern, deren Pflicht es ist, zu wägen, müssen jugendliche Elemente stehen, die wagen wollen. (“Sehr richtig!”) Gewiss, dass die Jugend auch ihre Mängel hat. Aber wir müssen diese um der Vorzüge der Jugend willen in Kauf nehmen, und wahrhaftig, sie wiegen leichter als jene und sind um so weniger zu fürchten, als sie gerade durch die Selbsterziehung in der sozialistischen Jugendbewegung bekämpft und mit der fortschreitenden Reife überwunden werden. Wird das gesamte kämpfende Proletariat zum Mitträger der sozialistischen Jugendbewegung, so wird dank ihrem Wirken ein Geschlecht heranwachsen, das das Werk der reifen Klassenkämpfer unserer Tage im geschichtlichen Sinne fortsetzt, das heißt, es überflügelt.

Das deutsche klassenbewusste Proletariat at den wenigsten Grund, mit Besorgnis auf das Heranwachsen einer selbständigen sozialistischen Jugendbewegung zu blicken. Das lehren uns die Erfahrungen im Auslande. Nicht etwa, als ob alles, was sich dort in der sozialistischen Jugendbewegung als lebenskräftig erwiesen hat, schablonenhaft nach Deutschland übertragen werden solle. Die Bedingungen, unter denen sich die Jugendbewegung in jedem einzelnen Lande entwickelt hat, sind verschiedenen. Trotzdem lösen sich von dem vorliegenden Beurteilungsmaterial verschiedene allgemeine Erkenntnisse los, die auch für uns ihre Bedeutung haben. Zunächst die Lehre, dass die sozialistische Jugendbewegung überall elementar aus den Lebensbedingungen der jugendlichen Proletarier emporwächst. Sie setzt sich daher erfolgreich durch trotz aller Hindernisse, welche die Klassenherrschaft der Besitzenden ihr entgegenwälzt, trotz aller Schwierigkeiten auch, die in der Natur der Sache liegen. Des Weiteren: die sozialistische Jugendbewegung ist im Guten wie im Schlimmen aufs Engste mit der allgemeinen politischen und gewerkschaftlichen Bewegung ihres Landes verknüpft. Nicht bloß, dass sie deren hervorstechendste Wesenszüge kopiert, nein, auch in er Art, dass sie diese zu dem entgegengesetzten Extrem umprägt. Das hat sich in ungemein charakteristischer Weise in den skandinavischen Ländern gezeigt. Die Arbeiterbewegung derselben hat einen — nicht selten dominierenden — äußersten rechten Flügel, der stark mit kleinbürgerlichen Tendenzen durchsetzt ist und sein Gegenstück an anarchistischen und anarchistelnden Bestrebungen findet. Ein Teil der proletarischen Jugendbewegung der skandinavischen Länder geriet daher ins anarchistelnde Fahrwasser, diskreditierte die gesamte Jugendbewegung und führte zu ihrer Spaltung. Der Gesundungsprozess trat in dem Maße ein, als in der allgemeinen Arbeiterbewegung die Auffassungen geklärt, die Anarchistelei überwunden wurde und mit der Unterstützung der Partei eine ausgesprochen sozialdemokratische Jugendbewegung sch entwickelte, welche bad die Oberhand über die anarchistelnde Jugendorganisation bekam. Anarchistelei wie kleinbürgerliche Züge haben ihre Wurzel in dem Mangel klarer theoretischer Erkenntnis der seinerseits mit der verhältnismäßigen Rückständigkeit der ökonomischen Entwicklung jener Kinder zusammenhängt. (Sehr richtig!) Schließlich zeigt uns das Ausland, dass Grundbedingung für das normale Emporblühen der sozialistischen Jugendbewegung ebenso die innigste innere Fühlung mit den reifen Trägern des proletarischen Klassenkampfes ist, wie die Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit ihres Lebens. Vergegegenwärtigen wir uns diese allgemeinen Ergebnisse, so kann die deutsche Sozialdemokratie in Gemeinschaft mit den Gewerkschaften freudig daran gehen, die in Fluss gekommene Jugendorganisation tatkräftig zu fördern. Wir haben in Deutschland eine Partei und Gewerkschaften, denen ein hoher Grad innerer Reife, klaren Selbstbewusstseins eigen ist, ebenso wie Kraft und Geschlossenheit der Organisation. Partei und Gewerkschaften verfügen über reiche Erfahrungen in Betreff aller Arbeit, die auf den Zusammenschluss der Massen, das Wirken unter ihnen abzweckt. Dazu kommt, dass das deutsche Proletariat in der Frage der sozialistischen Jugendbewegung nicht bahnbrechend, führend vorangeht, sondern langsam folgt und daher die Erfahrungen des Auslands ausnutzen kann. In dem Zusammenwirken dieser Umstände — zumal aber in der Klasseneinsicht der Proletariermassen, die politisch und gewerkschaftlich geschult auf dem Boden der sozialistischen Erkenntnis stehen, liegt die Bürgschaft für die gesunde Entwicklung einer Jugendbewegung, welche sich arbeitend harmonisch der proletarischen Emanzipationsbewegung eingliedert.

Es ist Pflicht der Partei, die sozialistische Jugendbewegung in dem Sinne durch Rat und Tat zu unterstützen, wie es die vorliegende Resolution vorschlägt. Der Parteitag wird ja in Sachen der Jugendorganisation und ihrer Förderung das entscheidende Wort sprechen. Worauf es ankommt, ist, dass er für die Bestrebungen der proletarischen Jugend Bewegungsfreiheit schafft, wie die von mir vorgelegte Resolution sie fordert.

Ich bitte, stimmen Sie ihr zu. Ich weiß wohl, dass wir uns durch ihre Annahme in einen gewissen Gegensatz stellen zu den Vorschlägen des Parteivorstandes wie auch zu dem Beschlusse des Hamburger Gewerkschaftskongresses. Es gibt niemand, der das lebhafter bedauert als ich. Allein, angesichts der Bedeutung der Sache, um die es geht, müssen wir diesen Gegensatz als das kleinere Übel wählen (“Sehr richtig!”), der außerdem durch die Entwicklung der Dinge selbst bald überwunden sein dürfte.

Es genügt jedoch nicht, dass die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats selbst mit Verständnis die Jugendbewegung fördern. Sie müssen auch unaufhörlich ihre Mitglieder daran mahnen, was ihr gegenüber Pflicht jedes einzelnen ist. Jeder klassenbewusste Proletarier, jede Proletarierin muss bemüht sein, die sozialistische Jugendbewegung auszubauen, ihr Gefolgschaft zu werben, ihr die eigenen Kinder als tätige Glieder zuzuführen. Als Eltern, Freunde, Arbeitskameraden muss ihr Verkehr mit den jugendlichen Proletariern von jener Sympathie und Achtung durchdrungen sein, die sie den Leidensgenossen von heute, den Kampfgefährten von morgen schulden. Strengste Selbstzucht, damit jede Äußerung der Brutalität und Rohheit unmöglich wird, zu der sich Erwachsene leider oft genug Jüngeren gegenüber hinreißen lassen! (“Sehr gut!”) Jeder einzelne von uns hat vor allem die Pflicht, durch das Beispiel seines Lebens die Jugend mit dem Geiste des Sozialismus zu erfüllen. Das Beispiel, die Tat ist die stärkste erzieherische Kraft. Der Jugend muss vorgelebt werden, dass der Sozialismus kein leerer Wahn, keine kalte, tote Formel ist, sondern eine lebendige Macht, die den einzelnen geistig und sittlich empor trägt, die seine besten Eigenschaften zur Entfaltung und Betätigung bringt.

Wirken wir alle mit ganzer Kraft im Sinne der Gedanken, die ich vor Ihnen skizziert habe. Sorgen wir dafür, dass das gesamte kämpfende Proletariat mit seiner inneren und äußeren Stärke hinter die sozialistische Jugendbewegung tritt und ihr moralisch und materiell die Beihilfe gewährt, die zur Erreichung ihrer Ziele notwendig ist und den grundsätzlichen Richtlinien des sozialdemokratischen Bildungsprogramms entspricht. Das gesamte klassenbewusste Proletariat muss das seinige dazu tun, damit die sozialistische Jugendbewegung wird, was sie sein kann. In ihr kann sich, nein, muss sich ein großes Stück unseres Ideals der Volkserziehung verkörpern. Sie muss ihrem Umfang, ihrem Wesen, ihrem Ziel nach das gewaltigste Stück Sozialpädagogik werden, das die Weltgeschichte kennt. Denn sie muss die breitesten Massen in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft erziehen, muss in sozialer Gesinnung den Willen jedes einzelnen auf die eine große Tat stellen, welche die geschichtliche Entwicklung bereitet hat, welche das Heil der Allgemeinheit gebietet. Marx hat das stolze Wort gesprochen: “Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.”2

Die proletarische Jugend muss zum lebendigen Träger und Erfüller dieses Wortes werden. Wird sie vom Geiste des Sozialismus erfüllt, so wächst und reift unaufhaltsam der gewaltigste Wille, den die Weltgeschichte je am Werk gesehen hat: der Wille der klassenbewussten Proletarier aller Länder. Und dieser gewaltige Wille konzentriert sich auf die größte Tat, welche die Historiker zu verzeichnen haben: die soziale Revolution, die Aufrichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnung, mit welcher — wie Engels sagt — die Menschheit endgültig den Sprung aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit, aus dem Reiche der Tierheit in das wahren Menschentums tut.

1 “Bundeslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins”

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